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Abgeschlagen

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Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Abgeschlagen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 345, 356
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[345]

Abgeschlagen.
Nach einer Originalzeichnung von J. Schmitzberger.

[356] Abgeschlagen. (Zu dem Bilde S. 345.) Frühlingswald, Vogelgesang, Käfersurren und Abendsonnenschein. Ich stand an eine Buche gelehnt mit der Büchse in der Nähe eines Wechsels, auf welchem ein starker Bock zur Aesung zog. Auf der blumigen Waldblöße vor mir äste vertraut eine Ricke, und ihr buntgetupftes Kitzchen rannte im munteren Spiele sorglos im Kreise umher, zupfte auch wohl mal an einem saftigen Blatte oder kniete nieder, um mit dem weißen Lebenssaft der Mutter Hunger und Durst zu stillen. Liebkosend leckte die Alte ihr Kind.

Da lugte plötzlich sichernd das rote Spitzbubengesicht Meister Reinekes aus der Dickung hervor, und als es nichts Verdächtiges eräugte, trollte der Erzschelm heraus auf die Blöße und begann Mäuse zu fangen. Mit hoher Nase zog er an, dann schlich er einige Schritte vorwärts, wie der Vorstehhund es thut, wenn die Hühner weit vor ihm liegen oder laufen … ein hoher Sprung, die Lunte peitscht siegesgewiß die Luft – und Reineke verschluckt vergnügt den leckeren Bissen. Aber es schien doch für ihn noch begehrenswertere Gerichte zu geben als Mäusebraten – denn er reckt jetzt die Nase hoch in die Luft nach der Gegend hin, wo das Kitzchen eben noch lustig spielte, sich jetzt aber ermüdet in der Nähe der Mutter niedergethan hat. Reineke hat es gewittert … und wie ein Aal windet sich der rote Schelm, durch Kraut und Buschwerk gedeckt, näher und näher heran. Ich hätte ja leicht mit der Kugel dem räuberischen Gedanken ein Ende machen können – allein dazu war es immer noch früh genug – ich hatte guten Wind, stand ziemlich hoch und konnte jede Bewegung des beutegierigen Räubers durchs Glas genau beobachten. Jetzt war er nur noch 15 Schritt vom Kitz, das zufällig wieder hoch geworden war und im Begriff stand, nach der etwa 30 Schritt entfernten Mutter zu eilen. Da – wie ein Blitzstrahl sauste ein roter Streifen nach dem Kitzchen hin – der Fuchs packte zu – ein gellendes „Piä!“ – im selben Augenblick war aber auch die Ricke schon da und schnellte mit dem Vorderlaufe auf den roten Freibeuter los. Dieser mußte, wenn auch widerstrebend, seinen Raub fahren lassen und eilte, verfolgt von der laut schmälenden Ricke, öfters noch lüstern nach der ihm durch Mutterliebe abgerungenen Beute zurückäugend, dem wohlverdienten Lohn aus meiner Büchse schnurstracks entgegen.

Nicht immer mißlingt dem roten Gauner die Jagd auf Rehkitzchen. Wenn sie noch zu jung sind, um der Mutter bei ihren Ausflügen folgen zu können, findet die scharfe Nase unseres Strauchdiebes die unter Buschwerk versteckten nur gar zu häufig und die vielen Rehläufe auf dem Bau, auf welchem Frau Fehe ihr Geheck aufzieht, geben dem Jäger Aufschluß darüber, weshalb auf dem Revier so viele Ricken ohne Kitzchen stehen, und belehren ihn, wie diesem Uebelstande abzuhelfen ist.

Aber auch im Winter, wenn durch Frost und tiefen Schnee das Rehwild matt geworden ist, folgt Reineke dem kraftlosen Stücke, fängt es und reißt es – ja, es sind Beispiele bekannt geworden, wo eine Anzahl Füchse im Winter gesunde Rehe par force jagten. – Deshalb kennt der Jäger für den frechen Räuber auch keine Gnade. Karl Brandt.