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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

aufweist, so giebt es in ihr doch einen Teil, der an künstlerischer Schönheit sowohl wie an Eigenart seinesgleichen sucht: das ist Alt-Antwerpen.

Die Moselburg.

Wenden wir uns vom Haupteingang der Ausstellung nach rechts, so öffnet sich nach kaum fünf Minuten Weges ein überraschendes Bild vor unserem Auge. Eine Reihe niedriger Wachthäuser zur Rechten und Linken, dann ein mächtiges altes Thor – das Kipdorpthor – hinter einer Zugbrücke, vor den Wachthäusern Büttel in roter, geschlitzter Tracht, mit Hellebarden bewaffnet, daneben Söldner mit dem Ringkragen, den gewaltigen Hieber an der Seite, den Dolch im Gürtel: hier ist der Zugang zu Alt-Antwerpen, dem unstreitig reizvollsten und künstlerisch am besten durchgeführten Schaustücke der Weltausstellung.

Der Gedanke, alte Stadtteile aufzubauen und auch zu bevölkern, ist nicht neu. Im Jahre 1890 gab es, um nur ein paar Beispiele anzuführen, auf der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung in Bremen Nachbildungen von Bauten der alten Hansestadt, 1892 hatte die Wiener Internationale Musik- und Theaterausstellung ihr „Alt-Wien“; aber alle bisherigen derartigen Veranstaltungen halten keinen Vergleich mit Alt-Antwerpen aus. Insgesamt sind etwa 80 Häuser aufgeführt worden – nicht als Koulissen, nicht aus Holz und Leinwand, sondern aus Holz, Eisen und einem Mörtel, welcher voriges Jahr in Chicago viel zur Verwendung gekommen ist. Er führt den Namen „Staff“ und verleiht den Häusern das Ansehen von massiven Gebäuden. Die Täuschung ist in Alt-Antwerpen infolge der kunstvollen Bemalung so groß, daß man nirgends einem nur für Monate geschaffenen Werke gegenüberzustehen glaubt. Die Durchführung der vor drei Jahrhunderten in Alt-Antwerpen üblichen Stilarten ist bis in die kleinsten Einzelheiten genau, selbst die Aushängeschilde, die schmiedeeisernen Arme, an welchen diese hängen, sind getreue Wiederholungen kunstvoller Vorbilder. Durch zwei Straßen gelangt man vom Kipdorpthor zum Marktplatz, einem weiten Raum, welcher für Turnierspiele bestimmt ist und von einer Reihe öffentlicher Gebäude umrahmt wird. Da ist das Stadthaus, ein Theater mit offener Scene, im Hintergrunde die Börse, Patrizierhäuser etc.

Das ganze Unternehmen ist nicht darauf berechnet, „Geld zu machen“, sondern verdankt seine Entstehung der Opferwilligkeit. Unter den Patrizierhäusern mit ihren vollständigen prächtigen Einrichtungen aus dem 16. Jahrhundert befinden sich mehrere, welche von reichen Antwerpenern aufgebaut und zur Verfügung gestellt wurden; so ganz besonders das unmittelbar neben dem Theater gelegene prächtige Haus Alberts von Bary, eines der ersten deutschen Kaufleute Antwerpens, gleichzeitig des verdienstvollen Vorsitzenden der deutschen Abteilung in der Ausstellung.

Straße in Alt-Antwerpen.

Zur Rechten und Linken der Straßen und Gäßchen Alt-Antwerpens öffnet sich eine Menge von Kaufläden, Werkstätten und Wirtschaften. Hier arbeitet der Pantinen- oder Holzpantoffelmacher, dort gehen aus der Werkstatt des Kunstschmiedes reizvolle schmiedeeiserne Arme und andere Zierate hervor, der Kupferschläger hämmert die hochgeschätzten getriebenen Kannen und Schalen, der Schuhmacher fertigt nach alten Mustern rotlederne Schuhe, wie sie ihrer Bequemlichkeit halber heute wieder Mode geworden sind. Hier in einem Hause, das die Gräfin von Merode-Westerloo, die Frau des belgischen Ministers des Auswärtigen, hat erbauen lassen, wird die Brabanter Teppichknüpferei betrieben, dort werden Brabanter Spitzen in emsiger, überaus mühevoller Arbeit zu lächerlich billigen Preisen hergestellt. Daß die Wirtschaften so stilvoll wie nur denkbar sich darstellen, versteht sich von selbst; ihre Zahl ist Legion. Von den kleinsten Schnapsbutiken, in welchen belgische und holländische Liqueure ausgeschenkt werden, bis zu dem prächtigen Börsensaal oder bis zu der großen Gartenwirtschaft, welche den Namen „In den Aenghenaemen Hof“ führt, finden sich alle Arten von Kneipen. Auf der Straße zieht die Stadtbande umher, etwa 18 Musiker, welche auf altertümlichen Hoboen, Klarinetten und Kesselpauken altvlämische Melodien vor jedem Hause aufspielen. Und was endlich Alt-Antwerpen seinen besonderen Reiz verleiht, das ist der Umstand, daß alle seine gegenwärtigen Bewohner, gleichviel ob Männer, Weiber oder Kinder, in die altvlämische Tracht derartig hineinpassen, als ob sie in ihrem Leben nie etwas anderes getragen hätten.

Da wir gerade bei den Vergnügungseinrichtungen der Antwerpener Weltausstellung sind, so mögen nun die andern hier auch noch erwähnt werden. Sicherlich ist in Beziehung auf das Vergnügen in Antwerpen mehr geboten, als der Durchschnittsmensch vertragen kann. Zunächst ist das gesamte orientalische Gesindel, welches voriges Jahr Chicago unsicher machte, nach Antwerpen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_622.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)