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Natürliche Mumien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Natürliche Mumien
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1909, Vierter Band, Seite 225–227
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Erscheinungsdatum: 1909
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[225] Natürliche Mumien. – Im Gegensatz zu den künstlichen Mumien, die durch besondere Zubereitung vor Verwesung geschützt und in ihrer allgemeinen Form erhalten werden, wie dies einst zumeist aus religiösen Gründen im alten Ägypten Brauch war, entstehen natürliche Mumien durch mancherlei äußere Umstände, die der Erhaltung der Leichen besonders günstig sind, ohne daß die Mumifikation dabei durch irgendwelche chemische Zubereitung erreicht wird.

So entstehen natürliche Mumien beim Liegen der Leichen in sehr porösem und trockenem Boden. Bekannt sind die sogenannten weißen Mumien der Wüste Sahara, die in der heißen, jeder Feuchtigkeit entbehrenden Luft vollkommen ausbleichen. Auch die Peruanische Wüste und die berüchtigte Sandebene, die Ljano Estaccado, sind der Mumienbildung günstig. Die alten Peruaner ließen ihre Toten in dem dürren, meist auch salpeterhaltigen Boden einfach austrocknen, und nur die Leichen [226] der Vornehmen und namentlich der Inkas, der Zugehörigen des Königsgeschlechts, balsamierten sie noch besonders ein. Ebenso konserviert auch ein kalter, trockener Luftzug die Körper, wie man dies besonders in dem bekannten „Bleikeller“ zu Bremen beobachten kann.

Außerdem aber gibt es auch in fast allen Gegenden Deutschlands Kirchhöfe, deren kochsalz-, salpeter- oder alaunhaltige Bodenbestandteile die Mumienbildung begünstigen. Eine eigentümliche Erscheinung, die bisher wissenschaftlich noch nicht aufgeklärt ist, hatte der Schreiber dieser Zeilen selbst zu beobachten Gelegenheit. In einer Untersuchungssache wegen angeblichen Giftmordes sollte in einem kleinen westpreußischen Dörfchen, das nicht weit von dem durch das alte, ehrwürdige Kloster berühmten Marktflecken Karthaus liegt, die Leiche einer Frau, die bereits zwei Jahre in der Erde gelegen hatte, ausgegraben und nachträglich seziert werden. Seltsamerweise entströmte dem noch recht gut erhaltenen Sarge beim Öffnen auch nicht der geringste unangenehme Geruch, und zum Erstaunen der Gerichtskommission fand man die Leiche vollkommen frisch vor. Nur die Wangen waren etwas eingefallen, und an der Nase zeigte sich eine leichte Schimmelschicht. Das Auffallendste an der in jener Gegend bisher niemals beobachteten Mumifikation war aber eine beginnende Verhärtung der Glieder, die nur als Anfänge einer Versteinerung gedeutet werden konnte und sich hauptsächlich an den Fingern, Zehen und Lippen bemerkbar machte. Die von dieser Verhärtung betroffenen Organe hatten ihre äußere Form ohne nennenswerte Einschrumpfung beibehalten, waren aber steinhart und von grauer, leicht glänzender Färbung. Bei der Sektion stellte es sich dann auch heraus, daß das Innere des Körpers ebenso gut erhalten war. Nirgends konnte auch nur eine Spur von Fäulnis entdeckt werden, und daher ließ sich auch in dem Mageninhalt das Vorhandensein von größeren Mengen von Arsenik mit Leichtigkeit feststellen.

Wahrscheinlich ist in diesem Falle die Mumifikation und beginnende Verhärtung der Gliedmaßen durch das reichliche Vorkommen von Kieselsäure in der Erde des Kirchhofs [227] zu erklären, die eine Versteinerung der damit durchtränkten Körper erleichtert.

Daß eine künstliche Versteinerung von Leichen möglich ist, hat ja Brunnetti in Padua durch seine Versuche bewiesen, bei denen es ihm mit den Mitteln der fortgeschrittenen Chemie gelang, Mumien in einer so vollkommenen Frische und unter Beibehaltung der feinsten Einzelheiten der Körperformen zu schaffen, wie dies selbst den alten Ägyptern, die es in dieser Kunst wahrlich zu hoher Vollkommenheit gebracht hatten, nie geglückt ist.

W. K.