Entstehung der Arten (1876)/Zehntes Capitel

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Neuntes Capitel Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein (1876)
von Charles Darwin
Elftes Capitel


[365]
Zehntes Capitel.
Unvollständigkeit der geologischen Urkunden.
Mangel mittlerer Varietäten zwischen den heutigen Formen.Natur der erloschenen Mittelvarietäten und deren Zahl.Länge der Zeiträume nach Maßgabe der Ablagerung und Denudation.Länge der verflossenen Zeit nach Jahren abgeschätzt.Armuth unserer paläontologischen Sammlungen.Unterbrechung geologischer Formationen.Denudation granitischer Bodenflächen.Abwesenheit der Mittelvarietäten in allen Formationen.Plötzliches Erscheinen von Artengruppen.Ihr plötzliches Auftreten in den ältesten bekannten fossilführenden Schichten.Alter der bewohnbaren Erde.

Im sechsten Capitel habe ich die hauptsächlichsten Einwände aufgezählt, welche man gegen die in diesem Bande aufgestellten Ansichten mit Recht erheben könnte. Die meisten derselben sind jetzt bereits erörtert worden. Darunter ist allerdings eine von handgreiflicher Schwierigkeit; nämlich die Verschiedenheit der specifischen Formen und der Umstand, daß sie nicht durch zahllose Übergangsglieder in einander verschmolzen sind. Ich habe auf Ursachen hingewiesen, warum solche Bindeglieder heutzutage unter den anscheinend für ihr Dasein günstigsten Umständen, nämlich auf ausgedehnten und zusammenhängenden Flächen mit allmählich abgestuften physikalischen Bedingungen, nicht gewöhnlich zu finden sind. Ich versuchte zu zeigen, daß das Leben einer jeden Art noch wesentlicher von der Anwesenheit anderer bereits bestimmter organischer Formen abhängt als vom Clima, und daß daher die wirklich einflußreichen Lebensbedingungen sich nicht so allmählich abstufen, wie Wärme und Feuchtigkeit. Ich versuchte ferner zu zeigen, daß mittlere Varietäten deßwegen, weil sie in geringerer Anzahl als die von ihnen verbundenen Formen vorkommen, im Verlaufe weiterer Veränderung und Vervollkommnung dieser letzten bald verdrängt und zum Aussterben gebracht werden. Die Hauptursache jedoch, warum nicht in der ganzen Natur jetzt noch zahllose solche Zwischenglieder vorkommen, liegt im Processe der natürlichen Zuchtwahl selbst, wodurch neue Varietäten fortwährend die Stelle ihrer [366] Stammformen einnehmen und dieselben vertilgen. Aber gerade in dem Verhältnisse, wie dieser Proceß der Vertilgung in ungeheurem Maße thätig gewesen ist, muß auch die Anzahl der Zwischenvarietäten, welche vordem auf der Erde vorhanden waren, eine wahrhaft ungeheure gewesen sein. Woher kömmt es dann, daß nicht jede geologische Formation und jede Gesteinsschicht voll von solchen Zwischenformen ist? Die Geologie enthüllt uns sicherlich keine solche fein abgestufte Organismenreihe; und dies ist vielleicht die handgreiflichste gewichtigste Einrede, die man meiner Theorie entgegenhalten kann. Die Erklärung liegt aber, wie ich glaube, in der äußersten Unvollständigkeit der geologischen Urkunden.

Zuerst muß man sich erinnern, was für Zwischenformen meiner Theorie zufolge vordem bestanden haben müßten. Ich habe es nur schwer zu vermeiden gefunden, mir, wenn ich irgend welche zwei Arten betrachtete, unmittelbare Zwischenformen zwischen denselben in Gedanken vorzustellen. Es ist dies aber eine ganz falsche Ansicht, man hat sich vielmehr nach Formen umzusehen, welche zwischen jeder der zwei Species und einem gemeinsamen, aber unbekannten Urerzeuger das Mittel halten; und dieser Erzeuger wird gewöhnlich von allen seinen modificirten Nachkommen in einigen Beziehungen verschieden gewesen sein. Ich will dies mit einem einfachen Beispiele erläutern. Die Pfauentaube und der Kröpfer leiten beide ihren Ursprung von der Felstaube (C. livia) her; besäßen wir alle Zwischenvarietäten, die je existirt haben, so würden wir eine außerordentlich dichte Reihe zwischen beiden und der Felstaube haben; aber unmittelbare Zwischenvarietäten zwischen Pfauentaube und Kropftaube würden wir nicht finden, keine z. B., die einen etwas ausgebreiteteren Schwanz mit einem nur mäßig erweiterten Kropfe verbände, worin doch eben die bezeichnenden Merkmale jener zwei Rassen liegen. Diese beiden Rassen sind überdies so sehr modificirt worden, daß, wenn wir keinen historischen oder indirecten Beweis über ihren Ursprung hätten, wir unmöglich im Stande gewesen sein würden, durch bloße Vergleichung ihrer Structur mit der der Felstaube (Columba livia) zu bestimmen, ob sie aus dieser oder einer andern ihr verwandten Art, wie z. B. Columba oenas, entstanden seien.

So verhält es sich auch mit den natürlichen Arten. Wenn wir uns nach sehr verschiedenen Formen umsehen, wie z. B. Pferd und Tapir, so finden wir keinen Grund zur Annahme, daß es jemals unmittelbare [367] Zwischenglieder zwischen denselben gegeben habe, wohl aber zwischen jedem von beiden und irgend einem unbekannten Erzeuger. Dieser gemeinsame Urerzeuger wird in seiner ganzen Organisation viele allgemeine Ähnlichkeit mit dem Tapir so wie mit dem Pferde besessen haben, doch in manchen Punkten des Baues auch von beiden beträchtlich verschieden gewesen sein, vielleicht selbst in noch höherem Grade, als beide jetzt unter sich sind. Daher würden wir in allen solchen Fällen nicht im Stande sein, die elterliche Form für irgend welche zwei oder mehr Arten wiederzuerkennen, selbst dann nicht, wenn wir den Bau der Stammform genau mit dem seiner abgeänderten Nachkommen vergleichen, es wäre denn, daß wir eine nahezu vollständige Kette von Zwischengliedern dabei hätten.

Es wäre nach meiner Theorie allerdings möglich, daß von zwei noch lebenden Formen die eine von der andern abstammte, wie z. B. ein Pferd von einem Tapir, und in diesem Falle wird es directe Zwischenglieder zwischen denselben gegeben haben. Ein solcher Fall würde jedoch voraussetzen, daß die eine der zwei Arten sich eine sehr lange Zeit hindurch unverändert erhalten habe, während ihre Nachkommen sehr ansehnliche Veränderungen erfuhren. Aber das Princip der Concurrenz zwischen Organismus und Organismus, zwischen Kind und Erzeuger, wird diesen Fall nur sehr selten eintreten lassen; denn in allen Fällen streben die neuen und verbesserten Lebensformen die alten und unpassenderen zu ersetzen.

Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl haben alle lebenden Arten mit der Stammart einer jeden Gattung durch Charactere in Verbindung gestanden, deren Unterschiede nicht grösser waren, als wir sie heutzutage zwischen den natürlichen und domesticirten Varietäten einer und derselben Art sehen: und diese jetzt gewöhnlich erloschenen Stammarten waren ihrerseits wieder in ähnlicher Weise mit älteren Arten verkettet; und so immer weiter rückwärts, bis endlich alle in dem gemeinsamen Vorfahren einer jeden großen Classe zusammentreffen. So muß daher die Anzahl der Zwischen- und Übergangsglieder zwischen allen lebenden und erloschenen Arten ganz unbegreiflich groß gewesen sein. Aber sicherlich haben sie, wenn die Theorie richtig ist, auf der Erde gelebt.

[368]
Über die Zeitdauer nach Maßgabe der Ablagerung und Größe der Denudation.

Unabhängig von dem Umstande, daß wir nicht die fossilen Reste einer so endlosen Anzahl von Zwischengliedern finden, könnte man mir ferner entgegenhalten, daß die Zeit nicht hingereicht habe, ein so ungeheures Maß organischer Veränderungen durchzuführen, weil alle Abänderungen nur sehr langsam bewirkt worden seien. Es ist mir kaum möglich, demjenigen meiner Leser, welcher kein praktischer Geologe ist, die leitenden Thatsachen vorzuführen, welche uns einigermaßen die unermeßliche Länge der verflossenen Zeiträume zu erfassen in den Stand setzen. Wer Sir Charles Lyell’s großes Werk „the Principles of Geology“, welchem spätere Historiker die Anerkennung eine große Umwälzung in den Naturwissenschaften bewirkt zu haben nicht versagen werden, lesen kann und nicht sofort die unfaßbare Länge der verflossenen Erdperioden zugesteht, der mag dieses Buch nur schließen. Damit ist nicht gesagt, daß es genügte, die „Principles of Geology“ zu studiren oder die Specialabhandlungen verschiedener Beobachter über einzelne Formationen zu lesen, um zu sehen, wie jeder Autor bestrebt ist, einen wenn auch nur ungenügenden Begriff von der Bildungsdauer einer jeden Formation oder sogar jeder einzelnen Schicht zu geben. Wir können am besten eine Idee von der verflossenen Zeit erhalten, wenn wir erfahren, was für Kräfte thätig waren, und kennen lernen, wie viel Land abgetragen und wie viel Sediment abgelagert worden ist. Wie Lyell ganz richtig bemerkt hat, ist die Ausdehnung und Mächtigkeit unserer Sedimentärformationen das Resultat und der Maßstab für die Denudation, welche unsere Erdrinde an einer andern Stelle erlitten hat. Man sollte daher selbst diese ungeheuren Stöße übereinander gelagerter Schichten untersuchen, die Bäche beobachten, wie sie Schlamm herabführen, und die See bei der Arbeit, die Uferfelsen niederzunagen, beobachten, um nur einigermaßen die Länge der Zeit zu begreifen, deren Denkmäler wir rings um uns her erblicken.

Es verlohnt sich den Seeküsten entlang zu wandern, welche aus mäßig harten Felsschichten aufgebaut sind, und den Zerstörungsproceß zu beobachten. Die Fluth erreicht diese Felswände in den meisten Fällen nur auf kurze Zeit zweimal des Tags, und die Wogen nagen sie nur aus, wenn sie mit Sand und Geröll beladen sind; denn bewährte Zeugnisse sprechen dafür, daß reines Wasser Gesteine nicht [369] oder nur wenig angreift. Zuletzt wird der Fuß der Felswände unterwaschen sein, mächtige Massen brechen zusammen, und diese, nun fest liegen bleibend, müssen Atom um Atom zerrieben werden, bis sie, klein genug geworden, von den Wellen umhergerollt werden können und dann noch schneller in Geröll, Sand und Schlamm verarbeitet werden. Aber wie oft sehen wir längs des Fußes zurücktretender Klippen abgerundete Blöcke liegen, alle dick überzogen mit Meereserzeugnissen, welche beweisen, wie wenig sie durch Abreibung leiden und wie selten sie umhergerollt werden! Überdies wenn wir einige Meilen weit eine derartige Küstenwand verfolgen, welche der Zerstörung unterliegt, so finden wir nur hie und da, auf kurze Strecken oder etwa um ein Vorgebirge her die Klippen während der Jetztzeit leiden. Die Beschaffenheit der Oberfläche und der auf ihnen erscheinende Pflanzenwuchs beweisen, daß an andern Orten Jahre verflossen sind, seitdem die Wasser ihren Fuß gewaschen haben.

Wir haben indessen neuerdings aus den Beobachtungen Ramsay’s als Vorläufer ausgezeichneter Beobachter, wie Jukes, Geikie, Croll und Anderer, gelernt, daß die Zerstörung durch Berührung der Oberfläche mit der Luft eine viel bedeutungsvollere Thätigkeit ist, als die Strandwirkung oder die Kraft der Wellen. Die ganze Oberfläche des Landes ist der chemischen Wirkung der Luft und des Regenwassers mit seiner aufgelösten Kohlensäure, und in kälteren Zonen des Frostes ausgesetzt; die losgelöste Substanz wird während heftiger Regen selbst sanfte Abhänge hinabgespült und in größerer Ausdehnung, als man anzunehmen geneigt sein könnte, besonders in dürren Gegenden vom Winde fortgeführt; sie wird dann durch Flüsse und Ströme weitergeführt, welche, wenn sie reißend sind, ihre Betten vertiefen und die Fragmente zermahlen. An einem Regentage sehen wir selbst in einer sanft welligen Gegend die Wirkungen dieser Zerstörungen durch die Atmosphäre in den schlammigen Rinnsalen, welche jeden Abhang hinabfließen. Ramsay und Whitaker haben gezeigt, und die Beobachtung ist eine äußerst auffallende, daß die großen Böschungslinien im Wealdendistrict und die quer durch England ziehenden, welche früher für alte Küstenzüge angesehen wurden, nicht als solche gebildet worden sein können; denn jeder derartige Zug wird von einer und derselben Formation gebildet, während unsere jetzigen Küstenwände überall aus Durchschnitten verschiedener Formationen bestehen. Da dies der Fall ist, so sind wir genöthigt anzunehmen, daß diese Böschungslinien [370] hauptsächlich dem Umstande ihren Ursprung verdanken, daß das Gestein aus dem sie bestehen der atmosphärischen Denudation besser als die umgebende Oberfläche widerstanden hat; diese umgebende Fläche ist folglich nach und nach niedriger geworden, während die Züge härteren Gesteins vorspringend gelassen wurden. Nichts bringt einen stärkeren Eindruck von der ungeheuren Zeitdauer, nach unsren Ideen der Zeit, auf uns hervor, als die hieraus gewonnene Überzeugung, daß atmosphärische Agentien, welche scheinbar so geringe Kraft haben und so langsam zu wirken scheinen, so große Resultate hervorgebracht haben.

Haben wir hiernach einen Eindruck von der Langsamkeit erhalten, mit welcher das Land durch atmosphärische und Strand-Wirkung abgenagt wird, so ist es, um die Dauer vergangener Zeiträume zu schätzen, von Nutzen, einerseits die Masse von Gestein sich vorzustellen, welche über viele ausgedehnte Gebiete hin entfernt worden ist, und andererseits die Dicke unserer Sedimentärformationen zu betrachten. Ich erinnere mich, von der Thatsache der Entblößung in hohem Grade betroffen gewesen zu sein, als ich vulkanische Inseln sah, welche rundum von den Wellen so abgewaschen waren, daß sie in 1000 bis 2000 Fuß hohen Felswänden senkrecht emporragten, während sich aus dem schwachen Fallwinkel der früher flüssigen Lavaströme auf den ersten Blick ermessen ließ, wie weit einst die harten Felslagen in den offenen Ocean hinausgereicht haben müssen. Dieselbe Geschichte ergibt sich oft noch deutlicher durch die Verwerfungen, jene großen Gebirgsspalten, längs deren die Schichten bis zu tausenden von Fußen an einer Seite emporgestiegen oder an der andern Seite hinabgesunken sind; denn seit die Erdrinde barst (gleichviel ob die Hebung plötzlich oder, wie die meisten Geologen jetzt annehmen, allmählich in vielen einzelnen Punkten erfolgt ist), ist die Oberfläche des Bodens wieder so vollkommen ausgeebnet worden, daß keine Spur von dieser ungeheuren Verwerfung mehr äußerlich zu erkennen ist. So erstreckt sich die Cravenspaltung z. B. über 30 Englische Meilen weit; und auf dieser ganzen Strecke sind die von beiden Seiten her zusammenstoßenden Schichten um 600–3000 Fuß senkrechter Höhe verworfen. Professor Ramsay hat eine Senkung von 2300 Fuß in Anglesea beschrieben und er sagt mir, daß er sich überzeugt halte, daß in Merionethshire eine solche von 12000 Fuß vorhanden sei. Und doch verräth in diesen Fällen die Oberfläche des Bodens nichts von solchen [371] wunderbaren Bewegungen, indem die auf beiden Seiten emporragenden Schichtenreihen bis zur Ausebnung der Oberfläche weggespült worden sind.

Andererseits sind auch die Massen von sedimentären Schichten in allen Theilen der Welt von wunderbarer Mächtigkeit. In der Cordillera schätzte ich eine Conglomeratmasse auf zehntausend Fuß; und obgleich Conglomeratschichten wahrscheinlich schneller aufgehäuft worden sind, als feinere Sedimente, so trägt doch eine jede, da sie aus abgeschliffenen und runden Geröllsteinen gebildet wird, den Stempel langer Zeit; sie dienen dazu, zu zeigen, wie langsam die Massen angehäuft worden sein müssen. Professor Ramsay hat mir, meist nach wirklichen Messungen, die Maße der größten Mächtigkeit der aufeinander folgenden Formationen aus verschiedenen Theilen Großbritaniens in folgender Weise angegeben:

Paläozoische Schichten (ohne die vulkanischen Schichten)       57,154 Fuß
Secundärschichten 13,190 0"
Tertiäre Schichten 2,240 0"

in Summa 72,584 Fuß, d. i. beinahe 13¾ Englische Meilen. Einige dieser Formationen, welche in England nur durch dünne Lagen vertreten sind, haben auf dem Continente tausende von Fußen Mächtigkeit. Überdies fallen nach der Meinung der meisten Geologen zwischen je zwei aufeinanderfolgende Formationen immer unermeßliche leere Perioden, so daß somit selbst jene ungeheure Höhe von Sedimentschichten in England nur eine unvollkommene Vorstellung von der während ihrer Ablagerung verflossenen Zeit gewährt. Die Betrachtung dieser verschiedenen Thatsachen macht auf den Geist fast denselben Eindruck wie der eitle Versuch die Idee der Ewigkeit zu fassen.

Und doch ist dieser Eindruck theilweise falsch. Croll macht in einem interessanten Aufsatze die Bemerkung, daß wir nicht darin irren, „uns eine zu große Länge der geologischen Perioden vorzustellen“, wohl aber in der Schätzung derselben nach Jahren. Wenn Geologen große und complicirte Erscheinungen beobachten und dann Zahlen, welche mehrere Millionen Jahre darstellen, so bringen diese beiden einen völlig verschiedenen Eindruck hervor, und die Zahlen werden sofort für zu klein erklärt. Aber in Bezug auf die atmosphärische Denudation weist Croll durch Berechnung der bekannten, jährlich von gewissen Flüssen herabgeführten Sedimentmenge, im Verhältnis zu ihrem Entwässerungsgebiete, nach, daß 1000 Fuß eines [372] durch atmosphärische Agentien aufgelösten Gesteines von dem mittleren Niveau des ganzen Gebietes hierdurch im Laufe von sechs Millionen Jahren entfernt werden würden. Dies Resultat erscheint staunenswerth, und mehrere Beobachtungen führen zu der Vermuthung, daß es viel zu groß sein dürfte; aber selbst wenn es halbirt oder geviertelt würde, ist es immer noch sehr überraschend. Wenige unter uns wissen indeß, was eine Million wirklich heißt: Croll gibt die folgende Erläuterung: man nehme einen schmalen Papierstreifen 83 Fuß 4 Zoll lang und ziehe ihn der Wand eines großen Saales entlang; dann bezeichne man an einem Ende das Zehntel des Zolles. Dieser Zehntel-Zoll stellt ein hundert Jahre dar und der ganze Streifen eine Million Jahre. Man muß sich aber nun, in Bezug auf den Gegenstand des vorliegenden Buches daran erinnern, was einhundert Jahre bedeuten, wenn man sie in einem Saale von der bezeichneten Größe durch ein völlig unbedeutendes Maß bezeichnet hat. Mehrere ausgezeichnete Züchter haben während einer einzigen Lebenszeit einige der höheren Thiere, welche ihre Art weit langsamer fortpflanzen als die meisten niederen Thiere, so bedeutend modificirt, daß sie das gebildet haben, was wohl neue Unterrassen genannt zu werden verdient. Wenig Menschen haben mit der nöthigen Sorgfalt irgend einen besonderen Schlag von Thieren länger als ein halbes Jahrhundert gezüchtet, so daß hundert Jahre die Arbeit zweier aufeinander folgender Züchter darstellen. Man darf nun nicht annehmen, daß die Species im Naturzustande je so schnell sich verändern als domesticirte Thiere unter der Leitung methodischer Zuchtwahl. Der Vergleich würde nach allen Richtungen hin passender sein, wenn man ihn mit Bezug auf die Resultate unbewußter Zuchtwahl anstellte, d. h. mit der Erhaltung der nützlichsten oder schönsten Thiere ohne die Absicht die Rasse zu modificiren; und doch sind durch diesen Proceß unbewußter Zuchtwahl mehrere Rassen im Verlauf von zwei oder drei Jahrhunderten merkwürdig verändert worden.

Species ändern indeß wahrscheinlich viel langsamer, und innerhalb einer und derselben Gegend ändern nur wenige zu derselben Zeit ab. Diese Langsamkeit rührt daher, daß alle Bewohner derselben Gegend bereits so gut aneinander angepaßt sind, daß neue Stellen im Naturhaushalte erst nach langen Zwischenräumen eintreten, wenn Veränderungen irgend welcher Art in den physikalischen Bedingungen oder in Folge von Einwanderung neuer Formen vorgekommen sind; [373] auch dürften individuelle Differenzen oder Abänderungen der richtigen Art, durch welche einige der Bewohner besser den neuen Stellen unter den veränderten Umständen angepaßt werden, nicht immer sofort auftreten. Unglücklicherweise haben wir, nach einem Maßstab von Jahren, kein Mittel zu bestimmen, eine wie große Periode zur Modificirung einer Art erforderlich ist; aber auf das Capitel von der Zeit müssen wir nochmals zurückkommen.


Armuth unserer paläontologischen Sammlungen.

Wenden wir uns nun zu unsern reichsten geologischen Sammlungen, was für eine armselige Reihe erblicken wir! Jedermann gibt die außerordentliche Unvollständigkeit unserer paläontologischen Sammlungen zu. Überdies sollte man die Bemerkung des vortrefflichen Paläontologen, des verstorbenen Edward Forbes, niemals vergessen, daß sehr viele unserer fossilen Arten nur nach einem einzigen, oft zerbrochenen Exemplare oder nur wenigen auf einem kleinen Fleck beisammen gefundenen Individuen bekannt und benannt ist. Nur ein kleiner Theil der Erdoberfläche ist geologisch untersucht und noch keiner mit erschöpfender Genauigkeit erforscht, wie die noch jährlich in Europa aufeinanderfolgenden wichtigen Entdeckungen beweisen. Kein ganz weicher Organismus ist erhaltungsfähig. Selbst Schaalen und Knochen zerfallen und verschwinden auf dem Boden des Meeres, wo sich keine Sedimente anhäufen. Ich glaube, daß wir beständig in einem großen Irrthum begriffen sind, wenn wir uns stillschweigend der Ansicht überlassen, daß sich Niederschläge fortwährend fast auf der ganzen Ausdehnung des Meeresgrundes mit hinreichender Schnelligkeit bilden, um die zu Boden sinkenden organischen Stoffe zu umhüllen und zu erhalten. In einer ungeheuren Ausdehnung des Oceans spricht die klare blaue Farbe seines Wassers für dessen Reinheit. Die vielen Berichte von einer Formation, welche nach einem unendlichen Zeitraume von einer andern und späteren Formation bedeckt wurde, ohne daß die tiefere auch nur Spuren einer zerstörenden Thätigkeit an sich trüge, scheinen nur durch die Ansicht erklärbar zu sein, daß der Boden des Meeres nicht selten eine unermeßliche Zeit in völlig unverändertem Zustande bleibt. Die Reste, welche in Sand und Kies eingebettet wurden, werden gewöhnlich von kohlensäurehaltigen Tagewässern wieder aufgelöst, welche den Boden nach seiner Emporhebung über den Meeresspiegel zu durchsickern beginnen. Einige von den [374] vielen Thierarten, welche zwischen Ebbe- und Fluthstand des Meeres am Strande leben, scheinen sich nur selten fossil zu erhalten. So z. B. überziehen über die ganze Erde Chthamalinen (eine Familie der sitzenden Cirripeden) in unendlicher Anzahl die Felsen der Küsten. Alle sind im strengen Sinne litoral, mit Ausnahme einer einzigen mittelmeerischen Art, welche dem tiefen Wasser angehört; und diese ist auch in Sicilien fossil gefunden worden, während man bis jetzt noch keine andere tertiäre Art kennt; doch weiß man jetzt, daß die Gattung Chthamalus während der Kreideperiode existirte. Endlich sind viele große, zu ihrer Anhäufung ungeheure Zeiträume erfordernde Ablagerungen völlig leer von organischen Überresten, ohne dazz wir im Stande wären, hierfür eine Ursache anzugeben; eins der merkwürdigsten Beispiele ist die Flyschformation, welche aus Thonschiefer und Sandstein besteht und sich mehrere tausend, gelegentlich sechstausend Fuß an Mächtigkeit wenigstens 300 Englische Meilen weit von Wien an bis nach der Schweiz erstreckt. Und trotzdem daß diese große Masse äußerst sorgfältig untersucht worden ist, sind, mit Ausnahme weniger pflanzlichen Reste, keine Fossile darin gefunden worden.

Hinsichtlich der Landbewohner, welche in der paläozoischen und secundären Zeit gelebt haben, ist es überflüssig darzuthun, daß unsere auf fossile Reste sich gründende Kenntnis im äußersten Grade fragmentarisch ist. So war z. B. bis vor Kurzem nicht eine Landschnecke aus einer dieser langen Perioden bekannt, mit Ausnahme einer von Sir Ch. Lyell und Dr. Dawson in den Kohlenschichten Nord-Americas entdeckten Art; jetzt sind aber Landschnecken im Lias gefunden worden. Was die Säugethierreste betrifft, so ergibt ein Blick auf die historische Tabelle in Lyell’s Handbuch weit besser, wie zufällig und selten ihre Erhaltung sei, als seitenlange Einzelnheiten; und doch kann ihre Seltenheit keine Verwunderung erregen, wenn wir uns erinnern, was für ein verhältnismäßig großer Theil von den Knochen tertiärer Säugethiere aus Knochenhöhlen und Süßwasserablagerungen herrühren, während nicht eine Knochenhöhle und echte Süßwasserschicht vom Alter unserer paläozoischen oder secundären Formationen bekannt ist.

Aber die Unvollständigkeit der geologischen Urkunden rührt hauptsächlich von einer andern und weit wichtigeren Ursache her, als irgend eine der vorhin angegebenen ist, davon nämlich, daß die verschiedenen [375] Formationen durch lange Zeiträume von einander getrennt sind. Auf diese Behauptung ist von manchen Geologen und Paläontologen, welche mit E. Forbes nicht an eine Veränderlichkeit der Arten glauben mögen, großer Nachdruck gelegt worden. Wenn wir die Formationen in wissenschaftlichen Werken in Tabellen geordnet finden, oder wenn wir sie in der Natur verfolgen, so können wir nicht wohl anzunehmen vermeiden, daß sie unmittelbar auf einander gefolgt sind. Wir wissen aber z. B. aus Sir R. Murchison’s großem Werke über Rußland, was für weite Lücken in jenem Lande zwischen den aufeinanderliegenden Formationen bestehen; und so ist es auch in Nord-America und vielen andern Weltgegenden. Und doch würde der beste Geologe, wenn er sich ausschließlich mit diesen weiten Ländergebieten allein beschäftigt hätte, nimmer vermuthet haben, daß während dieser langen Perioden, aus welcher in seiner eigenen Gegend kein Denkmal übrig ist, sich große Schichtenlagen voll neuer und eigenthümlicher Lebensformen anderweitig auf einander gehäuft haben. Und wenn man sich in jeder einzelnen Gegend kaum eine Vorstellung von der Länge der Zeiten zwischen den aufeinanderfolgenden Formationen zu machen im Stande ist, so wird man glauben, daß dies nirgends möglich sei. Die häufigen und großen Veränderungen in der mineralogischen Zusammensetzung aufeinanderfolgender Formationen, welche gewöhnlich auch große Veränderungen in der geographischen Beschaffenheit des umgebenden Landes vermuthen lassen, aus welchem das Material zu diesen Ablagerungen entnommen ist, stimmt mit der Annahme ungeheuer langer zwischen den einzelnen Formationen verflossener Zeiträume überein.

Wir können, wie ich glaube, einsehen, warum die geologischen Formationen jeder Gegend beinahe unabänderlich unterbrochen sind, d. h. sich nicht ohne Zwischenpausen einander gefolgt sind. Kaum hat eine Thatsache bei Untersuchung viele Hundert Meilen langer Strecken der südamericanischen Küsten, welche in der Jetztzeit einige hundert Fuß hoch emporgehoben worden sind, einen lebhafteren Eindruck auf mich gemacht als die Abwesenheit aller neueren Ablagerungen von hinreichender Entwickelung, um auch nur eine kurze geologische Periode zu überdauern. Längs der ganzen Westküste, die von einer eigenthümlichen Meeresfauna bewohnt wird, sind die Tertiärschichten so spärlich entwickelt, daß wahrscheinlich kein Denkmal von verschiedenen aufeinanderfolgenden Meeresfaunen für spätere Zeiten [376] erhalten bleiben wird. Ein wenig Nachdenken erklärt es uns, warum längs der sich fortwährend hebenden Westküste Süd-America’s keine ausgedehnten Formationen mit neuen oder mit tertiären Resten irgendwo zu finden sind, obwohl nach den ungeheuren Abtragungen der Küstenwände und den schlammreichen Flüssen zu urtheilen, die sich dort in das Meer ergießen, die Zuführung von Sedimenten lange Perioden hindurch eine sehr große gewesen sein muß. Die Erklärung liegt ohne Zweifel darin, daß die litoralen und sublitoralen Ablagerungen beständig wieder weggewaschen werden, sobald sie durch die langsame oder stufenweise Hebung des Landes in den Bereich der zerstörenden Brandung gelangen.

Wir dürfen wohl schließen, daß Sediment in ungeheuer dicken soliden oder ausgedehnten Massen angehäuft worden sein müsse, um während der ersten Emporhebung und der späteren Schwankungen des Niveaus der ununterbrochenen Thätigkeit der Wogen ebenso wie der späteren atmosphärischen Zerstörung zu widerstehen. Solche dicke und ausgedehnte Sedimentablagerungen können auf zweierlei Weise gebildet werden; entweder in großen Tiefen des Meeres, in welchem Falle der Meeresgrund nicht von so vielen und von so verschiedenen Lebensformen bewohnt sein wird als in den seichteren Meeren; daher die Masse nach ihrer Emporhebung nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von den zur Zeit ihrer Ablagerung dort vorhanden gewesenen Lebensformen gewähren wird; – oder die Sedimente werden über einem seichten Grund zu jeder Dicke und Ausdehnung angehäuft, wenn er beständig in langsamer Senkung begriffen ist. In diesem letzten Falle bleibt das Meer so lange seicht und für viele und verschiedenartige Formen günstig, als Senkung des Bodens und Zufuhr der Niederschläge einander nahezu das Gleichgewicht halten; so daß auf diese Weise eine hinreichend dicke an Fossilen reiche Formation entstehen kann, um bei ihrer späteren Emporhebung einem beträchtlichen Maße von Zerstörung zu widerstehen.

Ich bin demgemäß überzeugt, daß nahezu alle unsere alten Formationen, welche im größern Theil ihrer Mächtigkeit reich an fossilen Resten sind, bei andauernder Senkung abgelagert worden sind. Seitdem ich im Jahre 1845 meine Ansichten über diesen Gegenstand bekannt gemacht, habe ich die Fortschritte der Geologie verfolgt und mit Überraschung wahrgenommen, wie ein Schriftsteller nach dem andern bei Beschreibung dieser oder jener großen Formation zum Schlusse [377] gelangt ist, daß sie sich während der Senkung des Bodens gebildet habe. Ich will hinzufügen, daß die einzige alte Tertiärformation an der Westküste Süd-America’s, die mächtig genug war, solcher Abtragung, wie sie sie bisher zu ertragen hatte, zu widerstehen, aber wohl schwerlich bis zu fernen geologischen Zeiten auszudauern im Stande ist, sich während der Senkung des Bodens gebildet und so eine ansehnliche Mächtigkeit erlangt hat.

Alle geologischen Thatsachen zeigen uns deutlich, daß jedes Gebiet der Erdoberfläche zahlreiche langsame Niveauschwankungen durchzumachen hatte, und alle diese Schwankungen sind allem Anscheine nach von weiter Erstreckung gewesen. Demzufolge werden an Fossilien reiche und so mächtige und ausgedehnte Bildungen, daß sie späteren Abtragungen widerstehen konnten, während der Senkungsperioden über weit ausgedehnte Flächen entstanden sein, doch nur so lange, als die Zufuhr von Sediment stark genug war, um die See seicht zu erhalten und die fossilen Reste schnell genug einzubetten und zu schützen, ehe sie Zeit hatten, zu zerfallen. Dagegen konnten sich mächtige Schichten auf seichten Stellen, welche dem Leben am günstigsten sind, so lange nicht bilden, als derselbe stät blieb. Viel weniger konnte dies während wechselnder Perioden von Hebung und Senkung geschehen oder, um mich genauer auszudrücken, die Schichten, welche während solcher Schwankungen zur Zeit der Senkungen abgelagert wurden, müssen bei nachfolgender Hebung wieder in den Bereich der Brandung versetzt und so zerstört worden sein.

Diese Bemerkungen beziehen sich hauptsächlich auf litorale und sublitorale Ablagerungen. In einem weiten und seichten Meere dagegen, wie in einem großen Theile des malayischen Archipels, wo die Tiefe nur von 30 oder 40 bis zu 60 Faden wechselt, dürfte während der Zeit der Erhebung eine weit ausgedehnte Formation entstehen, und auch während ihres langsamen Erhebens durch Entblößung nicht sonderlich leiden. Aber die Mächtigkeit dieser Formation dürfte nicht bedeutend sein, da sie wegen der aufwärts gehenden Bewegung der Tiefe des seichten Meeres, in dem sie sich bildete, nicht gleichkommen kann; sie könnte ferner nicht sehr consolidirt noch von späteren Bildungen überlagert sein, so daß sie bei späteren Bodenschwankungen wahrscheinlich durch atmosphärische Einflüsse und die Wirkung des Meeres bald ganz verschwinden würde. Hopkins hat indeß vermuthet, daß, wenn ein Theil der Bodenfläche nach seiner Hebung und vor [378] seiner Entblößung wieder sinke, die während der Hebung entstandene, wenn auch wenig mächtige Ablagerung durch spätere Niederschläge geschützt, und so für eine sehr lange Zeitperiode erhalten werden könnte.

Hopkins sagt auch ferner, daß er die gänzliche Zerstörung von Sedimentschichten von großer und wagrechter Ausdehnung für etwas Seltenes halte. Aber alle Geologen, mit Ausnahme der wenigen, welche in den metamorphischen Schiefern und plutonischen Gesteinen noch den glühenden Primordialkern der Erde erblicken, werden auch annehmen, daß von dem Gesteine dieser Beschaffenheit große Massen deckender Schichten abgewaschen worden sind. Denn es ist kaum möglich, daß diese Gesteine in unbedecktem Zustande sollten krystallisirt und gehärtet worden sein; war aber die metamorphosirende Thätigkeit in großen Tiefen des Oceans eingetreten, so brauchte der schützende Mantel nicht dick gewesen zu sein. Nimmt man nun an, daß solche Gesteine wie Gneiß, Glimmerschiefer, Granit, Diorit u. s. w. einmal nothwendigerweise bedeckt gewesen sind, wie lassen sich dann die weiten und nackten Flächen, welche diese Gesteine in so vielen Weltgegenden darbieten, anders erklären, als durch die Annahme einer späteren Entblößung von allen überlagernden Schichten? Daß solche ausgedehnte granitische Gebiete bestehen, unterliegt keinem Zweifel. Die granitische Region von Parime ist nach Humboldt wenigstens 19mal so groß als die Schweiz. Im Süden des Amazonenstroms zeigt Boué’s Karte eine aus solchen Gesteinen zusammengesetzte Fläche so groß wie Spanien, Frankreich, Italien, Großbritanien und ein Theil von Deutschland zusammengenommen. Diese Gegend ist noch nicht genau untersucht worden, aber nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der Reisenden muß dieses granitische Gebiet sehr groß sein. Von Eschwege gibt einen detallirten Durchschnitt desselben, der sich von Rio de Janeiro an in gerader Linie 260 geographische Meilen weit landeinwärts erstreckt, und ich selbst habe ihn 150 Meilen weit in einer andern Richtung durchschnitten, ohne ein anderes Gestein als Granit zu sehen. Viele längs der ganzen 1100 englische Meilen langen Küste von Rio de Janeiro bis zur Platamündung gesammelte Handstücke, die ich untersucht habe, gehörten sämmtlich dieser Classe an. Landeinwärts sah ich längs des ganzen nördlichen Ufers des Platastromes, abgesehen von jung-tertiären Gebilden, nur noch einen kleinen Fleck mit schwach metamorphischen Gesteinen, der allein als Rest der früheren Hülle der [379] granitischen Bildungen hätte gelten können. Wenden wir uns von da zu besser bekannten Gegenden, zu den Vereinigten Staaten und zu Canada. Indem ich aus H. D. Roger’s schöner Karte die den genannten Formationen entsprechend colorirten Stücke herausschnitt und das Papier wog, fand ich, daß die metamorphischen (ohne die „halbmetamorphischen“) und granitischen Gesteine, im Verhältnisse von 190:125 die ganzen jüngeren paläozoischen Formationen übertrafen. In vielen Gegenden würden die metamorphischen und granitischen Gesteine natürlich sehr viel weiter ausgedehnt sein, als sie es zu sein scheinen, wenn man alle ihnen ungleichförmig aufgelagerten und unmöglich zum ursprünglichen Mantel, unter dem sie krystallisirten, gehörigen Sedimentschichten von ihnen abhöbe. Somit ist es wahrscheinlich, daß in manchen Weltgegenden ganze Formationen vollständig fortgewaschen worden sind, ohne daß auch nur eine Spur von ihnen übrig geblieben wäre.

Eine Bemerkung ist hier noch der Erwähnung werth. Während der Erhebungszeiten wird die Ausdehnung des Landes und der angrenzenden seichten Meeresstrecken vergrößert, und werden oft neue Wohnorte gebildet: alles für die Bildung neuer Arten und Varietäten, wie früher bemerkt worden, günstige Umstände; aber gerade während dieser Perioden werden Lücken in dem geologischen Berichte bleiben. Während der Senkung wird andrerseits die bewohnte Fläche und die Anzahl der Bewohner abnehmen (die der Küstenbewohner etwa in dem Falle ausgenommen, daß ein Continent in Inselgruppen zerfällt wird); wenn daher auch während der Senkung viele Arten erlöschen, werden nur wenige neue Varietäten und Arten gebildet werden; und gerade während solcher Senkungszeiten sind unsere großen an Fossilen reichsten Schichten abgelagert worden.


Über die Abwesenheit zahlreicher Zwischenvarietäten in allen einzelnen Formationen.

Nach diesen verschiedenen Betrachtungen ist es nicht zu bezweifeln, daß die geologischen Urkunden im Ganzen genommen außerordentlich unvollständig sind; wenn wir aber dann unsere Aufmerksamkeit auf irgend eine einzelne Formation beschränken, so ist es noch viel schwerer zu begreifen, warum wir darin nicht enge aneinander gereihte Abstufungen zwischen denjenigen verwandten Arten finden, welche am [380] Anfang und am Ende ihrer Bildung gelebt haben. Es werden mehrere Fälle angeführt, wo dieselbe Art in andern Varietäten in den oberen als in den untern Theilen derselben Formation auftritt; so führt Trautschold eine Anzahl Beispiele von Ammoniten an, und Hilgendorf hat einen äußerst merkwürdigen Fall von zehn abgestuften Formen von Planorbis multiformis in den aufeinanderfolgenden Schichten einer schweizerischen Süßwasserformation beschrieben. Obwohl nun jede Formation ohne allen Zweifel eine lange Reihe von Jahren zu ihrer Ablagerung bedurft hat, so werden doch verschiedene Gründe bezeichnet werden können, warum sich solche Stufenreihen zwischen den zuerst und den zuletzt lebenden Arten nicht darin vorfinden; doch kann ich kaum den folgenden Betrachtungen das nöthige Gewicht beilegen.

Obwohl jede Formation einer sehr langen Reihe von Jahren entsprechen dürfte, so ist doch wahrscheinlich eine jede kurz im Vergleiche mit der zur Umänderung einer Art in die andere erforderlichen Zeit. Nun weiß ich wohl, daß zwei Paläontologen, deren Meinungen wohl der Beachtung werth sind, nämlich Bronn und Woodward, zu dem Schlusse gelangt sind, daß die mittlere Dauer einer jeden Formation zwei- bis dreimal so lang als die mittlere Dauer einer Artform ist. Indessen hindern uns, wie mir scheint, unübersteigliche Schwierigkeiten, in dieser Hinsicht zu einem richtigen Schlusse zu gelangen. Wenn wir eine Art in der Mitte einer Formation zum ersten Male auftreten sehen, so würde es äußerst übereilt sein, zu schließen, daß sie nicht irgendwo anders schon länger existirt haben könne. Ebenso, wenn wir eine Art schon vor den letzten Schichten einer Formation verschwinden sehen, würde es ebenso übereilt sein, anzunehmen, daß sie dann schon völlig erloschen sei. Wir vergessen, wie klein die Ausdehnung Europa’s im Vergleich zur übrigen Welt ist; auch sind die verschiedenen Etagen der einzelnen Formationen noch nicht durch ganz Europa mit vollkommener Genauigkeit parallelisirt worden.

Bei Seethieren aller Art können wir getrost annehmen, daß in Folge von climatischen und andern Veränderungen massenhafte und ausgedehnte Wanderungen stattgefunden haben; und wenn wir eine Art zum ersten Male in einer Formation auftreten sehen, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, daß sie eben da zuerst in jenes Gebiet eingewandert war. So ist es z. B. wohl bekannt, daß einige Thierarten in den paläozoischen Bildungen Nord-America’s etwas früher als in den [381] Europäischen erschienen, indem sie zweifelsohne Zeit nöthig hatten, um die Wanderung von den americanischen zu den europäischen Meeren zu machen. Bei Untersuchungen der neuesten Ablagerungen in verschiedenen Weltgegenden ist überall die Wahrnehmung gemacht worden, daß einige wenige noch lebende Arten in diesen Ablagerungen häufig, aber in den unmittelbar umgebenden Meeren verschwunden sind, oder daß umgekehrt einige jetzt in den benachbarten Meeren sehr häufige Arten in jener besonderen Ablagerung nur selten oder gar nicht zu finden sind. Es ist äußerst instructiv, den erwiesenen Umfang der Wanderungen europäischer Thiere während der Eiszeit, welche doch nur einen kleinen Theil einer ganzen geologischen Periode ausmacht, sowie die großen Niveauänderungen, die außergewöhnlich großen Climawechsel, die unermeßliche Länge der Zeiträume in Erwägung zu ziehen, welche alle mit dieser Eisperiode zusammenfallen. Und doch dürfte es zu bezweifeln sein, ob sich in irgend einem Theile der Welt Sedimentablagerungen, welche fossile Reste enthalten, auf dem gleichen Gebiete während der ganzen Dauer dieser Periode abgelagert haben. So ist es z. B. nicht wahrscheinlich, daß während der ganzen Dauer der Eisperiode Sedimentschichten an der Mündung des Mississippi innerhalb, derjenigen Tiefe, worin Thiere am gedeihlichsten leben können, abgelagert worden sind; denn wir wissen, daß während dieses Zeitraums ausgedehnte geographische Veränderungen in andern Theilen von America erfolgt sind. Sollten solche während der Eisperiode in seichtem Wasser an der Mississippimündung abgelagerte Schichten einmal erhoben worden sein, so würden organische Reste wahrscheinlich in verschiedenen Niveaus derselben zuerst erscheinen und wieder verschwinden, je nach den stattgefundenen Wanderungen der Arten und den geographischen Veränderungen des Landes. Und wenn in ferner Zukunft ein Geolog diese Schichten untersuchte, so dürfte er zu schließen versucht sein, daß die mittlere Lebensdauer der dort eingebetteten Organismenarten kürzer als die Eisperiode gewesen sei, obwohl sie in der That viel länger war, indem sie vor dieser begonnen und bis in unsere Tage gewährt hat.

Um nun eine vollständige Stufenreihe zwischen zwei Formen in den untern und obern Theilen einer Formation zu erhalten, müßte deren Ablagerung sehr lange Zeit fortgedauert haben, hinreichend lange, um dem langsamen Proceß der Modification Zeit zu lassen; die Schichtenmasse müßte daher von sehr ansehnlicher Mächtigkeit [382] sein, und die in Abänderung begriffenen Species müßten während der ganzen Zeit in demselben District gelebt haben. Wir haben jedoch gesehen, daß eine mächtige, organische Reste in ihrer ganzen Dicke enthaltende Schichte sich nur während einer Periode der Senkung ansammeln kann; damit nun die Tiefe annähernd dieselbe bleibe, was nothwendig ist, damit dieselben marinen Arten fortdauernd an derselben Stelle wohnen können, wäre ferner nothwendig, daß die Zufuhr von Sedimenten die Senkung fortwährend wieder ausgliche. Aber eben diese senkende Bewegung wird oft auch die Nachbargegend mit berühren, aus welcher jene Zufuhr erfolgt, und eben dadurch die Zufuhr selbst vermindern, während die Senkung fortschreitet. Eine solche nahezu genaue Ausgleichung zwischen der Stärke der stattfindenden Senkung und dem Betrag der zugeführten Sedimente mag in der That wahrscheinlich nur selten vorkommen; denn mehr als ein Paläontolog hat beobachtet, daß sehr dicke Ablagerungen, außer an ihren oberen und unteren Grenzen gewöhnlich leer an Versteinerungen sind.

Es möchte scheinen, als sei die Bildung einer jeden einzelnen Formation eben so, wie die der ganzen Formationsreihe eines jeden Landes, meist mit Unterbrechung vor sich gegangen. Wenn wir, wie es so oft der Fall ist, eine Formation aus Schichten von sehr verschiedener mineralogischer Beschaffenheit zusammengesetzt sehen, so können wir vernünftigerweise vermuthen, daß der Ablagerungsproceß mehr oder weniger unterbrochen gewesen sei. Nun wird auch die genaueste Untersuchung einer Formation uns keine Idee von der Länge der Zeit geben, welche über ihrer Ablagerung vergangen ist. Man könnte viele Beispiele anführen, wo einzelne nur wenige Fuß dicke Schichten ganze Formationen vertreten, die in anderen Gegenden tausende von Fußen mächtig sind und mithin eine ungeheure Länge der Zeit zu ihrer Bildung bedurft haben; und doch würde Niemand, der dies nicht weiß, auch nur geahnt haben, welch’ einen unermeßlichen Zeitraum jene dünne Schicht repräsentirt. So ließen sich auch viele Fälle anführen, wo die untern Schichten einer Formation emporgehoben, entblößt, wieder versenkt und dann von den obern Schichten der nämlichen Formation wieder bedeckt worden sind, – Thatsachen, welche beweisen, daß weite, aber leicht zu übersehende Zwischenräume während der Ablagerung vorhanden gewesen sind. In andern Fällen liefert uns eine Anzahl großer fossilisirter und noch auf ihrem natürlichen [383] Boden aufrecht stehender Bäume den klarsten Beweis von mehreren langen Zeitpausen und wiederholten Niveauveränderungen während des Ablagerungsprocesses, wie man sie außerdem nie hätte vermuthen können, wären nicht zufällig die Bäume erhalten worden. So fanden Lyell und Dawson in 1400 Fuß mächtigen kohlenführenden Schichten Neu-Schottlands alte von Baumwurzeln durchzogene Lager, eines über dem andern, in nicht weniger als 68 verschiedenen Höhen. Wenn daher die nämliche Art unten, mitten und oben in der Formation vorkommt, so ist Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie nicht während der ganzen Ablagerungszeit immer an dieser Stelle gelebt hat, sondern während einer und derselben geologischen Periode, vielleicht vielmals, dort verschwunden und wieder erschienen ist. Wenn daher eine solche Species während der Ablagerung irgend einer geologischen Periode beträchtliche Umänderungen erfahren sollte, so würde ein Durchschnitt durch jene Schichtenreihe wahrscheinlich nicht alle die feinen Abstufungen zu Tage fördern, welche nach meiner Theorie die Anfangs- mit der Endform jener Art verkettet haben müssen; man würde vielmehr sprungweise, wenn auch vielleicht nur kleine Veränderungen zu sehen bekommen.

Es ist nun äußerst wichtig sich zu erinnern, daß die Naturforscher keine feste Bestimmung haben, um Arten von Varietäten zu unterscheiden. Sie gestehen jeder Art einige Veränderlichkeit zu; wenn sie aber etwas größere Unterschiede zwischen zwei Formen wahrnehmen, so machen sie Arten daraus, wofern sie nicht etwa im Stande sind, dieselben durch engste Zwischenstufen mit einander zu verbinden. Und diese dürfen wir nach den zuletzt angegebenen Gründen selten hoffen, in einem geologischen Durchschnitte zu finden. Nehmen wir an, B und C seien zwei Arten, und eine dritte A werde in einer tieferen und älteren Schicht gefunden. Hielte nun selbst A genau das Mittel zwischen B und C, so würde man sie wohl einfach als eine weitere dritte Art ansehen, wenn nicht gleichzeitig ihre Verbindung mit einer von beiden oder mit beiden andern durch Zwischenvarietäten nachgewiesen werden könnte. Auch muß man nicht vergessen, daß, wie vorhin erläutert worden, wenn A auch der wirkliche Stammvater von B und C ist, derselbe doch nicht in allen Punkten der Organisation nothwendig das Mittel zwischen beiden halten muß. So könnten wir denn sowohl die Stammart als auch die von ihr durch Umwandlung abgeleiteten Formen aus den untern und obern Schichten einer [384] und derselben Formation erhalten und doch vielleicht in Ermangelung zahlreicher Übergangsstufen ihre Blutverwandtschaft zu einander nicht erkennen, sondern alle für eigenthümliche Arten anzusehen veranlaßt werden.

Es ist eine bekannte Sache, auf was für äußerst kleine Unterschiede manche Paläontologen ihre Arten gegründet haben, und sie thun dies auch um so leichter, wenn ihre Exemplare aus verschiedenen Etagen einer Formation herrühren. Einige erfahrene Conchyliologen setzen jetzt viele von den sehr schönen Arten d’Orbiqny’s u. A. zum Range bloßer Varietäten herunter, und thun wir dies, so erhalten wir die Form von Beweis für die Abänderung, welche wir nach meiner Theorie finden müssen. Berücksichtigen wir ferner die jüngeren tertiären Ablagerungen mit so vielen Weichthierarten, welche die Mehrzahl der Naturforscher für identisch mit noch lebenden Arten hält; andere ausgezeichnete Forscher, wie Agassiz und Pictet, halten diese tertiären Arten aber alle für von diesen letzten specifisch verschieden, wenn sie auch zugeben, daß die Unterschiede nur sehr gering sein mögen. Wenn wir nun nicht glauben wollen, daß diese vorzüglichen Naturforscher durch ihre Phantasie verführt worden sind und daß diese jüngst-tertiären Arten wirklich durchaus gar keine Verschiedenheiten von ihren jetzt lebenden Repräsentanten darbieten, oder annehmen, daß die große Mehrzahl der Forscher Unrecht hat und daß die tertiären Arten alle von den jetzt lebenden wahrhaft distinct sind, so erhalten wir hier den Beweis vom häufigen Vorkommen der geforderten leichten Modificationen. Wenn wir überdies größere Zeitunterschiede, den aufeinander folgenden Stöcken einer nämlichen großen Formation entsprechend, berücksichtigen, so finden wir, daß die in ihnen eingeschlossenen Fossilen, wenn auch gewöhnlich allgemein als verschiedene Arten betrachtet, doch immerhin bei weitem näher mit einander verwandt sind, als die in weit getrennten Formationen enthaltenen Arten; so daß wir auch hier einen unzweifelhaften Beleg einer stattgefundenen Veränderung nach Maßgabe meiner Theorie erhalten. Doch werde ich auf diesen Gegenstand im folgenden Abschnitte zurückkommen.

Bei Thieren und Pflanzen, welche sich rasch vervielfältigen und nicht viel wandern, haben wir, wie früher gezeigt wurde, Grund zu vermuthen, daß ihre Varietäten anfangs gewöhnlich local sind, und daß solche örtliche Varietäten sich nicht weit verbreiten und ihre [385] Stammformen erst ersetzen, wenn sie sich in einem etwas beträchtlicheren Maße modificirt und vervollkommnet haben. Nach dieser Annahme ist die Aussicht, alle die früheren Übergangsstufen zwischen je zwei solchen Arten in einer Formation irgend einer Gegend in übereinander folgenden Schichten zu finden nur klein, weil vorauszusetzen ist, daß die einzelnen Übergangsstufen als Localformen auf eine bestimmte Stelle beschränkt gewesen sind. Die meisten Seethiere besitzen eine weite Verbreitung; und da wir gesehen haben, daß die Pflanzen welche am weitesten verbreitet sind, auch am öftesten Varietäten darbieten, so werden auch unter den Mollusken und andern Seethieren höchst wahrscheinlich diejenigen, welche sich vordem am weitesten verbreitet haben, weit über die Grenzen der bekannten geologischen Formationen Europas, auch am öftesten die Bildung anfangs localer Varietäten und endlich neuer Arten veranlaßt haben. Auch dadurch muß die Wahrscheinlichkeit in irgend welcher geologischen Formation die Reihenfolge der Übergangsstufen aufzufinden außerordentlich vermindert werden.

Eine zu demselben Resultat führende, neuerdings von Falconer betonte Betrachtung ist noch wichtiger, daß nämlich die Zeiträume, während deren die Arten einer Modification unterlagen, wenn auch nach Jahren bemessen sehr lang, doch im Verhältnis zu den Zeiträumen, während deren dieselben Arten keine Veränderung erfuhren, wahrscheinlich kurz waren.

Man darf nicht vergessen, daß man heutigen Tages, selbst wenn man vollständige Exemplare zur Untersuchung hat, selten zwei Formen durch Zwischenvarietäten verbinden und so deren Zusammengehörigkeit zu einer Art beweisen kann, wenn man nicht viele Exemplare von vielen Örtlichkeiten zusammengebracht hat; und bei fossilen Arten ist man selten im Stande dies zu thun. Man wird vielleicht am besten begreifen, wie wenig wahrscheinlich wir in der Lage sein können, Arten durch zahlreiche feine fossil gefundene Zwischenglieder unter einander zu verketten, wenn wir uns selbst fragen, ob z. B. Geologen späterer Zeiten im Stande sein würden zu beweisen, daß unsere verschiedenen Rinder-, Schaf-, Pferde- und Hunderassen von einem oder von mehreren ursprünglichen Stämmen herkommen, – oder ferner ob gewisse Seeconchylien der nord-americanischen Küsten, welche von einigen Conchyliologen als von ihren europäischen Vertretern abweichende Arten und von andern Conchyliologen als bloße Varietäten [386] derselben angesehen werden, wirklich nur Varietäten oder sogenannte eigene Arten sind. Dies könnte künftigen Geologen nur gelingen, wenn sie viele fossile Zwischenstufen entdeckten, was jedoch im höchsten Grade unwahrscheinlich ist.

Es ist von Schriftstellern, welche an die Unveränderlichkeit der Arten glauben, immer und immer wieder behauptet worden, die Geologie liefere keine vermittelnden Formen. Diese Behauptung ist aber, wie wir im nächsten Capitel sehen werden, sicherlich falsch. Sir J. Lubbock sagt: „jede Art ist ein Mittelglied zwischen andern verwandten Formen.“ Wir erkennen dies deutlich, wenn wir aus einer Gattung, welche reich an fossilen und lebenden Arten ist, vier Fünftel der Arten ausstoßen, wo dann niemand bezweifeln wird, daß die Lücken zwischen den noch übrig bleibenden Arten größer sein werden als vorher. Sind es zufällig die extremen Formen, welche man ausgestoßen hat, so wird die Gattung selbst in der Regel von andern Gattungen weiter getrennt erscheinen als vorher. Was die geologischen Forschungen nicht enthüllt haben, das ist das frühere Dasein der unendlich zahlreichen Abstufungen vom Range wirklicher Varietäten zur Verkettung aller unsrer jetzt existirenden Arten mit ausgestorbenen Species. Dies darf man aber nicht erwarten; und doch ist dies wiederholt als ein sehr bedenklicher Einwand gegen meine Ansichten vorgebracht worden.

Es dürfte angemessen sein, die vorangehenden Bemerkungen über die Ursachen der Unvollständigkeit der geologischen Urkunden zusammenzufassen und durch einen ersonnenen Fall zu erläutern. Der Malayische Archipel ist etwa von der Größe Europa’s vom Nordcap bis zum Mittelmeere und von England bis Rußland, entspricht mithin der Ausdehnung desjenigen Theiles der Erdoberfläche, auf welchem, Nord-America ausgenommen, alle geologischen Formationen am sorgfältigsten und zusammenhängendsten untersucht worden sind. Ich stimme mit Godwin-Austen vollkommen überein, daß der jetzige Zustand des Malayischen Archipels mit seinen zahlreichen durch breite und seichte Meeresarme getrennten Inseln wahrscheinlich dem früheren Zustande Europa’s, während noch die meisten unserer Formationen in Ablagerung begriffen waren, entspricht. Der Malayische Archipel ist eine der an Organismen reichsten Gegenden der ganzen Erdoberfläche; aber wenn man auch alle Arten sammelte, welche jemals da gelebt haben, wie unvollständig würden sie die Naturgeschichte der ganzen Erde vertreten.

[387] Indessen haben wir alle Ursache zu glauben, daß die Überreste der Landbewohner dieses Archipels nur äußerst unvollständig in die Formationen übergehen dürften, die unserer Annahme gemäß sich dort ablagern. Es würden selbst nicht viele der eigentlichen Küstenbewohner und der auf kahlen untermeerischen Felsen wohnenden Thiere in die neuen Schichten eingeschlossen werden; und die etwa in Kies und Sand eingeschlossenen dürften keiner späten Nachwelt überliefert werden. Da wo sich aber keine Niederschläge auf dem Meeresboden bildeten oder sich nicht in genügender Schnelligkeit anhäuften, um organische Einflüsse gegen Zerstörung zu schützen, da würden auch gar keine organischen Überreste erhalten werden können.

An Fossilen reiche und hinreichend mächtige Formationen um bis zu einer eben so weit in der Zukunft entfernten Zeit zu reichen, als die Secundärformationen bereits hinter uns liegen, würden im Allgemeinen nur während der Perioden der Senkung in dem Archipel entstehen können. Diese Perioden der Senkung würden dann durch unermeßliche Zwischenzeiten, entweder der Hebung oder der Ruhe, von einander getrennt werden; während der Hebung würden alle fossilführenden Formationen an steilen Küsten, und zwar fast so schnell, als sie entstanden, durch die ununterbrochene Thätigkeit der Brandung wieder zerstört werden, wie wir es jetzt an den Küsten Süd-Americas sehen; und selbst in ausgedehnten und seichten Meeren innerhalb des Archipels können während der Perioden der Hebung durch Niederschlag gebildete Schichten kaum in großer Mächtigkeit angehäuft oder von späteren Bildungen so bedeckt oder geschützt werden, daß ihnen eine Erhaltung bis in eine ferne Zukunft in wahrscheinlicher Aussicht stünde. Während der Senkungszeiten würden wahrscheinlich viele Lebensformen zu Grunde gehen, während der Hebungsperioden dagegen sich die Formen am meisten durch Abänderung entfalten, aber die geologischen Denkmäler würden dann weniger vollkommen sein.

Es wäre zu bezweifeln, ob die Dauer irgend einer großen Periode einer über den ganzen Archipel oder einen Theil desselben sich erstreckenden Senkung mit einer entsprechenden gleichzeitigen Sedimentablagerung die mittlere Dauer der alsdann vorhandenen specifischen Formen übertreffen würde; und doch würde diese Bedingung unerläßlich nothwendig sein für die Erhaltung aller Übergangsstufen zwischen irgend welchen zwei oder mehreren Arten. Wenn diese [388] Zwischenstufen aber nicht alle vollständig erhalten werden, dann werden Übergangsvarietäten einfach als eben so viele neue wenn auch nahe verwandte Species erscheinen. Es ist auch wahrscheinlich, daß eine jede große Senkungsperiode auch durch Höhenschwankungen unterbrochen würde und daß kleine climatische Veränderungen während solcher langer Zeiträume erfolgen würden. In diesem Falle würden die Bewohner des Archipels zu Wanderungen veranlaßt, so daß kein genau zusammenhängender Bericht über deren Abänderungsgang in einer der dortigen Formationen niedergelegt werden könnte.

Sehr viele der Meeresbewohner jenes Archipels wohnen gegenwärtig noch tausende von englischen Meilen weit über seine Grenzen hinaus, und die Analogie führt offenbar zu der Annahme, daß es hauptsächlich diese weitverbreiteten Arten, wenn auch nur einige von ihnen, sein werden, welche am häufigsten neue Varietäten darbieten würden. Diese Varietäten dürften anfangs gewöhnlich nur local oder auf eine Örtlichkeit beschränkt sein, jedoch, wenn sie als solche irgend einen Vortheil voraus haben, oder wenn sie noch weiter abgeändert und verbessert werden, sich allmählich ausbreiten und ihre Stammeltern ersetzen. Kehrten dann solche Varietäten in ihre alte Heimath zurück, so würden sie, weil sie vielleicht zwar nur wenig, aber doch einförmig von ihrer früheren Beschaffenheit abweichen und in unbedeutend verschiedenen Unterabtheilungen der nämlichen Formation eingeschichtet gefunden würden, nach den Grundsätzen vieler Paläontologen als neue und verschiedene Arten aufgeführt werden.

Wenn daher diese Bemerkungen einigermaßen begründet sind, so sind wir nicht berechtigt zu erwarten, in unseren geologischen Formationen eine endlose Anzahl solcher feinen Übergangsformen zu finden, welche nach meiner Theorie alle früheren und jetzigen Arten einer Gruppe zu einer langen und verzweigten Kette von Lebensformen verbunden haben. Wir werden uns nur nach einigen wenigen (und gewiß zu findenden) Zwischengliedern umsehen müssen, von welchen die einen weiter und die andern näher mit einander verbunden sind; und diese Glieder, grenzten sie auch noch so nahe an einander, würden von vielen Paläontologen für verschiedene Arten erklärt werden, sobald sie in verschiedene Schichten einer Formation vertheilt sind. Jedoch gestehe ich ein, daß ich nie geglaubt haben würde, welch’ dürftige Nachricht von der Veränderung der einstigen Lebensformen uns auch das beste geologische Profil gewährte, hätte nicht [389] die Abwesenheit jener zahllosen Mittelglieder zwischen den am Anfang und am Ende einer jeden Formation lebenden Arten meine Theorie so sehr ins Gedränge gebracht.


Plötzliches Auftreten ganzer Gruppen verwandter Arten.

Das plötzliche Erscheinen ganzer Gruppen neuer Arten in gewissen Formationen ist von mehreren Paläontologen, wie z. B. von Agassiz, Pictet und Sedgwick, als bedenklichster Einwand gegen den Glauben an eine allmähliche Umgestaltung der Arten hervorgehoben worden. Wären wirklich zahlreiche Arten von einerlei Gattung oder Familie auf einmal plötzlich ins Leben getreten, so müßte diese Thatsache freilich meiner Theorie einer Descendenz mit langsamer Abänderung durch natürliche Zuchtwahl verderblich werden. Denn die Entwickelung einer Gruppe von Formen, die alle von einem Stammvater herrühren, durch dieses Mittel muß ein äußerst langsamer Proceß gewesen und auch die Stammformen selbst müssen schon sehr lange vor ihren abgeänderten Nachkommen gelebt haben. Aber wir überschätzen fortwährend die Vollständigkeit der geologischen Berichte und schließen fälschlich, daß, weil gewisse Gattungen oder Familien noch nicht unterhalb einer gewissen geologischen Schicht gefunden worden sind, sie auch noch nicht vor dieser Formation existirt haben. In allen Fällen verdienen positive paläontologische Beweise ein unbedingtes Vertrauen, während solche von negativer Art, wie die Erfahrung so oft ergibt, werthlos sind. Wir vergessen fortwährend, wie groß die Welt der kleinen Fläche gegenüber ist, über die sich unsere genauere Untersuchung geologischer Formationen erstreckt hat; wir vergessen, daß Artengruppen andererseits schon lange vertreten gewesen und sich langsam vervielfältigt haben können, bevor sie in die alten Archipele Europas und der Vereinigten Staaten eingedrungen sind. Wir bringen die enorme Länge der Zeiträume nicht genug in Anschlag, welche wahrscheinlich zwischen der Ablagerung unserer unmittelbar aufeinander gelagerten Formationen verflossen und vermuthlich in vielen Fällen länger als diejenigen gewesen sind, die zur Ablagerung einer jeden Formation erforderlich waren. Diese Zwischenräume werden lang genug für die Vervielfältigung der Arten von irgend einer Stammform aus gewesen sein, so daß dann solche Gruppen von Arten in der jedesmal nachfolgenden Formation so erscheinen konnten, als ob sie erst plötzlich geschaffen worden seien.

[390] Ich will hier an eine schon früher gemachte Bemerkung erinnern, daß nämlich wohl ein äußerst langer Zeitraum dazu gehören dürfte, bis ein Organismus sich einer ganz neuen und besonderen Lebensweise anpasse, wie z. B. durch die Luft zu fliegen, und daß dem entsprechend die Übergangsformen oft lange auf eine bestimmte Gegend beschränkt bleiben müssen; daß aber, wenn diese Anpassung einmal bewirkt worden ist und nur einmal eine geringe Anzahl von Arten hierdurch einen großen Vortheil vor andern Organismen erworben hat, nur noch eine verhältnißmäßig kurze Zeit dazu erforderlich ist, um viele auseinanderweichende Formen hervorzubringen, welche dann geeignet sind, sich schnell und weit über die Erdoberfläche zu verbreiten. Professor Pictet sagt in dem vortrefflichen Berichte, welchen er über dieses Buch gibt, bei Erwähnung der frühesten Übergangsformen beispielsweise von den Vögeln: er könne nicht einsehen, welchen Vortheil die allmähliche Abänderung der vorderen Gliedmaßen einer angenommenen Stammform dieser zu gewähren im Stande gewesen sein sollte? Betrachten wir aber die Pinguine der südlichen Weltmeere; sind denn nicht bei diesen Vögeln die Vordergliedmaßen gerade eine Zwischenform von „weder wirklichen Armen noch wirklichen Flügeln?“ Und doch behaupten diese Vögel im Kampfe um’s Dasein siegreich ihre Stelle, zahllos an Individuen und in mannichfaltigen Arten. Ich bin nicht der Meinung, hier eine der wirklichen Übergangsstufen zu sehen, durch welche der Flügel der Vögel sich gebildet habe; was für eine Schwierigkeit liegt wohl aber gegen die Meinung vor, daß es den modificirten Nachkommen dieser Pinguine von Nutzen sein würde, wenn sie allmählich solche Abänderung erführen, daß sie zuerst gleich der Dickkopf-Ente (Micropterus brachypterus) flach über den Meeresspiegel hinflattern und endlich sich erheben und durch die Luft schweben lernten?

Ich will nun einige wenige Beispiele zur Erläuterung dieser Bemerkungen und insbesondere zum Nachweise darüber mittheilen, wie leicht wir uns in der Meinung, daß ganze Artengruppen auf einmal entstanden seien, irren können. Schon die kurze Zeit, welche zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe von Pictet’s Paläontologie verflossen ist (1844–46 bis 1853–57) hat zur wesentlichen Umgestaltung der Schlüsse über das erste Auftreten und das Erlöschen verschiedener Thiergruppen geführt, und eine dritte Auflage würde schon wieder bedeutende Veränderungen erheischen. Ich will zuerst an die [391] wohlbekannte Thatsache erinnern, daß nach den noch vor wenigen Jahren erschienenen Lehrbüchern der Geologie die große Classe der Säugethiere ganz plötzlich am Anfange der Tertiärperiode aufgetreten sein sollte; und nun zeigt sich eine der im Verhältnis ihrer Dicke reichsten Lagerstätten fossiler Säugethierreste mitten in der Secundärreihe, und echte Säugethiere sind in Anfangsschichten dieser großen Reihe, im [triasischen] New red Sandstone entdeckt worden. Cuvier pflegte Nachdruck darauf zu legen, daß noch kein Affe in irgend einer Tertiärschicht gefunden worden sei; jetzt aber kennt man fossile Arten von Vierhändern in Ost-Indien, in Süd-America und in Europa, sogar schon aus der miocenen Periode. Hätte uns nicht ein seltener Zufall die zahlreichen Fährten im New red Sandstone der Vereinigten Staaten aufbewahrt, wie würden wir anzunehmen gewagt haben, daß außer Reptilien auch schon nicht weniger als mindestens dreißig Vogelarten, einige von riesiger Größe, in so früher Zeit existirt hätten; und es ist noch nicht ein Stückchen Knochen in jenen Schichten gefunden worden. Bis vor kurzer Zeit behaupteten Paläontologen, daß die ganze Classe der Vögel plötzlich während der eocenen Periode aufgetreten sei; doch wissen wir jetzt nach Owen’s Autorität, daß ein Vogel gewiß schon zur Zeit gelebt hat, als der obere Grünsand sich ablagerte; und in noch neuerer Zeit ist jener merkwürdige Vogel, Archaeopteryx, in den Solenhofener oolithischen Schiefern entdeckt worden mit einem langen eidechsenartigen Schwanze, der an jedem Gliede ein paar Federn trägt, und mit zwei freien Klauen an seinen Flügeln. Kaum irgend eine andere Entdeckung zeigt eindringlicher als diese, wie wenig wir noch von den früheren Bewohnern der Erde wissen.

Ich will noch ein anderes Beispiel anführen, was mich, als unter meinen eigenen Augen vorkommend, sehr frappirte. In der Abhandlung über fossile sitzende Cieripeden schloß ich aus der Menge von lebenden und von erloschenen tertiären Arten, aus dem außerordentlichen Reichthume vieler Arten an Individuen und deren Verbreitung über die ganze Erde von den arktischen Regionen an bis zum Äquator und von der oberen Fluthgrenze an bis zu 50 Faden Tiefe hinab, aus der vollkommenen Erhaltungsweise ihrer Reste in den ältesten Tertiärschichten, aus der Leichtigkeit selbst einzelne Klappen zu erkennen und zu bestimmen: aus allen diesen Umständen schloß ich, daß, wenn es in der secundären Periode sitzende Cirripeden gegeben hätte, solche [392] gewiß erhalten und wieder entdeckt worden sein würden; da jedoch noch keine Schale einer Species in Schichten dieses Alters damals gefunden worden war, so folgerte ich weiter, daß sich diese große Gruppe erst im Beginne der Tertiärzeit plötzlich entwickelt habe. Es war dies eine Verlegenheit für mich, da es, wie ich damals glaubte, noch ein weiteres Beispiel vom plötzlichen Auftreten einer großen Artengruppe darböte. Kaum war jedoch mein Werk erschienen, als ein bewährter Paläontolog, H. Bosquet, mir eine Zeichnung von einem vollständigen Exemplare eines unverkennbaren sitzenden Cirripeden sandte, welchen er selbst aus der belgischen Kreide entnommen hatte. Und um den Fall so treffend als möglich zu machen, so ist dieser sitzende Cirripede ein Chthamalus, eine sehr gemeine, große und überall weitverbreitete Gattung, von welcher sogar in tertiären Schichten bis jetzt noch kein einziges Exemplar gefunden worden war. In noch neuerer Zeit ist ein Pyrgoma, ein Glied einer verschiedenen Unterfamilie sitzender Cirripeden von Woodward in der oberen Kreide entdeckt worden, so daß wir jetzt völlig ausreichende Beweise für die Existenz dieser Thiergruppe während der Secundärzeit besitzen.

Derjenige Fall vom scheinbar plötzlichen Auftreten einer ganzen Artengruppe, auf welchen sich die Paläontologen am öftesten berufen, ist die Erscheinung der echten Knochenfische oder Teleostier, Agassiz’s Angabe zufolge erst in den unteren Schichten der Kreideperiode. Diese Gruppe enthält bei weitem die größte Anzahl der jetzigen Fische. Gewisse jurassische und triasische Formen werden aber jetzt gewöhnlich für Teleostier gehalten, und selbst einige paläozoische Formen sind von einer bedeutenden Autorität dahin gerechnet worden. Wären die Teleostier wirklich auf der nördlichen Hemisphäre plötzlich zu Anfang der Kreidezeit erschienen, so wäre die Thatsache freilich höchst merkwürdig; aber auch in ihr vermöchte ich noch keine unübersteigliche Schwierigkeit für meine Theorie zu erkennen, wenn nicht gleichfalls erwiesen wäre, daß die Arten dieser Gruppe in andern Theilen der Erde plötzlich und gleichzeitig in einer und derselben Periode aufgetreten seien. Es ist fast überflüssig zu bemerken, daß ja noch kaum ein fossiler Fisch von der Südseite des Äquators bekannt ist; und geht man Pictet’s Paläontologie durch, so sieht man, daß selbst aus mehreren Formationen Europas erst sehr wenige Arten bekannt worden sind. Einige wenige Fischfamilien haben jetzt enge Verbreitungsgrenzen; dies könnte auch mit den Teleostiern der Fall [393] gewesen sein, so daß sie erst dann, nachdem sie sich in diesem oder jenem Meere sehr entwickelt, sich weit verbreitet hätten. Auch sind wir nicht anzunehmen berechtigt, daß die Weltmeere von Norden nach Süden allezeit so offen wie jetzt gewesen sind. Selbst heutigen Tages könnte der tropische Theil des Indischen Oceans durch eine Hebung des Malayischen Archipels über den Meeresspiegel in ein großes geschlossenes Becken verwandelt werden, worin sich irgend welche große Seethiergruppe zu entwickeln und vervielfältigen vermöchte; und da würde sie dann eingeschlossen bleiben, bis einige der Arten für ein kühleres Clima geeignet und in Stand gesetzt worden wären, die Südcaps von Africa und Australien zu umwandern und so in andere ferne Meere zu gelangen.

Aus diesen Betrachtungen, ferner in Berücksichtigung unserer Unkunde über die geologischen Verhältnisse anderer Weltgegenden außerhalb Europa’s und Nord-America’s, endlich nach dem Umschwung, welchen unsere paläontologischen Vorstellungen durch die Entdeckungen während des letzten Dutzend von Jahren erlitten haben, glaube ich folgern zu dürfen, daß wir eben so übereilt handeln würden, die bei uns bekannt gewordene Art der Aufeinanderfolge der Organismen auf die ganze Erdoberfläche zu übertragen, als ein Naturforscher thäte, welcher nach einer Landung von fünf Minuten an irgend einem öden Küstenpunkte Australiens auf die Zahl und Verbreitung seiner Organismen schließen wollte.


Plötzliches Erscheinen ganzer Gruppen verwandter Arten in den untersten fossilführenden Schichten.

Es gibt noch eine andere und verwandte Schwierigkeit, welche noch bedenklicher ist; ich meine das plötzliche Auftreten von Arten aus mehreren der Hauptabtheilungen des Thierreichs in den untersten fossilführenden Gesteinen. Die meisten der Gründe, welche mich zur Überzeugung geführt haben, daß alle lebenden Arten einer Gruppe von einem gemeinsamen Urerzeuger herrühren, sind mit gleicher Stärke auch auf die ältesten fossilen Arten anwendbar. So läßt sich z. B. nicht daran zweifeln, daß alle cambrischen und silurischen Trilobiten von irgend einem Kruster herkommen, welcher lange vor der cambrischen Zeit gelebt haben muß und wahrscheinlich von allen jetzt bekannten Krustern sehr verschieden war. Einige der ältesten Thiere sind zwar nicht sehr von noch jetzt lebenden Arten verschieden, wie [394] Lingula, Nautilus u. a., und man kann nach meiner Theorie nicht annehmen, daß diese alten Arten die Erzeuger aller der später erschienenen Arten derselben Ordnungen gewesen sind, wozu sie gehören, indem sie in keiner Weise Mittelformen zwischen denselben darbieten.

Wenn also meine Theorie richtig ist, so müßten unbestreitbar schon vor Ablagerung der ältesten cambrischen Schichten eben so lange oder wahrscheinlich noch längere Zeiträume verflossen sein, als der ganze Zeitraum von der cambrischen Zeit bis auf den heutigen Tag; und es müßte die Erdoberfläche während dieser unendlichen Zeiträume von lebenden Geschöpfen dicht bewohnt gewesen sein. Hier stoßen wir auf einen äußerst bedenklichen Einwurf; denn es scheint zweifelhaft, ob die Erde lange genug in einem zum Bewohntwerden passenden Zustand gewesen ist. Sir W. Thompson kommt zu dem Schlusse, daß das Festwerden der Erdrinde kaum vor weniger als 20 oder vor mehr als 400 Millionen Jahren, wahrscheinlich aber vor nicht weniger als 90 oder nicht mehr als 200 Millionen Jahren eingetreten ist. Diese sehr weiten Grenzen zeigen wie zweifelhaft die Zeitangaben sind; und es mögen vielleicht noch andere Elemente in die Betrachtung des Problems einzuführen sein. Croll schätzt die seit der cambrischen Periode verflossene Zeit auf ungefähr 60 Millionen Jahre; aber nach dem geringen Betrag von Veränderung der organischen Welt seit dem Beginn der Glacialperiode zu urtheilen, scheint dies für die vielen und bedeutenden Änderungen der Lebensformen, welche sicher seit der cambrischen Formation eingetreten sind, eine sehr kurze Zeit zu sein; und die vorausgehenden 140 Millionen Jahre können für die Entwickelung der verschiedenartigen Lebensformen, welche bereits während der cambrischen Periode existirten, kaum als genügend betrachtet werden. Es ist indeß, wie Sir W. Thompson betont, wahrscheinlich, daß die Erde in einer sehr frühen Zeit schnelleren und heftigeren Veränderungen in ihren physikalischen Verhältnissen ausgesetzt gewesen ist, als wie solche jetzt vorkommen; und solche Veränderungen würden dann zu entsprechend schnellen Veränderungen in den organischen Wesen geführt haben, welche die Erde in jener Zeit bewohnten.

Was nun die Frage betrifft, warum wir aus diesen vermuthlich frühesten Perioden vor dem cambischen System keine an Fossilen reichen Ablagerungen mehr finden, so kann ich darauf keine genügende [395] Antwort geben. Mehrere ausgezeichnete Geologen, wie Sir R. Murchison an ihrer Spitze, waren bis vor Kurzem überzeugt, in den organischen Resten der untersten Silurschichten die Wiege des Lebens auf unserem Planeten zu erblicken. Andere hochbewährte Richter, wie Sir Ch. Lyell und Edw. Forbes haben diese Behauptung bestritten. Wir dürfen nicht vergessen, daß nur ein geringer Theil unserer Erdoberfläche mit einiger Genauigkeit erforscht ist. Erst unlängst hat Barrande dem bis jetzt bekannten silurischen Systeme noch eine andere tiefere Etage angefügt, die reich ist an neuen und eigenthümlichen Arten; und jetzt hat Mr. Hicks noch tiefer, in der untern cambrischen Formation in Süd-Wales an Trilobiten reiche Schichten, welche verschiedene Mollusken und Anneliden einschließen, gefunden. Die Anwesenheit phosphatehaltiger Nieren und bituminöser Materien selbst in einigen der untersten azoischen Schichten, deutet wahrscheinlich auf ein ehemaliges noch früheres Leben in denselben hin; und die Existenz des Eozoon in der Laurentischen Formation von Canada wird jetzt allgemein zugegeben. Es finden sich in Canada drei große Schichten unter dem Silursystem, in deren unterster das Eozoon gefunden wurde. Sir W. Logan führt an, daß ihre „gemeinsame Mächtigkeit möglicherweise die aller folgenden Gesteine von der Basis der paläozoischen Reihe bis zur Jetztzeit übertrifft. Wir werden hiedurch in eine so entfernte Periode zurückversetzt, daß das Auftreten der sogenannten Primordialfauna (Barrande’s) als vergleichsweise neues Ereignis betrachtet werden kann.“ Das Eozoon gehört zu den niedrigst organisirten Classen des Thierreichs, seiner Classenstellung nach ist es aber hoch organisirt; es existirte in zahllosen Schaaren und lebte, wie Dawson bemerkt hat, sicher von andern kleinsten organischen Wesen, die wieder in großer Zahl vorhanden gewesen sein müssen. Die obigen Worte, welche ich 1859 über die Existenz lebender Wesen lange Zeit vor dem cambrischen Systeme niederschrieb, und welche fast dieselben sind, die seitdem Sir W. Logan ausgesprochen hat, haben sich daher als richtig erwiesen. Trotz dieser mannichfachen Thatsachen bleibt doch die Schwierigkeit, irgend einen guten Grund für den Mangel ungeheurer, an Fossilen reicher Schichtenlager unter dem cambrischen System anzugeben, sehr groß. Es scheint nicht wahrscheinlich, daß diese ältesten Schichten durch Entblößungen ganz und gar weggewaschen oder ihre Fossile durch Metamorphismus ganz und gar unkenntlich gemacht worden seien, denn sonst müßten [396] wir auch nur noch ganz kleine Überreste der nächst-jüngeren Formationen entdecken, und diese müßten sich fast immer in einem theilweise metamorphischen Zustande befinden. Aber die Beschreibungen, welche wir jetzt von den silurischen Ablagerungen in den unermeßlichen Ländergebieten in Rußland und Nord-America besitzen, sprechen nicht zu Gunsten der Meinung, daß, je älter eine Formation ist, sie desto mehr durch Entblößung und Metamorphismus gelitten haben müsse.

Diese Thatsache muß fürerst unerklärt bleiben und wird mit Recht als eine wesentliche Einrede gegen die hier entwickelten Ansichten hervorgehoben werden. Ich will jedoch folgende Hypothese aufstellen, um zu zeigen, daß doch vielleicht später eine Erklärung möglich ist. Aus der Natur der in den verschiedenen Formationen Europa’s und der Vereinigten Staaten vertretenen organischen Wesen, welche keine großen Tiefen bewohnt zu haben scheinen, und aus der ungeheuren Masse der meilendicken Niederschläge, woraus diese Formationen bestehen, können wir zwar schließen, daß von Anfang bis zu Ende große Inseln oder Landstriche, aus welchen die Sedimente herbeigeführt wurden, in der Nähe der jetzigen Continente von Europa und Nord-America existirt haben müssen. Dieselbe Ansicht ist seitdem auch von Agassiz und Andern aufgestellt worden. Aber vom Zustande der Dinge in den langen Perioden, welche zwischen der Bildung dieser Formationen verflossen sind, wissen wir nichts; wir vermögen nicht zu sagen, ob während derselben Europa und die Vereinigten Staaten als trockene Länderstrecken oder als untermeerische Küstenflächen, auf welchen inzwischen keine Ablagerungen erfolgten, oder als Meeresboden eines offenen und unergründlichen Oceans vorhanden waren.

Betrachten wir die jetzigen Weltmeere, welche dreimal so viel Fläche als das trockene Land einnehmen, so finden wir sie mit zahlreichen Inseln besäet; aber kaum eine einzige echt oceanische Insel (mit Ausnahme von Neu-Seeland, wenn man dies eine echte oceanische Insel nennen kann) hat bis jetzt einen Überrest von paläozoischen oder secundären Formationen geliefert. Man kann daraus vielleicht schließen, daß während der paläozoischen und Secundärzeit weder Continente noch continentale Inseln da existirt haben, wo sich jetzt der Ocean ausdehnt; denn wären solche vorhanden gewesen, so würden sich nach aller Wahrscheinlichkeit aus dem von ihnen herbeigeführten Schutte [397] auch paläozoische und secundäre Schichten gebildet haben, und es würden dann in Folge der Niveauschwankungen, welche während dieser ungeheuer langen Zeiträume jedenfalls stattgefunden haben müssen, wenigstens theilweise Emporhebungen trockenen Landes erfolgt sein. Wenn wir also aus diesen Thatsachen irgend einen Schluß ziehen wollen, so können wir sagen, daß da, wo sich jetzt unsere Weltmeere ausdehnen, solche schon seit den ältesten Zeiten, von denen wir Kunde besitzen, bestanden haben, und daß andererseits da, wo jetzt Continente sind, große Landstrecken existirt haben, welche von der cambrischen Zeit an zweifelsohne großem Niveau Wechsel unterworfen gewesen sind. Die colorirte Karte, welche meinem Werke über die Corallenriffe beigegeben ist, führte mich zum Schluß, daß die großen Weltmeere noch jetzt hauptsächlich Senkungsfelder, die großen Archipele noch schwankende Gebiete und die Continente Hebungsgebiete sind. Aber wir haben kein Recht anzunehmen, daß diese Dinge sich seit dem Beginne dieser Welt gleich geblieben sind. Unsere Continente scheinen hauptsächlich durch vorherrschende Hebung während vielfacher Höhenschwankungen entstanden zu sein. Aber können nicht die Felder vorwaltender Hebungen und Senkungen ihre Rollen vor noch längerer Zeit umgetauscht haben? In einer unermeßlich früheren Zeit vor der cambrischen Periode können Continente da existirt haben, wo sich jetzt die Weltmeere ausbreiten, und können offene Weltmeere da gewesen sein, wo jetzt die Continente emporragen. Auch würde man noch nicht anzunehmen berechtigt sein, daß z. B. das Bett des stillen Oceans, wenn es jetzt in einen Continent verwandelt würde, uns Sedimentärformationen, welche in erkennbarer Weise älter als die cambrischen Schichten sind, darbieten müsse, vorausgesetzt, daß solche früher abgelagert worden wären; denn es wäre wohl möglich, daß Schichten, welche dem Mittelpunkte der Erde um einige Meilen näher rückten und von dem ungeheuren Gewichte darüber stehender Wasser zusammengedrückt wurden, weit stärkere metamorphische Einwirkungen erfahren haben als jene, welche näher an der Oberfläche verweilten. Die in einigen Weltgegenden, wie z. B. in Süd-America vorhandenen unermeßlichen Strecken unbedeckten metamorphischen Gebirges, welche der Hitze unter hohen Graden von Druck ausgesetzt gewesen sein müssen, haben mir immer einer besonderen Erklärung zu bedürfen geschienen; und vielleicht darf man annehmen, daß in ihnen die zahlreichen schon lange vor [398] der cambrischen Zeit abgesetzten Formationen in einem völlig metamorphischen und entblößten Zustande zu erblicken sind.


Die mancherlei hier erörterten Schwierigkeiten, welche namentlich daraus entspringen, daß wir in der Reihe der aufeinanderfolgenden geologischen Formationen zwar manche Mittelformen zwischen früher dagewesenen und jetzt vorhandenen Arten, nicht aber die unzähligen nur leicht abgestuften Zwischenglieder zwischen allen successiven Arten finden, – daß ganze Gruppen verwandter Arten in unsern europäischen Formationen oft plötzlich zum Vorschein kommen, – daß, so viel bis jetzt bekannt, ältere fossilführende Formationen noch unter den cambrischen Schichten fast gänzlich fehlen, – alle diese Schwierigkeiten sind zweifelsohne vom größten Gewichte. Wir ersehen dies am deutlichsten aus der Thatsache, daß die ausgezeichnetsten Paläontologen, wie Cuvier, Agassiz, Barrande, Pictet, Falconer, Edw. Forbes und andere, sowie alle unsere größten Geologen, Lyell, Murchison, Sedgwick etc. die Unveränderlichkeit der Arten einstimmig und oft mit großer Heftigkeit vertheidigt haben. Jetzt unterstützt aber Sir Charles Lyell mit seiner großen Autorität die entgegengesetzte Ansicht und die meisten andern Geologen und Paläontologen sind in ihrem Vertrauen sehr wankend geworden. Alle, welche die geologischen Urkunden für einigermaßen vollständig halten, werden zweifelsohne meine ganze Theorie auf einmal verwerfen. Ich für meinen Theil betrachte (um Lyell’s bildlichen Ausdruck durchzuführen) die geologischen Urkunden als eine Geschichte der Erde, unvollständig geführt und in wechselnden Dialekten geschrieben, von welcher Geschichte aber nur der letzte, bloß auf zwei oder drei Länder sich beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Bande ist nur hie und da ein kurzes Capitel erhalten und von jeder Seite sind nur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr oder weniger verschieden in den aufeinanderfolgenden Abschnitten, wird den Lebensformen entsprechen, welche in den aufeinanderfolgenden Formationen begraben liegen und welche uns fälschlich als plötzlich aufgetreten erscheinen. Nach dieser Ansicht werden die oben erörterten Schwierigkeiten zum großen Theile vermindert, oder sie verschwinden selbst.

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