Melpomene/Band 2/035 Bei dem Grabe eines Mannes, der ertrank

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< 035 Bei dem Grabe eines Mannes, der ertrank >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 109–113
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[109]

35. Bei dem Grabe eines Mannes, der ertrank.

Melod. II.

1. Hier senken wir in tiefer Trauer
Den mitleidvollen Blick hinab,
Und fühlen kalte Todesschauer
Bei diesem neugewölbten Grab;
Denn durch ein großes Mißgeschick
Verlohr ein Mann sein Lebensglück.

2. Er war zur werthen Namensfeyer
Des Vaters auf ein Fest bedacht,
Es war ihm also nichts zu theuer,
Was seinem Vater Freude macht;
Er wußte aus Erfahrung, daß
Der Vater gerne Würste aß:

3. An dieser kindlich frommen Freude
Nahm herzlich seine Schwester Theil.
In dieser Absicht giengen beide
Nach Pfaffenweiler voll der Eil,
Und eilten, zu des Vaters Glück
Mit guten Würsten froh zurück.

4. Allein sie wurden überfallen
Von Abenddämmerung und Nacht,
Und während sie nach Hause wallen
War jedes nur darauf bedacht:
Wie doch des Vaters Namesfest
Am Beßten sich begehen läßt.
[110]
5. Nun giengen sie der Nähe wegen
Auf dem gefrornen See nach Haus,
Und o! er gieng dem Tod entgegen,
Und hauchte seine Seele aus,
Weil plötzlich unter ihnen, ach!
Des Eises dünne Decke brach.

6. Er war im Nu mit Leib und Leben
Verschlungen von dem tiefen See;
Die Schwester wußte sich zu heben
An ihren Kleidern in die Höh,
Und schrie um Hülf, und ihr Geschrey
Rief die ersehnte Hülf herbey.

7. Man denke sich in ihre Lage
Wo sie vor Augen sah den Tod,
Da sie mit jedem Pulsesschlage
Der Abgrund zu verschlingen droht,
Und sie sich auf dem glatten Eis
Beinah nicht mehr zu halten weiß.

8. Man hörte schon in weiten Fernen
Bei stiller Nacht ihr Angstgeschrey,
Und kam mit Fackeln und Laternen,
Zu sehn, ob noch zu helfen sey;
Man brachte Bretter und ein Sail
Und nahte sich zu ihrem Heil.

9. Man warf ihr auf dem dünnen Eise
Von ferne zu das Rettungssail,
Sie hielt es, und auf diese Weise
Ward Lebensrettung ihr zu Theil,
[111] Man zog sie an dem Sail heraus
Und trug sie halbentseelt nach Haus,

10. Ihr Bruder war aber war verschwunden,
Und blieb es ohne Wiederkehr,
Und erst am andern Tag gefunden,
Und keine Rettung möglich mehr,
Indem er schon in jedem Zug
Die Spuren wahren Todes trug.

11. So geht es, wenn man die Gefahren
Des Lebens blindlings überschaut,
Und, einem Umweg zu ersparen,
Dem falschen Eis es anvertraut,
Und kühn und leichtsinnvoll vergisst:
Daß es wie Glas zerbrechlich ist.

12. So ward verkehrt in tiefste Trauer
Des Vaters froher Namenstag,
Indem in kaltem Todesschauer
Der Leib des theuren Sohnes lag,
Und seine Schwester mit Gefahr
Dem Tode kaum entrissen war.

13. Und ach! noch schwebt ihr theures Leben
In augenscheinlicher Gefahr,
Und kalte Todesschauer beben
Durch ihre Glieder immerdar;
Noch ist besinnungslos ihr Haupt,
Und des Verstandes ganz beraubt.

14. Kein Wunder, wenn die Anverwandten,
Die Wittwe, die Geschwistrigen,
[112] Die Eltern, Freunde und Bekannten
Betäubt an diesem Grabe stehn,
Und bei des theuren Mannes Tod
Ihr armes Herz zu brechen droht.

15. Allein was nützen alle Klagen?
Gefallen ist sein Todesloos,
Sein Herz hat aufgehört zu schlagen,
Und ruht im kühlen Erdenschoos,
Und seine Seele gieng, befreyt
Vom Leib, ins Reich der Seligkeit.

16. Denn nur, weil er voll Elternliebe
Und Eifer, sie zu ehren, war,
Vergaß er, voll von diesem Triebe
Die augenscheinlichste Gefahr,
In die er unglückvollerweis
Gerathen auf dem schwachen Eis.

17. Auch war er schon von zarter Jugend
Voll Demuth und Bescheidenheit,
Und übte jede Pflicht und Tugend
Mit unverletzter Pünktlichkeit,
Und hielt durch wahre Frömmigkeit
Sich stets zum guten Tod bereit.

18. Drum tröstet euch, betrübte Freunde!
Und denkt bei seinem frühen Grab:
Daß er noch seine Schuld beweinte
Als er versank durchs Eis hinab,
Und daß, als hier sein Hauch verschwand,
Er dort das wahre Leben fand.
[113]
19. Nie aber laßt uns anvertrauen
Dem Eis des Lebens großen Werth,
Und unser Heil auf Felsen bauen
Wie uns ein altes Sprichwort lehrt:
Man führt den Thoren auf das Eis
Nur einmal, und schon wird er weis.

20. Sein Unglück also soll uns lehren,
Dem falschen Eise nie zu traun,
Und unser Heil nach Jesu Lehren,
Anstatt auf Sand, und Felsen baun,
Und auf der Tugend festen Grund
Bereitet stehn zu jeder Stund.

Anmerkungen (Wikisource)

Jungs Errata (Bd. 2, S. 295) wurden in den Text eingearbeitet.