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Seite:Heft32VereinGeschichteDresden1937.pdf/23

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aus Fremden[1], bis die neuen Mahler zu den Dresdnern gerechnet werden konnten, denn sonst, wie Sie wissen, sind die meisten Sachsen so negativ, und so sehr in ganz nichtssagenden Redensarten aufgegangen, daß man sich unter ihnen wie unter Marionetten befindet. Ich habe Sie oft innigst bedauert, wenn Sie an dem leeren Geschwätz theilnehmen mußten.

Wie sehr Sie mir fehlen, – brauche ich Ihnen das noch erst zu sagen? – Einer Ihrer Blicke würde mir mehr sprechen als viele Bücher. Diesen befruchtenden Sonnenschein muß ich nun zu meinen Schmerzen entbehren. Unser Leben wird immer mehr zum Traum[2], je älter wir werden: und so muß es auch wohl sein, und das Hineinträumen, und an alle diese Träume glauben, dadurch nähern wir uns wohl nur der ächten Wahrheit. Nur keine sogenannte Philosophie – wenn der Mensch alle Wurzeln der Ahndung, Andacht, Poesie, Naturbegeisterung vernichtet, und nun am dürren Zweig des Denkens hängt, sich selbst genug im eitlen Selbst-Bewußtsein. So werde ich in einem gewissen Sinne mit dieser Ueberzeugung immer jünger, und so kommt mir auch die Todes-Sehnsucht immer näher, die mich in meiner frühsten Jugend so glücklich machte. Sie kennen gewiß das schöne Gedicht von Novalis (im Anhang des Ofterdingen), was diese Empfindung ausspricht. Sonderbar, wie auch diese Liebe zum Tode, Unglück, zur Tragödie, dem Erschreckenden und gewaltiger Größe bei den meisten Menschen auch mit der Jugend erlischt, und sie sich, so älter sie werden, so mehr vor dem Tode fürchten.

Sollen wir also trauern um Abgeschiedene? Warum habe ich es also gethan mit so ungeheuren Schmerzen? Leid und Freude ist durchaus ein und dasselbe, und der Schmerz ist nur eine andre Gestalt der Lust. Die Blitze der Lust, des Entzückens, der Begeisterung, der Andacht sind nur die seltnen, und in Traum, Wehmuth, tiefen, zerreißenden Schmerzen sänftigt sich in längeren Zeiten und anhaltender jener Aufblitz des scheinbaren Gegentheils.

Horchte man nur immer auf die Manifestationen unsers innern Lebens, und belehrte sich aus ihnen. Das, was in unsern Zerstreuungen des Lebens nicht beachtet wird, was in Augenblicken sich in unserm Innern aufthut, ist gewiß die Blüthe unsers Daseins. Aber freilich, wer versäumt, zum ganz Gewöhnlichen, sogenannten Irdischen zurückzukehren, wird darüber dann ein leerer Träumer, und aus der scheinbar größten Geistesfreiheit entsteht dann wieder die kümmerlichste Beschränktheit. So ist aus ewigen Widersprüchen unsre Seelen-Existenz geflochten, und nur in einzelnen Geistes-Aufblitzen sehn wir, daß es keine Widersprüche sind.

Doch, wie komme ich zu diesen Predigten? Es ist ja ein Thema, das wir oft durchgesprochen haben. Sie haben alles das in sich erfahren. Wie traurig, daß Sie so viel bei der Krankheit Ihres Vaters leiden[3]! Wollen Sie ihn herzlichst von mir begrüßen? Wehmüthig, wenn unser Leben auf eine solche Art verlöschen


  1. Zu den berühmten dramatischen Vorlesungsabenden, die Tieck in Dresden veranstaltete, fanden sich regelmäßig zahlreiche Fremde ein. Vgl. Georg Beutel, Dresdener Geschichtsblätter Band VI Jahrg. XXII, 1913, Nr. 4 S. 56–68.
  2. Die vom Geiste der Romantik erfüllte Gedankenwelt des Dichters war stark auf das Übersinnliche, Wunderbare, Geheimnisvolle gerichtet: Träume und Gesichte spielen in seinem Leben und Dichten, wie zuerst Köpke (a. a. O. II 126 ff.) und L. H. Fischer (Aus Berlins Vergangenheit, Berlin 1891, 168–180) zusammengestellt haben, eine große Rolle. Siehe dazu Philipp Lersch, Der Traum in der deutschen Romantik, München 1923, 25 ff., 40 ff.; Ilse Weidekampf, Traum und Wirklichkeit in der Romantik = Palaestra CLXXXII, 1932, 7 ff. Gern weilte der junge Tieck nachdenklich grübelnd nachts auf Kirchhöfen. Vgl. Köpke ebenda I 103; Willi Busch, Das Element des Dämonischen in L. Tiecks Dichtungen, phil. Diss. München 1911, 25. Darum ist ihm auch die vorletzte Strophe des Kirchhofgedichtes, das sich in seinem Bericht über die Fortsetzung des Ofterdingen (Novalis' Schriften, herausgegeben von Kluckhohn I 255) findet:

    „Könnten doch die Menschen wissen,
    unsre künftigen Genossen,
    daß bey allen ihren Freuden
    wir geschäftig sind:
    Jauchzend würden sie verscheiden,
    gern das bleiche Dasein missen!“

    aus der Seele gesprochen, und danach hätte ihn der frühe Tod seiner Freunde Wackenroder, Novalis und Solger sowie seiner Lieblingstochter Dorothea im Grunde nicht erschüttern dürfen. Siehe dazu Walther Rehm, Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik, = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Buchreihe XIV, 1928, 421-428. Und wie Tieck selbst, so sind auch die Menschen, die uns in seinen Dichtungen begegnen, von Todesahnung und Todessehnsucht erfüllt. Nachweisungen darüber bei Marianne Thalmann, Probleme der Dämonie in L. Tiecks Schriften = Forschungen zur neueren Literaturgeschichte LIII, 1919, 51 f.

  3. Oberstallmeister Karl Christoph Gottlob von Knobelsdorf, Herr auf Sellin, lebte nach dem Tode seiner Gattin Henriette geb. von Röppert (gest. am 9. April 1838) bei seiner Tochter Ida in Dresden. Er selbst starb am 15. Februar 1845. Vgl. Ein Lebensbild 11, 17: Gothaisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Jahrg. 3, 1902, 456.