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Ein Bild aus den jetzigen amerikanischen Zuständen

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Textdaten
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Autor: Otto Ruppius
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Titel: Ein Bild aus den jetzigen amerikanischen Zuständen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 398–399
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Deutschstämmige Einwohner zu Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs
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[398] Ein Bild aus den jetzigen amerikanischen Zuständen. St. Louis, Mitte Mai. Es giebt ein Wort in der englischen Sprache, für welchen der Deutsche keine völlig bezeichnende Uebersetzung hat, weil in seinem Leben ganz der Begriff dafür fehlt. Es ist das Wort „rowdy“, das einen Menschen bezeichnet, der, keck und verwogen, bei den kleinsten Gelegenheiten mit Messer und Revolver bei der Hand ist, dem ein Menschenleben nichts gilt und dessen Gemüthsrohheit alle bessern Eigenschaften, wenn er deren hat, paralysirt. Der genauere Beobachter amerikanischer Zustände aber erkennt bald, daß dieses Rowdy-Element den Grundzug des gesammten männlichen Amerikanerthums, vom Vereinigten-Staaten-Senator herab bis zum Sackträger, bildet – bei den gebildeteren Ständen von einem Firniß gesellschaftlicher Höflichkeit überzogen, der indessen im Zustande der Erregung sofort abspringt; bei den arbeitenden Classen offen zu Tage getragen und hier eine eigene Kaste professioneller Rowdies bildend, die sich hart an jede Art noch schlimmerer Gewerbe anschließt. Diesen Grundzug nennt der Amerikaner Unabhängigkeitsgefühl und respectirt ihn in seinen Kindern so, daß er dem zehnjährigen Knaben bereits den Gebrauch der Feuerwaffen gestattet und seiner Rohheit als ein Zeichen kräftigen Charakters völligen Raum läßt – und so sind blutige Messergefechte zwischen Schulknaben und jede Art der vulgärsten Kraftworte etwas Gewöhnliches – schlimmerer Dinge nicht zu gedenken.

Dieser durchgehende Rowdygeist ist der Fluch der amerikanischen Republik, die kein Mittel zu seiner Bändigung hat; er erzeugt die Prügeleien im Congresse und macht jeden Ort, an dem sich verschiedenartige politische Elemente bis zur Erhitzung reiben, zu einem blutigen Schlachtfelde, und den Messern und Revolvern erliegt gewöhnlich die gute Sache.

Der Süden wird in diesem Augenblicke völlig und allein von diesem Geiste regiert, und die Furcht vor dem Strick und Revolver, der Peitsche und dem Theeren und Federn hält jeden Ausdruck von Sympathie mit der Union nieder – in den Grenzsclavenstaaten aber, wie Virginien, Maryland, Tennessee, Kentucky und vor Allem Missouri, welche neben der Partei der Sclavenbesitzer eine unabhängige, freisinnige Bevölkerung einschließen, in denen das eingewanderte Element zahlreich vertreten ist, kämpft das Rowdythum für die südliche Partei noch um die Macht, und wo es hier und da die Ueberhand bekommt, jagt es die friedlichen Landbewohner von Haus und Hof, sengt und brennt und versucht durch den Schrecken jeden Widerstand zu ersticken.

St. Louis war noch die einzige Stadt in diesen Grenzsclavenstaaten, in welcher das deutsche Element, verbunden mit einem kleinen Theile unionstreuer amerikanischer Bevölkerung, die Rowdymacht der Secessionisten oder Anhänger der Südpartei niedergehalten hatte. Der Staats-Gouverneur, halb wahnsinnig vor Begierde, es den andern südlichen Staaten gleich zu thun, hatte umsonst alle Minen springen lassen, um den Widerstand des „fremden Elements“ zu brechen. Er kündigte dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, welcher die Stellung von Miliz-Regimentern für die bevorstehende Execution gegen die Baumwollen-Staaten gefordert, den Gehorsam – in Zeit von acht Tagen aber hatte das deutsche Element von St. Louis aus sich selbst fünf vollzählige Regimenter dem Präsidenten zur Disposition gestellt, welcher auch sogleich ihre Aufnahme in das hiesige Ver. Staaten Arsenal anordnete, um so einen kräftigen Schutz für die Unionsleute von St. Louis gegen das sich immer stärker erhebende Rowdythum der Secessionisten zu gewähren. Damit war aber aus der deutschen Bewohnerschaft auch die ganze junge wehrhafte Kraft gezogen, und zur Abwehr für augenblickliche Gefahren traten die Familienväter zusammen, eine „Home-Guard“ oder Heimathswehr von ca. 6000 Mann bildend. Jeden Tag marschirte ein Theil derselben nach dem Arsenale hinaus, um sich einschwören und mit Gewehren und Munition versehen zu lassen.

Mit Wuth waren Seitens des Gouverneurs und der Secessionisten-Partei diese Maßregeln wahrgenommen worden, und die ingrimmigste Rache ward Allem, was deutsch hieß, geschworen. Zwei Compagnien bereits einexercirter und gut bewaffneter Amerikaner, die sich „Minutenmänner“ nannten, vereinigten sich mit einer amerikanischen Miliz-Compagnie, um den Deutschen innerhalb der Stadt Widerpart zu halten; der Gouverneur aber, die Geringfügigkeit dieser Macht erkennend, ordnet die Bewaffnung des Staats an, stiehlt zu diesem Zwecke mit Hülfe des secessionistischen gesetzgebenden Körpern den Schulfond des Staats sammt den zur Bezahlung der Zinsen für die Staatsschuld bestimmten Geldern und befiehlt die Zusammenziehung eines Militair-Lagers bei St. Louis. Die ganze Hefe der Staats-Bevölkerung, das professionelle Rowdythum, die Hafenarbeiter [399] (unter dem Namen Levee-Ratten ein Schrecken aller ruhigen Leute) werden zusammengetrommelt, und ca. 2000 Mann stark wird an dem dem Arsenale entgegengesetzten Ende von St. Louis ein Lager aufgeschlagen, so daß die Stadt zwischen zwei sich bis auf den Tod hassenden Truppenkörpern liegt und jeden Augenblick einen Kampf in ihren Straßen erwarten muß.

Am letzten Donnerstag, den 9. Mai, landet nun noch ein Dampfschiff, zieht die Secessionsflagge auf und schifft für das Secessionslager vier Kanonen und eine gewaltige Masse Gewehre nebst Munition aus, und Alles geht, ohne das geringste Hinderniß zu finden, durch die Stadt nach seinem Bestimmungsorte. Die Deutschen sind in gewaltiger Aufregung, und die Entrüstung, daß der Commandant des Arsenals so ruhig der Verstärkung offener Landesverräther zusieht, ist allgemein. Aber der Kommandant hat mit Vorbedacht so gehandelt: die ganze Ladung war aus den südlichen Arsenalen der Ver. Staaten gestohlen, und jetzt hat er ein Recht, den Rowdies zu Leibe zu gehen.

Am Freitage Mittag durchzieht eine Macht von ca. 5000 Mann, mit Artillerie versehen, aus dem Arsenale kommend, die Stadt, die gesammte deutsche Heimathswehr ist daneben auf ihren Alarmplätzen versammelt, und die Stadt ist in fieberhafter Aufregung. Die Geschäfte schließen sich – aber wer nicht durchaus an sein Haus gebunden ist, eilt zu Pferde und Wagen, mit der Straßeneisenbahn oder zu Fuß nach dem Platze der Entscheidung – es scheint nicht ein Treffen, sondern eine aufregende Schaustellung bevorzustehen, und die „Ladies“, selbst Frauen mit Kindern machen einen ziemlich bedeutenden Theil der Neugierigen aus. So ist nun einmal der Amerikaner, und wenn die Kartätschen fliegen, er muß es sehen. Die Dispositionen waren so gut getroffen, daß das Secessionslager von den Unionsmannschaften wie mit einem Schlage völlig eingeschlossen war, und, jeder Hoffnung gegen die Uebermacht baar, giebt sich der Commandirende mit seinen Mannschaften gefangen. Die ganze wilde Bande wird, obwohl zähneknirschend, entwaffnet, und wer sich weigert, den Kampf gegen die Ver. Staaten abzuschwören, soll den Marsch nach dem Arsenal als Gefangener antreten. Unter der Zuschauermenge, die fast ganz aus secessionistischen Amerikanern besteht, ist die Erbitterung furchtbar – in jetzigen Zeiten geht Niemand zehn Schritte weit, ohne mit einem geladenen Revolver bewaffnet zu sein – und dem Rowdygelüste folgend, geben einige der Zuschauer auf die Unionstruppen Feuer; dies ist nur für Andere ein Signal, rechts und links, besonders aus den Wagen, fallen Schüsse: Steine fliegen sogleich von allen Seiten, und der so plötzlich attakirte Theil der Truppen schlägt an – die Angreifer stürzen unter die Masse der Frauen, die Wagen jagen davon. Alles zermalmend, was auf ihrem Wege ist, das Pelotonfeuer kracht, und heulend zerstiebt Alles – das Feld aber ist mit Leichen beiderlei Geschlechts bedeckt.

Düster treten die Truppen, ihre Gefangenen in der Mitte, den Heimmarsch an, in St. Louis sind die Straßen gespensterhaft todt – Jeder fürchtet einen Ausbruch des Rowdythums innerhalb der Stadt, die Home-Guards stehen die ganze Nacht unterm Gewehr, aber der Schlag war zu tiefgreifend, und nur an einzelnen Ecken standen lärmende Versammlungen echten Gesindels, deren Redner den Kreuzzug gegen die Deutschen und deren radicale Vertilgung predigten. Noch am Morgen desselben Tags hatte das unter der Autorität des Gouverneurs erscheinende „State Journal’ den Passus gebracht: „und dieser Krieg wird geführt werden, so lange noch ein Deutscher ein Leben auf dem Boden von Missouri zu verlieren oder ein Haus zu verbrennen hat!“ – was sollten sich also die Rowdies geniren? Blieb aber auch die Nacht äußerlich ruhig, so wurde doch im Geheimen gearbeitet – die reichen Amerikaner, meist sämmtlich Sclavenhalter und deshalb geschworene Feinde der Deutschen, thaten ihre Geldkasten auf, und wo nur eine Feuerwaffe zu kaufen war, wurde sie um jeden Preis erworben.

Der Sonnabend kam, und die bleischwere Angst lag auf der Stadt, die Geschäfte blieben geschlossen. – Rowdy-Haufen durchzogen die Straßen, jedes deutsche Gesicht, das sich zeigte, wurde insultirt, bald blieb es nicht mehr dabei; Hetzjagden wurden auf offener Straße angestellt, und wo es Widerstand gab, ward gefeuert – die Home-Guard war kaum erst organisirt und nur gegen stärkere Auflaufe zu gebrauchen – so zählte man schon zehn meuchelmörderisch Erschossene bis Mittag; mit jeder Minute aber ward der Fanatismus größer; „Tod den Deutschen!“ war das immer häufiger werdende Geschrei – die deutschen Quartiere aber waren wohl genug bewacht, und so, als es keine Menschen mehr zu morden gab, richtete sich die tolle Wuth gegen Hunde und Pferde – nur um knallen zu hören und Blut zu sehen.

Am Nachmittag wurde es eine Zeitlang still – es schien etwas vorbereitet zu werden und gegen 5 Uhr kam es schrecklich zum Vorschein. Die letzte Abtheilung der Home-Guard war nach dem Arsenal gegangen, circa 1000 Mann stark, um dort eingeschworen zu werden und ihre Waffen zu erhalten. Scharf geladen treten sie ihren Rückmarsch an; kaum passiren sie aber die oberhalb einer dortigen Kirche nur von reichen Amerikanern bewohnte Walnut-Straße, als vor und hinter ihnen ein Regen von Büchsen- und Revolverkugeln, theils aus der Kirche, theils aus den Häusern, theils von einem offenen Trupp Secessionisten gefeuert, auf sie einschlagen – die überraschten Bürger machen Front nach allen Seiten und geben Feuer, die Spitzkugeln säubern auf fürchterliche Weise die Straße, dringen in die Häuser und vertilgen, wo sie etwas Lebendiges treffen – 25 Leichen bedecken in drei Minuten das Pflaster; dann marschiren die Angegriffenen in guter Ordnung weiter – aber noch zwei Mal haben sie erneuerten Attaquen zu stehen, von allen verborgenen Plätzen schlagen Kugeln in ihre Reihen, und ihre Todten mit sich tragend erreichen sie endlich ihr Hauptquartier. Der Amerikaner hätte jedes Haus demolirt, aus dem auf ihn geschossen wurde, der Deutsche aber fühlt sich in seiner plötzlich so selbstständigen gefährdeten Existenz noch so unsicher, daß er erst die rechte Besinnung wieder erhält, wenn er sich in seinem heimathlichen Viertel findet. Da weiß er, was er zu thun hat.

Heute ist Sonntag, der Regen gießt in Strömen, und so ist es bis auf einzelne hie und da abgefeuerte Schüsse ruhig geblieben. Was morgen wird, mag Gott wissen – nur Belagerungszustand und Kriegsrecht kann einem allgemeinen großen Unglücke vorbeugen. Eine peinliche Gedrücktheit liegt auf der Stadt, die Schulen sind geschlossen, und die Familien fliehen über den Mississippi nach dem freien Boden von Illinois. Das ist der Anfang dessen, was sich erst noch entwickeln soll.


Drei Tage später.

Gestern kam Hecker mit seinen zwei Söhnen und trat als Gemeiner in eins der freiwilligen Regimenter ein. Die Deutschen jubeln ihm entgegen. Dowiat, der schon einige Monate den Baumwollen-Baronen die Schuhe putzt, soll jetzt Feldprediger in einem südlichen Regimente sein.

O. R.