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Berühmte Vielesser

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Berühmte Vielesser
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1916, Dritter Band, Seite 219–225
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[219] Berühmte Vielesser. – Nach römischen Schriftstellern gab es bereits im Jahre 16 vor Christi Geburt einen Mann, der sich als „Vielfraß“ für Geld sehen ließ. Folgendes wird von ihm erzählt: Um die Geladenen zu belustigen, hatte Numantius zu seinem Gastmahl außer syrischen Tänzerinnen auch den Aulus Vestus für eine hohe Summe gewonnen, von dem in ganz Italien die Rede ging, er könne einen großen, am Spieß gebratenen Hammel an einem Abend allein vertilgen. Aulus Vestus, ein freigelassener Sklave, stammte aus Spanien und hatte fast die doppelte Größe und das doppelte Gewicht eines gewöhnlichen Menschen. Sein Herr war der Kaufmann Rustio [220] in Palermo gewesen, der ihm nur deshalb die Freiheit geschenkt hatte, weil Vestus allein für sich mehr verzehrte als sechs andere Sklaven zusammen und dabei wegen seiner Trägheit zu keiner Arbeit tauglich war. Bevor dieser Mensch, der einem gutmütigen Riesen glich, bei dem Gastgeber erschien, schlossen die Anwesenden noch schnell Wetten ab, was alles an Speisen er hintereinander zu verzehren imstande sei.

Aulus Vestus, wie ein berühmter Held empfangen, nahm zwischen den übrigen Gästen Platz und begann, während er die Geschichte seines Lebens berichtete, das für ihn besonders bereitgehaltene Essen zu vertilgen. Er nahm zu sich: zwei Schüsseln einer süßen Speise, die für fünfzehn Männer ausgereicht hätten, drei gebratene Hühner, drei Schüsseln Fischsalat und einen gebratenen Hammel, von dem nur gerade so viel übrigblieb, daß die beiden Hunde des Numantius ihren Hunger an den fast kahlen Knochen notdürftig stillen konnten. Dazu trank er eine ungeheure Menge Wein. Jeder andere Mensch wäre davon gestorben. Trotzdem war er bis zuletzt der Nüchternste der Tafelrunde. Diejenigen von den Teilnehmern an dieser Feier, die auf die Fähigkeiten des Aulus Vestus vertraut und behauptet hatten, er würde noch mehr als nur den für ihn hergerichteten Hammel verspeisen, gewannen viel Geld an jenem Abend - Numantius wohl am meisten, denn er hatte den „Vielesser“ schon bei Rustio in Palermo gesehen.

Zur Zeit Kaiser Ottos I. lebte ein ähnlich „einnehmender“ Magenkünstler. Diesen erwähnt der kaiserliche Sekretär Galvinus Ochio in einer uns zum Teil erhaltenen Schrift, die das Leben am Hofe Ottos I. behandelt. „Zu den Herren, die der Kaiser zu seinen Vertrauten erwählt hatte, gehörte auch der burgundische Graf Tassilo v. Belramor, der von so gewaltiger Größe und von solchem Leibesumfang war, daß der Waffenschmied für eine Rüstung für den edlen Herrn v. Belramor genau das Vierfache wie von jedem anderen Menschen verlangte. Als eines Tages der Gesandte des Papstes, der Bischof Trigufer von Mailand, am Hofe des Kaisers erschien, veranstaltete dieser zu Ehren des Gastes eine Jagd auf Wildschweine, der auf freiem Felde [221] in schnell hergerichteten Zelten eine Schmauserei folgte. Dabei zeigte der Graf Belramor, von dessen nie zu stillendem Hunger sogar schon in Rom im Palaste des Papstes gesprochen wurde, auf Wunsch des Bischofs eine Probe seines Könnens. Von einem soeben erst erlegten Hirsch wurden die besten Stücke, an denen sich sechs kräftige Männer hätten sättigen können, von den Köchen mit Steinen mürbe geschlagen und gebraten. Der burgundische Edle verzehrte alles in kurzer Zeit, ließ dem Hirsche noch die beiden Hinterkeulen eines Ebers folgen sowie vier gebackene Fische, die jeder ein viertel Speerschaft (dreiviertel Meter) lang waren. Dazu trank er klares Quellwasser. Er hatte nämlich ein Gelübde abgelegt, dem Weine für alle Zeiten zu entsagen. – Als Bischof Trigufer bald darauf nach Italien zurückkehrte, lud er den Herrn v. Belramor ein, sich ihm anzuschließen und sich dem Papste vorzustellen. Die Reisenden verspäteten sich auf dem Weg über die Alpenpässe und gerieten in einen der ersten Schneestürme des nahenden Winters, der sie drei Wochen lang in einer einsamen Herberge einschloß. Der Bischof und sein Gefolge mußten schließlich aus Mangel an Nahrungsmitteln die Pferde der Reisegesellschaft verzehren, von denen nur vier in dem Unwetter die Zufluchtstätte erreicht hatten. Nach den ersten zwei Wochen waren die Rosse bis auf das letzte verwendbare Stück vertilgt, und die Herren und Knechte hatten nun nichts mehr, um ihren leeren Magen zu füllen. Der Graf v. Belramor, der seinen Körper durch Unmäßigkeit im Essen verwöhnt und verweichlicht hatte, war nicht fähig, diese Zeit ohne feste Nahrung auszuhalten. Als am vierten Tag auf einer fernen Felsspitze eine Gemse sichtbar wurde, verließ er mit seinem Jagdspeer die Hütte, eilte mühsam durch den Schnee davon und verschwand plötzlich in einer Felsspalte, die so tief war, daß nicht einmal ein hineingeworfener Felsbrocken beim Aufschlagen auf dem Grunde einen Ton an die Ohren der oben Lauschenden schickte.“

Aus der Zeit des dritten Kreuzzuges wieder berichtet eine französische Handschrift: „Der Ritter v. Pornavel wurde in dem Kampfe um die Küstenstadt Myrsos von den Ungläubigen [222] gefangengenommen. Da kurz vorher von dem Kreuzheer eine Anzahl wehrloser Feinde niedergemacht worden war, sollte auch der Ritter v. Pornavel nebst zehn anderen christlichen Gefangenen den Tod erleiden. Am Abend vor der Hinrichtung wurde den in einem Kerker festgehaltenen Christen von den Ungläubigen ein üppiges Mahl vorgesetzt, um ihnen durch diese Genüsse den Abschied vom Leben recht schwer zu machen und sie dazu zu verführen, ihren Glauben abzuschwören und zum Feinde überzugehen. Da Ritter v. Pornavel, der als großer Esser bekannt war, um die geringe Widerstandskraft seiner Leidensgefährten nach einem reichlich mit Wein gewürzten Mahl wußte, erhob er sich, als man sich kaum an der reichgedeckten Tafel niedergelassen hatte, und erklärte den anderen, er habe in der Nacht vorher eine Erscheinung des Heilands gehabt, der ihm zusagte, daß alle gerettet werden würden, wenn es einem von ihnen gelänge, sämtliche Speisen, die die Ungläubigen ihnen darboten, allein zu vertilgen. Mit Zustimmung aller machte sich Pornavel nun ans Werk und begann unter dem andächtigen Schweigen der übrigen die aufgetragenen Schüsseln zu leeren. Mit Gottes Hilfe aß er die Tafel völlig kahl, so daß der redegewandte Mann, den die Feinde in den Kerker schickten, um die Gefangenen der christlichen Religion abwendig zu machen, eine kleine, im Gebet begriffene Schar antraf, die fest darauf rechnete, daß der Heiland sie nicht im Stich lassen werde. Wirklich wurden Pornavel und seine Gefährten am nächsten Morgen nicht nur nicht hingerichtet, sondern gegen einige vornehme Türken, deren sich das Kreuzheer inzwischen bemächtigt hatte, ausgetauscht.“

Der Ritter v. Pornavel ist auch der Held folgender Geschichte, die gleichfalls während des dritten Kreuzzuges spielt, und die von demselben Chronisten erwähnt wird. „Zwecks Einleitung von Friedensunterhandlungen war von den Ungläubigen der Pascha Mehemed-Jussuf in das Lager der Kreuzfahrer entsandt worden. Um dem Feinde nun recht eindringlich vor Augen zu führen, über welch kraftvolle Kämpfer die Christen verfügten, setzte man bei dem feierlichen Mahle, das der Eröffnung der Friedensverhandlungen vorausging, den Ritter v. Pornavel dem [223] Pascha an der Tafel gegenüber. Mit Staunen sah dieser, wie der französische Edelmann stets aufs neue seinen Teller füllen ließ und dabei wahre Unmengen von Wein vertilgte. Da Pornavel es außerdem so einzurichten wußte, daß er in unbemerkten Augenblicken auch die Teller seiner Tischnachbarn immer wieder zu leeren vermochte, mußte Mehemed-Jussuf notwendig zu der Annahme gelangen, die sämtlichen Kreuzritter besäßen auch die solcher Nahrungsaufnahme entsprechenden Riesenkräfte. Der Eindruck, den dieses Mahl bei dem Unterhändler hinterließ, war so nachhaltig, daß er leicht dazu bewogen werden konnte, auf die Bedingungen der Führer des Kreuzheeres einzugehen.“

Aus dem Dreißigjährigen Kriege meldet eine Prager Chronik über einen Landsknecht: „Im Heere Wallensteins gab es im Regiment des Obersten Tarpinski einen Soldaten namens Baranyi, einen geborenen Ungarn, der wegen seines kaum zu stillenden Hungers allgemein der ‚Fresser‘ genannt wurde. Wallenstein hat diesen Mann später in seine persönlichen Dienste genommen und seinen Gästen häufig zur Unterhaltung den Baranyi vorgeführt, wie andere hohe Herren Gaukler und Akrobaten ihre Künste zeigen lassen. Der Ungar wurde eines Tages in einem Wirtshausstreit erstochen. Seine Leiche kam an die anatomische Abteilung der Prager Universität. Bei der Öffnung des Körpers fanden die Professoren einen Magen, der fast dreimal so groß war als der eines gewöhnlichen Menschen.“

Im Rathause zu Amsterdam wird noch heute neben vielen anderen Sonderbarkeiten der präparierte Magen des holländischen Admirals van Fluyder aufbewahrt. Dieser befehligte im 17. Jahrhundert die Kriegsflotte Hollands, wurde aber weniger durch seine kriegerischen Taten als vielmehr durch seine Fähigkeit, wahre Unmengen von Speisen und Getränken zu sich nehmen zu können, berühmt. In seinem Testamente bestimmte er, daß seine Leiche der Universität Brügge zur Untersuchung der inneren Organe ausgehändigt, dann aber feierlich bestattet werden solle. So kam es, daß van Fluyders Magen uns bis auf den heutigen [224] Tag erhalten blieb. Der Brüsseler Arzt Dr. Lamatrie, der in einer belgischen medizinischen Zeitschrift eine längere Abhandlung über „Magenerweiterung und Eßlust“ veröffentlicht und darin die hier erwähnten Vielesser aufgezählt hat, bemerkt, daß der präparierte Magen van Fluyders selbst jetzt noch trotz der völligen Verschrumpfung der Gewebe fast die doppelte Größe eines normalen besitze.

Auch unter den Fürstlichkeiten gibt es einige berühmte Vielesser. So wird von König Richard Löwenherz von England erzählt, daß er während seiner ein Jahr dauernden Gefangenschaft auf Trifels täglich so viel allein verzehrt haben soll wie die ganze übrige Besatzung der Burg zusammen. Er mußte daher auch an Kaiser Heinrich VI. für seine Freilassung außer dem Lösegeld von 90 000 Mark Silber noch die Unkosten für seine Verpflegung mit 10 000 Mark Silber bezahlen.

Friedrich von Hohenzollern, der erste Kurfürst von Brandenburg, hielt bei seinem Einzug in das Land auf der Burg des Ritters v. Beelitz die erste Rast. Der Ritter glaubte sich für den Besuch des neuen Herrn überreichlich mit Speise und Trank versehen zu haben, mußte aber sehr bald während der Mahlzeit erkennen, daß die für den Kurfürsten bestimmten Schüsseln nicht ausreichen würden. In aller Eile ließ er nun neue Speisen herrichten. Bevor diese jedoch fertig waren, erhob sich der ungeduldig gewordene Friedrich, indem er zu seiner Begleitung sagte: „Daß die Mark ein armes Land ist, habe ich wohl gewußt. Daß sie aber nicht einmal so viel hervorbringt, um ihren neuen Gebieter zu sättigen, fürchtete ich doch nicht.“ – Der Ritter v. Beelitz, durch diese Worte schwer beleidigt, schloß sich später den Quitzows an und bekämpfte den Kurfürsten aufs erbittertste. Er wurde, nachdem seine Burg ebenso wie die der Quitzows durch die „faule Grete“ mit Steinkugeln in Trümmer geschossen worden war, wegen verschiedener Morde an harmlosen Kaufleuten mit dem Schwerte hingerichtet.

Kurfürst August der Starke von Sachsen-Polen erfreute sich ähnlicher Berühmtheit. Als ihm der polnische Reichstag eine jährliche Dotation von 52 000 Talern ausgesetzt hatte, reiste er [225] nach Warschau, um eine Erhöhung der Summe durchzudrücken. Man gab ihm zu Ehren ein großes Festmahl, im Verlaufe dessen er so ungeheure Mengen an Speise und Trank zu sich nahm, daß er den polnischen Edelleuten nachher in der Sitzung des Reichstags mit Recht vorhalten konnte, 52 000 Taler genügten wohl für den Bedarf eines gewöhnlichen Königs, nicht aber für ihn. Tatsächlich wurde die Dotation auf 80 000 Taler nach oben abgerundet.
W. K.