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Türkische Spiegelbilder

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Titel: Türkische Spiegelbilder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 500-503
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Türkische Spiegelbilder.

Spaziergänge. – Der Balkan mit seinen Engpässen. – Der Türke im Kampfe mit dem christlichen Frack. – Türkisches Junggesellenthum und Familienleben. – Der Türke mit Sprungriemen. – Handel mit Mädchen. – Wie diese erzogen werden. – Der Sonntag der Frauen in Constantinopel.

Wir laden unsere Leser ein, uns auf einigen Spaziergängen in das Innere der türkischen Sitten und Gebräuche zu begleiten, also in die Kreise, von denen die „orientalische Frage“ wesentlich abhängt. Wir wollen nicht politisiren, aber dafür haben wir auch das Recht, uns die Völker etwas genauer anzusehen, als es Diplomaten und Politiker thun. Die sehen immer den Wald vor Bäumen nicht und horchen und schreiben und electrotelegraphiren über Menschen und Thatsachen, die alle Augenblicke Schicksale ganzer Völker entscheiden zu können scheinen, und welche doch weiter nichts sind, als einzelne, unbedeutende Blüthen und Früchte der sittlichen und socialen Zustände eines Volks.

Ehe wir aber diese Spaziergänge antreten, kehren wir mit unsern der Zeitgeschichte entnommenen Illustrationen nochmals auf das Gebiet an der Donau zurück, wo der Waffen blutiges Spiel bereits begonnen hat. Der Balkan, ein über 50 Meilen langes Gebirge, in dessen Thälern vielleicht nächstens schon blutige Schlachten geschlagen werden, läuft parallel mit der Donau, ungefähr 10–15 Meilen von dieser entfernt. Obwohl es sich nicht gerade zu beträchtlicher Höhe erhebt, so ist es doch rauh, steinig, mit dichten großen Wäldern bedeckt, und schwer zugänglich. Das Gebirge zerfällt in den großen Balkan (zwischen Sofia und Kasanlik) und den kleinen Balkan, der von letzterm Orte bis zum schwarzen Meere läuft. Ueber das ganze Gebirge führen nur fünf gangbare Passagen, von denen die von Tirnowa die schwierigste ist, und die von Aidos die besuchteste. Die Porta Trajana, zwischen Sofia und Philippopel ist eine schon zur Zeit der Römer bekannte Passage. Die Passage von Schumla aus über den Balkan nach Karnabat war diejenige, [501] auf welcher Diebitsch im russisch-türkischen Kriege von 1829 das Gebirge überstieg. Zu den natürlichen Hindernissen, die der Balkan überhaupt dem Uebergange einer feindlichen Armee entgegenstellt, sind jetzt zahlreiche Befestigungswerke gekommen, welche zumeist der dermalige Oberbefehlshaber der türkischen Truppen, Omer Pascha, anlegen ließ. Wenn es dort zum Schlagen kommt, wird jede Spanne Erde, jeder Berg und Fels Ströme von Blut kosten.

Der Engpaß Porta Trajana im Balkan-Gebirge.

Verlassen wir indeß jetzt den Kriegsschauplatz und treten unsere stillen Spaziergänge in das Innere des türkischen Reiches an.

Viele denken sich unter einem Türken immer noch ein beturbantes, weithosiges, ehrwürdiges Wesen mit 30 Ellen Shawl um den Leib und umgaukelt von Schaaren unterwürfiger Schönheiten, die kein höheres Glück kennen, als mit einem Wurfe des herrschaftlichen „Taschentuches“ auserwählt zu werden. Und doch ist das verspottete und in der Türkei besonders verächtliche Junggesellenthum im Oriente viel häufiger, als in den Gegenden, wo der Abendwind Liebe säuselt und erröthend Fragen lispelt, wie viel Riekchen „mitkriege“. Die Türkinnen kriegen nichts mit, als Ansprüche, und eine einzige kleine Frau zu „ernähren“ kostet dort mehr, als bei uns eine Frau mit einer ganzen Orgelpfeifenreihe von Kindern. Der Harem ist dort ein Luxus der Reichen, wie bei unsern Großen Pferde und Hunde und Mohren. Der anständige Mittelmann hat eine Frau, wie jeder abendländische Philister, die ärmere Mittelklasse und die „junge Türkei“ gar keine, d. h. er kauft sie sich gelegentlich – ohne Ansehen des Geschlechts.

[502] Viele Türken zeigen sich allerdings auch als gute Väter und Gatten, sogar nicht selten in dem Grade als Pantoffelhelden, daß sie sich nicht nur am Beiramsfeste, wenn sie die bei diesen Feierlichkeiten unentbehrliche Hammelkeule nicht schaffen, sondern auch an vielen Wochentagen geduldig prügeln lassen. Aber die Frau ist deshalb um nichts gebessert. Wird der Pantoffelheld eifersüchtig (eine besonders mächtige türkische Männerkrankheit), steckt er sie doch in den Sack und wirft sie in’s Wasser, ohne daß sie Jemand heraus- oder ein Gericht ihn zur Rechenschaft zieht.

In seinem alten Costüm war der Türke eine gar stattliche Erscheinung, eine malerische Augenweide und stand in poetischer Verbindung mit „Tausend und Eine Nacht“ und glänzenden Theaterstücken. Die Cultur, die alle Welt beleckt, hat ihm die wallenden Gewänder in einen magern Leibrock zusammengeschnitten und den künstlich gewundenen Turban in einen Hut ohne Krämpe verwandelt, den rothen Fez. Kleider machen Leute. Das Pariser Mode-Journal hat den Eroberern vorgearbeitet und die Türkei bereits unterworfen, so daß eigentlich den Schneidern der beste Theil dieses Morgenlandes gehörte. Das alttürkische Costüm verhüllte den Körper und dessen Mängel und gab selbst der Ignoranz und Barbarei den glänzenden Schein des Nationalen. Der Leibrock und die enganschließenden Beinkleider haben den Türken enthüllt und zeigen uns das säbelbeinige, zweifüssige Geschöpf. Die europäische Tracht hat in sich selbst etwas Komisches – Jahrtausende werden vergehen, ehe etwas Lächerlicheres erfunden wird, als der Leibrock mit weißem Halstuche – und den Türken hat sie von der erhabensten Höhe melodramatischer Erscheinung zu den Harlekins der niedrigsten Komik herabgestürzt. Erstens wissen sie noch gar nicht, wie man einen Frack trägt – man muß Jahre lang in die Tanzstunde und in feine Cirkel gehen, man muß das Leibrocktragen studiren, wie die Kunst, Gegenstände auf der Nase zu balanciren oder auf dem Seile zu tanzen, um ihn mit Anstand und Sicherheit zu tragen oder mit demselben geboren werden. – Manchmal ziehen sie blos einen Aermel an und lassen den andern mit den Flügeln hinten gemeinschaftlich Uebungen im Fliegen machen. Manchmal knüpfen sie ihn aber unter dem Adamsapfel zu, ohne nur einen Aermel anzuziehen, so daß sich die dürftigen Tuchstückchen jämmerlich abstrapaziren, als Mantel zu erscheinen. Und wie jener brave Bauer seinem Sohne auf der Universität seinen alten Rock mit den Worten schickte. „Hier, Wilhelm, schicke ich Dir meinen alten Rock, laß Dir einen neuen d’raus machen, Wilhelm!“ so lassen sich die ökonomischen Türken, um mit dem Zeitgeiste fortzuschreiten, aus ihrem noch nicht abgetragenen Weltbühnen-National-Costüm gelbe Leibröcke, grüne Hosen, blaue Westen und semmelblonde Vorhemdchen machen. Dabei kommt der ihnen eigenthümliche krumme Rücken und ihre nationale Säbelbeinigkeit mit Schrecken an’s Tageslicht. Sie sitzen zu Hause immer noch wie der Schneider in der „Hölle“ und haben einen schleppenden, latschigen Gang.

Ein Türke im Leibrock mit Vatermördern und Backenbart ist ein Mittel gegen Hypochondrie und Hartleibigkeit. Wer diesen Anblick recht genießen will, muß sich in eine der engen, schmutzigen Straßen Constantinopels hineinwühlen. Dort sieht er die regenerirten Türken herumschleichen als zweibeinige Schiebekarren, sohlenlose Latschen, festgehalten von Sprungriemen, einen gelben oder grünen Leibrock von Seide oder Kattun um die Schultern geworfen, berabhängenden Kopfes und mit allen Zeichen tiefster Beschämung. Sie fühlen sich im neuen Universal-Costüm wie der Vogel ohne Schwingen und der Fuchs ohne Schwanz. Mancher Türke eilt Abends nach Hause, blos um so bald als möglich den ungläubigen Leibrock abzuwerfen und die Gewandung ihrer Väter sechs bis zehn Mal mit dem weichen, seidenen Shawl zu umwinden. Nur dann fühlen sie sich wieder Mann, wie Simson mit dem Kopfhaar.

Nicht vergessen darf man dabei, daß der Leibrock, der einmal etwas Irreligiöses, Atheistisches in sich hat, die türkische Religion, die sehr viel Schönes und Edeles in sich birgt und in Gastfreundschaft, Großmuth und Worthaltigkeit herrlich offenbart, fast unmöglich macht. Der religiöse Türke muß täglich sich mehrmals niederwerfen – mit den Sprungriemen geht das nicht; muß sich täglich mehrmals waschen und baden – wegen des reformirten Aus- und Ankleidens unterläßt er diese auch des Klimas und Temperaments wegen sehr heilsame, religiöse Pflicht. Der Leibrock ist die Wurzel alles Uebels. Ein Türke in Pumphosen hält Wort, ein Mensch im Leibrock ist so scharfsinnig, daß er zehn Gründe findet, um sein Wort zu brechen, und traut deshalb auch seinem beleibrockten Bruder oft kaum, wenn er’s „schriftlich“ hat, mit Amtssiegel und einem Eide. Dieser Eid ist Mein Eid, denkt er, und nicht der deinige.

Der männliche Leibrock und die weibliche Leibeigenschaft tödtete die Türken an Leib und Seele. Das Weib ist nichts als der Mann in schönerer, weicherer, daher viel empfindlicherer Form. Daher ist das weibliche Geschlecht auch viel wichtiger in der Weltgeschichte, als sich Professoren der Geschichte träumen lassen, und ein viel deutlicherer Ausdruck der sittlichen, socialen und politischen Zustände eines Volks, als der Mann. Die georgischen Schönheiten, welche die Hauptschätze der Türken ausmachen und in Poesie und Malerei als Göttinnen von Rosengärten und Serails eine große Rolle spielen, sehen, nach der Natur gemalt, so aus:

Diese unglücklichen Geschöpfe, welche als regelmäßige Handelsartikel in Trebisond in Dampfschiffe gepackt und nach Constantinopel gebracht werden, kommen durchweg in einem Zustande an, der alle poetischen Gebilde gründlich vertreibt. Wer sich die Capitaine und Matrosen auf den Schiffen mit solcher Ladung denkt, ohne sie gesehen zu haben, wird diese vielleicht beneiden; die Sache ist aber, daß sich die schmutzigsten Matrosen sorgfältiger vor ihnen hüten, als vor einer Ladung Blutegel für den Markt von Marseille. Sie sind voller springender und kriechender Blutegel (wo ist jetzt die Rosengartenpoesie von Schiras?) ächter, russischer, nationaler Heerschaaren, außerdem krätzig. Sie wurden in Georgien von armen oder [503] habsüchtigen Eltern mit derselben Miene verkauft, wie man in Deutschland arme Kinder als Knechte und Mägde vermiethet. An Kleidung haben sie kaum so viel, um die Legionen ihrer kleinen „Leibeigenen“ darin zu beherhergen. Ihr russisches National-Costüm ist eine Lumpe, die in bessern Tagen sich den Titel „Hemd“ anmaßte, und eine andere Lumpe, welche als Umschlagetuch, Rock, Unterrock, Bettdecke, Morgenrock, Ballkleid, Mantel und Handtuch zugleich dient, obgleich es zu dem geringsten dieser Aemter allein unfähig erscheint. Der Eigenthümer füttert sie unterwegs mit jener Stupidität, die allen Händlern mit lebendem Fleisch eigen ist, mit Wasser und Hirsenbrei. Sie sitzen auf dem Schiffe, eingepfercht wie Schafe, stumpf und stier in einander hockend, flüsternd zuweilen, manchmal unheimlich leise singend in jenen Moll-Liedern, die wie die klagende Psyche durch die russischen Steppen so oft gehört wird. Und warum sollte in diesen Gestalten, unter deren Schmuze in der Regel sich große Schönheit verbirgt, nicht eine Psyche mit farbigen Flügeln schlummern und im Traume der Verwahrlosung zuweilen leise Klagen singen?

„In Constantinopel angelangt, werden sie nur selten, in äußerster Geldverlegenheit, als Rohmaterial auf den Markt getrieben, sie kommen erst in eine große Culturwäsche, in eine „höhere Töchterschule“, um ihnen die Künste, sich bei dem künftigen Eigenthümer beliebt zu machen und seinem Geschmacke zu fröhnen, beizubringen. Große Massen von alten Weibern machen ein Gewerbe daraus, solche „höhere Töchterschulen“ zu leiten. Hier werden sie gescheuert, gekämmt, behackt, gehobelt, polirt und dann in theatralischer Gewandung auf den Markt gebracht. Hier stehen sie viel höher im Course, als eingeborne Techter, und manche wird mit 10–12,000 Thalern losgeschlagen. Das werden hernach die Mütter von Ministern und selbst von Sultans.“

Sehen wir sie uns in einem spätern Stadium, als Frauen, an, wozu freilich keine Familiencirkel für Fremde vorhanden sind. Wir müssen sie Freitags, ihrem Sonntage, belauschen, wo sie in der Regel Ausflüge nach den Ufern des Bosporus machen. Die reicheren Damen fahren dann in ihren „Equipagen“ d. h. Holzkarren ohne Federn, von Ochsen gezogen, 6–10 in einem einzigen Karren gepackt, der von irgend einem unterworfenen Ehemanne geleitet wird, bis die reizenden Ufer erreicht sind und er fortgeschickt wird. Hier singen und musiciren sie und trinken Rum dazu, Rum oder auch gemeinen Fusel. Dann hört man sie lachen und sich auf dem Grase herumkollern und alle mögliche Tollheiten ausüben, wie sie aus dem Gottes-Haupte des Alkohol zu springen pflegen. Ihre Montenegrinischen Dienstmädchen sind dann oft bald genöthigt, die Eine oder die Andere, wie einen schwerfälligen Sack auf den Karren zu laden und nach Hause zu fahren. Die, welche bei Sinnen bleiben, machen zunächst wilde Spaziergänge unter einer schönen Ulmen-Allee, die blos von weiblichen Wesen besucht werden darf, oder setzen sich zu Tausenden an einem grünen Abhange entlang, um den (verbotenen) Pantomimen einer jüdischen Bande zuzusehen. Männer und Fremde können von einem höhern Hügel her durch ein gutes Glas Alles sehen und die Beifallsstürme hören, mit welcher die jüdische Darstellungskunst begleitet wird. Die Emancipation der Türkinnen geht noch weiter und ist öfter polizeilich verboten worden, aber ohne den geringsten Erfolg. Nach dem „Theater im Freien“ machen sie zuweilen noch Ausflüge in die „christlichen“ Stadtteile von Galata und Pera, wo schon öfter Frauen verschwunden und nicht wieder zum Vorschein gekommen sind. Zuweilen hat ein eifersüchtiger Ehemann diese und jene in dem Zimmer hinter einem christlichen Laden gefunden und sie hängen oder ersäufen lassen, aber das hindert dergleichen Ausflüge in die christlichen Stadttheile nicht.

Diese Skizzen sind dem Buche eines Engländers: „Die Türken in Europa von Bayle St. John,“ Verfasser des „Dorflebens in Egypten“ entnommen, der als Reiseschriftsteller und Sittenschilderer verschiedener Völker sehr berühmt ist. Wir könnten natürlich noch manches Spiegelbild und manchen Charakterzug daraus übersetzen, aber die mitgetheilten Skizzen reichen schon hin, um uns zu überzeugen, daß die Türken, im Innern, in ihrer Nationalität, Sitte und Religion bereits aufgelös’t, auch äußerlich vollends auseinanderfallen müssen. Ob dieses Auseinanderfallen durch die Russen befördert werden kann und darf, ist eine Frage, die wir hier nicht zu erörtern haben. Europa wird sie verneinen.