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Noch mehr „zu Deutschlands Größe auf dem Meere“

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: H. B.
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Titel: Noch mehr „Zu Deutschlands Größe auf dem Meere“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
s. Zu Deutschlands Größe auf dem Meere
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[391]
Noch mehr „zu Deutschlands Größe auf dem Meere“.[1]

Ganz Deutschland kauft für etwa fünf Millionen Thaler Seeproducte vom Auslande und würde jedenfalls noch mehr dafür ausgeben, wenn der Bedarf, namentlich an frischen Seefischen, zur Nothwendigkeit und wohlfeiler, schneller, massenhafter befriedigt würde, so daß man während der kälteren Monate auch in Leipzig und Dresden und gleich weit oder weiter vom Meere entlegenen Städten frische Waare von der Nordsee und der Bank von Rockall und zu jeder Zeit wohlfeile Seeproducte zu kaufen im Stande wäre. Unternehmungen, die auf einen Absatz bis zu 5 Millionen und später bis zu 10–15 Millionen (nach dem Beispiel und der Erfahrung in andern Gebieten) rechnen können, lassen sich leicht berechnen. Wie viel Capital kann man hinein stecken, um besserer Verzinsung sicher zu sein, als in anderen Unternehmungen? Will man noch Patriotismus, Schule für deutsche Seetüchtigkeit, für eine Land und Leute, Handel und Wandel schützende deutsche Flotte mit einrechnen, desto besser. Wir müßten eine Seefischerei-Flotte von etwa zweihundert entsprechenden Schiffen haben, um unsern Bedarf aus dem Meere selbst zu befriedigen.

Wer soll diese bauen und das Geld dazu hergeben? Wie ist’s überhaupt anzufangen? Der Artikel in Nr. 11 der Gartenlaube hat im Königreich Sachsen, obgleich es vom Meere abgeschlossen ist, mehrere Männer angeregt, an praktische Ausführung zu denken und sich nähere Aufschlüsse über diese Angelegenheit zu erbitten.

Wir wollen versuchen, die betreffenden Thatsachen und einen bereits im Drucke erschienenen Plan in den Hauptzügen zu beleuchten. Der ehemalige Generalkonsul J. J. Sturz hat in seiner Broschüre: „Der Fischfang aus hoher See“ etc. die Frage: „Auf welche Weise kann dem Fischerei-Betrieb für Deutschland eine größere Ausdehnung gegeben werden?“ zu allererst mit Unsinn beantwortet. Er sagt nämlich: 1) durch Zollvereinsprämien. Diese seien nothwendig, „um den Egoismus des Einzelnen durch Aussicht auf Gewinn anzuregen“; Napoleon, England, Amerika hätten’s in Bezug auf Seefischerei ebenso gemacht. Amerika ist gleich ein blutiges Beispiel, wie diese Schutzzöllnerei, diese gewaltsame Beraubung Aller zu Gunsten Einzelner wirkt. Der abgefallene Süden der nordamerikanischen Freistaaten führt unter seinen Anklagen gegen den Norden die Seefischerei-Prämien als eine der hauptsächlichsten an.

Ja, kann es etwas Unsinnigeres, Erbitternderes geben, als ein ganzes Volk zu zwingen, Geld für Fische zu bezahlen, gleichviel, ob es hernach Fische kaufen will oder nicht? eine Industrie zu erziehen, die ihre Prämie nicht in sich selbst hat, die überhaupt nur einen künstlichen Verlust mehr erzeugt? Jetzt kosten uns die Seeproducte etwa 5 Millionen Thaler jährlich. Nun sollen wir ungeheuere Capitalien aus ihren jetzigen lohnenden Beschäftigungen in Unternehmungen verlocken, die sich nicht selbst bezahlt machen. Das ist tausendfach erwiesener, praktisch widerlegter Unsinn.

Herr Sturz will den Schaden, womit die deutschen Seefischereien arbeiten sollen, durch einen dreifach erhöhten Tabakszoll und Verdoppelung der Tabakssteuer decken. Er meint, kein Deutscher, der sein Vaterland liebe, könne dagegen Einwendungen machen. Die Tausende von Cigarrenmachern, Tabaksfabrikanten und Händlern und die Millionen Raucher sollen sich also für ihre Verluste durch Patriotismus entschädigen, während die Prämie, die sie zahlen, dazu dienen soll, „den Egoismus der Einzelnen durch Aussicht auf Gewinn anzuregen“.

Unsinn! Unsinn! Anreizung zum Verbrechen! Und wenn’s auch kein Unsinn, kein Aufruf zu einem Zollvereinsstaaten-Verbrechen [392] wäre: wozu Prämien, da sich die Seefischerei bei einigermaßen richtiger und großgeschäftlicher Ausführung und praktischem Betriebe ganz von selbst lohnen muß? Als in England die Seefischerei-Ausfuhr mit Staatsprämien unterstützt ward, brachte man’s bis auf 180,000 Faß jährlich. Seit mehr als 30 Jahren hat diese Ausfuhrprämie aufgehört, und seit dieser Zeit ist die Ausfuhr von 180,000 auf 600,000 Faß jährlich gestiegen. Das führt Sturz selbst an, um die Vortrefflichkeit der Prämie zu beweisen.

Die andern von Sturz angeführten Mittel zur Ausdehnung des deutschen Seefischerei-Betriebes verstehen sich von selbst, da es das Geschäft aus eigener Nothwendigkeit so mit sich bringen wird. Er sagt: „Organisation eines planmäßigen Vertriebs von Seefischen nach dem Binnenlande“ sei das zweite Mittel. Nun ja, das ist’s, aber wohl nicht ein Mittel, sondern der Vertrieb, die Ausdehnung des Vertriebs, das Geschäft selbst. Dieser Vertrieb „muß“ organisirt werden. Er muß? Wer soll ihn zwingen? Die Polizei? Der Staat? Schafft nur Schiffe und Fischer, dann macht sich’s von selbst. Man denke sich mehrere Schiffsladungen frischer Seefische in Hamburg. Dort würden sie spottbillig, in Berlin aber theuer sein. Die Fische würden dann jedenfalls so schnell wie möglich nach Berlin kommen und hier viel Geld einbringen. Damit ist die Sache schon „organisirt“ und würde sich sehr schnell zu einem planmäßigen Vertriebe ausbilden. Dafür sorgen die Eisenbahnnetze, die Eisenbahn-Compagnien, die Leute, welche Fische verkaufen, und die Leute, welche Fische kaufen wollen, ganz von selbst. Jeder verfolgt sein Interesse, seinen Gewinn, und das giebt dann den „planmäßigen Vertrieb“, die „Organisation“.

Alles in Allem, das A und O der ganzen Sache ist: eine oder mehrere Gesellschaften, Associationen oder Compagnien zur Ausdehnung und Vergrößerung des Geldes, das sie haben, vermittelst der Ausdehnung und Vergrößerung unserer Seefischerei. Man muß Geist und Geld auf den Punkt richten, einsehen und zeigen, daß hier viel Geld zu machen ist, mehr Geld, als durch andere Unternehmungen, dann Geld dazu sammeln, zeichnen lassen und entsprechende Seeschiffe bauen. Es sind nicht gleich 200 nöthig. Man kann sehr klein mit zwei anfangen, dann je nach dem Erfolge fortfahren, dann werden’s auch mit der Zeit 200 und jedenfalls eher, als die Meisten jetzt zu hoffen wagen.

Jeder, der etwas Geld und Geist hat, kann sein Scherflein dazu beitragen und auf mehr Erfolg rechnen, als die Thaler, Groschen und Pfennige, die für die deutsche Flotte gesammelt wurden. Denn die beabsichtigte Seefischereiflotte bringt uns wohlfeile, frische Seefische, Geld und das Zeug und die Kraft zu einer Vertheidigungsflotte.

Um aber das willige Geld und den dafür erweckten Geist wirklich zu sammeln und zur Kraft der Ausführung zu vereinigen, muß zunächst Einer oder ein kleiner Verein von sachverständigen, begeisterten Männern, womöglich gleich mit einigen guten Bankier-, Kaufmanns- und Rhedernamen und einem bestimmten Plane und Programme auftreten und darlegen, wo und wie entsprechende Schiffe gebaut, bemannt und in Thätigkeit versetzt werden sollen, was sie nach den bisherigen Erfahrungen in England u. s. w. kosten und was sie durch ihre Ernten einbringen mögen.

Die nördlichen Häfen Deutschlands haben allein über 3000 Segelschiffe und beinahe 100 Dampfer mit mehr als einer Million Tonnengehalt und über 30,000 Mann und Matrosen, wozu noch über 10,000 Mann Deutsche, jetzt auf englischen, französischen, amerikanischen Schiffen, kommen würden, wenn man ihnen nur erst lohnende Arbeit auf deutschen Fahrzeugen böte. Aus diesem geübten und unzähligen Lehrlings-Material, das jetzt auf trockene, miserable Anstellungen auf trockenem Lande hungert, ließen sich die neuen Seefischerei-Boote leicht und gut bemannen.

Die Fahrzeuge müßten theils für Fang an den Küsten, theils für Rockall eingerichtet werden. Mit letzteren wäre wohl anzufangen. Die Actien-Gesellschaft oder Compagnie mit etwa 300,000 Thaler Capital, das natürlich nur nach und nach eingezahlt zu werden brauchte, Hauptsitz vielleicht in Hamburg, würde zunächst drei Schiffe à 40–50 Tonnen à fünf Mann und fünf Jungen am geeignetsten Platze bauen lassen und dazu drei größere Schiffe à 20–30 Mann zunächst pachten oder mit Theilzahlungen kaufen.

Damit wäre der Stamm, die Grundlage erworben. Die großen Fahrzeuge haben den planmäßigen Betrieb mit Arbeitstheilung zu übernehmen, die kleineren müßten als Proviantschiffe für Wasser, Salz, Lebensmittel, als Beförderer der frischen und gesalzenen Waare und der Abfälle dienen, damit die großen immer bei der Arbeit selbst bleiben können. Hauptsache wäre für den unmittelbarsten Gewinn die Landung und der Transport frischer Seefische. Auf dem Meere selbst lassen sie sich sehr gut erhalten, und von Hamburg aus könnten sie in geeigneter Verpackung höchstens binnen zwölf Stunden im tiefsten Innern Deutschlands abgeliefert werden. Daß dazu Abkommen mit den Eisenbahnen getroffen werden müssen, versteht sich ebenso von selbst, wie daß in den Hauptverzehrorten, namentlich in Berlin, wo der frische, nahrhafte, wohlschmeckende Seefisch noch einen theuern, seltenen Luxusartikel bildet, geeignete Verkaufs- und Conservirungshallen erbaut werden. Dafür giebt es in Billingsgate und bei den Fischhändlern in London, wie in der Halle „aux poissons“ zu Paris vorzügliche Muster. In der Halle selbst, wie bei den Einzelverkäufern, liegen die köstlichen Ungeheuer des Meeres frisch und appetitlich auf schrägen Marmorplatten, wo sie mit wohlfeilem Eiswasser und Eis (das auch bei uns durch Fabrikation im Großen spottbillig werden wird) so lange frisch, appetitlich und rein gehalten werden, bis sie in die verschiedenen Küchen wandern. Daneben häufen sich Hummern, Austern, Krebse, Shrimps und andere Delicatessen des Meeres, auch den beschränktesten Mitteln zugänglich.

Um den Einzelvertrieb rasch und leicht zu machen, schlägt Sturz sehr praktisch vor, die gleich nach Ankunft in großen Partien verauctionirten Fische für den Ort selbst in einspännige Wagen mit Draht-Etagen so zu packen, daß jede Fischart von außen sichtbar wäre. Die Wagen müßten dann mit besonderem Geklingel oder Ausruf sich in die verschiedenen Straßen vertheilen und so jedem Kauflustigen die Waare vor die Thüre fahren. Angehängte Preise könnten noch den Aufenthalt durch Handeln und Feilschen beseitigen. Für die Fälle großer Häufung der Zufuhr müßten Einrichtungen zum Backen und heißen Verkauf der Fische auf der Straße getroffen werden. Jeder könnte sich dann oft, wie in London, für 1 Sgr. ziemlich gut und schmackhaft satt essen, und Berlin würde manchmal in einem Tag mehr Seefische verschmausen, als jetzt das ganze Jahr hindurch.

Von dem Verkaufs-Mittelpunkte in Berlin müssen die weiter südlich und im Innern gelegenen Orte versorgt werden. Das geht in eisernen Kasten mit Eis sehr gut. Mit dem Telegraphen erfährt man die Ankunft und die Masse der Fische vorher. Mit dem Telegraphen kann man vorher in Leipzig, Dresden etc. anfragen, ob und wie viel dortige Händler abhaben wollen. Die Bestellung geht dann mit der Eisenbahn gleich weiter. Um durch zu große Ernten den frischen Fisch nicht zu entwerten, ist für Salzungs- und Räucherungsanstalten zu sorgen.

Doch wir wollen uns noch nicht vor dem Zuviel fürchten. Vorläufig haben wir in unsern Soldaten- und Commißbrod-Düften noch nicht einmal Fischgeruch.

Vorerst gilt’s an die Hauptsache zu gehen. Diese ist ein provisorischer Verein von sachverständigen und tüchtigen Männern, die sich’s etwas Zeit und Geld kosten lassen mögen, genau zu ermitteln, wie viel die Herstellung und der Betrieb der Seefischerei, besonders mit Bezug auf Rockall, kosten mag, wie die Ernten aus diesem Meere ausfallen, was sie an frischen Fischen, Oel, Thran etc. für Gewinn versprechen, und zu welcher Procenthöhe das angelegte Capital, mit einer Berechnung von wahrscheinlichen Verlusten, der Versicherung der Schiffe etc., sich verzinsen wird. Nach englischen Erfahrungen aus Rockall kann diese Berechnung nur sehr glänzend ausfallen und eine bessere Prämie durch sich selbst in Aussicht stellen, als die Unternehmung je durch Beraubung der Tabaksfabrikanten und Cigarrenmacher erhalten würde.

Ist aus allen vorhandenen Thatsachen ein guter Gewinn in Aussicht gestellt, so werden Egoismus und Patriotismus sich gern vereinigen, um einer zu diesem Zweck begründeten Gesellschaft (vielleicht mit Actien von 5 Thaler an, damit sich auch der Aermere betheiligen kann) das nötige Geld und die Thatkraft zum Handeln anzuvertrauen.

H. B.

  1. Vorher könnte der gleichnamige Artikel in Nr. 11 der Gartenlaubenoch einmal nachgelesen werden.