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Blätter und Blüten.


Die Denkmalsfeier auf dem Kyffhäuser. (Zu dem Bilde S. 496 und 497.) Die lange Reihe festlicher Veranstaltungen, durch welche das deutsche Volk die Erinnerung an den glorreichen Krieg für Deutschlands Einigung feierte, hat am 18. Juni auf der Höhe des Kyffhäusers einen erhebenden Abschluß gefunden. In Gegenwart des Kaisers, der Bundesfürsten oder deren Vertreter, im Angesicht von 30000 aus allen deutschen Gauen herbeigeströmten Kriegern wurde dort das stolze Denkmal für Kaiser Wilhelm I. eingeweiht. Wir haben bereits im Jahrg. 1892, S. 160, und in diesem Jahrg., S. 396, das Denkmal selbst in Bild und Wort geschildert und über seine Entstehungsgeschichte berichtet; heute vervollständigen wir jene Mitteilungen durch einen Hinweis auf die großartige Feier, deren denkwürdigsten Augenblick wir auch bildlich unseren Lesern vorführen.

Schon am frühen Morgen, als noch weiße Nebelwolken den Fuß des Denkmalsberges verhüllten, herrschte rings um den Kyffhäuser das regste Treiben. Das ganze Land war meilenweit in einen einzigen Festplatz verwandelt. Langsam füllte sich in den Vormittagsstunden der Platz um das Denkmal, der etwa 5000 Personen zu fassen vermag, mit den zur Feier geladenen Ehrengästen, darunter etwa 400 Trägern von Vereinsfahnen. Dem Denkmal gegenüber war das prachtvolle Kaiserzelt errichtet. Auf der Bergstraße bis tief unten im Thal bildeten Tausende und Abertausende von Kriegern Spalier. Nach 11 Uhr begann die Auffahrt der Bundesfürsten und der mit ihnen erschienenen Fürstinnen und kurz nach 12 Uhr verkündeten brausende Hochrufe das Nahen des kaiserlichen Wagens von der Station Roßla her. Nach der Begrüßung des Kaisers und der Bundesfürsten durch den Vorsitzenden des Denkmals-Ausschusses, General v. Spitz, gab der Kaiser den Befehl zum Beginn der Feier. Der Schriftführer des Denkmals-Ausschusses, Prof. Dr. Westphal, hielt hierauf die Festrede, in welcher er der patriotischen Gesinnung der Kriegerverbände, die zur Zeit anderthalb Millionen treuer deutscher Männer vereinen, beredten Ausdruck verlieh. Er gelobte im Namen der Kriegervereine dem Kaiser und den Bundesfürsten unverbrüchliche Treue und schloß, indem er von dem Denkmal auf die versammelten deutschen Krieger deutete, die Rede mit den Worten: „Fest wie die Schrift hier oben in den Stein, ist in ihre Herzen der Wahlspruch eingegraben: Für Kaiser und Reich!“

In kurzen aber inhaltreichen Worten gab darauf der Kaiser die Antwort. Vor allem wies er auf die hohe edle Aufgabe des Denkmals hin. „Den kommenden Geschlechtern soll es ein Mahnzeichen sein, einig und treu zu bleiben in der Hingebung an Kaiser und Reich; festzuhalten an dem, was das Vaterland groß gemacht hat; Deutschlands Ehre und Wohlfahrt höher zu stellen als alles irdische Gut.“ Mit donnerndem Hurra wurden von den Tausenden die kaiserlichen Worte aufgenommen, von Berg zu Thal pflanzte sich der Ruf fort und klang noch aus der weiten Ferne herüber, als Fürst Günther von Schwarzburg-Rudolstadt in markigen Worten das Hoch auf den Kaiser ausbrachte.

Nachdem die Fürsten einen Rundgang durch die weiten Denkmalsanlagen gemacht hatten, begann die Heerschau über die Krieger, die nun in musterhafter Ordnung und festem Schritt vorbeimarschierten. Eine Stunde dauerte dieser Vorbeimarsch, der Fürst und Volk zusammenführte. Unsere Abbildung läßt uns dem erhebenden Vorgang beiwohnen. Dann folgte unter lautschallenden, nicht enden wollenden Hurrarufen die Abfahrt der Bundesfürsten und der Rückmarsch der Vereine nach den Ortschaften, in welchen sie ihre Quartiere hatten.

Unvergeßlich wird der 18. Juni 1896 in der Geschichte des Kyffhäusers bleiben. Hat doch an diesem Tage nach sieben Jahrhunderten wieder ein deutscher Kaiser die durch Nationalsagen geheiligte Stätte betreten. Das Denkmal, das in Deutschland ohnegleichen dasteht, ist das gewaltigste Wahrzeichen für das höchste schwer errungene Gut der Nation, für die heißen Kämpfe, in denen Deutschlands Einheit erstritten wurde, „unserer Väter heißes Sehnen“ in Erfüllung gegangen ist. Die Festestage sind verrauscht, aber um den Kyffhäuser klingt weiter das Lied:

„Heil dir im weißen Barte, du jugendlicher Greis!
Um deine Siegsstandarte schlingt sich der höchste Preis!
Es geht in dem Kyffhäuser Held Friedrich nun zu Ruh –
Sein Erb’ als deutscher Kaiser bist, König Wilhelm, Du!“

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Li-Hung-Tschang in Berlin und in Friedrichsruh. (Zu den Bildern S. 485 und 489.) Während der letzten Juniwochen erfreuten wir uns in Deutschland eines hohen und seltenen Besuchs: Li-Hung-Tschang, einer der berühmtesten Staatsmänner Ostasiens, der den Kaiser von China bei der Zarenkrönuug in Moskau vertreten hatte, kam von dort nach Deutschland, um unserem Kaiser ein Schreiben seines Herrschers zu überbringen. Bei der feierlichen Audienz, die am 14. Juni im Rittersaale des Königlichen Schlosses zu Berlin stattfand, sprach China durch den Mund Li-Hung-Tschangs seinen Dank für den wirkungsvollen Beistand aus, der dem großen Millionenreiche bei den letzten Friedens-Verhandlungen mit Japan von Deutschland gewährt worden war, und zugleich wurden Versicherungen freundschaftlicher Gesinnung zwischen den beiden so weit entfernten, aber durch Handelsbeziehungen einander näher gerückten Ländern ausgetauscht. – Li-Hung-Tschang ist eine hochinteressante Persönlichkeit. Er steht gegenwärtig in seinem 73. Lebensjahre und blickt auf eine thatenreiche Vergangenheit zurück. Als Vicekönig von Petschili, der wichtigsten vor den Thoren Pekings gelegenen Provinz des Reiches der Mitte, hatte er einen großen Einfluß am Hofe von China. Man rühmt ihm nach, daß er ein Mann des Fortschritts sei und wiederholt der europäischen Kultur das verschlossene China habe öffnen wollen. Die Gunst des kaiserlichen Hofes war ihm jedoch nicht beständig; wiederholt verfiel er in Ungnade. Im Laufe des letzten Krieges mit Japan wurden ihm auch die „Gelbe Jacke“ und die „Pfauenfeder“, Abzeichen der höchsten Würde in China, entzogen; als es aber galt, Frieden mit dem siegreichen Japan zu schließen, fand man in Peking keinen besseren Diplomaten und betraute den wieder in seine Ehren eingesetzten und zum Großkanzler des Reiches der Mitte ernannten Li-Hung-Tschang mit der schwierigen Aufgabe. Es ist bekannt, daß er dabei in Japan beinahe das Opfer eines Attentats geworden wäre. – Der Empfang des greisen chinesischen Staatsmanns in Berlin gestaltete sich besonders feierlich und herzlich. Li-Hung-Tschang selbst verstand es wohl, den guten Beziehungen zwischen China und Deutschland durch taktvolle Handlungen einen sinnigen Ausdruck zu verleihen. Zwei derselben, die wir im Bilde unseren Lesern vorführen, tragen ganz besonders ein sympathisches Gepräge.

Kurz nach seiner Ankunft in Berlin legte Li-Hung-Tschang einen Kranz am Sarge Kaiser Wilhelms I. nieder. Er brachte damit eine symbolische Huldigung dem Andenken des großen Monarchen, unter dessen Scepter Deutschland aus langjähriger Zerrissenheit zu einer Weltmacht emporgehoben wurde und auch zu China in freundschaftliche Beziehungen trat. Der Kranz war aus Lorbeer und Rosen geflochten und mit weißen Bandschleifen versehen, auf deren Enden die Widmung stand: „Dem großen Kaiser Wilhelm. Li-Hung-Tschang.“ Die Abbildung auf Seite 489 zeigt uns die Chinesen in der Gruft des Charlottenburger Mausoleums. Der alte, gebrechliche chinesische Gesandte wird zur Rechten vom Vicomte Li, zur Linken von dem Botschaftssekretär Lo-fang-luh gestützt. Dahinter steht Li-king-schi, während seitwärts Lieng-fang einen zweiten Kranz für den Sarg der Kaiserin Augusta trägt. Im Hintergrunde erblickt man die deutschen Begleiter, unter ihnen den zum Ehrendienst kommandierten Oberst Liebert und den als Dolmetscher dienenden chinesischen Zolldirektor Detring. Das Gewölbe ist spärlich durch Kerzen beleuchtet; links befindet sich der Sarg Kaiser Wilhelms, vor dem Li-Hung-Tschang steht; rechts sehen wir den Sarg der Kaiserin Augusta. Dahinter liegen die Särge der Königin Luise und Friedrich Wilhelms III., während im Kreuzungspunkt der vier Särge eine viereckige Platte sichtbar ist, unter der das Herz Friedrich Wilhelms IV. ruht.

Aber nicht nur dem ersten Deutschen Kaiser brachte Li-Hung-Tschang eine aufrichtige Huldigung dar. Der Großkanzler von China versäumte auch nicht, den ersten Deutschen Reichskanzler aufzusuchen. Seit mehr als dreißig Jahren war er nach seiner eigenen Aussage von dem Wunsche beseelt, den größten Staatsmann Europas von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Er reiste nach Friedrichsruh und brachte damit die Zusammenkunft der beiden bedeutendsten Staatsmänner des Ostens und Westens der Alten Welt zustande. Wenn auch dieser Begegnung eine politische Tragweite nicht innewohnte, so ist sie doch, schon durch die Bedeutung der beiden Männer, von weltgeschichtlichem Charakter. Die Abbildung auf Seite 485 führt uns die beiden greisen Staatsmänner auf der Schloßterrasse von Friedrichsruh vor Augen. *     

Ueberrascht. (Zu dem Bilde S. 493.) Daß aber auch Mama gerade dann so unerwartet heimkommen muß, wenn man sich einen Augenblick von der langweiligen Kinderstubenaufsicht dispensierte, um vornheraus durch die Gardine einen gewissen gegenüber wohnenden jungen Herrn verstohlen zu beobachten! Da steht sie nun mit dem vorwurfsvoll befremdeten Gesicht und das Töchterlein schämt sich bitterlich über seinen Ungehorsam und den zu Boden geschleuderten Strickstrumpf. Nun, allzugroß ist das Verbrechen nicht, und die tiefe Bestürzung der jungen Sünderin zeigt, daß sie noch Neuling in solchen Dingen ist. Das wird Mama wohl bedenken, wenn sie sich erst darüber gefaßt hat, daß das Kind von gestern heute als junges Mädchen vor ihr steht. Dies ist auch eine Ueberraschung, und deshalb fragt es sich noch, welche von beiden in diesem Augenblick die größere erlebt! Bn.     

Ratschläge und Winke für die musikalische Jugend von Carl Reinecke (Leipzig, Zimmermann). Aus diesem kleinen Buch hört der junge Musikbeflissene die Stimme eines Meisters seiner Kunst, der zugleich erfahrener Lehrer ist und hier in kurzen Skizzen die wertvollsten Ratschläge über Auffassung und Ausführung giebt. Alle die bekannten Schwierigkeiten des Taktes, Tempowechsels und der Betonung, des vom Blattlesens, des Spielens mit anderen Instrumenten und Orchester finden hier ihre Würdigung, der gute Rat aber, der zu ihrer Ueberwindung dient, er fußt stets in der großen klassischen Tradition und der echt musikalischen Anschauung. Seine starke Wirkung auf talentvolle, vielleicht bisher nicht richtig belehrte junge Leute, wie sie besonders in kleineren Städten vielfach dilettantenhaft Musik treiben, dürfte daher außer Frage stehen. Aber auch der Großstadtjugend, die unter dem verlockenden Einfluß des Modevirtuosentums steht und nur in möglichst schwierigen Leistungen ihren Erfolg sucht, auch ihr werden die goldenen Worte dieses wahren, gewissenhaften Meisters von größtem Nutzen sein. Das hübsch ausgestattete Büchlein sei allen Eltern und Lehrern zum Geschenk an die musikalische Jugend über sechzehn Jahren wärmstens empfohlen. A.     


Inhalt: Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (5. Fortsetzung). S. 485. – Li-Hung-Tschang und Bismarck auf der Schloßterrasse in Friedrichsruh. Bild. S. 485. – Tragödien und Komödien des Aberglaubens. Schloßgespenster. Von Rudolf Kleinpaul. S. 488. – Li-Hung-Tschang am Sarge Kaiser Wilhelms I. Bild. S. 489. – Fredy. Novelle von Marie Bernhard (Schluß). S. 492. – Ueberrascht. Bild. S. 493. – Die Einweihung des Kyffhäuser-Denkmals: Vorbeimarsch der Kriegervereine. Bild. S. 496 und 497. – Blätter und Blüten: Die Denkmalsfeier auf dem Kyffhäuser. S. 500. (Zu dem Bilde S. 496 und 497.) – Li-Hung-Tschang in Berlin und in Friedrichsruh. S. 500. (Zu den Bildern S. 485 und 489.) – Ueberrascht. S. 500. (Zu dem Bilde S. 493.) – Ratschläge und Winke für die musikalische Jugend. S. 500.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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