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Für Die im Theater und Concert

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Textdaten
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Autor: Bock
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Titel: Für Die im Theater und Concert
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 103–104
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Benimmregeln
Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute Nr. 2
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Bearbeitungsstand
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[103]
Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute.
2. Für Die im Theater und Concert.


Was Du nicht willst, daß man Dir thu’,
Das füg’ auch keinem Andern zu.

Wer Theater und Concerte besucht, von dem sollte man doch glauben, daß er einige Bildung und also auch Kenntniß von den Rücksichten hätte, die man in Kunsttempeln seinem Nächsten schuldig ist. Allein dies ist ein falscher Glaube, da gar nicht wenige von den echten und unechten Kunstprotzen Anderen den Kunstgenuß in ganz rücksichtsloser Weise stören. Sie selbst, die Störenfriede männlichen und weiblichen Geschlechts, gerathen aber gewöhnlich außer sich, wenn sie durch irgendwelche Allotria aus ihrem wirklichen oder erheuchelten Kunsttaumel (nicht selten nur ein Dusel aus Langeweile) erweckt werden.

Was den erheuchelten Kunstgenuß, sowie das angebliche Verständniß für Kunst betrifft, so machen sich diese heutzutage in einer so widerwärtigen Weise breit, daß Jedem, der sich der Kunst mit einigem Interesse zugewendet hat, Concerte und Theater geradezu verleidet werden. Leute, für deren unmusikalische Ohren eine Polka ein weit größerer Schmauß ist, als eine Mozart’sche Ouvertüre oder eine Beethoven’sche Symphonie, sieht man nach beendigter Aufführung solcher classischer Musikstücke vor scheinbarem Vergnügen außer sich gerathen und sich die Hände wund klatschen, obschon sie während der Aufführung das Gähnen und Einschlafen nur mit Mühe bewältigten. – Wenn in der Oper tremulirende Sängerinnen oder Sänger auch noch so gaumig und unrein singen, brüllen aber zeitweilig hohe Töne heraus oder machen recht lange meckerige oder sogenannte Bockstriller, so nimmt der Beifall kein Ende und jenen eingebildeten und meist ziemlich anspruchsvollen Künstlern, denen man eigentlich Marken zu Gesangsstunden zuschicken sollte, spendet man wohl gar noch Blumen, Lorbeerkränze und Gedichte. – Ein Heldenspieler, wenn er in seinem gezierten Komödiantenpathos auch noch so unverständig declamirt, aber in seiner Rolle stark aufträgt und dabei sein Aeußeres in schönes Licht zu setzen weiß, wird dadurch für das dumme Publicum ein stets gern gesehener und beklatschter Liebling, während er die Verständigen zur Verzweiflung bringt. – So werden die Künstler durch das Publicum selbst für Selbsterkenntniß und das Streben nach Vervollkommnung immer unzugänglicher gemacht.

Mit dem zu späten Kommen, vorzugsweise der becrinolinten, weit vom Eingange beplatzten Damen, beginnen in der Regel die Rücksichtslosigkeiten und endigen nicht selten erst mit dem zu zeitigen Fortgehen, wodurch den Umsitzenden das Finale oft recht gründlich verdorben wird, und warum? Nur damit der voreilig Aufständische in der Garderobe recht schnell zu seinen Ueberkleidern und in seine Batarde gelangt. – Diese Art zu kommen und zu gehen ist aber eine um so größere Unart, je geräuschvoller sie geschieht und je entfernter von der Thür der Kunstgenußstörer seinen Platz hat, je mehr Kniee und Beine (mit ihren Frostballen und Hühneraugen) also dabei gedrückt, gestoßen und getreten werden. – Und wer sind denn nun Die, welche so oft zu spät kommen? Trödelmätze und Eitelinge sind’s, die mit Frisiren, Schleifebinden, Einschnüren, Handschuhanziehen, Schwatzen u. s. f. nicht fertig werden können. – Wer wirklich, in Folge eines unabänderlichen Umstandes, erst nach Anfang einer Production zu kommen gezwungen ist, der merke sich wenigstens: daß er die Thür so geräuschlos als nur möglich zu öffnen und zu schließen, daß er (zumal wenn seine Stiefeln knarren und hohe Absätze haben) recht sanft aufzutreten, daß er eine Pause oder ein Forte zum Platz nehmen abzuwarten und die Sitzklappe hübsch leise niederzulegen, daß er seinen Platz stillschweigend und nicht nach rechts und links laut grüßend oder gratulirend einzunehmen verpflichtet ist. Und werden denn diese Rücksichten, die doch jeder gebildete Mensch nehmen sollte, auch wirklich immer genommen? Mit nichten. Auch während der spannendsten Momente eines Stückes drängen sich die meisten der Spätkommer zwischen Stehenden und Sitzenden hindurch, ganz laut ihren Platz fordernd, nicht etwa leise um Entschuldigung bittend.

Beim Erwähnen des Zuspätkommens kann Verfasser nicht umhin, eine kleine Abschweifung aus dem Concert- in den Speisesaal zu machen, weil hier einzelne zum Diner oder Souper Eingeladene durch ihr gar zu spätes Eintreffen ihren pünktlichen Mitessern großes Magenleid verursachen können. Man beobachte nur einmal eine zum Abendessen um acht Uhr eingeladene Herrengesellschaft, in welcher um neun Uhr noch der Vierzehnte fehlt und die Mägen vor Leerheit knurren. Wie fängt da die Unterhaltung an immer gezwungener und matter zu werden; wie auffallend wird da nach der Uhr und wie sehnsüchtig nach der Thür gesehen, durch die aber anstatt des Erwarteten immer und immer wieder entweder der unruhig gewordene Hausherr oder das theeservirende Wesen mit dem unerwünschten heißen Naß hereintritt; wie explodiren da zeitweilig ganz unchristliche Verwünschungen zwischen trockenen Lippen, und welche Angst steht man nicht wegen der vorsorglichen Hausfrau und wegen der nicht unmöglichen Verderbniß des Essens aus! Um nun allen solchen schlimmen Folgen dieses Zuspätkommens zu begegnen, möchte Verf. den Rath geben, daß man doch auf der Einladungskarte „die Zeit des Zutischegehens“ oder, um uns allmählich mehr an die allgemeine Wehrpflicht zu gewöhnen, die Zeit, „wo zum Essen angetreten wird“, bestimme. Wer dann zur angegebenen Tischzeit nicht vorhanden ist, der mag nachexerciren. – Und die Moral? Wo sich Menschen zu einer bestimmten Zeit zum Genießen vereinigen [104] wollen oder sollen, da sei Jeder zur rechten Zeit auf dem Platze.

Im Concert und Theater bedenken nun Viele nicht, daß sie mit ihren Nächsten in nächster Nähe sich befinden, und werden ihrer Nachbarschaft gar nicht selten auf mannigfache Weise recht unangenehm. Zuvörderst sind es ebenso wohl- wie übelriechende Gerüche, die der Umgebung furchtbar lästig werden können. Zu den ersteren gehört ganz besonders das abscheuliche kopfschmerzmachende Patchouli, welches stets den Verdacht gegen den Parfümirten erregt, daß er etwas Stinkendes an sich hat, was er vertuschen will. Unter den übelriechenden Störungen sind aber, abgesehen von diesem und jenem Schweiße, die aus dem Munde sich entwickelnden Gerüche am wenigsten erträglich. Und wie oft kommt es nicht vor, daß sich unser Nachbar ganz nahe zu uns hinneigt, um uns mit seinem Munde ein „himmlisch“ in’s Ohr zu flüstern, während er gleichzeitig unserer Nase einen „höllischen Gestank“ zuduftet. Auch Raucher sind nicht gerade die angenehmsten Nachbarn, da an ihnen manchmal Alles nach Tabak riecht. Und die Moral? Wo Menschen nahe bei einander weilen, da halte Jeder auf einen reinen Dunstkreis und ganz besonders im Concert und Theater. – Es ist doch wahrlich nicht zu viel verlangt, wenn man in Kunsttempeln, wo Auge und Ohr schwelgen, die Nase nicht maltraitirt zu haben wünscht. Es dürfte deshalb den gebildeteren Besuchern des Theaters und Concerts wohl zu empfehlen sein, daß sie sich vor dem Besuche noch Mund und Zähne reinigen, nicht kurz vorher Käse, Meerrettig oder Zwiebeln essen, und daß sie nach Tabak oder Schweiß riechende Kleidungsstoffe ablegen.

Recht widerwärtig sind auch solche Nachbarn im Concert und Theater, die sich während der Aufführungen nicht ganz still verhalten, sondern mit ihrer Umgebung schwatzen, laut kritisiren, Melodien leise mitsingen, mit dem Fuße den Tact markiren, auf und mit dem Stuhl lebhaft agiren u. s. w.

Das Schwatzen ist leider nicht blos den Damen, sondern auch vielen Herren eigen, und den Stoff dazu liefert in der Regel dieser oder jener, zur Kunstproduction gar nicht gehörige lebende oder todte Gegenstand. Bei den Damen dienen meistens die Anhübschungsgegenstände, sowohl an den Künstlern wie an den Nachbarn, bei den Herren dagegen die angehübschten Theile zum Stoffe des störenden Gesprächs, was gar nicht selten trotz alles Pst’ens kein Ende nehmen will. – Das laute Kritisiren ist in den meisten Fällen eine Unart Solcher, die eigentlich über Kunst und künstlerische Leistungen gar nicht mitreden sollten und deren Weisheit gewöhnlich aus Journalkritiken stammt. – Das hörbare Mitsingen setzt die Nachbarn stets, aber ganz besonders dann in Verzweiflung, wenn es gegen die Melodie und die Musik überhaupt verstößt. Und gerade der Unmusikalische ist es meistens, der sich als überflüssiger Sänger unangenehm macht. - Das Tactpochen mit dem Fuße gehört, zumal wenn es gegen den Tact geschieht, durchaus nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens im Theater oder Concert, wohl aber zu den Rücksichtslosigkeiten, die wenig Tact zeigen. – Daß das stete Hin- und Herrutschen, das Rechts- und Linkswenden, das Vor- und Rückwärtsbeugen, das mit der Hand Auf- und Abfahren eine für die Nachbarschaft höchst beunruhigende Wirkung ausübt, möge vorzugsweise den quecksilberigen Damen gesagt sein.

Ueberlaut zu husten, und zu niesen ist ebenfalls, weil störend, rücksichtslos; man halte doch dabei das Tuch vor Mund und Nase; auch das Gähnen ist so gut als möglich zu verbergen. – Das geräuschvolle Umblättern des Textes könnte wohl auch wegfallen oder doch weit behutsamer und leiser als gewöhnlich geschehen, denn daß das dadurch erzeugte Rauschen eine angenehme Begleitung eines Pianissimo wäre, wird wohl Niemand behaupten. – Und die Moral? Wo durch’s Ohr sich Herzen laben, will man Still’ und Ruhe haben. – Beiläufig sei auch der Unart Erwähnung gethan, welche Manche insofern gegen die ihnen zur Seite Sitzenden begehen, als sie denselben den Rücken zukehren und nicht selten damit die Aussicht versperren.

Schließlich sollen noch Die, welche beim Kommen oder Gehen Diesem oder Jener die Hand darreichen, darauf aufmerksam gemacht werden, daß es höchst unschicklich und beleidigend ist, nur einen oder zwei Finger, oder auch die starr ausgestreckt bleibende Hand dem Bekannten hinzuhalten. Wenn überhaupt ein Handgeben, und zwar wo möglich barhändig, stattfinden soll, so sind stets die Hände mit gebogenen Fingern (wie beim Händedrucke) in einander zu legen.

Und nun noch ein Wort zu Denen, die sich über meine erste[WS 1] und wahrscheinlich auch über diese zweite Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute ennuyiren und raisonniren. Ihnen gebe ich auf den Kopf schuld, daß sie ganz gewiß gegen ihre Mitmenschen in verschiedener Weise rücksichtslos handeln und, weil sie die Wahrheit nicht hören wollen, den Verfasser ganz mit Unrecht der Rücksichtslosigkeit zeihen. Es wird aber trotzdem fortgestrafpredigt.
Bock.

Anmerkungen (Wikisource)