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Die Gartenlaube (1863)/Heft 46

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1863
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[721]
Meine Tante Therese.
Keine erfundene Geschichte.
(Fortsetzung.)

Der Fremde öffnete den Schlag des Wagens und half einer noch ziemlich jungen Frau aussteigen, der man das Leiden und die Angst und Sorge ansah. Sie blickte sich unruhig auf dem Hofe und nach dem Hause um. Zwei Kinder folgten ihr, ein Paar Mädchen von vier und sechs Jahren. Das älteste war krank; es mußte stark fiebern und ließ das Köpfchen und die Aermchen lang und schlaff herunterhängen. Der Fremde, indem er es aus dem Wagen hob, legte es unmittelbar in die Arme der Mutter, in denen es auch wohl im Wagen gelegen hatte.

„Sie wollen uns hier aufnehmen?“ sagte, die leidende Frau, einfach und dankbar mit Wort und Blick. „Möge der Himmel Sie dafür segnen.“

„Haben Sie die Güte, mir zu folgen,“ sagte die Tante.

Sie nahm das kleinere Kind bei der Hand. Die fremde Dame trug das kranke Kind, der Herr hatte Sachen aus dem Wagen genommen, Kisten, Shawls, einen kleinen Reisesack. So führte die Tante sie in die erleuchtete Halle des Hauses. Eine Magd stand mit einer Laterne da, sie öffnete die Thür zu der Wendeltreppe und leuchtete nach oben hinauf.

Die Tante mußte sich unwillkürlich die Menschen näher ansehen, die sie nach oben führen wollte, denn sie hatte sie nur draußen in dem letzten Zwiedunkel des Abends gesehen. Zuerst fiel ihr Blick auf die Frau. Sie sah in ein feines, vornehm geschnittenes, kummer- und leidenvolles Gesicht. Und Kummer und Leiden in diesem Gesichte waren nicht blos von heute oder gestern; sie waren älter, vielleicht schon Jahre alt. Der stattliche Mann mit der vornehmen Haltung war die rücksichtsvollste und höflichste Aufmerksamkeit selbst gegen die Frau. Aber es standen Zeugen dabei, und in seinem Gesichte glaubte die Tante Härte und Rücksichtslosigkeit zu lesen. Ein Mann von Welt war er jedenfalls.

Was die Leute waren, woher sie kamen und wohin sie wollten, was sie mit den kleinen Kindern, von denen das eine in der Hitze des Fiebers lag, in diese abgelegene Haide, in das Dunkel der Nacht, in die Gefahren und Schrecken des Krieges trieb: meine Tante konnte sich keine Antwort auf diese Fragen geben. Sie führte die Menschen die Wendeltreppe hinauf, denn sie hatte ihnen einmal die Aufnahme gewährt, und sie hatte Zimmer für sie nur da oben. Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf und gingen in die Zimmer des Freiherrn, wie sie genannt wurden. Die alte Christine hatte sie schon geordnet, ein Knecht auf ihren Anweis in dem Kamin ein lustiges Feuer gemacht.

„Machen Sie sich es hier bequem,“ sagte die Tante zu der fremden Dame. „Die alte Christine wird in Allem zu Ihrer Verfügung stehen.“

Darauf kehrte sie zurück, horchte aber in dem Gange, hinten nach dem Ende hin, wo der Verwundete in dem Thurmstübchen lag, und nach dem Seitengange hin, wo sich der Schwachsinnige befand. Sie hörte auf keiner Seite etwas und ging ruhig, wenn auch mit schwerem Herzen, zur Großmutter zurück.


5. Der Verräther.

Ja, mit schwerem Herzen trat meine brave Tante zu der Großmutter ein, obwohl sie ein gutes Werk gethan. Zu ihren schweren Sorgen hatte sie eine neue übernommen, und das Herz sollte ihr noch schwerer werden. Sie war beschäftigt, den Korb mit Gold- und Silbersachen leichter zu machen, sie hatte die alte Christine den Fremden zur Verfügung gestellt und mußte also allein den Korb tragen. Sie erzählte der Großmutter unterdeß, wie sie die Fremden aufgenommen habe. Die alte Frau war mit Allem zufrieden.

Die Tante wurde in ihrer Arbeit unterbrochen. Die alte Christine trat in das Zimmer. Sie sah erschrocken, ängstlich aus.

„Was ist’s?“ wollte die Tante sie fragen.

Die Magd gab ihr einen Wink hinter dem Rücken der Großmutter. „Draußen!“ sagte der Wink.

Draußen war es still geworden. Die Dunkelheit des Abends war völlig da. Man hörte kein Schießen mehr.

Der Korb war wieder gefüllt, die Tante und die Magd trugen ihn fort, die Wendeltreppe hinauf nach dem Stübchen im spitzen, runden Thurme.

Unterwegs erzählte nun Christine, was sie Heimliches zu sagen hatte: „Zuerst von den Fremden, Mamsell.“

„Du hast noch mehr zu erzählen?“

„Ja, aber nachher. Mamsell, die Fremden kennen uns.“

„Aber wir kennen sie nicht, Christine.“

„Sie kennen auch nur die Namen. Sie hatten kaum das Zimmer verlassen, Mamsell, so fragte mich der fremde Herr, wo er hier sei. Auf Schloß Hawichhorst, antwortete ich ihm. Der Name mußte etwas ganz Besonderes für ihn haben; er wurde weiß, wie der Kalk an der Wand. Und die Frau, Mamsell, war plötzlich in die Höhe gefahren, daß das kranke Kind, das sie auf dem Schooße hatte, aufwachte und laut weinte. Sie sah ängstlich nach ihrem Manne hin, dieser aber stellte sich zwischen sie und mich, [722] daß ich ihr Gesicht nicht weiter sehen sollte. Und dabei hatte er sich geschwind zusammengenommen. Schloß Hawichhorst? fragte er, als wenn er in seinem Leben noch nichts von dem Schlosse gehört hätte. Und wer bewohnt es? Ich nannte ihm den Namen der Frau Mama. Ich meinte doch, er sei noch einmal weiß im Gesichte geworden. Die Frau hörte ich schwer aufseufzen, als wenn sie keinen Athem mehr bekommen könne. Er war aber ruhig geblieben und fragte mich, wer Sie seien, Mamsell, und wer sonst im Schlosse wohne. Es war mir aber so ängstlich geworden, und ich mußte fort, um Ihnen die Sache zu erzählen.“

Die Tante war ängstlicher geworden, als die Magd. Wer konnte erschrecken bei dem Namen des Schlosses Hawichhorst, bei dem Namen der Familie, die es bewohnte? Sie konnte nur an einen einzigen Menschen denken, und ein Schauder durchzuckte sie, als sie an ihn dachte. Aber die alte Christine hatte ihr noch mehr mitzutheilen.

„Und wie ich in den Gang kam, Mamsell, da kam erst recht die Angst über mich. Der Freiherr Max vertrat mir auf einmal den Weg. Er hatte gehorcht. „Was für Leute sind in dem Zimmer?“ fragte er mich.

„Ich kenne sie nicht, Euer Gnaden.“

„Du kommst von ihnen. Du mußt es wissen.“

„Es sind Franzosen,“ sagte ich. „Ich hatte ihm vorher, als ich ihn in sein Zimmer zurückbrachte, gesagt, das Schießen da hinten am Walde komme von den Franzosen; die müßten abziehen, und nun machten sie sich noch ein Plaisir, indem sie da alle Edelleute der Nachbarschaft todtschössen. Er möge sich nur ja fest in seiner Stube verschließen, damit sie ihn nicht auch holten. Das hatte geholfen; er verschloß sich in seine Stube, und ich dachte jetzt, es würde wieder helfen, wenn ich ihm sagte, daß Franzosen da seien. Aber es half nicht.

„Du lügst,“ sagte er, „ich habe sie Deutsch sprechen hören.“

„Euer Gnaden,“ erwiderte ich ihm, „es giebt auch Franzosen, die Deutsch sprechen.“

Und nun hatte ich Oel in’s Feuer gegossen. Es war ihm auf einmal ein Gedanke gekommen.

„So, so?“ sagte er. „Also Franzosen? Und da hinten im Thurme ist der preußische Officier. Ja, ja, Christine, erschrick nur nicht; es hilft Dir nichts; und leugnen hilft Euch auch nichts, Dir nicht und Deiner Mamsell Therese. Ich habe die Uniform in der vorigen Nacht gesehen, im klaren Mondscheine. Und ich kenne die preußische Uniform. Und Franzosen sind hier, sagst Du? Höre, Christine, die Preußen haben uns auch nicht gut gethan, hier in Westphalen, als sie vor zehn Jahren ins Land kamen. Das war ein Hochmuth und ein Dickthun und ein Besserwissen, und es war doch nichts, als ein pauvrer Adel von gestern oder vorgestern, der keine anderthalb Ahnen hatte. Der alte Blücher soll der einzige anständige Mensch unter ihnen gewesen sein. – Aber was ich sagen wollte, Christine, wenn in dem Zimmer Franzosen sind, dann muß ich wahrhaftig zu ihnen, um ihnen zu sagen, daß in dem Thurmzimmerchen ein Preuße steckt.“

Und damit wollte er an mir vorüber. Ich war so erschrocken, daß ich am ganzen Leibe zitterte. In meiner Angst wußte ich anfangs nur ein Mittel, ihn zu halten. Aber ich wagte es doch nicht, es war Ihr Geheimniß, Mamsell, daß der Freiherr Adalbert, sein Neffe, in dem Thurmstübchen sei, und wer wußte, wer der fremde Herr war, der mir mit seinem Erschrecken so zweideutig vorkam? Ich griff zu einem anderen Mittel, und das glückte.

„Euer Gnaden,“ sagte ich. „Ich schicke die Mamsell Therese zu Ihnen. Die weiß, wer der fremde Officier ist, und sie wollte schon zu Ihnen kommen, um Sie über ihn um Rath zu fragen. Sie ist in Verlegenheit; da sollen Sie ihr helfen.“

Das that ihm gut. Er ging in sein Zimmer und versprach mir, darin zu warten, bis Sie zu ihm kämen.“

„Und was sage ich ihm?“ fragte sich die Tante.

Aber sie hatten die steile Treppe des Thurmes erstiegen, und standen vor der Thür des kleinen Zimmers, in welchem der Verwundete lag. Dieser durfte von den Mittheilungen der Magd nichts erfahren. Die Tante mußte zudem eilen, um zu dem Irren zu kommen, sie öffnete also die Thür und teilte dem Verwundeten den Zweck ihres Kommens mit. Sie und die alte Christine hoben eine Diele in dem Fußboden des Stübchens auf, ließen durch die Oeffnung den Korb mit den Gold- und Silbersachen in einen dunklen Raum hinein, der darunter verborgen war, fügten die Diele wieder ein, und kehrten auf dem Wege zurück, auf dem sie gekommen waren. Alle Thüren wurden wohl verschlossen, die Schlüssel nahm die Tante zu sich.

Es war Alles eilig geschehen, und ebenso eilig wollte die Tante zu dem Irren. Es war zu spät. Das Unglück hatte schon angefangen über sie hereinzubrechen.

„Der Verwalter ist zurück,“ sagte die Großmutter zu der Tante, als diese in das Wohnzimmer zurückkam. „Er kam vor zehn Minuten an.“

Die Tante hatte oben in dem Thurme seine Ankunft nicht hören können. „Was für Nachrichten bringt er?“ fragte sie.

„Wie es scheint, gute. Die Preußen sollen die Franzosen geschlagen haben und sie jetzt nach der anderen Seite des Waldes hin zurücktreiben. So haben die Leute gesagt.“

Die Tante setzte leichteren Herzens ihren Weg zu dem Wahnsinnigen fort. Aber wie bald sollte es ihr wieder schwer werden. Schon in der Halle, am Fuße der Wendeltreppe, begegnete ihr der Verwalter. Er kam von oben. Dort, in dem Seitengange, gegenüber dem Zimmer des schwachsinnigen Freiherrn Max, befand sich die Rentstube mit der Casse. Er war sofort nach seiner Rückkehr dahin geeilt, um die Rettung der Casse auf alle Fälle vorzubereiten. Daß die Preußen gesiegt hätten, war nur ein Gerücht, es konnte auch anders gekommen sein oder noch kommen, auch trotzdem, daß man seit einiger Zeit kein Schießen mehr gehört hatte. Der Verwalter kam der Tante mit verstörtem Gesichte entgegen.

„Was ist vorgefallen, Herr Buschmann?“ rief sie.

„Mamsell, wissen Sie, wen Sie im Hause haben?“

„Und wen?“

„Den Gensd’armerie-Commandanten – den Mörder Ihres Bruders – Fritz!“

Meine Tante hatte es geahnt; sie hatte nicht daran denken wollen. Bei der Nachricht drohte sie zusammenzusinken.

„Woher wissen Sie es?“

„Ich kenne ihn, denn ich habe ihn oft in der Stadt gesehen. Ich sah ihn da oben wieder. Und, Mamsell Therese, Sie haben noch Jemanden im Hause aufgenommen, einen preußischen Officier.“

„Mein Gott, woher wissen Sie das?“

„Aus dem Munde des Freiherrn Max. Als ich in der Rentstube war, hörte ich im Gange gehen. Ich dachte mir, daß es der Fremde sei, von dessen Ankunft mir Christian erzählt hatte. Der Schritt des Freiherrn Max war es nicht. Dieser mußte aber ebenfalls das Gehen vernommen haben, seine Thür öffnete sich, und ich hörte ihn im Gange mit Jemandem sprechen. Und was ich hörte, erfüllte mich mit Schrecken.

„Sie sind Franzose, mein Herr?“ sagte der Freiherr.

„Ich, mein Herr?“ wurde ihm geantwortet.

„Ja, ja, ich weiß es, und will Ihnen etwas sagen. Sehen Sie die Thüre da hinten?“

„Ich sehe eine Thür.“

„Die führt zu dem Thurmstübchen, und in dem Stübchen ist ein verwundeter preußischer Officier, er trägt den Kopf verbunden und eine Binde um den Arm –“

Weiter ließ ich ihn nicht reden. Ich wußte nicht, mit wem er sprach; aber eine schwere Ahnung ergriff mich, wer der preußische Officier sein könne. Ich ließ Alles liegen und eilte in den Gang. Da sah ich auch, wer es war, mit dem der Freiherr redete, und ein doppeltes Entsetzen ergriff mich. Sollte der Mörder, der vor mir stand, hier noch einmal zum Mörder werden? Und an wem, wenn meine Ahnung richtig war?

„Freiherr Max,“ sagte ich strenge zu dem Schwachsinnigen, „gehen Sie im Augenblick auf Ihr Zimmer, und verlassen Sie es nicht wieder.“

Er gehorchte ohne Widerrede, wie ein Kind, das ein böses Gewissen hat. Ich wandte mich dann an den Fremden.

„Mein Herr, ein Irrsinniger sprach mit Ihnen. Sie werden danach die Bedeutung seiner Worte ermessen. Hier im Hause ist kein anderer Fremder, als Sie mit Ihrer Familie.“

„Ich bin Ihnen für Ihre Auskunft verbunden,“ antwortete er höflich.

Er kehrte in sein Zimmer zurück. Ich ordnete schleunig meine Sachen in der Rentstube, um zu Ihnen zu eilen. – Mamsell Therese, ist ein verwundeter preußischer Officier in dem Thurmstübchen?“

[723] „Ja,“ sagte meine Tante.

„Und darf ich erfahren wer es ist?“

„Es ist der Freiherr Adalbert.“

„Das war meine Ahnung. Wer sonst hätte hierher kommen können? Und nun, Mamsell Therese, müssen Sie Alles wissen. Der Freiherr schwebt hier, wenn Franzosen hierher kommen, in der offenbarsten Lebensgefahr. Jener Commandant der Gensd’armerie hat, wie ich unterwegs erfuhr, in der vergangenen Nacht heimlich die Stadt und seinen Posten verlassen, unzweifelhaft, um den Preußen seine Dienste anzubieten. Es giebt solche Verräther zu allen Zeiten und für alle Sachen; die schlechte Sache liebt den Verrath; die gute kann ihn manchmal nicht von sich stoßen; sie verachtet nur den Verräther, wie auch dieser schurkische Edelmann schon von den Franzosen verachtet wurde, die in dem fremden Lande seine Dienste annahmen. Diesmal hatte er sich verrechnet. In der Stadt hatte sich gestern das Gerücht verbreitet, ein ganzes preußisches Armeecorps sei im Anmarsch, die Avantgarde sei nur noch ein paar Meilen entfernt. Sofort in der Nacht machte er sich heimlich auf und davon, mit seiner Familie, mit seinen Kostbarkeiten. Das Gerücht war ein voreiliges gewesen. Nur eine kleinere Abtheilung Preußen war gekommen; die Franzosen hatten nicht die Flucht ergriffen, wie er erwartet hatte, sie waren den Preußen entgegengerückt, von allen Seiten, um sie zu umzingeln. Man meinte, der Commandant der Gensd’armerie müsse nothwendig in ihre Hände gefallen sein und seinen verdienten Lohn der Desertion und des Verraths empfangen haben. Da hat er hier eine Zuflucht gefunden, und, Mamsell, er kennt die Geschichte des Freiherrn Adalbert, und wie ich bei jenen Worten des Schwachsinnigen zunächst an den Freiherrn Adalbert denken mußte, so wird auch sein erster Gedanke sich auf diesen gerichtet haben, und er wird, wenn die Franzosen hierher kommen, das verwirkte Leben durch einen neuen Verrath zu retten suchen.“

Der Verwalter hatte Recht, und meine arme Tante war einen Augenblick wie betäubt. Sie hatte den Mörder ihres Bruders aufgenommen, um ihn zum Mörder ihres Geliebten zu machen! Aber sie erholte sich; sie mußte es und konnte es, denn sie mußte ja an die Rettung des Geliebten denken.

„Helfen Sie mir, Herr Buschmann; wohin bringen wir den Freiherrn? In dem Thurmstübchen ist er nicht sicher.“

„Nein, Mamsell, dort ist er nicht sicher. Der Schurke braucht nur in seinem Zimmer mit der Hand dahin zu zeigen um ihn zu verrathen.“

„Und wohin dann mit ihm?“

„Auch unten in dem Thurme ist er nicht sicher. Die Thüren oben und unten sind zwar von dem stärksten Eichenholz, mit schwerem Eisen beschlagen; aber für den Triumph, ihrem Kaiser den deutschen Freiherrn, der zu dem Feinde übergegangen ist, überliefern zu können, würden die Franzosen das ganze Schloß demoliren. Der Freiherr ist in diesem Hause nirgends sicher. Er muß fort, und auf der Stelle; denn trotz jenes Gerüchts und der Stille draußen können die Franzosen hierher kommen.“

„Aber er ist schwer verwundet!“ sagte die Tante.

„Hat er mit seinen Wunden hierher kommen können, so muß er auch mit ihnen wieder fort können. Ich werde für ihn sorgen, Mamsell.“

„Sie wollen ihn führen? Wohin?“

„In den Wald, dort weiß ich eine Stelle, zu der kein Franzose kommen wird. Sie ist nicht weit von hier. Jener schuftige Gensd’armerieofficier darf nur von Nichts wissen. Gehen wir deshalb von unten in den Thurm, aber sofort.“

„Kommen Sie,“ sagte die Tante.

Auch sie wußte keinen besseren Rath. Sie standen noch unten an der Treppe in der Halle und wollten in die Wohnstube gehen. Die Tante wollte dort der Großmutter die Anwesenheit des Freiherrn Adalbert mittheilen; denn nur durch die Wohnstube konnte dieser geführt werden, wenn der Fremde ihn nicht oben gewahren sollte. Es war zu spät.

Draußen fielen starke, eilige Schläge an das große Einfahrtsthor; sie hallten über den Hof wieder an den Mauern des Schlosses, im Schlosse an den Wänden der Halle.

„Was war das?“

„Ihr Bruder Franz wird zurück sein,“ meinte der Verwalter.

„Aber das sind Schläge der Angst, der Todesangst eines Verfolgten.“

Im Augenblicke nachher wurden Schüsse gehört. Sie fielen in der Haide, in der nächsten Nähe des Schlosses.


6. Ein Kampf.

Der Onkel Franz, der jüngste Bruder der Tante Therese, war nach Hause zurückgekommen. Er war nach Mittag ausgeritten, um auf einem etwa anderthalb Meilen entfernten Gute einen Besuch zu machen. Als er gegen Abend hatte zurückreiten wollen, war auch dort das Schießen gehört worden, und er war geblieben, um nicht zwischen die streitenden Theile oder unter Fliehende zu gerathen. Als es später nach eingetretener Dunkelheit still geworden, hatte er um so mehr den Rückweg angetreten, als er sich wohl denken konnte, daß die Seinigen sich seinetwegen ängstigen würden. Er hatte anfangs unterwegs Alles ruhig gefunden, auch noch in der Haide, von der er einen Theil passiren mußte. Wie er aber, kaum fünf Minuten von Schloß Hawichhorst entfernt, dem Walde nahe kam, glaubte er nach dessen Rande hin eine Bewegung wahrzunehmen. Er hielt sein Pferd an, und überzeugte sich bald, daß eine Reiterschaar langsam an dem Walde entlang ziehe, in der Richtung nach dem Schlosse hin. Er war zweifelhaft, was er thun, ob er ihr zuvorkommen sollte, oder ob er sie solle vorbeiziehen lassen. Während er darüber nachsann, fielen plötzlich Schüsse aus dem Walde auf die Reiter, es mußte ein für sie unvermutheter Ueberfall sein; die Pferde stoben auseinander.

Mein Onkel wartete das Weitere nicht ab. Er gab seinem Pferde die Sporen und jagte zum Schlosse, sprang am Thore vom Pferde, schlug an das Thor und rief mit lauter Stimme um Einlaß. Aber die Reiterschaar war ihm gefolgt, und dieser folgten die Schüsse. Der Knecht Christian konnte kaum das Thor öffnen, meinen Onkel einlassen, das Thor wieder verschließen, da waren Reiter und Schüsse fast unmittelbar da, und sie waren da im wilden Kampfe. Meine Tante und der Verwalter waren, als sie das Schlagen an das Thor und die Schüsse hörten, zunächst zu der Großmutter geeilt, der alten, gelähmten, an den Platz ihres Rollstuhls gefesselten Frau. Der Onkel Franz stürzte zu ihnen in das Zimmer. Er erzählte ihnen, was er gehört hatte; gesehen hatte er in der Dunkelheit nichts.

Das Gefecht, das vorhin am Walde stattgefunden hatte, war nicht blos durch die Dunkelheit unterbrochen, es war durch den Sieg einer Partei geendet. Die besiegte Partei hatte sich in den Wald geworfen, wenigstens ein Theil von ihr. Die Sieger suchten für die Nacht sichere oder vortheilhafte Positionen aus, zur Erneuerung des Kampfes oder zur Verfolgung der Besiegten am folgenden Morgen. Zu den Siegern gehörte die Reiterschaar, die an dem Saume des Waldes entlang gezogen war. Sie war nicht groß, sie war sorglos geritten, der Nähe oder eines Ueberfalls des besiegten Feindes nicht gewärtig. Dieser war nahe oder gewahrte das kleine, sorglos daherziehende Häuflein und schoß darauf ein, die Reiter flohen, jene verfolgten. Vor dem Thore des Schlosses gewann der neue Kampf Halt und Bestand.

Wer die früheren Besiegten und jetzigen Verfolger, wer die früheren Sieger und die jetzt Verfolgten waren, darüber erhielten sie Gewißheit.

Der Onkel Franz hatte schon die Vermuthung ausgesprochen, die verfolgten Reiter seien Franzosen; er meinte, als bei dem Ueberfall die Schaar auseinanderstob, französische Flüche gehört zu haben. Die Tante Therese hatte für sich dieselbe Vermuthung; nach den Mittheilungen des Freiherrn Adalbert war anzunehmen, daß in jenem Gefechte preußische Infanterie von den Franzosen in den Wald geworfen sei; die französischen Carabiniers hatten sie selbst vorüberziehen sehen, und – was man hofft, das glaubt man: wurden die Franzosen jetzt von den Preußen verfolgt, dann war Schloß Hawichhorst erst sicher vor ihnen, mit Allem, was im Schlosse war.

Die Vermuthung der Tante wurde bestätigt. Aber wie sie bestätigt wurde, war ihre Hoffnung zerstört. Mitten durch das Schießen tönte ein Trompetensignal.

„Französische Trompeten!“ riefen sie Alle in der Stube. Sie kannten die Töne der französischen Trompeten.

„Aber das ist hinten in der Haide!“

„Und es kommt näher.“

„Es ist Succurs für die verfolgten Reiter. Das Signal kündet ihn an.“

„Und sie kommen im Galopp über die Haide, sie sind schon da.“

Kein Wort weiter wurde gesprochen. Meine Tante, mein Onkel, der Verwalter standen athemlos um den Rollstuhl der Großmutter. Die alte Frau athmete leiser. So horchten sie alle Vier. [724] Kein Laut war in der Stube hörbar, kein Laut in dem ganzen Hause. Alles, was darin war, horchte gespannt, in der gespanntesten Angst.

So hörten sie den Kampf draußen, unmittelbar am Thore, unmittelbar unter den Fenstern; das Schießen der Musketen, Schüsse aus den Carabinern. Jene französischen Carabiniers, die am Abend still durch die Haide gezogen waren, mußten jetzt in dem Kampfe sein. Die Musketenschüsse fielen von allen Seiten; die Carabiner antworteten aus der Mitte; die Franzosen mußten auf der Flucht an das Schloß gedrängt, hier umzingelt sein. Zwischen den Schüssen hörte man das Stampfen und Schnauben und Stöhnen der Rosse, dazwischen einzelne laute, aber ruhige Commandoworte. Keine andere menschliche Stimme wurde anfangs laut. Die Menschen mordeten sich im stillen ruhigen Gehorsam, oder in stiller ingrimmiger Wuth.

Den Menschen im Hause wollte das Blut in den Adern erstarren. Sie waren keines Wortes, keiner Bewegung fähig. Da wurden hinten in der Haide die Trompeten laut, die dem bedrängten Häuflein der Franzosen Hülfe verkündeten. In der Stube wurden wenig Worte gewechselt, sie machten der tiefsten Stille Platz. Gedoppelt richteten sich Spannung und Angst wieder nach außen.

Der Galopp der Pferde kam wie ein wilder Sturm heran. Die Haide zitterte, die Fenster des alten Schlosses kirrten. Die Trompeten bliesen und schmetterten lustig hinein. Die Kämpfenden am Hause hatten einen Augenblick gestutzt. Das Geschrei verstummte; das Klirren der Säbel und Bajonnete hörte auf; der Kampf ruhte; nur noch ein paar vereinzelte Schüsse fielen wie mechanisch oder verspätet. Aber es war nur für einen Moment, für den ersten Moment der Ueberraschung, der Ungewißheit. Dann wußte Jeder, was da kam, und woran er selbst nun war. Wildes Freudengeschrei der Franzosen folgte und antwortete dem lustigen Geschmetter der Trompeten und dem Zurufen der heransprengenden Retter.

In den Reihen der Preußen aber blieb es still. Man hörte ein einziges Commandowort. Dann vernahm man, wie sie ruhig sich sammelten und ordneten. Es war eine feindliche Uebermacht, die ankam. Gegen sie den Kampf aufzunehmen und fortzusetzen, wäre Wahnsinn gewesen. Das hatte der Führer erkannt; er commandirte den Rückzug. Der Wald war kaum dreißig Schritt entfernt. Als die neue Reiterschaar auf dem Kampfplatze anlangte, hatten die Preußen schon den Wald erreicht. Sie mußten den Rückzug mit der größten Ruhe und Ordnung gemacht haben. Die kämpfenden Franzosen hatten nicht gewagt, sie zu verfolgen; kein Verwundeter oder anderer Gefangener war in den Händen der Franzosen zurückgeblieben. In dem Walde waren sie vor jeder Verfolgung der Cavallerie, zumal in der Dunkelheit, sicher.

Aber was nun? Was wird nun werden? Die Frage wiederholte sich in der Stube der Großmutter.

Der Kampf am Hause hatte keine zehn Minuten gedauert. Wer sich aus dem Hause wagte, kam in den Kugelregen, unter die Pferde, zwischen Säbel und Bajonnete. An allen Seiten des Hauses war gekämpft worden. War jetzt an eine Flucht zu denken? Der Kampf war zu Ende; aber an allen Seiten des Hauses waren die Franzosen, und man vernahm nichts, was darauf hätte schließen lassen, daß sie abziehen wollten. Im Gegentheil. Wilde Schläge donnerten an das Einfahrtsthor. Lautes Rufen forderte Oeffnen und Einlaß.

„Was nun? Wohin mit ihm?“ rief meine arme Tante Therese.

Sie hatte keinen Rath mehr und warf sich auf die gelähmte, hülflose Mutter.

„Mutter, hast Du keinen Rath, keine Hülfe? Der Freiherr Adalbert ist hier. Er war zu den Preußen übergegangen, er ist schwer verwundet, so liegt er oben in dem Thurmstübchen. Wenn die Franzosen ihn finden, so wird er erschossen. Und der Verräther lauert schon auf ihn. Der Fremde, den ich aufnahm, ist jener Commandant der Gensd’armen, der unsern armen Fritz hat erschießen lassen. Er muß heute sein zweites Opfer haben. Der Schwachsinnige hat ihm den Freiherrn verrathen. Jener Elende wird ihn weiter verrathen; er muß, um das eigene Leben zu retten. Rathe, hilf, Mutter. Du hast ja immer Rath, immer Hülfe.“

Sie hatte das früher wohl gehabt, die Großmutter. Aber in diesem Augenblicke? Unter dem furchtbaren Eindrucke dieser Nachrichten?

„Der Mörder meines Sohnes hier?“ rief sie. „Der Mörder Schutz suchend im Hause des Gemordeten! Der Beschützte sinnend auf neuen Verrath, auf einen zweiten Mord!“

Dann sah sie die bleiche Therese vor sich stehen.

„Armes Kind!“ sagte sie. „Armes, armes Kind!“

Aber Rath und Hülfe hatte sie nicht. Und doch wurde die Noth größer, dringender.

Draußen vor dem Hause war es still geworden. Der Lärm des Kampfes war völlig verstummt; auch das Schlagen an das Thor und das Rufen um Einlaß hatte auf einmal aufgehört. Man vernahm aber auch jetzt kein Abziehen der Franzosen. Sie mußten etwas Anderes vorhaben.

Die alte Christine kam eilig in die Wohnstube gestürzt. Der Knecht Christian schickte sie. Derselbe hatte seinen Posten an dem großen Einfahrtsthore, und er hatte ihn während des Kampfes keinen Augenblick verlassen, auch nachher nicht, als in jener stürmischen Weise Einlaß gefordert wurde. Er hatte keinen Laut von sich gegeben. Die Franzosen waren in der That irre geworden, ob Jemand in dem Schlosse sei, aus dem ihnen noch kein Lebenszeichen entgegengekommen war. Er hörte sie sich bereden, wie sie hineingelangen könnten; hinein mußten sie, einer ihrer Officiere war schwer verwundet, sie konnten mit ihm nicht weiter, er mußte und sollte im Schlosse untergebracht werden. Der Knecht entnahm das aus ihren Reden; er war selbst ein paar Jahre französischer Soldat gewesen und er verstand die Sprache. Er vernahm weiter, wie sie zuletzt beschlossen, die Mauern zu ersteigen und gleichzeitig einen Versuch zum Zertrümmern des Thores zu machen. Da rief er die alte Christine herbei, theilte ihr Alles mit und schickte sie zu der Herrschaft, um weitere Befehle einzuholen. Er rathe zum Oeffnen des Thores; es sei zu schwach, um nicht zuletzt der Gewalt nach zugeben; die Mauern könnten erstiegen werden. Das theilte die Magd mit.

„Weiß Einer einen besseren Rath?“ fragte die Großmutter.

Keiner wußte ihn. Aber die Magd war mit ihrem angstvollen Gesichte zu der Tante Therese getreten und hatte leise mit ihr gesprochen.

„Sprich laut,“ rief die Tante Therese mit neuem Schreck. „Die Mutter weiß Alles.“

Die Magd sprach laut. „Als ich mit dem Christian in der Hausthür stand, öffnete sich auf einmal leise die Thür, die aus der Halle zu der Wendeltreppe führt, und es schlich Jemand in die Halle. Er konnte uns nicht sehen, wir schwiegen auch; als die Thür sich öffnete, so kam er auf die Hausflur zu. Auf einmal sah er uns, und wir sahen ihn. Es war der Fremde, der mit der Frau und den Kindern angekommen war; er wurde verlegen, als er uns sah, bat um ein Glas Wasser und kehrte wieder zurück. Aber er hatte auf den Hof gewollt, an das Thor, zu den Franzosen; darum war er geschlichen. Laß ihn nicht heran, sagte ich zu dem Christian; der Mensch hat schlechte Streiche vor. Dann schloß ich die Hausthür zu, zog den Schlüssel ab und eilte hierher.“

Und jetzt hatte meine Großmutter ihren klaren Entschluß gefaßt. „Hört mir Alle zu,“ sagte sie. „Die Franzosen müssen eingelassen werden; Christian hat Recht. Du, Christine, gehst zu ihm, es ihm zu sagen. – Der Freiherr Adalbert muß fort. Sie, Herr Buschmann, und Du, Franz, Ihr führt ihn durch das Hinterpförtchen; es sind von da noch dreißig Schritte bis zum Walde, in dem er sicher ist. Ihr führt ihn hinaus, während das Einfahrtsthor geöffnet wird; es wird dann Alles sich zu diesem drängen und das Pförtchen frei sein. Ihr geht durch meine Schlafstube in den Thurm. – Du, Therese, gehst nach oben zu den Fremden –“

Aber meine Tante unterbrach die Großmutter. Auch sie hatte ihre Ruhe, ihre Einsicht und ihren Muth wiedergewonnen.

„Nein, Mutter, ich habe nur eine Aufgabe, nur eine Pflicht, bei dem Freiheren Adalbert zu bleiben. Ich darf nicht von ihm weichen. Das Herz zerspränge mir in der Angst der Ungewißheit.“

Die Großmutter hatte sich besonnen. „Nun wohl, so begleitet der Herr Buschmann Dich zu ihm. Du, Franz, hilfst dem Christian beim Oeffnen des Thores und bei der Unterbringung des verwundeten französischen Officiers. Und Du, Christine, gehst hinauf zu den Fremden, und bittest die Frau, auf ein paar Augenblicke zu mir herunterzukommen.“

[725]

Die Ehrenpforte und das Friccius-Denkmal am früheren äußeren Grimmaischen Thor am 19. October.


Das äußere Grimmaische Thor nach der Erstürmung 1813.
Copie eines am 20. October 1813 aufgenommenen Bildes.

[726] „Und was willst Du mit der Frau, Mutter?“ fragte die Tante.

„Geht,“ sagte die Großmutter. „Geht Alle, Jeder zu seinem Platz. Seid schnell und vorsichtig.“

Die Tante fragte nicht weiter. Sie gingen Alle. Die gelähmte Großmutter in ihrem Rollstuhle blieb allein zurück.

Sie faltete die Hände, die alte fromme Frau. Sie hob die Augen zum Himmel empor und betete mit halblauter Stimme: „Du lieber Vater im Himmel, führe und leite sie glücklich. Lenke die Herzen der Anderen. Gieb uns Allen deinen Schutz!“


(Schluß folgt.)



Das Steppenhuhn.
Eine Bitte an alle deutschen Jäger.
Von Brehm.

Unter den Vogelkundigen ist es Brauch, als deutschen Vogel jeden anzunehmen, welcher nur einmal innerhalb der Marken unseres Vaterlandes vorgekommen ist. Dieser Gewohnheit zufolge zählen die Lehrbücher unter den wirklich einheimischen Vögeln eine ganze Anzahl solcher, welche, aus anderen Erdtheilen oder wenigstens anderen Ländern unseres Erdtheils stammend, durch irgend einen Zufall einmal bis zu uns verschlagen und frei angetroffen wurden. Man hat in dieser Hinsicht eigenthümliche Vorkommnisse bezeichnet. Riesensturmvögel, Bewohner des Weltmeeres, sind auf dem Rhein erlegt, Fregattvögel, die Adler der See, welche hauptsächlich der Westhälfte der Erde angehören, an den Nordseeküsten beobachtet, Albatrosse, deren Schiffername „Capschafe“ auf ihre Heimath deutet, wiederholt bei uns geschossen werden. Man hat außerdem Flamingos und Pelekane, beide den Mittlmeerländern angehörend, erlegt; amerikanische Drosseln sind wiederholt bis nach Deutschland herbeigekommen, und eine ganze Anzahl anderer Vögel hat sich in solcher Weise Bürgerrecht bei uns erworben. Von besonderer Wichtigkeit für die fremden Gäste ist das kleine Eiland Helgoland geworden, seitdem ein recht fleißiger und tüchtiger Naturforscher, der Maler Herr Gaetke, dort wohnt. Die verschlagenen und verirrten Vögel scheinen genannte Felsklippe als einen Haltepunkt ihrer Reise zu betrachten und sich ermüdet dort niederzulassen. Auf anderen Inseln der Nordsee wird es wohl ebenso sein, ihnen fehlen aber die Geschichtschreiber der Vogelwelt, deshalb haben wir von auffallenden Vorkommnissen dieser Art fast ausschließlich nur von Helgoland her Kunde empfangen.

Alle die hier genannten und gemeinten Vögel erschienen einzeln, so recht offenbar als verschlagene Irrlinge; manche von ihnen kamen sogar nur ein einziges Mal vor das Auge des Kenners. Zu den sehr seltenen Fällen gehört es, wenn einmal ein Flug Bienenfresser aus seiner südeuropäischen Heimath sich aufmachte und, die diesen Thieren eigene Geselligkeit auch auf der Wanderung nicht verleugnend, bis nach Deutschland herüberstreifte. Die alte Leipziger Chronik erwähnt eines solchen Falles als etwas ganz Außerordentliches.

Noch viel Ungewöhnlicheres hat uns und, wie ich hoffen darf, auch den sämmtlichen Lesern der Gartenlaube das Jahr 1863 gebracht. Durch unerklärliche Ursachen bewogen, hat sich, den wandernden Hunnenschaaren vergleichbar, ein zweifelsohne nach Tausenden zählender Schwarm mongolischer Vögel aus seiner Heimath aufgemacht und ist durch halb Asien hindurch und über einen großen Theil Europa’s hinweg bis zu uns geflogen. Der Weg, welchen diese Thiere genommen haben, läßt sich durch einen Blick auf die Karte leicht bestimmen. Sie flogen in der Richtung von Südost nach Nordwest durch die ungeheuren Steppen des inneren Asiens, welche ihre Heimath bildeten, über das kaspische Meer hinweg, am Kaukasus vorüber, die nördliche Küste des schwarzen Meeres entlang, durch die Donautiefländer, Ungarn und Schlesien hindurch und verbreiteten sich strahlenförmig über das nordwestliche Deutschland und die dänischen Inseln. Wie zu erwarten, fanden sie sich auch in Helgoland ein und wurden dann auch gleich dort von Herrn Gaetke gejagt, gefangen und beobachtet. In ungleich größerer Anzahl aber fielen sie auf der friesischen Insel Borkum, dem Dollart gegenüber, ein und fanden auch hier einen Sachverständigen, welcher ihr Leben und Treiben beobachtete. Nach und nach ist nun durch die Zeitungen und briefliche Nachrichten festgestellt worden, daß die Steppen- oder Fausthühner, eben die gedachten Vögel, fast überall in Nord-, und Ostdeutschland sich gezeigt haben, und Dr. Karl Bolle in Berlin, ein sehr eifriger Naturforscher, hat es sich angelegen sein lassen, die betreffenden Nachrichten zusammenzutragen. So sind denn folgende Orte oder Gegenden und Daten verzeichnet worden, in und an denen man Steppenhühner beobachtete. Sie kamen vor: am 17. Mai bei Polkwitz in Schlesien, am 18. Mai in der Tuchelhaide in Westpreußen, am 20. Mai im Dessauischen, am 25. Mai zwei Mal in der Provinz Sachsen, am 28. Mai im westlichen Hannover, am 4. Juni im Havelland, am 6. Juni auf der Herrschaft Dobrisch in Böhmen, am 16. Juni im Kreise Ortelsburg in Ostpreußen und am 4. August endlich bei Roßbach in Böhmen. Einzelne wurden blos gesehen, aber erkannt, andere gefangen oder erlegt, die meisten aber dadurch erbeutet, daß sie, die unklugen Kinder der weiten Steppe, gegen die Telegraphendrähte anprallten und dabei die Flügel brachen oder sofort getödtet wurden. Diesen Angaben sind außer dem schon bemerkten Vorkommen auf Helgoland, Seeland und Borkum noch Mittheilungen aus Böhmen und Ungarn hinzuzufügen, welche ich der Güte des Grafen Lázár in Broos in Siebenbürgen verdanke.

Bis jetzt mag es den Lesern geschienen haben, daß ich nur von einer Merkwürdigkeit berichten wolle. Die Sache aber verhält sich etwas anders. Der Zweck meines Berichtes war nicht, trockene Angaben zusammenzufassen oder zu wiederholen, sondern vielmehr allen Grünröcken, d. h. allen Waidmännern und Jagdberechtigten, eine Bitte an das Herz zu legen. Dafür habe ich die Gartenlaube gewählt, weil ich wünsche, daß diese Bitte auch wirklich zum Herzen gelange. Ich bitte freundlich um Gastfreundschaft für die asiatischen Fremdlinge, denn erst die letzten Tage haben mir den unumstößlichen Beweis geliefert, daß es den mongolischen Hühnern bei uns gefallen hat, daß sie nicht wieder verschwunden sind, sondern den ganzen Sommer bei uns zugebracht und höchst wahrscheinlich gebrütet haben. Vor wenig Wochen, am 10. October, sind in nächster Nähe meines jetzigen Wohnortes, Hamburg, drei Steppenhühner erlegt worden. Der Hamburger Thiergarten erhielt durch einen glücklichen Zufall fünf Stück dieser Hühner lebend, das eine von Helgoland, die übrigen aus Seeland. Sie befinden sich bei gewöhnlichem Körnerfutter bis jetzt sehr wohl.

Um nun jedem Leser dieser Zeilen das Erkennen des Steppenhuhnes zu erleichtern, und um meine Bitte zu unterstützen, will ich hier in der Kürze eine Leibes- und Lebensbeschreibung der anziehenden Geschöpfe geben.

Afrika und Asien, diese sich in vieler Hinsicht verwandten Erdtheile, erzeugten zwei Hühnerformen, welche von allen übrigen sich unterscheiden. Sie sind als Mittelglieder zwischen den Tauben und Hühnern anzusehen, sie sind Hühnertauben oder Taubenhühner, wie man will. Die Einen bewohnen die Wüsten, die Andern die Steppen, und Beide tragen nach ihrer Heimath ihren Namen. Man muß anerkennen, daß sie für derartige arme Gegenden in der günstigsten Weise ausgerüstet sind. Der ganze Vogel ist hauptsächlich Flügel und Flügelmuskel. Das arme Wohngebiet bedingt Bewegungsfähigkeit seiner Bewohner, denn ohne diese Fähigkeit würden die Wüsten- oder Steppenthiere geradezu verhungern müssen. Und Bewegungsfähigkeit besitzen diese Hühner – das haben beide bewiesen; denn auch die afrikanischen Verwandten unserer Steppenhühner haben Deutschland bereits wiederholt besucht, haben Spazierflüge gemacht von Afrika bis zu uns. Neben dieser Bewegungsfähigkeit ist beiden Vögeln Gleichfarbigkeit ihres Gefieders mit der Bodenfläche gemein. Die gedachten Vögel tragen ein Sandkleid, wie es vollendeter nicht gedacht werden kann. Ein grauliches Fahlgelb ist die Grundfärbung; von ihr sticht eine ebenso mannigfache als schöne Zeichnung ab. Wenn man ein Wüsten- oder Steppenhuhn in der Nähe betrachtet, erstaunt man über den Reichthum dieser Zeichnung. Pünkchen, Wellenlinien, Striche, breite Bänder um Hals und Brust, lebhaft gefärbte Stellen, das Alles wechselt mit einander ab. Einfarbig ist das Gefieder nur an Kopf, Hals,

[727] Brust und Unterleib; alle übrigen Federn sind durch die so verschiedenartige Zeichnung auf das Wundersamste geschmückt. Gewisse Arten gehören zu den schönstgefärbten Vögeln ihrer ganzen Ordnung; sie sehen wirklich prächtig aus. Und dennoch geht dieses Kleid im Sand der Steppe oder Wüste förmlich auf! Das schönstgefärbte und gezeichnete Wüsten- oder Steppenhuhn verschwindet auf wenig Schritte Entfernung dem Auge. Es drückt sich nieder in den Sand und wird scheinbar zu einem kleinen Sandhäufchen, und alle die Pünktchen und Striche und Flächen zu nichts Anderem, als zu beleuchteten und im Schatten liegenden Sandkörnern. Für den Beobachter hat dieses Verschwinden der Thiere vor sichtlichem Auge etwas ungemein Ueberraschendes, und ich habe mir während meines Aufenthalts in Afrika oft den Genuß verschafft, an Wüstenhühner, welche ich auf einer bestimmten Stelle hatte einfallen sehen, heranzuschleichen, um dieses sich Unsichtbarmachen zu beobachten. Bei dem Steppen- oder Fausthuhne ist die Zeichnung kurz folgende: Das Männchen ist im Ganzen rostgraugelblich, am graulichsten auf der Brust und dem Halse. Auf der Oberseite sind die einzelne Federn der Quere nach schwarz gewässert oder gebändert und einige schwarz getüpfelt, namentlich auf dem Rücken, während zu beiden Seiten der Flügel ungefleckte Stellen frei bleiben Die Schwingen sind aschgrau an der innern Seite, nach außen bläulich. Die Unterseite, welche an der Brust graugelblich ist, geht dann in Braunschwarz über; der Hinterbauch ist schmutzigweiß. Ueber die Brust zieht sich eine dunke Binde, welche eigentlich aus drei neben einander laufenden schwarzen Linien besteht. Die Kehle und zwei Flecken am Hinterkopfe sind rostgelb. Das Weibchen ist leicht am Mangel der Brustbinde, an seinem graulicheren Gefieder, den lichtgelben Kehlflecken, einem schmalen dunkeln Kehlbande zu erkennen. Der ganze Oberleib, der Vorderhals und die beiden Brustseiten sind überall dicht mit dunkeln Tüpfeln, Punkten und Bändern bedeckt. Eine besondere Zierde des Vogels ist der keilförmige Schwanz, welcher aus harten Federn besteht, deren mittelste sich in haarfeine Spitzen verlängert. Ganz eigenthümlich ist der Fußbau. Die Beine sind sehr kurz, die Füße dreizehig und oben dick bis zu den Zehen herab befiedert.

In der Größe gleicht das Steppenhuhn einer Haustaube, und in seinem Leben und Treiben erinnert es auch viel mehr an die Tauben, als an die Hühner. Es lebt in ziemlich großen Schaaren, d. h. in Flügen von 10 bis 100 Stück zusammen, ausschließlich auf sandigen, möglichst baumlosen, aber grasigen Strecken und treibt sich hier während des Tages, Nahrung suchend, umher. So lange die Gesellschaft auf dem Boden verweilt, macht sie sich wenig oder nicht bemerklich. Die Färbung des Gefieders entrückt sie leicht dem Auge, und dem Ohre verräth sie sich nur in seltenen Fällen, obschon die Schaar fortwährend Töne von sich giebt, freilich so leise, daß sie schon auf wenige Schritte hin nicht mehr vernommen werden. Blos wenn sie Gefahr wittern, erhebt eins der Männchen seine Stimme zu lautem Rufe, welcher durch die Sylben „Kökerik“ wiedergegeben werden kann. Ihr Gang ist ein höchst sonderbares Trippeln, wie es bei keinem Landvogel weiter vorkommt; die Steppenhühner sind gewissermaßen den Sohlengängern zu vergleichen. Sie tragen ihre Fußwurzeln so schief gestellt, daß das Handwurzelgelenk fast den Boden berührt, während doch andere Landvögel auf den Zehen gehen. Ihre auffallend kurzen Füße erlauben ihnen, wie erklärlich, nur kleine Schritte zu machen, und ihr Leib schleift also fast auf dem Boden dahin und wackelt beim Gange fortwährend seitlich hin und her. Diese Füße, welche kaum stark und geschickt genug scheinen, den Leib zu tragen, sind zum Scharren ganz unfähig; deshalb besorgen unsere Thiere dies Geschäft ausschließlich mit dem Schnabel. Das Gefieder wird sehr locker und nachlässig getragen. Die Flügelspitzen berühren sich, wie bei den Tauben, nicht, sondern liegen zu beiden Seiten des Leibes an. Der Hals wird gewöhnlich so eingezogen, daß er dicht auf den Nacken zu liegen kommt. Nur wenn sie sichern, strecken sie ihn lang von sich.

Dies Alles aber muß man in nächster Nähe betrachten können, wie ich im Augenblicke, wo ich diese Zeilen schreibe; denn schon auf 50 Schritt Entfernung wird man keine hierauf bezüglichen Beobachtungen anstellen können, weil dann das Sandhafte, wie ich mich ausdrücken will, der ganzen Thiere schon zu sehr hervorsticht.

Ganz anders zeigen sich die Steppenhühner im Fluge. Sie erheben sich ziemlich schwerfällig unter raschem und hartem Flügelschlag, sobald sie aber einmal eine gewisse Höhe erreicht haben, eilen sie mit rasender Schnelligkeit dahin, brausend und rauschend, rufend und schreiend. Das Geräusch der Flügelschläge vernimmt man auf weithin, und laute, wohlklingende Rufe, wie „kuik, kuik“ werden aus voller Brust ausgestoßen. Am meisten ähneln die fliegenden Steppenhühner gewissen Strandvögeln, namentlich den Goldregenpfeifern und den Steinwälzern; nur fliegen sie weit rascher. Schnelle Schwenkungen und Wendungen werden ihnen schwer. Auch fliegen sie nicht gern hoch über dem Boden hin, wohl aber ohne Besinnen in einem Zuge meilenweit.

Ihr Tageslauf ist ein ziemlich regelmäßiger. In den Morgenstunden erscheinen sie auf den Futterplätzen, trippeln hier nach dem Einfall ununterbrochen, aber langsam umher, picken mit dem Schnabel Körner auf, füllen sich den Kropf und fliegen nun der Tränke zu. Nachdem sie ihren Durst gelöscht, suchen sie sich eine sandige Stelle in der Nähe aus und kauern sich hier auf den Boden nieder, nehmen auch wohl ein Sandbad, wobei sie sich halb oder ganz auf die Seite legen. Nachmittags fliegen sie wieder nach Futter aus, rutschen und trippeln noch ein paar Stunden, Körner suchend, umher und wählen sich endlich eine kahle Sandfläche aus, um hier zu übernachten. Vor dem Schlafengehen sondert sich der ganze Trupp in einzelne Häufchen, und diese hocken sich dann, dicht aneinander gedrückt, so zu sagen, auf einem Klumpen, auf den Boden nieder, gewöhnlich so, daß die Köpfe den Mittelpunkt eines Kreises bilden. Die ganze Schaar wird dann scheinbar zu so und so viel größeren Sandhaufen, welche man aber ebenso leicht übersieht, wie die einzelnen Hühner. Eifrige Jäger auf Borkum haben sich auf 200 Schritt vergeblich bemüht, Steppenhühner, welche sie einfallen sahen, mit dem Fernrohr aufzufinden, obgleich sie es mit Schwärmen von 50–60 Stück zu thun hatten.

Eigentlich scheu waren die mongolischen Fremdlinge nicht, als sie ankamen, sie lernten aber sehr bald erkennen, daß sie es in der Fremde mit andern Menschen zu thun hatten, als daheim, und machten es nach wenig Jagden ihren Verfolgern fast unmöglich, in schußgerechte Nähe sich an sie anzuschleichen. Wenn einem Schwarm Gefahr drohte, erhob sich einer der Hähne, rutschte auf die nächste Erhöhung los und ließ seinen Warnungsruf ertönen. Ein Stimmengewirr antwortete, und der ganze Schwarm brauste dahin. Dieser Vorsicht ungeachtet sind aber im vergangenen Sommer so viel Steppenhühner geschossen und gefangen worden, oder anderweitig um’s Leben gekommen, daß der gewiß sehr zahlreiche Schwarm, welcher von den mongolischen Steppen auszog, sehr gelichtet sein dürfte.

Bis jetzt hat man, so viel mir bekannt, nirgends ein Nest unserer Hühner gefunden. Demungeachtet glaube ich im Eingang nicht zu viel gesagt zu haben, wenn ich annehme, daß die Thiere wirklich bei uns gebrütet haben. So viel ist sicher, daß sie jetzt im Herbst noch bei uns hausen, daß also meine Bitte um Schonung nicht zu spät kommen dürfte. Ich will nicht zu viel verlangen und am allerwenigsten zu viel von den Jägern. Ich weiß aber, daß ein Waidmann, welcher eine gute Jagd behalten oder bezüglich sich heranbilden will, vor allen Dingen hegen muß. Die Wüstenhühner legen nach meinen Erfahrungen 4 bis 5 Eier, die ihnen so nahe verwandten Steppenhühner werden also wohl kaum weniger legen. Wollte man nun blos 2 kurze Jahre lang überall in Deutschland die zu uns eingewanderten Schaaren ruhig sich selbst überlassen und ihnen nöthigenfalls Schutz im nächsten Frühling gewähren, namentlich vor den unreifen und unnützen Buben, welche unter dem Namen Eiersammler so viele Nester verwüsten; wollte man endlich im nächstfolgenden Herbst wie bisher sich mit Rebhühner- und anderer heimischer Vögeljagd begnügen: so würde man gewiß schon im Jahre 1865 Steppenhühner jagen können, denn sie würden bis dahin gewiß festen Fuß bei uns gefaßt haben. Und wenn dies nicht der Fall wäre, wenn alle berechtigten Hoffnungen scheitern sollten, so würde das Ergebniß des Versuches, ob die Steppenhühner bei uns heimisch werden oder nicht, sicherlich immer noch mehr werth sein, als der geringe Ruhm, welchen sich ein Jäger erwirbt, der schonungslos und ungastlich gegen diesen zu uns gekommenen Besuch verfährt.


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Federzeichnungen aus Ungarn.
Gefangennehmung eines ungarischen Räubers – Schilderung einer Zigeunerstadt.
Von Franz Wallner.

Die Sehnsucht, einen Bruder nach dreißigjähriger Trennung zu umarmen, eine glücklich verheirathete Schwester in ihrer stillen Häuslichkeit zu besuchen, führte den Verfasser dieser Federzeichnungen diesen Sommer mit den Seinigen in das Innere eines Landes, dessen Culturzustände selbst dem gebildetsten Deutschen unbekannter sind, als die der Südseeinseln, und welches, trotz der reichsten Naturschätze, dem Vergnügungsreisenden verschlossen liegt, wie das Buch mit sieben Siegeln. Bis Pesth reichen dem deutschen Touristen noch heimische Bildung und behaglicher Comfort die Hand, von dort ab aber „laß,“ wie beim Eintritt in Dante’s Hölle „alle Hoffnung hinter Dir.“

Mit dem frischesten Eindruck, den das großartige Turnfest in Leipzig auf uns hervorgebracht, überwältigt von den bezaubernden Schönheiten der Alpennatur, vollständig befriedigt von der Sauberkeit und Ordnung auf dem Linzer Dampfboote, und entzückt von dem reichen Panorama der Donaufahrt, betraten wir in Wien das nach Mohacz führende Schiff, welches uns in das Herz von Ungarn tragen sollte.

Die Conversation auf dem Schiffe, insofern eine solche in der Gesellschaft zu ermöglichen ist, drehte sich fast lediglich um die neuesten Räubereien, von welchen in jenen Gegenden als etwas Selbstverständlichem und Unvermeidlichem gesprochen wird, wie bei uns von den Wahlen oder anderen Tagesereignissen. Wie in Deutschland ein Ministerwechsel zu langen Kannegießereien Anlaß giebt, so dort die Frage, ob der Räuber Bergam im Baranyer Comitat, oder der Banditenhauptmann Patko am Plattensee größer sei, ob Letzterer im Kampf mit den Panduren wirklich getödtet oder nur versprengt worden sei, ob Bergam wirklich in Bogdasa erschossen wurde. Da wir dem Schauplatze dieser Dramen entgegen eilten, so werde ich später Gelegenheit haben, die Scenen aus dem Wirken der Hauptacteurs, größtentheils nach Berichten von Augenzeugen, meinen freundlichen Lesern vorzuführen.

Vor der Hand sind wir auf dem Dampfboote und besehen uns die trostlos öden Ufer der unteren Donau, mit ihren einförmigen Staffagen, in welchen nur ab und zu eine lagernde Büffelheerde, oder ein Kanasz (Schweinehirt) mit seinen zahllosen Pflegebefohlenen, die nicht, wie unsere, sich träge im Schlamm wälzen, sondern spielen und lebhaft umher laufen, einigen Wechsel in die monotone Scene bringen. Auch unter den Viehhirten herrscht in Ungarn eine strenge Sonderung der Elemente: der Csikos, als Pferdehirt, sieht mit Stolz auf den Gulyase, den Rinderwächter, herab, der seinerseits den Kanasz mit Verachtung behandelt und nicht als seines Gleichen betrachtet, wie sich denn wirklich diese zahlreichen Classen der ungarischen Bevölkerung in Kleidertracht, Sitten und Lebensweise auf’s Strengste scheiden.

Wir athmen hoch auf, als wir vernehmen, daß die nächste Station das Endziel unserer Wasserreise bilden soll. Von Mohacz bis eine halbe Stunde vor Fünfkirchen nimmt uns die Eisenbahn auf, welche dort von der Direction der Donau-Dampfschifffahrt zur Beförderung des immensen Materials aus ihren großartigen Kohlenbergwerken in’s Leben gerufen worden ist. Der ganze Landungsplatz bei Mohacz ist mit aufgehäuften Kohlenhügeln bedeckt, der Boden, die Wege, die Luft damit geschwängert. Auf beiden Seiten lagern Raizinnen in ihrer pittoresken Landestracht, mit geschminkten Gesichtern, die den Ankommenden die köstliche Frucht der nahen Vyllianer Berge, die süßeste aller Trauben, für wenige Kreuzer in Massen zum Verkauf anbieten. Von der beispiellosen Billigkeit des Weines in diesen Gegenden kann man sich kaum eine Idee machen; das Gefäß, in dem das edle Naß aufbewahrt wird, sei es auch noch so einfach, kömmt viel höher zu stehen, als der Wein selbst; die untere Volksclasse trinkt daher seltner aus Glasgefäßen ihren täglichen Bedarf, sondern füllt damit flaschenähnliche Kürbisse, welche große Aehnlichkeit mit den amerikanischen Calebassen haben. Die Strecke, welche wir jetzt auf dem Schienenwege mit dem Gefühl persönlicher Sicherheit durchfliegen, war vor nicht langer Zeit noch der Schlupfwinkel der gefährlichsten Räuberhorden, welche dem Reisenden auflauerten und, wenn nicht sein Leben, doch sicher seine Habe als Tribut für die Schonung des ersteren einforderten. Nur wohbewaffnet und karawanenweise zogen die Bürger und Kaufleute von Fünfkirchen nach der ungarischen Hauptstadt diesen Weg entlang.

In den letzten Monaten erst haben energische Streifzüge den Heldenthaten der letzten Anführer der Szegén legény[1], den berüchtigten Strolchen Bergam und Patko, ein Ende gemacht, obgleich noch eine dunkle Sage geht, daß in dem Gefechte, welches der Laufbahn des Letzteren ein Ziel gesetzt, nicht er, sondern sein Adjutant getödtet worden sei, er selbst habe sich bis auf günstigere Zeiten „ins Privatleben zurückgezogen“. Aehnliches passirte mit dem bekannten Rosza Sandor, welcher sich während der ungarischen Revolution mit seinen „armen Jungen“ der Kossuth’schen Regierung zur Verfügung gestellt hatte und durch das Wegnehmen der Ochsenheerden, welche der österreichischen Armee zugeführt werden sollten, dieser unermeßlichen Schaden zufügte. Der kluge Bursche ließ das Bild seines Adjutanten – ohne einen solchen ist ein ungarischer Räuber von einigem Ruf nie – lithographiren und das wohlgetroffene Bild desselben mit der Unterschrift „Rosza Sandor“ versehen, worauf das Original nicht wenig stolz war. Freilich brachte ihm diese Eitelkeit den Strick um den Hals zum Lohne ein. Denn Rosza Sandor hatte mit schlauer List Sorge getragen, daß eine große Anzahl der Conterfey’s seines Stellvertreters in effiege den Weg in das österreichische Lager fanden, wo bei einem Ueberfall, zum Jubel der Machthaber, das Original eingefangen und trotz aller Protestation, „er sei nicht der Rechte“, sofort standrechtlich gehängt wurde. Während alle österreichischen Blätter die Nachricht brachten, daß den berüchtigten Räuber sein Schicksal ereilt habe, trieb dieser mit seiner Bande, die aus mehr als 300 Mann angewachsen war, autorisirt von seiner Behörde, in der Gegend von Szegedin nach wie vor die kaiserlichen Ochsen zu Hunderten und Tausenden fort, trug Briefe und Depeschen von der größten Wichtigkeit mitten durch das feindliche Lager von Komorn nach Debreczin, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung hatte, daß der gebildete,[2] edelmännisch aussehende, mit den besten Pässen versehene Pesther Kaufmann der berühmte Parteigänger sei.

Sein in viel größerem Ansehen stehender College Bergam war kurz vor meinem Eintreffen in Fünfkirchen in dem Dorf Bogdasa von dem Panduren-Corporal Babarzi Janos erschossen. Aus dessen Munde habe ich die folgenden Mittheilungen, welche er mir auf mein Ersuchen, und durch klingende Bevorwortung unterstützt, in ungarischer Sprache niederschrieb, und zwar in Form und Ausdruck gewandter, als man es von einem deutschen Polizisten untergeordneten Ranges erwarten dürfte. Auf dem Amte in Sziklos werden noch mit Stolz die Kleider des Bergam gezeigt, bestehend in einem prachtvollen Schnürrock mit reicher Pelzverbrämung, rundem ungarischem Hut, engen Beinkleidern, Stiefeln mit schweren Quasten, Stock mit reichem Silberbeschlag. Den schönen Rock hat freilich die Kugel, die ihm der gute Janos auf den Pelz gebrannt, gar arg beschädigt.

Wir wollen der Erzählung des wackeren Babarzi folgen und die wichtigsten Details daraus den Lesern mittheilen. Der Schauplatz der Schandthaten des Bergam war früher die slavonische Grenze, dort verübte er viele Grausamkeiten. In Csagyavicz brach er mit seinen Gefährten am hellen Tag in’s Dorf ein und plünderte dasselbe, wobei drei Menschen erschossen und acht schwer verwundet wurden; dem Wirth Franz Weselsky, welcher den Ort nicht nennen wollte, wo er sein Geld versteckt hatte, wurden die Nägel von den Fingern gelöst. In Marianczán hielten die Räuber dem Pfarrer das Crucifix vor, worauf er einen Eid ablegen mußte, daß er wirklich nicht mehr Vermögen habe, als er den „armen Jungen“ abgeliefert. In Feliczány wurde der Notar erschossen und die ganze Umgegend in Angst und Schrecken versetzt, bis endlich die ganze Bevölkerung gegen die Geißel aufstand und Bergam [729] mit seiner Schaar über die ungarische Grenze gedrängt wurde. Hier begann er das alte Unwesen sofort wieder. Schon der Name Bergam reichte hin, um eine panische Furcht hervor zu rufen. Derselbe hatte die Frechheit, in Sellyé, einem fürstlich batthyanyi’schen Marktflecken mit 4000 Einwohnern, 4 Stunden von Fünfkirchen, sich dem Rentmeister Szatoretz, in Gegenwart des Hofrichters und acht anwesender Gäste, am hellen Tage vorzustellen und sich den Inhalt der herrschaftlichen Casse auszubitten, der ihm auch, aus Furcht vor den Spießgesellen des Räubers, ohne allen Widerstand ausgeliefert wurde.[3] Bei dem Güterdirector Hoszi Falu bei Somogy lud er sich brieflich mit zehn seiner Gefährten zu einem Frühstück ein, und knüpfte die Bitte daran, einen der Amtsschreiber, welcher durch eine sehr schöne Stimme bekannt war, zu bewegen, die Gesellschaft gegen eine gute Belohnung durch seine Vorträge zu erfreuen. Man würde Allen weiter nicht das Geringste anhaben, und nach dem Mahle ruhig des Weges ziehen. Dies geschah, die „armen Jungen“ fanden bei ihrer Ankunft in einer Veranda eine reichgedeckte Tafel vor, an der sie sich bescheiden niederließen, und den gut zubereiteten Speisen, so wie den feinen Weinen des königlichen Schloßkellers eben so viel Gerechtigkeit widerfahren ließen, als dem kunstvollen Liedervortrage des musikalischen Schreibers. Als der letztere seinen Schatz erschöpft hatte und auf das lebhafte Andringen der Anwesenden noch etwas Neues bringen sollte, erklärte er, er wisse wohl noch ein schönes Lied, dies würde ihnen aber nicht gefallen, es sei, meinte der Sänger verlegen, es sei – eben „ein Räuberlied“. Das thäte nichts zur Sache, er solle es nur singen. Nun begann der Schreiber eines der wild-romantischen Lieder vorzutragen, worin die Vorzüge des freien Wald- und Räuberlebens gepriesen werden, jede Strophe endet indeß mit dem unbehaglichen Refrain: „Denn das End’ ist doch der Galgen!“ Immer gedämpfter wurde während dieses Gesanges die laute Fröhlichkeit der Spitzbuben, manches trotzige Auge wurde feucht, manch schwerer Kopf sank auf die unterschlagenen Arme herab.

Mit artigen Dankesworten an den Güterdirector, sonst aber lautlos, entfernte sich die Bande, nachdem Bergam dem Sänger noch zehn, und der Dienerschaft zwei Ducaten eingehändigt hatte. In Keszthely überraschte der Räuberhauptmann eine Gesellschaft Whistspieler, wovon er den einen aufforderte, sofort nach Hause zu reiten, und die fünftausend Gulden zu holen, die er an demselben Tage eingenommen habe, er – Bergam – werde während der zwei Stunden, bis er zurück sein könne, für ihn im Whist eintreten. So entsetzlich war die Furcht vor den Folgen einer Weigerung und der Verwegenheit Bergam’s, daß der Aufgeforderte schleunigst das Geld zur Stelle schaffte, während die Zurückgebliebenen mit dem unheimlichen Partner ihre Spielpartie fortsetzten. Derlei Bravouren umgaben den Banditen, namentlich in den Augen der Bauern, deren Eigenthum er nie verletzte, im Gegentheil als Gast derselben Gold mit vollen Händen ausstreute, mit einem Nimbus, welcher ihm Thür und Thor öffnete, wo er immer anklopfte. Man wußte, daß er nur die Reichen plündere und jeden Verrath schwer strafe.

In Peterd, 2½ Stunde von Fünfkirchen entfernt, ließ er, in Gegenwart des hierzu herbeigeholten Richters und der Dorfältesten, einen Bauer öffentlich erschießen, weil er den Versuch gemacht hatte, den Preis, der auf des Räubers Kopf gesetzt war, durch Verrath zu verdienen. – Das streng überwachte Waffenverbot, welches seit dem Jahre 1849 in ganz Ungarn herrscht, gab ihm seine Opfer fast wehrlos in die Hände.

Da erbot sich der Lehrer Ducz in Bogdasa, welcher mit Bergam in Verkehr stand und, wie das Gerücht behauptet, bei der Gelegenheit zum doppelten Verräther wurde, den gefürchteten Mann in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern, wenn ihm dafür eine Anstellung an einem fernen Orte und der ausgesetzte Preis von achthundert Gulden garantirt würde. Bergam pflegte mit einem Theil seiner Bande von Zeit zu Zeit bei Ducz einzukehren und kleine Festgelage zu veranstalten. In Folge der Denunciation des Ducz wurden die Panduren Glatz Istvan, Antal, Kovats Pál, Erdö Josef, Bognar György, Berbély Janos und Gyura Andras unter Anführung ihres Corporals Babarzi Janos nach Bogdasa commandirt, und in nächtlicher Stille im Hause des Lehrers auf den Heuboden versteckt. Unter einem riesigen Haufen Kukurutz[4] mußten sich die armen Teufel acht Tage lang verborgen halten, „was sehr unangenehm und mit vielem Leiden verbunden war“, wie sich Babarzi in seiner naiven Schilderung ausdrückt. In der neunten Nacht gegen zwei Uhr Morgens kam Bergam mit zehn seiner Gesellen an, wo sie sich bis sieben Uhr Abends lärmend unterhielten, trotzdem, daß der Lehrer dem Wein einen Schlaftrunk beigemischt hatte, welcher sich aber nicht als wirksam genug erwies, denn beim Ueberfall wehrten sich die Banditen noch wie Verzweifelte. Bergam erhielt von Babarzi einen Schuß durch die Brust, auch der Seb Ferenz, einer seiner Cameraden, wurde tödtlich verwundet und starb während des Transportes, Radicz, der gefangen wurde, zierte den Galgen von Sziklos, die Uebrigen entsprangen.

So weit das Drama, welches nicht ohne blutiges Nachspiel enden sollte.

Acht Tage nach dem Ueberfall der Räuber erschienen mehrere Cameraden derselben in Bogdasa. Da sie den Lehrer Ducz nicht mehr in seiner Behausung fanden – derselbe hatte eine Anstellung als Aufsichtsbeamter gegen die Banditen bei der Sicherheitsbehörde in Sziklos erhalten – so zerrten sie dessen greisen Schwiegervater und seinen Schwager aus ihren Wohnungen; vergebens war alles Flehen der Ortsbewohner, den schuldlosen alten Mann und dessen Sohn zu schonen, die sonst so stillen Mauern des Dorfes hallten wieder von dem Schreckensgeschrei der Unglücklichen und ihrer Mitbürger, auf offenem Markte und im Angesicht der ganzen Bevölkerung wurden die Aermsten von den Banditen erschossen.

Solche Zustände finden sich in Ungarn, ohne daß die Behörden dem Unwesen ein Ende machen können – oder wollen. Der Pandurencorporal Babarzi erhielt übrigens als Belohnung dafür, daß er den berüchtigten Räuber Bergam „gestellt“ hat, die Summe von neunzig Gulden österreichischer Währung als Prämie ausbezahlt. Wer wird sich in Zukunft dazu drängen, um diesen Preis sein Leben zehnfach auf’s Spiel zu setzen! –

Seitdem sind die Strolche eingeschüchtert, und man hört, wenigstens im Baranya-Comitat, nichts von neuen Gräuelthaten; wie lange aber der Landfrieden dauern wird, dürfte eine Frage ohne Lösung sein! –

Prachtvoll liegt das Schloß auf der Anhöhe der Stadt Sziklos, die Gegend beherrschend, jetzt freilich nur als Gerichtsgebäude und Gefängniß benutzt. Früher Eigenthum des unglücklichen Grafen Batthyanyi, konnte dieser, auf den Zinnen seiner stolzen Burg stehend, sein trunknes Auge nach allen Seiten in die weitesten Fernen schweifen lassen und mit Schiller ausrufen: „Dies alles ist mir unterthänig!“ Jetzt sind die Mauern halb verfallen, die prächtigen Gemächer, welche in glanzumstrahlten Räumen die seidenen perlengestickten Gewänder der schönen Edelfrau dahin rauschen, die goldenen Pokale kreisen sahen, bewohnen jetzt der Gerichtsbeamte, der Pandur und einige eingefangene Spitzbuben, welche auf dem schmutzigen, ehemals so blanken Estrich verdrossen sich herum wälzend ihrem Schicksal entgegen sehen.

Der untere Theil von Sziklos ist im strengsten Sinn des Wortes eine Zigeunerstadt, vielleicht die einzige in ihrer Art in Europa. Der Güte des dortigen Notars, in dessen Begleitung wir die originelle Stadt durchstrichen, verdanken wir es, daß uns keine Thür derselben verschlossen blieb. Wer sich in altherkömmlichem Vorurtheil unter einem Ort, der nur, aber am allernursten, wie der Kladderadatsch sagen würde, von Zigeunern bewohnt wird, ein Conglomerat von Schmutz und Unrath denkt, der hat sich einen sehr falschen Begriff von Sziklos gemacht. Selbst in Holland habe ich unter den unteren Volksclassen keine größere Sauberkeit und Accuratesse gefunden, als hier in den Straßen, den reinlichen Wohnungen und der Kleidung dieser eigenthümlichen Colonie herrscht. Die spiegelblanken Möbel glänzen wie Metall, die Häuschen sind so nett gehalten, die Bewohner derselben mit den charakteristischen braunen Köpfen lächeln dem Fremdling so freundlich entgegen und zeigen dabei einen Mund voll so prächtiger Perlenzähne, daß der Neid der Damen unserer Begleitung nicht ohne Grund rege wurde. Die Leute treiben Handel mit Vieh und [730] Wein, die Weiber waschen die Hemden der „Herren“ in der oberen Stadt, erhalten das Hauswesen, und eine gewisse Wohlhabenheit spricht sich behaglich in Allem aus, was da in die Augen fällt. Am Ende der langen Straße versprach uns unser freundlicher Begleiter die Bekanntschaft eines Virtuosen, der seines Gleichen wohl nicht in der gebildeten Welt habe. Unsere Neugier war durch diese geheimnißvolle Einleitung auf das Höchste gespannt, als Herr v. K. nach verschiedenen Seiten hin leise Aufträge ertheilte, und wir, am letzten Hause angelangt, vier so braune und prächtige Burschen vorfanden, wie selbe von Lenau nur je geschildert worden sind. Die tief schwarzen Haare, wie Rabengefieder an der Seite der scharf gezeichneten dunklen Gesichter herab fallend, die schwimmenden großen Mandelaugen, schwermüthig vor sich hinstarrend, das originelle Costüm mit den schweren silbernen Kugelknöpfen, die schlanken und doch so kräftigen Gestalten zierend, als Staffage rings herum aus allen Häusern neugierige Weibergestalten schüchtern hervor tretend, und sich gruppenweise um den für uns reservirten und mit Stühlen besetzten Platz im Freien aufstellend – Eva’s Töchter hatten sich währenddem mit Blitzesschnelle in ihren Sonntagsstaat geworfen – die Männer an Thüren und Fenstern lehnend, kauernd und in erwartungsvollem Schweigen harrend, im Hintergrunde amphitheatralisch auf Hügeln gebaut die obere Stadt Sziklos mit ihrem Mönchskloster, und an der Spitze des Berges das prachtvolle Grafenschloß; dazu wir, in unserer, diesen Naturkindern gegenüber unkleidsamen modernen Tracht, die Damen in der unvermeidlichen Crinoline: Alles zusammen bildete ein Genrebild, würdig von einem tüchtigen Maler oder einer gewandteren Feder als die meine festgehalten zu werden.

Da brachte eine alte Zigeuuerfrau, wie sie nur in irgend einem Roman geschildert worden, drei Instrumente, von welchen wir nicht wußten, was daraus zu machen sei; der Form nach roh gearbeitete Mandolinen in der primitivsten Gestalt und von verschiedenster Größe, so zwar, daß der Kasten der kleinsten mit der Fläche einer Kinderhand, der größte mit dem Handteller eines Mannes zu bedecken wäre. Ein Mann bemächtigte sich einer bereit gehaltenen Guitarre, die übrigen drei ergriffen die oben geschilderten Instrumente,[5] und nun begann ein Concert, welches auf uns verwöhnte Großstädter einen kaum zu schildernden Eindruck hervorbrachte.

Wie beim echten Csikos Mann und Roß nur ein Geschöpf zu sein scheint, so deuchten uns die vier Männer mit ihren simplen Instrumenten nur eine belebende Seele zu haben. Töne von so ergreifender, weicher und doch voller Art wußten die Kinder der Haide ihren einfachen Werkzeugen zu entlocken, ein Zusammenspiel so feuriger und eigenthümlicher Art entwickelten dieselben, daß wir alle entzückt und erstaunt der wunderbaren Production zuhorchten. Nicht satt konnten wir uns hören an dem eigenthümlichen Concert, besonders der erste der Spieler entwickelte auf der kleinsten Tambura eine Kunstfertigkeit, ein Talent der Improvisation, dem die übrigen blitzschnell folgend secundirten, daß die Zeit, die wir, der märchenhaften Production horchend, zubrachten, Flügel zu haben schien. Und das ist nur in und für Sziklos berühmt, selbst in dem nahen Fünfkirchen sind die dunkelhäutigen Tamburaspieler unbekannte Größen, die kaum je über die Grenzen ihrer winzigen Welt hinaus kommen dürften! –

Keiner von unserer Reisegesellschaft, wohlhabende, gebildete Bewohner von Fünfkirchen, war früher in der Zigeunerstadt gewesen, obgleich sie alle das obere Sziklos oft besucht hatten, keiner kannte die Kunstfertigkeit des Tamburaquartetts, ein neugieriger Berliner Tourist mußte hinkommen, um die guten Leute mit dem bekannt zu machen, was vor ihrer Thüre zu finden ist.

Ueberhaupt spielt die Zigeunermusik in Ungarn eine große Rolle, und kein Fest in irgend einem Kreise ist ohne eine solche zu denken. Unvergeßlich wird mir ein Abend, oder vielmehr eine Nacht sein, die mir in dem Weinberge eines gastfreundlichen Ungars, Herrn Bedö, in der Nähe von Fünfkirchen zubrachten. Diese Weingärten, mit ihren kleinen, dazu gehörigen Häuschen, eben eingerichtet, um eine fröhliche Gesellschaft fröhlich zu empfangen und zu bewirten, bilden das Tusculum des wohlhabenden Bürgerstandes im Baranya-Comitat. In reichem Kranze unmgeben sie die Hauptstadt des Kreises, hoch und malerisch aufsteigend und ausgeschmückt mit bequemen Landhäusern, je nach Vermögen, Laune und Geschmack des Besitzers. Letztere Vorzüge waren bei unserem Wirt in glücklichster Weise vereinigt. Der Nachmittag, den wir lesend, wenn auch nicht in einem gedruckten, sondern in dem reichen Buche der Natur zugebracht, war rasch dahin geeilt, um der schnell einbrechenden Dämmerung Platz zu machen, und der aufsteigende Vollmond beleuchtete eine fröhliche, harmlose Gesellschaft, welche den guten Dingen, die Herr Bedö in ununterbrochener Reihenfolge auftischte, eben so viel Ehre anthat, als dem unverfälschten Traubensaft des Besitzers. Da ertönten die Klänge einer Zigeunerbande durch die laue Nachtluft, jauchzend empfangen von den Anwesenden! Im Nu ein Ball im Freien improvisirt; der Lieblingstanz der Magyaren, der Csardas, ausgeführt mit seinen graziösen Figuren, die dem spanischen Fandango ähneln. Der Mond goß sein klarstes Licht auf den riesigen Saal, an dessen gewaltiger Kuppe bereits die Sterne angezündet wurden, wilder und wilder das Tempo der Musikanten, das Feuer der Tanzenden, bis die letzteren endlich ermattet in’s hohe Gras hinsanken. Pause – horch, was erklingt da oben hoch auf dem Berge, wie Sphärenmusik? Der auch in weiteren Kreisen wohlbekannte, am Dom angestellte Violinvirtuose Herr Rusky, der sich unter den Gästen befand, hatte sich unbemerkt von diesen entfernt, und sandte seine Zauberklänge leise durch die Nacht in’s Thal herab. Die Wirkung war fabelhaft, die Zigeuner, von der Macht der Kunst ergriffen, starrten mit verklärten Gesichtern hinauf, während am Schluß der improvisirten Phantasie ein laut jubelndes Bravo die freundliche Absicht des Virtuosen lohnte.

„Dem Mann möchte ich die Hand küssen,“ sagte der erste Zigeuner-Violinist zu Bedö „den schätze ich höher, als den Erzbischof.“ Einen größeren Grad der Werthschätzung als den Erzbischof weiß kein Zigeuner mehr aufzufinden, es war dies der Superlativ der Hochachtung für Rusky.

Wieder begann die Bande ihre Nationalweisen, deren Wechsel ihnen von den Anwesenden zugerufen wurde: „Klapkamarsch“, „Das Vaterland“, „Hunyady Laszló“, „Ragoczy“, „Kossuthmarsch!“ Sobald das Stichwort fiel, setzten die sämmtlichen Musiker, von denen keiner auch nur eine Note kennt, augenblicklich mit richtigem Tempo mit der verlangten Melodie ein, bis die Fütterung begann. Riesige Schüsseln mit gebratenen Hühnern, mächtige Krüge und Calebassen mit Wein wurden den wackeren Fiedlern vorgesetzt, der Inhalt verschwand mit fabelhafter Schnelle. Speisen und Getränke vertilgten die braunen Burschen in Massen, ausreichend, um in meiner Heimath alle Gäste eines Geheimrathsballes mit den eingeladenen Lieutenants und Referendarien satt zu machen.

Auf den Bergen wurde indeß ein Feuerwerk improvisirt, die Raketen flogen mit den „Eljen’s“ um die Wette in die Luft, wieder begann Musik und Tanz, bis die Morgenstunde zum Aufbruch mahnte. Aber auch da verstummte die erstere nicht, die unermüdlichen Zigeuner spielten ihre Weisen fort und fort, nicht der holprige Weg, nicht der schwere Wein in den Köpfen hinderte sie an der Ausübung ihres Berufes. Die stillen Straßen der Stadt riefen sie wach mit ihren Tönen, Ständchen wurden hier und dort improvisirt, bis man das letzte Haus der Heimkehrenden erreichte, und die Unermüdlichen reich beschenkt mit „Eljen“ entlassen wurden. So lebt der Zigeuner-Musiker in Ungarn, täglich angestrengt, aber mit reichem Lohn, besser als mancher vielbezahlte Concertist in Deutschlabd, ein unentbehrliches Möbel in jeder frohen Gesellschaft.

Ich aber werde des frohen Abends eingedenk sein, als eines Lichtpunktes auf meiner Fahrt in Ungarn, und bei der Erinnerung an denselben stets leise rufen: „Eljen Bedö, Eljen Rusky!“


[731]
Das Octoberfest der deutschen Veteranen.


2.
Die Sonntagsfeier – Die Leiden einzelner Kämpfer – Geschichte eines Apothekers – Ein Strumpf voll Salz – Der zweite Festtag – Der Veteranenzug – Ein Stelzfuß – Louise Kowaschütz vom neunten Infanterieregiment Colberg – Koch’s Rede – Der Abchied der Veteranen – Ein Gnadenbrot für die Veteranen.

Ernst und würdig war diese Feier. Milder, heiterer Sonnenschein verklärte Alles umher, und nur zuweilen schwellte ein leichtes Lüftchen die zahllosen Fahnen und Flaggen, welche ohne Ausnahme wohl alle Häuser umher schmückten. Daß die Tribüne glänzend und ausschließlich mit den deutschen Farben und eben solchen Bannern geschmückt war, brauchen wir wohl kaum zu erwähnen. Ueberhaupt waren bei allen Decorationen die deutschen Farben vorherrschend. Auf den ausdrücklichen Befehl des Königs trugen sämmtliche Regierungsgebäude nur schwarz-roth-goldenen Fahnenschmuck, und diese Anerkennung der Wichtigkeit des Festes ist um so erfreulicher, wenn man dagegen den blinden Eifer annimmt, mit dem man in so vielen anderen Städten von Seiten der Regierungsbehörden diese äußeren Kundgebungen des nationalen Erwachens mit zopfiger Angst zu unterdrücken oder auszurotten versuchte.

Von der am selben Nachmittage auf dem Marktplatze abgehaltenen zweiten Musikaufführung mit den begeisternden Gesängen aus Körner’s „Leyer und Schwert“ haben sämmtliche deutsche Zeitungen bereits das Nähere berichtet. Es wäre daher mehr als überflüssig, hier unsern Lesern noch das Weitere davon zu erzählen. Auch die würdige Abendfeier des ersten Festtages, die rings um Leipzig auf den denkwürdigsten Punkten des Schlachtfeldes lodernden Feuer, den großartigen Fackelzug mit seinen nahe an 10,000 Theinehmern, seinen mehr als 4000 Windlichtern und über 5000 Pechfackeln und seinen ununterbrochen schmetternden Musikchören – das Alles brauchen wir nicht mehr zu schildern.

Ueberall trat das Bestreben, den alten Herren ihren Aufenthalt in Leipzig so angenehm als möglich zu machen, auf das Erfreulichste hervor. Wo sich an einem öffentlichen Vergnügungsorte oder in einem Wirthshause einer der alten Krieger zeigte, da drängten sich sogleich eine Menge Gäste herbei, um ihren Trunk mit dem würdigen Alten zu theilen. Dann aber ging es an ein Fragen und Erzählen, und die aufmerksamen Zuhörer wurden nicht müde, den Kriegsberichten zu lauschen; denn es lag doch ein ganz anderer Reiz darin, hier die noch lebenden Zeugen jener Tage erzählen zu hören, als die Beschreibung der Kämpfe aus Büchern zu lesen. Wie wunderbar waren die Schicksale Einzelner gewesen, und Mancher, der an den Tagen der Schlacht dem Tode unrettbar verfallen schien, konnte jetzt nach fünfzig Jahren den Schauplatz seiner unsäglichen Leiden wieder aufsuchen.

Aus dem Munde eines vollständig glaubwürdigen Greises, der jetzt Apotheker in einer deutschen Residenzstadt ist, erfuhren wir, daß derselbe in dem damaligen Kampfe schwer verwundet und unter unsäglichen Schmerzen zwei und dreiviertel Tag ohne Hülfe und ohne jede Nahrung unbeachtet auf dem Schlachtfelde gelegen hatte. Ein Bauer, der mit dem Verscharren der Gebliebenen beschäftigt war, kam endlich glücklicher Weise in die Nähe des schon an jeder Rettung Verzweifelnden und brachte denselben auf seinem Karren in die Stadt. Hier waren jedoch sämmtliche Lazarethe so überfüllt, daß der Verwundete überall abgewiesen wurde, und nun hatte auch das Mitleiden des Landmannes ein Ende, denn dieser lud den Unglücklichen mitten in einer Straße auf dem harten Pflaster ab und fuhr von dannen. In so furchtbarer Lage entsann sich der Verlassene eines ihm befreundeten Officiers, von dessen Regiment er Leute erblickte. Er rief mit schwacher Stimme einige mitleidige Vorübergehende an, und diese suchten den Freund auf, der vermöge seiner Stellung dem zum Tode Erschöpften ein Quartierbillet, ärztliche Hülfe und damit vollständige Rettung verschaffte.

Einen fast komischen Eindruck machte dagegen die Erzählung eines anderen Veteranen, welcher der Erstürmung Möckerns beigewohnt hatte. Nachdem die Franzosen endlich vollständig aus jenem Dorfe vertrieben waren, suchten preußische Krieger in den von den Einwohnern verlassenen und halb zerstörten Häusern nach Nahrungsmitteln. Der Erzähler machte hierbei einen herrlichen Fund, nämlich – einen Topf mit Salz, woran es den Soldaten immer fehlte. Der ganze Topf war freilich nicht wohl mitzunehmen, doch fand sich bald ein Auskunftsmittel, denn die fliehenden Bewohner hatten einige hinter dem Hause zum Trocknen aufgehängte Strümpfe vergessen, und in einen derselben füllte nun der erfreute Sieger seine Beute. Diesen Strumpf hatte der Mann fortan als ein Andenken des Krieges bewahrt; als jedoch jetzt die fünfzigjährige Jubelfeier herankam und jener Veteran mit anderen Kampfgenossen auch nach Leipzig zog, da nahm er wohlweislich den alten Kriegsstrumpf mit, um denselben womöglich seinen damaligen Eigenthümern oder deren Nachkommen wieder zu überliefern. Sein erster Weg am Sonntag Morgen war auch hinaus nach Möckern gewesen, doch vergebens suchte er dort das in der Erinnerung ihm noch so deutlich vorschwebende Häuschen. Mit dem Dorfe war es just wie mit der Stadt Leipzig gegangen: beide hatten sich vollständig umgestaltet und erneuert. Da nun alle Nachforschungen ohne Erfolg blieben, meinte der alte Veteran: „’s thut mir eigentlich leid, denn die armen Leute haben vielleicht später den Strumpf wer weiß wie eifrig gesucht. Aber es ist mir auch wieder lieb, daß ich ihn jetzt wohl mit mehr Recht behalten kann, denn ich hätte mich gar schwer von diesem Kriegsandenken getrennt.“

Viele der Veteranen sah man mit rührendem Eifer alle auf das Fest bezüglichen Bekanntmachungen, Programme, Texte u. s. w. sammeln, die sie als liebe Erinnerung mit heim nehmen und ihren Angehörigen oder Freunden zeigen wollten. Ein Greis, welchem vom Festausschuß eine Einlaßkarte zu der Festvorstellung zugetheilt worden war, zeigte diese Karte am nächsten Tage mit triumphirender Miene seinen Cameraden. Als diese ihn verwundert fragten, weshalb er nicht im Theater gewesen sei, antwortete Jener: „O, da wäre ich doch ein Thor gewesen, denn ich hätte ja dann müssen das Billet abgeben. Von dem Theaterstück konnte ich ja doch nichts behalten, dazu ist mein Gedächtniß zu schwach; dafür habe ich lieber hier das Billet behalten, und das soll mir, so lange ich noch lebe, ein werthes Andenken sein.“

Der zweite Festtag (Montag den 19. October) brach ebenso freundlich und wolkenlos an, als der vorhergegangene. Die frühe Morgensonne beleuchtete schon eine besondere Feierlichkeit, welche mit der Wichtigkeit dieses Tages im engeren Zusammenhange stand. Ein Verein Leipziger Bürger begeht schon seit vielen Jahren stets den 19. October festlich, weil an demselben Tage 1813 die Stadt einer gründlichen Zerstörung glücklich entging. Die wichtigsten Punkte der Umgegend wurden auf Kosten dieses Vereins bereits mit Denksteinen versehen, wie z. B. der Monarchenhügel, wo die drei verbündeten Herrscher die Nachricht des Sieges über die Franzosen empfingen; dann andere Erinnerungszeichen bei Wachau, Göhren, Liebertwolkwitz gesetzt etc. Am heutigen Tage sollte nun ein anderes einfaches Denkmal eingeweiht werden, dicht an der Stelle wo durch Sprengung der einzigen Brücke über den Elsterfluß am 19. October 1813 der Rückzug der Franzosen durch sie selbst so fürchterlich gehemmt wurde. Wie vielen Tausenden hätte damals das Leben erspart werden können, wenn nicht ein Mißverständniß oder rathlose Angst diese Brücke viel zu früh vernichten ließ!

Während jene Denkmalsweihe mehr die Form einer Separatfeierlichkeit hatte, entwickelte sich ein desto regeres Leben in der Stadt. Schon in den frühen Morgenstunden wogte es auf allen Plätzen, in allen Straßen unablässig auf und ab, denn Jedermann hatte eine Ehre dareingesetzt, den beabsichtigten großen Festzug so glänzend als möglich zu gestalten. Es sollte ein Triumphzug werden für die Braven, welche in den Zeiten blutiger Noth das Vaterland von Schmach und Knechtschaft befreit hatten.

Von allen Seiten sah man Gewerke und Genossenschaften mit Fahnen und Emblemen nach den Sammelplätzen ziehen. Wagen eilten nach allen Richtungen, um einen Theil der Veteranen aufzunehmen, während die große Mehrzahl derselben wiederum darauf bestand, sich dem Zuge zu Fuße anzuschließen. Ueberhaupt schien es, als ob in viele der würdigen Greise während dieser Festtage noch einmal die Kraft und Ausdauer der Jugend neu zurückgekehrt sei. In der That sah man unter den Veteranen auch Männer genug, deren Haltung und Lebhaftigkeit die Zahl ihrer Jahre Lügen strafte.

Die nur einigermaßen eingehende Beschreibung des Zuges [732] würde zu viel Raum beanspruchen, und außerdem war die Reichhaltigkeit desselben so groß, daß dem einzelnen Beobachter wohl auch Manches entgehen mußte.

Lange vorher ehe noch der Zug erschien, hörte man schon aus bedeutender Entfernung den brausenden Jubel, mit welchem er überall begrüßt wurde. Die Straßen, welche er berührte, waren gedrängt voll Menschen, so daß eben nur ein enger Raum übrig blieb, und alle Fenster, bis zu den Dächern hinauf, waren von Zuschauern besetzt.

Nach einer den Zug eröffnenden Reiterabtheilung schritten in prächtiger Haltung die Turner einher, als die Vertreter jugendlicher Kraft. Hieran schlossen sich, den Jubel der Zuschauer munter erwidernd, die oberen Classen der Schulen. Weißgekleidete Jungfrauen, mit Eichenkränzen geschmückt, bildeten die liebliche Ehrenbegleitung der nun folgenden Veteranen. Ein ergreifenderes Bild konnte man sich kaum vorstellen: hier die zarten Jungfrauen, an der Schwelle eines freudenreichen Lebens stehend, und dort diese würdigen Greise, denen vielleicht nur noch wenige und leider oft genug auch gar karge Tage zugezählt sind. Aber ein Lichtblick sollte dieses Ehrenfest gewiß für den Lebensabend der Veteranen sein, und der begeisterte Zuruf, der ihnen von allen Seiten zu Theil wurde, war ein vollgültiger Beweis, daß man heute dankbaren Herzens der Dienste gedachte, welche jene einst dem bedrückten Vaterlande geleistet hatten. Aus allen Fenstern wehten Tücher, und was in der vorgerückten Jahreszeit an Blumen noch aufzutreiben gewesen war, das hatte man herbeigebracht, um sie den greisen Helden zu weihen. Von allen Seiten flogen Bouquets und Kränze auf den Zug hernieder, und die alten Krieger wußten oft ihren Blumenreichthum gar nicht mehr unterzubringen. Eine lange Wagenreihe brachte zuerst zumeist die gebrechlicheren Veteranen, und da sah man denn oft die offenen Wagen fußhoch mit Blumen angefüllt. Die Gefeierten waren von dieser Theilnahme sichtbar ergriffen. Viele konnten ihre Thränen nicht zurückhalten, und den meisten versagte vor Rührung die Stimme, wenn sie den rings aufbrausenden Jubel durch dankenden Zuruf erwidern wollten.

Im Publicum hatte sich das Gerücht verbreitet, in einem der Veteranenwagen befinde sich auch die alte, achtzigjährige Wittwe Häusser, die Pflegerin Körner’s, als dieser sich nach dem unglücklichen Gefechte bei Kitzen im Dorfe Großzschocher bei Leipzig einige Tage von seinen Wunden erholte. Wie ein Lauffeuer war dies Gerücht durch die dichtgedrängten Zuschauerspaliere geflogen, und sowie ein neuer blumen- und kranzgeschmückter Wagen kam, war immer der erste Blick darauf gerichtet, ob nicht die wackere Alte in ihm sitzen würde. Allein Equipage auf Equipage rollte in langsamem Schritte vorüber, schon erschienen die Droschken und hinter ihnen gar mächtige Omnibus, alle voll theurer Festgäste – allein nirgends wollte sich die Erwartete zeigen, wenn auch ab und zu einmal ein freundliches bejahrtes Mütterchen, das die Veteranen in ihre Mitte genommen hatten, schon das Geflüster in den harrenden Reihen entlockte: „Das ist sie!“

Unmittelbar hinter den mit Veteranen besetzten Wagen erschien eine lange Reihe der alten Krieger, welche sich noch stark genug fühlten, das ziemlich entfernte Ziel des Festzuges zu Fuße zu erreichen. Wohl stützte sich dabei Einer und der Andere auf seinen Nebenmann, der als treuer Camerad so viel als möglich dem Schwächeren Hülfe leistete, allein Mancher war auch im Zuge, der noch heute wie vor fünfzig Jahren denselben Weg mit Flinte und Tornister zurückgelegt hätte. Trat übrigens einmal unter dieser Abtheilung hier und da ein Augenblick der Ermattung ein, so brauchten die ihnen beigegebenen Musikchöre nur den bekannten Pariser Einzugsmarsch wieder anzustimmen, bei dessen Klängen neues Feuer und neue Kraft in die Reihen der Greise zu kommen schien. Fester schloß man sich an einander an, und mit frischem Muthe wurde dann dem Commandowort: Vorwärts! Folge geleistet. Manche Veteranen hatten sich die ihnen zugeworfenen Kränze auf das Haupt gesetzt und glichen den mit dem Preise gekrönten Siegern. Die originellste Idee aber hatte ein alter Invalid, der überall, wohin er nur kam, durch seine wahrhaft jugendlich muntere Laune der Liebling des Publicums und seiner alten Kriegsgefährten wurde. Sein hölzernes Bein verhinderte ihn, den Festzug zu Fuße mitzumachen, und man hatte ihm deshalb in einem der festlich geschmückten Wagen, welche den Veteranenzug eröffneten, seinen Platz angewiesen. Die Kränzespenderinnen hatten nun aber den alten freundlichen Invaliden ganz besonders reichlich bedacht, und er kam sehr bald in Verlegenheit, wo er diese Blumengaben bergen sollte. Allein er wußte sich rasch zu helfen, denn plötzlich schnallte er sein Stelzbein ab, schmückte dasselbe mit den Kränzen und schwenke diese nun jubelnd in der Luft.

Auf die Mehrzahl der Veteranen machten die ihnen von allen Seiten gespendeten Ehrenbezeigungen jedoch einen tiefernsten Eindruck, und viele sah man, denen fortwährend helle Thränen über die gefurchten Wangen rollten. Wie Mancher gedachte der Cameraden, die vor fünfzig Jahren auf dem Schlachtfelde, welches jetzt das Ziel des Zuges war, ihr Leben aushauchten, um durch ihren Tod die Auferstehung des Vaterlandes zu besiegeln! Wie viele andere Cameraden, die jene Kämpfe glücklich überstanden, waren seither vom Leben geschieden, und wie mancher der Braven, die man hier mit Jubel begleitete, sagte sich in denselben Augenblicken mit Wehmuth, daß dieses Fest wohl die letzte Freude sei, welche ihm der Rest seines Lebens noch geboten habe!

Große Theilnahme wandte sich auch einer im Zuge befindlichen Matrone zu, welche die volle Anwartschaft hatte, das große Jubelfest mitzufeiern, wie die auf ihrer Brust erglänzenden beiden Ehrenzeichen zur Genüge bewiesen. Ein kleines an ihrer Seite hängendes Fäßchen trug die Aufschrift: neuntes Infanterieregiment Colberg – und klärte Jeden sofort über die ehemalige Stellung der Greisin auf. Wir hatten eine Marketenderin vor uns, welche den vielen sich herbeidrängenden Fragern berichtete, daß sie heute vor fünfzig Jahren auch ihren Einzug mit den Truppen in Leipzig gehalten habe. Einzelnheiten des Kampfes wußte sie jedoch nur wenig anzugeben, weil sie – so lautete ihr Bericht – den furchtbar ermatteten Soldaten nun auch habe fleißig einschenken müssen. Die bescheidene Matrone zählte jetzt 73 Jahre, doch setzte sie trotz ihres vor Altersschwäche unaufhörlich zitternden Hauptes eine Ehre darein, wenigstens eine lange Strecke, auf den Arm eines jüngeren Mannes gestützt, an der Seite der Veteranen im Zuge zu wandern, bis sie allzuermüdet von dem ihr angebotenen Platz in einem der Wagen Gebrauch machte. Louise Kowaschütz war der Name der Greisin, welche durch die ihr allseitig bewiesenen Aufmerksamkeiten innig gerührt versicherte, daß ihr dies Alles wie ein Traum vorkäme, umsomehr als sie an ihrem Wohnorte – Berlin – so ganz kümmerlich und unbeachtet lebe.

Außer Stande, alle die rührenden Einzelnheiten des Festzuges zu melden, um so weniger, als Zuschauer und Theilnehmer des Zuges fortwährend noch neue Thatsachen berichten, die von dem erhebenden Eindrucke des Ganzen Zeugniß geben, wollen wir nur noch erwähnen, daß unmittelbar hinter den Veteranen der Leipziger Schlacht Mitglieder der ehemaligen Freischaar des sächsischen Banners marschirten. Ihnen reihte sich der Leipziger Schützenbund an mit der prachtvollen mit einem Gemälde von Bleibtreu geschmückten Fahne, welche die Frauen und Jungfrauen Berlins gestiftet haben.

Der Festausschuß endlich ging den anwesenden Vertretern der deutschen Städte voraus, welche nicht minder begeisterter Jubelruf begrüßte.

In unabsehbarer Reihenfolge schlossen sich nun die Studirenden und Professoren der Leipziger, sowie Deputationen auswärtiger Universitäten, die Landgemeinden, die Sänger, Künstler, Buchhändler, Kaufleute, Gewerke und geselligen Vereine an, bis die Turner aus den benachbarten Ortschaften das Ende des Riesenzuges bildeten, dessen Theilnehmerzahl, wohl nicht zu hoch gegriffen, auf 20,000 geschätzt wurde.

Eine Anhöhe bei dem Dorfe Stötteritz, etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, war das Ziel der festlichen Wanderung. Man hatte diesen Platz nicht nur gewählt, weil hier vor fünfzig Jahren der Kampf furchtbar gewüthtet, sondern auch, weil man von diesem Punkte aus das ganze weite Schlachtfeld vollkommen übersehen kann.

Wohl mancher der Veteranen mag sich hier die furchtbaren Stunden des Kampfes vergegenwärtigt haben, welchen er damals auf dieser Stelle oder in nächster Umgebung beiwohnte. Sinnend schweiften jetzt die Blicke der alten Krieger umher, und die sie gleichsam als Ehrenwache umgebenden Jungfrauen erschienen in ihrer weißen Kleidung mit den Eichenkränzen wie Siegesgöttinnen, welche die Helden zu krönen gekommen waren.

Noch während der unendliche Festzug heranwallte, begann die Feier der Grundsteinlegung zu einem Denkmal, welches ein dauerndes und würdiges Erinnerungszeichen an den Sieg Deutschlands über schmachvolle Fremdherrschaft werden soll.

[733]

Aus dem Festzuge der Veteranen.
Nach der Natur aufgenommen von Paul Thumann.

Nach einem von sämmtlichen Männergesangvereinen ausgeführten Liede hielt der Bürgermeister von Leipzig. Dr. Koch, eine schwungreiche und würdevolle Festrede, welche wir gern vollständig wiedergeben möchten, weil sie ein Mahnruf an die ganze deutsche Nation ist. Wir müssen uns jedoch leider darauf beschränken, nur einige Stellen anzuführen.

„Tausende und abermals Tausende“ – so begann der Festredner – „bedecken heute wie vor funfzig Jahren diese Fluren. Aber welcher Unterschied zwischen dem Damals und dem Heute! Hier, wo vor einem halben Jahrhundert die Völker Europa’s rangen im vernichtenden Entscheidungskampfe, wie ihn die Welt kaum jemals vorher gesehen, hier versammeln sich heute die deutschen Volksstämme in friedlich-ernster Festesstimmung, um das Andenken an den glorreichen Sieg zu begehen, welchen unsere Väter im Dienste der Freiheit und Selbstständigkeit unsers gemeinsamen Vaterlandes auf dieser von ihrem und der Feinde Blute getränkten Wahlstatt erfochten. Und fragen wir, was uns zu dieser Feier drängt, so giebt es darauf nur die eine Antwort: Wir feiern heute an dieser Stätte die Selbstherrlichkeit deutscher Nation! Ja, die Selbstherrlichkeit, welche uns frei gemacht hat von den Banden fremden Joches, welche uns wieder einführen soll in die Reihe der Völker, die da mit zu entscheiden haben über die Geschicke der Welt.

Hierauf schilderte er den trostlosen Zustand unsers Vaterlandes vor dem entscheidenden Kampfe und die Herrlichkeit des errungenen Sieges, der jedoch, wie sich nur zu bald erwies, die erwarteten Segnungen nicht bringen sollte. Eine freie Verfassung hatten die Fürsten Deutschlands verheißen und „statt Brodes boten sie Steine!“ Die Patrioten, welche für die Befreiung des Vaterlandes ihr Blut vergossen hatten, und an die gegebenen Versprechungen erinnerten, wurden verfolgt, eingekerkert oder verbannt. [734] Erst die Neuzeit offenbare wieder eine frischere Strömung, die sich nach allen Seiten Bahn zu brechen suche, und erst in jüngster Vergangenheit hätten ja sogar die Fürsten ihr eigenes Werk, die deutsche Bundesverfassung, als unhaltbar verurtheilt. Aber das Einverständniß zwischen den Fürsten und dem Volke sei nöthig, wenn ein glückverheißender Abschluß erzielt werden solle.

Nachdem der Redner den anwesenden Kämpfern aus dem Freiheitskriege den Dank des jetzigen Geschlechtes dargebracht und den Vertretern des deutschen Bürgerthums die Mahnung zugerufen, mit Mannesmuth und Manneswürde dahin zu trachten, daß das jüngere Geschlecht ähnlich werde jenem aufopfernden Heldengeschlechte, dessen letzte Zeugen diese Feier verherrlichen; sowie eine Verfassung zu erstreben, welche das Vaterland einig und frei mache – wurde der Grundstein eingesenkt und erfolgten von Seite des Festredners die üblichen drei Hammerschläge mit folgenden begeisternden Worten:

Der erste Schlag gilt dem Erwachen des deutschen Volks in seinem nationalen Bewußtsein; gilt allen denen, welche dafür gekämpft, gelitten und geblutet haben!

Der zweite Schlag gilt dem treuen Ausharren in der begonnenen neuen Arbeit für die großen Endziele deutscher Nation!

Der dritte Schlag gilt dem endlichen Sieg des deutschen Volks im Ringen nach nationaler Macht und Größe, Einheit und Freiheit des heißgeliebten deutschen Vaterlandes!“

Jubelnder Beifall folgte diesen Worten, und hierauf führten noch die weihenden Hammerschläge General von Pfuel; ein österreichischer Officier; der erste preußische Freiwillige Heidemann, Baron Seidlitz und die Abgeordneten der Städte Wien, Berlin, Dresden, Hannover, Bremen, Mainz, Stuttgart und Augsburg.

Nach Absingung des Festliedes von Robert Prutz, in welches die ganze Versammlung einstimmte, brachte ein preußischer Veteran, Ingenieuroberst Mente, der Stadt Leipzig den Dank seiner Kampfgenossen dar, und hierauf setzte sich der ganze Zug wieder nach der Stadt zu in Bewegung.

Dort galt es jetzt, die Einweihung des schon von uns erwähnten Denkmales des Major Friccius zu vollziehen. Die Weihrede dabei hielt der Vorsteher des Leipziger Stadtverordneten-Collegiums, Dr. Joseph. Er feierte die Großthat der Königsberger Landwehr bei der Erstürmung des äußeren Grimmaischen Thores, das, sich einst an derselben Stelle erhebend, von diesem unsrem heutigen Bilde genau so gezeigt wird, wie es damals war. Durch diese Erstürmung war den nachrückenden Truppen der Weg in die von den Franzosen auf das Aeußerste vertheidigte Stadt gebahnt worden. Zum Schlusse drückte der Redner den Wunsch aus, es möge das gerade jetzt so ungerecht geschmähte Institut der Landwehr, welche im Befreiungskriege so Herrliches geleistet, als die kräftigste Stütze des Vaterlandes fortbestehen gegen dessen Feinde und zur Wahrung des Rechtes und der Freiheit.

Im Namen der Stadt Königsberg sprach deren Vertreter Bijork herzliche Worte des Dankes und berichtete zugleich, daß noch zwölf Veteranen vom Friccius’schen Bataillone hier beim Feste anwesend seien, die er angefordert habe, als Zeugen der ehrenden Auszeichnung ihres tapferen Anführers nach dessen Tode jetzt hier auf den Stufen dieses Denkmals zu erscheinen. Unbeschreiblich erhebend und zugleich rührend war der Auftritt, der sich nun den Anwesenden darbot. Von brausendem Jubel empfangen nahten sich die tief ergriffenen Veteranen und stellten sich bei dem Denkmal auf. Kränze und Blumen flogen ihnen von allen Seiten zu, und die greisen Veteranen vergossen Thränen der Rührung, die wohl nicht allein der ihnen bezeigten Huldigung, sondern auch dem Andenken ihres unvergeßlichen Führers galten. Von nicht geringerer Rührung zeugten die Worte des Dankes, welche am Schlusse einer der anwesenden Söhne des Major Friccius für die seinem unvergeßlichen Vater noch im Tode erwiesene Ehre aussprach.

Tief bewegt von dieser würdigen Feier trennte sich die Versammlung, und der Zug löste sich allmählich auf. Die vierte Nachmittagsstunde war bereits herangekommen, und nun versammelten sich die Ehrengäste und Festtheilnehmer in den hierzu bestimmten Sälen vier verschiedener Etablissements, weil ein einziges Local für die fast Viertausend erreichende Zahl der Theilnehmer an der Festtafel nicht wohl beschafft werden konnte. Die Veteranen wurden natürlich als Ehrengäste frei bewirthet, und an allen jenen Orten herrschte eine wahrhaft festliche Stimmung. Der Vorsitz in den vier Localen war den Bürgermeistern Berlins und Leipzigs, so wie den obersten Vertretern der Städte Wien und Stuttgart zugetheilt. Bei allen diesen festlichen Versammlungen galten die ausgebrachten Trinksprüche immer zunächst den anwesenden Zeugen jener glorreichen Zeit, den Veteranen; aber auch des Vaterlandes wurde mit treuer Liebe gedacht, und eine wahrhaft freie, glückverheißende Zukunft mit Herz und Mund gefeiert.

Eine wahrhaft glänzende Illumination der Stadt schloß das schöne Fest. Es war keine „befohlene“, wie sie Napoleon den sächsischen Städten mehr als einmal geboten hatte, wenn deutsche Bruderstämme von ihm besiegt worden waren; keine directe Aufforderung hatte dazu gemahnt, der Rath vielmehr blos angezeigt, daß er die Beleuchtung der öffentlichen Gebäude und Plätze beabsichtige. Dennoch aber erglänzte am zweiten Festabende ganz Leipzig in zauberischem Feuermeere, vor Allem aber die neuem Parkanlagen, die an die Feeenwelt alter Märchen erinnerten. Rings um die Promenaden aber brannten in strahlendem Lampenlichte die Namen von 26 der hervorragendsten Männer aus den Freiheitskriegen.

Mit diesen Flammenzeichen hatte das herrliche Fest seinen Abschluß gefunden, und gewiß haben dieselben viele Herzen zu immer größerer Liebe des Vaterlandes entzündet. Am folgenden Tage zogen die Ehrengäste der Stadt voll der schönsten Erinnerungen ihrer Heimath wieder zu. Wie manchen rührenden Auftritt gab es nun, als die Veteranen der gastlichen Stadt Lebewohl sagten! Viele von ihnen nahmen von den gestrigen Blumenspenden einen Kranz oder einen schon halbwelken Strauß als Andenken mit in die ferne Heimath, doch auch manche frische Blume wurde den braven Greisen bei ihrer Abreise noch gespendet. Fast allen aber versagte vor Wehmuth die Stimme, als sie ihren freundlichen Wirten Lebewohl sagten; Thränen erstickten den Dank, den sie darbringen wollten, und doch waren gerade diese Thränen der erhabenste Ausdruck des Dankes. Die bejahrten Helden nahmen Abschied von dem Schauplatz ihrer früheren Waffenthaten, von der Stadt, die einst Zeuge ihrer Tapferkeit war und die – das sagte sich wohl so Mancher mit Wehmuth – die sie jetzt zum letzten Male gesehen hatten. Derselbe Gedanke mochte auch das jüngere Geschlecht ergreifen, welches die Veteranen zu den Bahnhöfen geleitete, denn mit Thränen reichte man den gerührten Greisen die Hand zum Lebewohl. Wir waren Zeuge, wie noch im Augenblicke der Abfahrt ein silberhaariger Veteran sich zum Wagenfenster herausbog und weinend rief. „Lebe wohl, und Gottes Segen werde dir, du gute, liebe Stadt! Du hast uns reichlich vergolten, was wir vor fünfzig Jahren gethan!“

Diesen Dank aber, so rührend er auch war, müssen wir zurückweisen und dafür an die ganze deutsche Nation die gewichtige, ernste Frage stellen: Was hast du für jene heldenmüthigen Kämpfer gethan, welche dich vom Joche fremder Unterdrückung befreiten? – Eine leider höchst traurige Antwort hat das Bild so vieler Veteranen gegeben, die der Aufforderung, sich an dem Jubelfeste des glorreichen Sieges zu betheiligen, gefolgt waren. Nur durch Unterstützungen einiger Städte oder Gemeinden war es ihnen möglich geworden, die Reise zu unternehmen, und hier erschienen sie, ein Bild der Entbehrung und Armuth. Unter den etwa 1400 Veteranen, welche nach Leipzig gekommen waren, bestand die „weit größere Hälfte“ aus Männern, die daheim den Rest ihrer Lebenstage in Kummer und Elend fristen! „Ordenszeichen“ hat ihnen wohl das dankbare Vaterland nach Recht und Gebühr verliehen, aber man hat leider vergessen, diesen ehrenden Auszeichnungen auch noch – „Brod“ hinzuzufügen. Um wie viel drückender aber muß jenen Armen ihre Noth erscheinen, wenn sie jetzt daheim wieder bei ihrem Mangel des Jubels und Ueberflusses der erhebenden Festtage gedenken! Muß sich ihnen nicht ganz von selbst die Frage aufdrängen: wenn unsere Thaten noch jetzt nach fünfzig Jahren einer solchen Verherrlichung werth maren, warum läßt man uns im Alter noch darben? Und wie viele Kämpfer jenes Freiheitskrieges giebt es nicht noch, welche an dem Siegesjubelfeste nicht Theil nehmen konnten, weil gar zu bittere Armuth sie drückte, weil sie vielleicht keinen Rock hatten, um auf demselben ihre „Ehrenzeichen“ zu befestigen, oder weil Elend und Siechtum sie daheim auf das kümmerliche Schmerzenslager fesselt?

Deutsche Männer und Frauen aller Stämme! Ihr habt ein langverjährtes Unrecht gut zu machen, indem Ihr mit allen Euch zu Gebote stehenden Kräften dahin wirkt, daß die altehrwürdigen Blutzeugen der Befreiung Deutschlands nicht hungernd und darbend in das ihnen vielleicht schon so nahe Grab sinken! Sammelt und [735] sendet Gaben, so viel Ihr könnt! Oder soll man Euch als Beispiel erst noch jene Nation vorhalten, gegen deren Herrscher jene Kriege geführt wurden? Soll Deutschland gegen seine Braven, welche der Befreiung des Vaterlandes Blut und Leben weihten, nicht auch dankbar sein? Nein – nein! Wohl werden auch von anderen Seiten gleiche Mahnungen ergehen, und gewiß wird Niemand denselben sein Herz verschließen. Das Bewußtsein, jenen Greisen noch den kurzen Abend ihres Lebens verschönt zu haben, ist eine Belohnung, welche die Liebesgaben hundertfach aufwiegen wird.[6]

Das walte Gott!

A. B.



Blätter und Blüthen.

Das Schulze-Delitzsch-Album. Wie unsere Leser wissen, befand sich unter den Ehrengaben, welche unserm hochverdienten Schulze-Delitzsch am 4. October gleichzeitig mit der gesammelten bedeutenden Geldsumme als Dankeszeichen überreicht wurden, auch ein reichgeschmücktes, mit kunstvollen Gedenkblättern ausgestaltetes Album. Die Anregung zu diesem sinnigen Huldigungsgeschenke war von einem durch die gleiche Gesinnung und in derselben Verehrung für den Gefeierten verbundenen Kreise in Gotha ausgegangen, zunächst von den Herren Rechtsanwalt Dr. F. Henneberg, Regierungsrath Müller, Bürgermeister Hünersdorf, Senator Döll, Hofrath und Hofmaler Emil Jacobs und Kaufmann Klug. Es sollte dem Erwecker der Bewegung auf dem Gebiete der gewerblichen Selbsthülfe und Selbstverantwortlichkeit ein werthvolles deutsches Gedenkbuch mit Erinnerungsblättern aus allen Städten und Kreisen gestiftet und zu diesem Ende eine Sammlung kleiner Beiträge aller Derer veranstaltet werden, „die“ – so heißt es in dem auffordernden Rundschreiben – „unbedingt mit freudigem Herzen geben,“ da „kein Heller dabei sein soll, welcher nicht mit vollster Freudigkeit und Hingebung geboten wird.“ In der wahren Bedeutung des Wortes eine Liebesgabe, – das war es, was man darbringen wollte.

In diesem Sinne ward das Unternehmen mit sicherem Vertrauen begonnen und fand auch allenthalben, wohin die ersten Circulare ergingen, den lebhaftesten Anklang, so daß es neben der glänzenden Durchführung der größeren Dankessammlung gelungen ist, das Schulze-Delitzsch-Album in würdigster Weise herzustellen, – ein sprechender Beweis, welchen festen, tiefen Boden Schulze und sein Wirken im Geiste und im Herzen der Nation gewonnen haben.

Das Album ist etwa 50 Centimetres lang und 40 Centimetres breit und aus rothem und schwarzem echtem Sammt hergestellt. Das Hauptfeld, in dessen Mitte der dichte goldene Eichenkranz mit der Inschrift: „dem Begründer der deutschen Genossenschaften, Herrn Hermann Schulze, dankbare deutsche Bürger,“ nimmt der rothe Sammt ein. Alle Verzierungen an demselben sind von Silber, stark vergoldet und von getriebener ciselirter Arbeit. In den goldenen Eckenverzierungen befinden sich auf beiden Seiten acht große orientalische Granatschalen, auf welche das Album beim Liegen zu ruhen kommt. Dasselbe ist im Innern mit weißem Atlas gefüttert und ruht in einem massiven Kasten von Palistanderholz.

Außer dem von der Hand des bekannten Malers Emil Jacobs in Gotha mit schönen, passenden Randzeichnungen gezierten Widmungsblatte und dem der poetischen Feder des Dr. Fr. Henneberg entflossenen Weihgedichte enthält es Blätter von Freunden in Delitzsch, von Freunden im Teutoburger Walde (Meinberg, Blomberg, Lage, Horn), von den Arbeiterfortbildungsvereinen in Kurhessen (Castel, Hanau, Fulda, Melsungen, Rodenberg, Bockenheim), von Freunden in Erfurt, von den Mitgliedern der Gewerbebank in Friedrichsrode, desgleichen des Arbeitervereins in Nürnberg, des Vorschußvereins in Osterfeld, des Arbeitervereins in Offenbach, des Vorschußvereins in Halle a/S., des Nationalvereins in Gotha, des Vorschußvereins in Naumburg a/S., des Handwerkervereins in Königsberg i/Pr., von Freunden in Ohrdruf, des Vorschußvereins zu Pasewalk, des Nationalvereins zu Lübeck, des Arbeitervereins zu Pforzheim, des Vorschußvereins in Gotha, des Vorschußvereins in Guben, der europäischen Mode-Akademie zu Dresden, des Darlehnvereins der Oranienburger Vorstadt zu Berlin, von Freunden in Görlitz, von Freunden in Mühlhausen, von den Genossenschaften und Freunden in Hamburg, fast alle mit bezüglichen Randskizzen, mit Gedichten, Sprüchen, photographischen Darstellungen und Aehnlichem geziert. Einige weitere Blätter aber sind noch in Aussicht gestellt, so von Cannstadt und Rüdesheim.

Bei allen Beschauern hat das höchst gelungene Album, dessen Metallarbeit vom Hofjuwelier B. Gutjahr in Gotha ausgeführt worden ist, während der Einband mit seinem Zubehör dem Buchbinder Lange, ebendaselbst, verdankt wird, die Anerkennung eines Kunstwerks gefunden. Wollte man Erzeugnisse des deutschen Geistes und der deutschen Natur darbringen, so konnte gewiß nichts Köstlicheres geboten werden, als ein solches Gedenkbuch und jener vaterländische würzige Feuerwein, welchen eine Zahl von Freunden dem allverehrten deutschen Manne aus einem der vorzüglichsten Keller des Rheingaues gewidmet hat, jener herrliche, goldklare Rüdesheimer, bei dessen Duft sich der Deutsche so gern in freudiger Begeisterung dessen erinnert, was seine Brust am höchsten schlagen macht.

Uebrigens ist das Album nur als ein Anfang zu betrachten. Gar mancher Verehrer Schulze’s ist durch die erwähnte größere Sammlung verhindert worden, die Aufmerksamkeit der Freunde für das kleinere Geschenk eines Albums zu gewinnen, und so harrt dasselbe der nachträglichen Fortsetzung und Vollendung. Jetzt, wo durch das Gelingen der Sache das Interesse an derselben neu erweckt ist, wo das ganze Unternehmen durch die Erklärung und den Dank des Herrn Schulze die wahre Geistes- und Weihetaufe erhalten hat, jetzt ist es an der Zeit, daß diejenigen Städte, welche vom Album zurückgeblieben sind, nachträglich von Künstlerhand Blätter anfertigen lassen und solche in das Album einlegen, damit solches ein Bild des deutschen Lebens gewähre, ein wahrhaft deutsches Album werde. Dazu fordern wir mit dem Bemerken auf, daß die Länge der Blätter 46 Centimetres und 5 Millimetres und die Breite 35 Centimetres und 6 Millimetres beträgt und daß solche, zwischen Pappen verpackt, unmittelbar Herrn Schulze-Deltizsch in Potsdam zuzusenden sein würden.

Die Uebergabe des Albums erfolgte, wie erwähnt, am 4. Octbr 1863 in Schulze’s Wohnung in Potsdam in schlichtester Weise durch Rechtsanwalt Dr. Henneberg aus Gotha und Tischlermeister Troitsch aus dem Mutterhause der Genossenschaften zu Delitzsch.

Der Uebergabe selbst folgte ein fröhliches Mahl der Mitglieder der Deputation im Gasthof zum Einsiedler in Potsdam, bei welchem der deutsche Trinkspruch, die höchsten Ziele des Vaterlandes und der Menschheit in Worte der Freunde zu Freunden kleidend, zu seiner edelsten Bedeutung kam, ein Tag so schön, daß er Jedem unvergeßlich bleiben wird, der das Glück hatte, ihn mit zu erleben.

Dies erhebende Potsdamer Octoberfest und die über dasselbe in den verschiedenen Zeitungen veröffentlichten Berichte scheinen es übrigens erst gewesen zu sein, was die allgemeine Aufmerksamkeit unserer überrheinischen Nachbarn auf die großartigen Erfolge von unseres Schulze-Delitzsch Wirksamkeit gelenkt hat. Mit einem Male finden fast alle Pariser Hauptblätter nicht Worte genug der Anerkennung für das, was ein einzelner Mann in’s Leben gerufen und geleistet hat, in dessen Herzen die opferfreudige Liebe zum Volke die erste Stelle einnimmt. Verwundert, daß eine solche Bewegung den Franzosen unbekannt bleiben konnte, daß sie nicht in ein Land einzudringen wußte, welches früher so mächtig von dem Streben nach der Lösung der socialen Frage erfüllt war, wenden sie sich jetzt mit der dringenden Aufforderung an den französischen Arbeiterstand, in Gründung von Vorschußvereinen und Genossenschaften dem Beispiele der deutschen Brüder nachzueifern. In Folge dieser Anregung sind denn auch bereits zwei Arbeitervorschußvereine – von den Schneidern und den Knopfmachern – nach Schulze-Delitzsch’s Principien in Paris in’s Leben getreten.




Ein echter deutscher Student. Es war im Jahre 1811. Napoleon stand auf dem Gipfel seiner Macht, und auch in der Universttätsstadt Jena sollte der 15. August, des Allgewaltigen Geburtstag, festlich begangen werden. Schon wochenlang vorher wurde eine Aufforderung an die Studirenden erlassen, sich an der beabsichtigten Feier zu betheiligen.

Da, am Abende des 5. August, schob die Hand eines Studenten ein Papierblatt durch das Gitter des schwarzen Bretes, worauf wörtlich stand wie folgt:

„Antwort auf die Einladung zum Napoleonsfeste!

Welcher unbesonnene Hundsfott konnte sich unterfangen die braven teutsch gesinnten Jünglinge Jena’s einzuladen zur Feyer eines Tages, wo man die Erde mit Trauerflor bedecken und blutige Thränen weinen sollte!

Ja! wär’s seine Todtenfeyer, gern würde jeder brave Bursche Jena’s um seinen Galgen tanzen.“

Ein Commilitone las die kühne Ansprache und war niederträchtig genug, als Denunciant aufzutreten, unter der Namenschiffre Gn. schrieb er sofort einen Brief an den Kirchenrath Dr. Gabler und meldete, was ein Mitstudirender gethan hatte. Gabler verfügte sich augenblicklich zu dem damaligen Prorector, dem Geheimen Hofrathe Dr. J. F. Fuchs, und machte vom Geschehenen Anzeige. Dieser beschied ungesäumt die Pedelle Nitzschke und Täubner sen. und jun. vor sich und ließ von ihnen den gefährlichen Zettel beseitigen.

Sowohl der Brief an den Kirchenrath Gabler, als das Blatt selbst sind noch vorhanden. Sie befinden sich im Besitze des jetzt in Jena Philosophie studirenden Herrn F. W. Braunau, eines Großneffen des Geh. Hofraths Fuchs, der sie durch Erbschaft erhalten und uns von der Existenz des merkwürdigen Schriftstücks unterrichtet hat. Derselbe bewahrt auch noch das Protokoll, welches von dem Vorfalle aufgenommen worden ist. Es berichtet, daß alle vom 5. bis 16. August nach dem Urheher der That angestellten Nachforschungen erfolglos geblieben sind.

Wir erlassen uns und unsern Lesern jedwede Betrachtung über die Gefahr, welcher sich der wackere deutsche Jüngling aussetzte, der es wagte, unter tausend Spionenaugen seine kühnen Worte an öffentlichem Orte anzuheften. Wohl aber erführen wir gern, ob der Brave noch lebt, damit wir ihm aus vollem Herzen unsere Verehrung aussprechen und ihn der heutigen Jugend als ein Vorbild patriotischer Gesinnung und männlichen Muthes bewundernd zeigen könnten. Wer weiß, ob die Zeit nicht nahe ist, wo sie von solchen Vorbildern zu lernen hat!




Aufruf deutsch-amerikanische Erbangelegenheiten betreffend. Uns geht so eben das nachfolgende Schreiben zu: „Das unterzeichnete General-Consulat der Vereinigten Staaten von Amerika für Frankfurt a. M. und die umliegenden Länder wird von jetzt ab ihm regelmäßig zukommende Listen von in Amerika verstorbenen Deutschen, deren Erben auf gewöhnlichem Wege nicht ermittelt werden [736] können, ausschließlich in der Gartenlaube veröffentlichen. Behufs Geltendmachung ihrer Ansprüche aber haben sich die betreffenden Erbberechtigten an den Secretair des erwähnten General-Consulates, Herrn August Gläser in Frankfurt a. M., zu wenden, welcher schon seit längerer Zeit in Verbindung mit den Herren Friedrich Kapp und Francis H. Zitz in New-York und einem der erfahrensten Pensionsagenten in Washington die Interessen der deutschen Erben, ganz besonders aber der Wittwen und Waisen von im gegenwärtigen amerikanischen Kriege gefallenen Soldaten und im Dienste verstorbenen Matrosen, mit Erfolg vertritt. Zu der nachstehenden Namensliste wird noch bemerkt, daß für eine Anzahl von unterlassenen der aufgeführten Todten Baarbeträge zu sofortigem Bezuge auf dem genannten General-Consulate bereit liegen.

Frankfurt a. M., 4. November 1863.

Das General-Consulat der Vereinigten Staaten von Nordamerika.“

Liste der Todten: Peter Ahlmann aus Würtemberg, Otto Adam aus Preußen, Peter Bauer aus New-Port, August Biesold aus Strehla, P. Voß aus Baden, K. Brandau aus Würtemberg, Georg Bonn aus Hessen-Darmstadt, Christian Beck aus Würtemberg, August Busse aus Preußen, E. Ehringhaus aus Cassel, W. Eckert aus Preußen, Carl Froeb aus Wächtersbach, W. Günther aus Nassau, Friedrich Gick aus Mainz, Fr. Geßmann aus Baden, Heinrich Hamer aus Hirschhausen, Capitain Heringen, Fr. Heintzen aus Preußen, J. Heimbacher aus Baden, P. Hildebrand aus Würtemberg, Martin Hahn aus Hannover, Paul Kayser aus Stuttgart, Heinrich Kettenring aus Geiselberg, Gottlieb Kauth aus Würtemberg, C. Kämmerer aus Sachsen, Thomas Kern aus Baden, Carl Krumb aus Berlin, H. Kehrer aus Baden, Adam König aus Hamburg, Matthias Lindner aus Sachsen, A. Leinhardt aus Baden, Friedrich Lange aus Baden, Emil Müller aus Preußen, Otto Müller aus Landsberg a. d. Warthe, Henry Michel aus Baden, G. A. M. Meerwarth aus Bahnbrücken, Alexander Nicola aus Frankfurt oder Umgegend, Louis Neuburg, Martin Ott aus Baden, Ludwig Pfaff aus Mecklenburg, Theodor Plausch, Johann Plantz aus Altenschlag, H. Reis aus Holstein, Carl Rohr aus Preußen, Conrad Schweitzer aus Baden, Carl Schwarz aus Würtemberg, John Schaffner, S. Schick aus Baden, Carl Schulze aus Berlin, Christoph Schäfer aus Westphalen, Eduard Späth aus Langensalza, Christian Schulz aus Lobenstein, Georg Steidinger aus Oberndorf, Michael Schumacher aus Markstadt, S. Schmidt aus Würtemberg, W. C. Schmidt aus Usingen, Fr. Seiler aus Stockhausen, Friedrich Strauß aus Gundersheim, John Siebert aus Kitzingen, Georg Schulz aus Mecklenburg-Schwerin, Joseph Baer, Carl Voigt aus Baden, Peter Viehmann, Hermann Voigt aus Chemnitz, Heinrich Valentin aus Gleiberg, G. E. Vogt aus Pochra, M. Werner aus Würtemberg, Anton Weber aus Preußen, Bernhard Witte aus München, Carl West aus Hannover, Nicolaus Winckler aus Maulbronn, H. Wahls aus Hessen-Darmstadt, Carl Zeh aus Braunschweig.




Ein Oberpräsident. Im Jahre 1830 machte ich eine Reise durch Westphalen. – Eines Abends kam ich in die Kreisstadt O., und fuhr in den Gasthof zur Sonne, um daselbst zu übernachten. Rechts von der Einfahrt des Hauses befand sich das allgemeine Gastzimmer, ein großer Saal, der, für die damalige Zeit, und für die kleine Stadt, elegant ausgestattet war. Hinter diesem Zimmer, nach dem Hofe hinaus, befand sich ein zweites Gastzimmer, welches für Landleute und Handwerker bestimmt war; auch die Kutscher der Reisenden hielten sich dort auf. Beide Zimmer waren durch eine Glasthür von einander getrennt.

Ich hatte mein Abendbrod verzehrt, und saß noch bei einem Glase Bier, als die Thür nach der Hausflur sich öffnete, und ein alter, kleiner Bauersmann eintrat. Er trug die landesübliche blaue Blouse, Gamaschen, einen Knotenstock in der Hand, unter dem Arme ein Bündelchen, und im Munde eine kurze Pfeife. Der Mann hatte augenscheinlich eine weite Reise zu Fuß gemacht, er schien ermüdet, und die dicken, mit Nägeln beschlagenen Schuhe waren bestäubt.

Freundlich grüßend setzte er sich mir am Tisch gegenüber, und fragte den Wirth, ob er übernachten könne. Als dieser die Frage bejahte, bestellte er Schinken, Brod und Bier zu seinem Abendessen.

„Gehen Sie in jenes Zimmer, lieber Mann, welches für die Landleute bestimmt ist, hierher kommen die Honoratioren: die Magd, die dort aufwartet, wird Ihnen bringen, was Sie wünschen.“

Ohne eine Miene zu verziehen, stand der alte Mann auf, wünschte mir einen guten Abend und ging durch die Glasthür.

Eine halbe Stunde darauf trafen nach und nach sechs bis acht Herren ein, welche, nach den Titeln, die ihnen der Wirth bei der Begrüßung gab, Beamte des Kreisgerichts sein mußten. Drei der Herren setzten sich bald zu einer Partie Whist nieder. Ich rückte meinen Stuhl dem Whisttisch näher, und sah dem Spiele zu.

Eine Stunde mochte vergangen sein, da sah ich den alten Bauer, der vorher aus dem Zimmer gewiesen war, an der Glasthür stehen, seine Pfeife im Munde, und als der Wirth zufällig in die Nähe der Thür kam, klopfte er an die Scheibe, und winkte ihm, hinaus zu kommen. Der Wirth wechselte nur wenige Worte mit ihm, mit welchen er, wie ich aus der Gebehrde entnahm, eine Bitte des Alten abschlug. Dann kam er wieder in das Vorderzimmer, und wandte sich mit den Worten an einen der spielenden Herren: „Verzeihen der Herr Kreis-Gerichtsrath, es ist ein Bauer im Hinterzimmer, der Sie einen Augenblick zu sprechen wünscht.“

Der Angeredete erwiderte barsch, der Kerl möge morgen auf’s Gericht kommen, hier habe er Nichts mit ihm zu reden.

Der Wirth brachte diesen Bescheid dem Landmann, und kam dann wieder mit der Bitte zum Herrn Rath, denselben nur wenige Minuten anzuhören, da er morgen früh um fünf Uhr bereits die Stadt verlassen müsse.

Unmuthig sagte nun der Gerichtsrath: „So mag er hereinkommen!“

Der Bauer stellte sich bescheiden hinter den Stuhl des gestrengen Herrn, welcher, ohne ihn zu beachten, seine ganze Aufmerksamkeit dem Spiele widmete. Als er jedoch, in einer kleinen Pause des Spieles, den Blick rückwärts auf den Bauer warf, waren die Karten hinwerfen und vom Stuhle aufspringen das Werk eines Augenblickes, unter unzähligen, tiefen Verbeugungen stammelte er: „O mein Herr Oberpräsident, hätte ich gewußt – diese Ehre – bitte tausend Mal um Entschuldigung!“

Der Alle aber klopfte ihm gemüthlich lächelnd auf die Schulter. „Bitte, Herr Rath, lassen Sie sich nicht stören, spielen Sie Ihren Robber aus, dann werde ich Ihnen meinen Vortrag halten.“ Und, sich gegen den Wirth verbeugend, sagte er mit ironisch klingender Stimme: „Erlauben Sie, daß ich mich hier niedersetze, bis die Herren ihre Partie beendet haben?“

Der alte Mann war der Oberpräsident von Westphalen, Ludwig von Vincke.

E. St.



Lotteriehülfe für Schleswig-Holstein! Durch die Zeitungen geht die Nachricht, daß in Coburg ein Unternehmen vorbereitet werde, welches auf die Theilnahme von ganz Deutschland berechnet sei. „Auf Anregung von außerhalb“, heißt es, solle eine Lotterie veranstaltet, sollen 500,000 Loose zu ½ Thaler gegen mehr als 45,000 Gewinne ausgegeben werden, und von den aus den guten Deutschen herausgelockten 250,000 Thalern sollen dann etwa 90.000 Thaler „zur Vertheilung kommen“.

Was diese „Anregung von außen“ betrifft, so möchten wir wohl fragen, ob sie etwa eine Fortsetzung jener Anregung ist, welche, von einem Berliner Bildergeschäft ausgehend, erst zu Gunsten der Buchhändlerwittwen, dann, weil dies höheren Gewinn versprach, zu Gunsten Wilhelm Bauer’s das Glücksrad der Lotterie in Bewegung zu setzen suchte. Und wenn dies der Fall ist – und wir wünschten sehr, berichtigt zu werden – ist es dann weiter nöthig, den an der Spitze dieses Unternehmens Stehenden erst zu sagen, daß eine so heilige Sache, wie die von Schleswig-Holstein dem deutschen Volke es in der That ist, nicht durch eine derartige Speculation entweiht werden darf? Soll mit dem Schmerze und dem Elend eines Bruderstammes noch Schacher getrieben und das Unglück eines Volkes zum Vertrödeln einiger Ladenhüter benutzt werden? Im Interesse der guten Sache müssen wir wünschen, daß unsere Voraussetzung eine falsche war.


  1. Szegén legény: arme Jungen, nennt der Ungar die Buschklepper seines Vaterlandes.
  2. Rosza Sandor hatte das Gymnasium zu Szegedin absolvirt war einer der besten Schüler daselbst.
  3. Unter den in der Casse befindlichen Summen befanden sich auch 100 Ducaten, welche Eigenthum des Rentmeisters waren. Von diesen nahm Bergam nur zwei Stück zum Trinkgeld für die Dienerschaft, das Uebrige gab er dem Beamten zurück.
  4. Türkischer Mais.
  5. Das Instrument heißt Tambura, und soll nach der Behauptung des sehr unterrichteten Herrn v. K. aus Spanien stammen, gegenwärtig aber nur von wenig Zigeunern, von diesen aber mit unvergleichlicher Virtuosität gespielt werden.
  6. Ich habe den herzlichen Worten meines Mitarbeiters nur noch die Versicherung hinzuzufügen, daß ich etwaige Geldsendungen gern in Empfang nehmen und an die betreffenden Comité’s befördern werde.
    Ernst Keil.