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Ueber „Haar-Conservateure“ und „Haarmittel“

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Textdaten
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Autor: Joseph Pohl-Pincus
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Titel: Ueber „Haar-Conservateure“ und „Haarmittel“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 167–168
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[167] Ueber „Haar-Conservateure“ und „Haarmittel“. Unter den vielfach hierüber an mich gerichteten Anfragen will ich diejenigen, welche von allgemeinem Interesse sind, an dieser Stelle beantworten.

1) Es empfehlen sich in den Zeitungen „Haar-Conservateure“ – haben sie genügendes ärztliches Wissen, um den Krankheitszustand der Haare richtig zu beurtheilen?

Nein! Sie wissen nicht mehr als der Patient selbst über die Organisation des menschlichen Körpers und über die Krankheitsursachen. Sie sprechen von mikroskopischer Untersuchung (d. h. von einer Vergrößerung von zweihundert in der Linie) und machen eine Untersuchung mit der Lupe (d. h. mit einer Vergrößerung von drei bis fünf in der Linie). Und wenn sie ein Mikroskop besitzen, so verstehen sie nicht, es anzuwenden; und wenn sie dies verstehen, so fehlt ihnen die Kenntniß von dem mikroskopischen Bau des gesunden und des kranken Haares.

2) Was ist von den Mitteln dieser Haar-Conservateure zu halten?

Es sind theils schwache Spirituosen (in welchen metallische oder pflanzliche Stoffe gelöst sind), theils Theerpräparate, theils Oele. In vielen Fällen haben sie gar keine Wirkung, in vielen eine nachtheilige, in vielen eine vortheilhafte. Der „Conservateur“ hat drei bis fünf Präparate, mit denen er behandelt, gleichviel welche von den verschiedenen Ursachen der Haarkrankheit vorliegt; wenn er einen Patienten vor sich hat, weiß er nicht, welches seiner Mittel für den vorliegenden Fall noch am besten paßt (wenn überhaupt eines paßt), und wenn er das unpassende gewählt hat, sieht er es erst ebenso spät, wie der Patient selbst, d. h. zu spät.

3) Was ist von den Attesten zu halten, welche sie veröffentlichen?

Ich setze voraus, daß diese Atteste nicht gefälscht sind, und dann erklären sie sich in folgender Weise: Nach einem Nervenfieber, einer Blasenrose, nach chronischen Hautkrankheiten, nach starker Erkältung, nach gewissen Nervenkrankheiten fallen die Haare aus; sie kommen in sehr vielen dieser Fälle nach einiger Zeit von selbst wieder, gleichviel ob man Medicamente anwendet oder nicht. Werden nun bei solchen Zuständen die angepriesenen Mittel gebraucht, so glauben die Patienten, das Wiedererscheinen der Haare sei die Folge der Anwendung jener Mittel, und stellen die Atteste aus.

[168] Ist der Preis für die Haarmittel (im Ganzen gewöhnlich zehn Thaler) ein hoher?

Für das erste Stadium des chronischen Haarschwundes ist eine Ausgabe in dieser Höhe unnöthig; das von mir angegebene Medicament (doppel-kohlensaures Natron) genügt, nach der Vorschrift angewendet, für alle diese Fälle und kostet eine Kleinigkeit.

Für das zweite Stadium hingegen wäre der Geldansatz sehr gering, die ärztliche Cur in diesem Stadium bedingt einen viel höheren Kostenaufwand, da jede Haarausfalluntersuchung mehrere Stunden Arbeit erfordert.

5) Welchen Werth haben die sonst öffentlich angepriesenen Haarmittel (Esprit des cheveux, Wackerson’s Haarbalsam, Eau de Lob etc.)?

Bei acuten Krankheiten der Haare sind sie meist nachtheilig, bei chronischen sind sie oft nachtheilig und nützen fast niemals. Der hiesige vereidete Sachverständige, Apotheker Dr. Schacht, machte in diesen Tagen in der hiesigen polytechnischen Gesellschaft die Mittheilung, daß viele der im Handel käuflichen Haarmittel schädliche Bestandtheile enthalten; so wurde in einem solchen Protoxin, ein äußerst nachtheiliger Stoff, gefunden.

Wem seine Gesundheit lieb ist, der sollte kein Geheimmittel anwenden.

6) Ist es denn unmöglich, daß eine allmählich, im Laufe von Jahren entstandene Kahlheit heile?

Abgesehen von denjenigen Fällen, in welchen die kreisfleckige Kahlheit oder ein chronischer Hautausschlag die Ursache des Haarverlustes ist, ist keine Hülfe möglich. Ich lehne bei solchen Patienten jeden Curversuch ab. Wer hier noch Hülfe verspricht, irrt sich oder täuscht den Hülfesuchenden.

In den zuerst genannten Fällen führt die Cur sehr oft zur vollständigen Genesung.

7) Schließlich bemerke ich: „Haar-Conservateure“ und „Haarkünstler“, welche angeblich als meine Schüler oder „als meine rechte Hand“ (wie der Eine sich zu bezeichnen pflegt) im Lande umherreisen und alle Kahlheiten zu heilen versprechen, stehen zu mir in gar keiner Beziehung und rechnen auf ein leichtgläubiges Publicum.

Ich habe keine anderen Schüler als Studenten der Medicin, von denen Allen ich annehmen darf, daß sie tüchtige und solide Aerzte werden, aber nicht Industrieritter.

Berlin.

Dr. Pincus.