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Anonym: Ein Schlaukopf (Zeit im Bild, Jahrgang 1908)

Ein Schlaukopf


Humoreske aus dem Verbrecherleben


Das vielversprechendste Geschäft, in das ich mich jemals eingelassen (erzählte der Einbrecher bedächtig), das war auf Schloß Heron bei Guildford. Es mag vielleicht etwas altmodisch sein, aber ich hatte von jeher eine Schwäche für Gräfinnen. (Er sagte das mit einer Betonung, als ob es sich um einen Leckerbissen handle.) Als ich dann in der Zeitung las, daß der junge Graf sich mit Miß Nora Clamy, der Tochter des bekannten amerikanischen Millionärs, vermählt hatte, und daß die Hochzeitsgeschenke ebenso zahlreich wie kostbar waren, da sagte ich mir: „Mach dich auf die Beine, alter Junge, hier ist ein Fang zu machen, der sich lohnt. Aber zieh’ auf eigene Faust los, zeig’, daß du ein Hauptkerl bist.“ Ich zog mich sehr geschmackvoll an und wanderte dem Schloße zu, in dem das glückliche junge Paar die Flitterwochen verlebte.

Ich hatte eine Ledertasche bei mir, in der ich ein paar Gegenstände verbarg, ohne die man nicht fertig werden kann, wenn man noch so gescheidt ist. Und Geld hatte ich auch bei mir. Ohne das sollte man auch nie ausgehen. So manches nette kleine Geschäft zerschlägt sich, wenn einem so ein paar Füchse fehlen.

Also ich befand mich eines Nachmittags auf einem Wiesenpfade, der dicht an dem Herrenhause vorbeiführte. Vor mir ging ein niedliches Mädchen in grauem Anzuge, das eine Hutschachtel in der Hand trug. Sie war hoch und schlank gewachsen und hielt sich sehr gerade. Als ich an ihr vorbeiging, las ich die Adresse auf der Schachtel. Sie war für die Gräfin. Ich ziehe sehr elegant meinen Hut.

„Verzeihung, Miß,“ sagte ich. „sind Sie vielleicht Kammermädchen auf dem Schlosse?“

„Das könnte wohl sein,“ sagte sie.

„Schönes Wetter heute,“ setzte ich die Unterhaltung fort.

„Ja, sehr schön, aber ich fürchte, wir werden noch vor Abend Regen bekommen!“

Sie sprach in ganz besonders freundlichem Ton.

„Sind Sie denn schon lange hier?“ erkundigte ich mich weiter.

Nein, sie war noch nicht lange da. Erst seit drei Wochen.

„Seid wohl mit der gräflichen Gesellschaft gekommen?“

Ja, mit denen war sie gekommen.

„Gefällt Ihnen die Stelle?“

Es ginge, sagt sie. Ich fragte sie über die Leute aus.

Sie käme gut mit dem Grafen zurecht, meint sie, und die Gräfin sei ihr besonders zugetan, nur für das ganze Dienstpersonal gäbe sie keinen Pfifferling. Es schiene ihr, als ob da niemand ordentliche Aufsicht führe; während die Leute schwatzend und trinkend zusammen säßen, könne ein Dieb sich aufs bequemste einschleichen.

„Na ja, Miß,“ sage ich, „niemand ist vollkommen, jeder hat so sein Späßchen.“

Ich machte mein freundlichstes Gesicht und beschloß, auf die Sache loszugehen. Ich fragte sie also, ob sie mich heut abend wohl hereinlassen und mir einen Bissen zu essen geben würde. Sie sah mich scharf von oben bis unten an und machte dann eine Bemerkung, die mich frappierte.

„Und was käme dabei für mich heraus, mein Bester? Eine Hand wäscht doch die andere, wie man so sagt.“

Ich war so verblüfft, daß ich ganz rot wurde, ja, wahrhaftig.

„Wenn die Sache so steht,“ brachte ich endlich hervor, „dann ist es wohl am besten, ich drücke mich klar aus. Ich würde Ihnen also jetzt hundert Mark geben und noch einmal hundert, wenn der Streich gelungen ist.“

„Sagen wir zweihundert jetzt und zweihundert später und wir sind einig.“

Ich wollte mich wehren, da drehte sie sich auf dem Absatz um.

„Na, na, holde Kleine,“ sage ich, „nicht so hastig. Mit dem freundlichen Gesicht werden Sie doch einen armen Schlucker nicht so schlecht behandeln. Ein Küßchen und ich tue, was Sie verlangen.“

Sie fährt wild auf.

„Von Küssen ist nicht die Rede,“ dabei schießen ihre Augen Blitze, „und wenn ich helfen soll, will ich wissen, wofür. Langen Sie nur das Geld heraus.“

Das Mädel imponierte mir, das kann ich euch sagen. Mit der größten Seelenruhe ließ sie ihre schwarzen glänzenden Augen auf mir ruhen, so als amüsiere sie sich über die Falle, in die sie mich gelockt.

Ich ging eilig mit mir zu Rate. Eigentlich brauchte mich die zweite Summe nicht zu kümmern, ehe sie Gelegenheit hatte, mich daran zu erinnern, konnte ich mich längst aus dem Staube gemacht haben.

„Sehr schön, Miß,“ sage ich, „reißen Sie einem armen Teufel nur nicht gleich den Kopf ab. Hier sind die zweihundert Mark. Um welche Zeit kann ich kommen?“

Sie sagte mir, daß der Graf um halb neun zu Abend esse, und daß sie der Gräfin Schlafzimmer offen lassen werde. Da und da würde ich eine Leiter finden, und die Juwelen so wie Gold und Banknoten in unverschlossenen Schubladen. Und die zweihundert Mark sollte ich im Kamin verstecken. Für die Dienerschaft könne sie natürlich nicht aufkommen. Sie schüttelte mir freundschaftlich die Hand und wandte sich dem Schlosse zu. Mir war zumute, als müsse ich mir selbst die Hand schütteln, denn so an 100 000 Mark waren mir sicher, wenn ich nur eine Viertelstunde ungestört arbeiten konnte.

Daß ich auf die Minute au Ort und Stelle war, werdet ihr mir glauben. Als ich mich dem Hause näherte, überkam mich ein unbehagliches Gefühl. Sollte das Mädchen mich hereingelegt haben? Man kann sich nie auf die Sorte verlassen. Aber als ich bemerkte, daß eine Leiter bereit stand und das bewußte Fenster offen war, wußte ich, die Sache war in Ordnung.

„Das ist eine nach meinem Herzen,“ sagte ich mir, als ich glücklich oben war, „wenn alles gut geht, will ich mir das ihrige erobern.“

Es ist eine heikle Geschichte, so ein Unternehmen. Wenn auch alles noch so günstig liegt, man hat doch ein unsicheres Gefühl, wenn man nicht gerade einen getrunken hat, und in dem Fall macht man auch leicht Dummheiten. Von den Dienern war niemand zu sehen, alles war wie ausgestorben.

Empfohlene Zitierweise:
Anonym: Ein Schlaukopf (Zeit im Bild, Jahrgang 1908). Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Schlaukopf.pdf/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)