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Seite:Die Gartenlaube (1891) 144.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ganz unerkennbar ward. – „Eine große, große Zeit“ – klang es in sein Ohr. – Ja, da unten zwischen den flammenden Lichtern der endlosen Straße verschwand die gute alte Zeit, – der kaffeebraune Rock, die Stiefel mit gelben Stulpen, der gnädige Herr, das alte Schönau mit dem wohlgepflegten Park, all die unvergeßlichen Stunden voll Arbeit, Treue und Liebe. – –




5.

Bertl lebte seit jenem Heimgang am Arme Theodors nur noch der Zukunft. Sie war praktisch veranlagt, gewohnt, alles am rechten Ende anzufassen. Die frische Arbeit ihrer Jugend im väterlichen Garten hatte nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre seelische Muskulatur gefestigt; schwärmerischem Sinnen konnte sie nicht lange nachhängen.

Sofort erkannte sie, was ihr vor allem noth thue, welchen Weg sie einschlagen müsse, um zum Ziele zu gelangen. Sie mußte dafür sorgen, daß die schnell aufgeloderte Leidenschaft in Theodors Herzen feste Wurzeln schlage, daß er mit dem Bekenntniß derselben offen, ohne Opfer vor alle Welt treten könne, und das war nur dadurch zu erreichen, daß sie sich auf die Bildungsstufe seines Lebenskreises schwang. Mit raschem Blick hatte sie während ihres kurzen Aufenthaltes in der Stadt erkannt, daß dies gar nicht so schwer sei, wie sie einst gefürchtet hatte, daß diese Bildung eine ganz auffallende Aehnlichkeit mit den kostbaren Häuserfronten des neuen Stadttheiles hatte, deren Pracht und Ueppigkeit sie noch vor kurzem mit kindischer Bewunderung angestarrt hatte. Wenn sie aus dem Hause trat, so sah sie eben gegenüber eine solche Front entstehen und ergötzte sich herzlich an dem Zusammenleimen der mächtigen Riesen unter dem Thoreingang, die ihr einst eine solche Achtung eingeflößt hatten, an dem Aufkleben der kühnen Gesimse – die reinste Konditorarbeit! Und wenn alles fertig war, stand das Volk davor und reckte die Hälse nach all’ der Pracht und Herrlichkeit, obwohl es sich hundertmal von der Hohlheit derselben überzeugt haben mußte.

Vor allem galt es das Studium der modernen, äußeren Erscheinung. Bertl hatte Geschmack, Sinn für Form und Farbe, die Blume war ihre Lehrmeisterin; was diese ihr früher gewesen, das war jetzt ihre Toilette. Ihr widmete sie sich mit derselben Hingabe, nur mit dem kleinen, vorderhand noch unmerklichen Unterschiede, daß Blumen in einem geheimnißvollen duftigen Seelenrapport stehen mit der liebevollen Pflegerin, die Gemüthsthätigkeit steigern, Kleider und Stoffe dagegen, todte Hüllen, auf Kosten des Gemüths alle Sinne für sich in Anspruch nehmen, magnetisch nach außen ziehen, ab von dem verlassenen leeren Herzen.

Doch das geht nicht so rasch bei einem Mädchen von so gesunden Anlagen, wie Bertl sie besaß, besonders wenn der Beweggrund ein rein seelischer – die Liebe ist!

Aber Bertl blieb dabei nicht stehen; sie schämte sich nicht, einen Kursus in einer Töchterschule mitzumachen, und sie ertrug geduldig die Spöttereien der um ein bedeutendes jüngeren Mitschülerinnen. Der Klaviersturm, welcher die vornehmen Viertel der Stadt förmlich durchbrauste, ließ ihr auch Unterricht auf diesem Instrumente nöthig erscheinen.

Sie kannte den Treibhausbetrieb, seine wenn auch unnatürlichen und immer etwas krankhaften, so doch raschen Erfolge, und nur um letztere war es ihr zu thun. Sie lachte selbst dazu, erkannte wohl die Werthlosigkeit all dieser Bestrebungeu, erblickte aber eine zwingende Nothwendigkeit darin; hatte sie ihr Ziel erreicht, dann fort mit dem unnützen Ballast, zurück in die frische freie Ursprünglichkeit ihrer Jugend, auf das Land unter die lieben Blumen, in den duftigen Wald, die wogenden Felder – o, sie hatte jetzt schon Heimweh danach und malte sich das alles so schön aus an seiner Seite, wie sie ihn bekehren, wie sie mit ihm die Stadt fliehen wollte.

Der Vater schüttelte den Kopf zu diesen gewaltsamen Veränderungen, doch war in ihm selbst so viel vor sich gegangen, so viel anders geworden, daß er auch Bertl keinen Vorwurf machen konnte. Am allerunheimlichsten aber fühlte sich jetzt die Mutter; Bertl wurde ihr von Tag zu Tag fremder, ihr Mann zog auch seine besonderen Wege, die neue ungewohnte Lebensweise, das ewige Grübeln, welches bei ihr an die Stelle der Arbeit getreten war, machte sie mürrisch, streitsüchtig, Hans bekam sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Dieser verkehrte nur noch mit „noblen“ Leuten, hatte einen flotten Einspänner und war den ganzen Tag in Geschäften als Agent und, wie man sagte, stiller Theilhaber Stefanellys unterwegs. Seine schöne Frau Loni machte Toilette wie eine Gräfin und wollte von der alten derben Frau Schwiegermutter nichts wissen, sie rechnete dieselbe nicht mehr zu ihrer Gesellschaft. So war Frau Margold verlassen in der neuen fremden Welt; sie sehnte sich von allen wohl am meisten zurück nach dem Häuschen an der Landstraße, wo sie glückliche zufriedene Jahre verlebt hatte – aber sie hütete sich wohl, davan etwas merken zu lassen.

Margold war dem Beispiele Weinmanns gefolgt und hatte das eben vollendete Nachbarhaus erworben. Er sprach noch immer von dem Gartengeschäft, das er errichten wollte, wohl um sich selber zu beruhigen, traf aber keine Anstalten dazu.

Die Wände des neuen Besitzthums waren noch feucht, die Handwerker noch im Hause, und schon war alles um guten Zins vermietet an „schöne“ Leute.

Im Vorderhaus wohnte ein Regierungsbeamter mit Familie, ein berühmter Maler mit einer fürstlichen Einrichtung, eine Offiziersfamilie, ein junger Arzt, zu ebener Erde hatten sich zwei Geschäfte eingerichtet, im Hinterhaus war eine Schlosserwerkstätte, darüber ein photographisches Atelier und Margolds eigene Wohnung, von welcher er noch zwei kleine Zimmer an eine alte Frau, eine Registratorswitwe, mit zwei Töchtern abtrat, die mit Blumenmachen, Kleidernähen und anderen weiblichen Arbeiten ihr Brot verdienten.

Alles war ausgenützt, alles Zureden Bertls, doch im Vorderhaus Wohnung zu nehmen, war vergeblich geblieben; Margold fühlte sich heimischer in dem einstöckigen Anbau, der ihn an das alte Häuschen an der Landstraße erinnerte, und der Arbeitslärm in der Schlosserwerkstätte that ihm ganz wohl, das war seine Atmosphäre. Das Vorderhaus betrachtete er als sein Kapital; es selbst zu beziehen wäre ihm gleichsam wie ein Angreifen desselben erschienen, vor dem er eine ängstliche Scheu hatte; er hatte ja auch in seinem Garten früher die feinsten theuersten Gemüse, die kostbarsten Pflanzen gepflegt. aber auf seinen Tisch kam nur Sauerkraut und Kohl, vor seinem Fenster, in seinem Privatgärtchen wuchsen nur Reseda und ungefüllte Pelargonien. Seit er verkauft hatte, wurde er das bange Gefühl nicht los, das ganze Geld könnte ihm unter den Händen zerrinnen, ein Gefühl, welches ihm auch der Kauf des Hauses nicht benahm. Die Sicherheit des bebauten fruchtbaren Bodens, an die er ein ganzes Leben gewohnt war, fehlte ihm und mit ihr der ruhige Schlaf nach arbeitsvollem Tag.

Auch Frau Margold war in Bezug auf die Wohnung ganz auf seiner Seite gewesen. Da wurde ihr doch wieder die unentbehrliche angenehme Stunde am Brunnen. Die Mägde kamen und brachten Neuigkeiten, die Schlossersfrau wurde bald ihre Vertraute, und abends kam man zusammen mit dem Strickstrumpf; auch die Frau Köhler, die Registratorswitwe, verschmähte es dann nicht, nach Feierabend herabzukommen mit ihren zwei Töchtern, der Therese und der etwas verwachsenen Lili. Frau Margold hatte zwar ein lebhaftes Vorurtheil gegen das „hochmüthige Beamtenvolk“, das selbst in der hellen Not noch seinen Stolz bewahrte wie eben diese zimperliche Frau Köhler und ihre Töchter; aber sie liebte einmal solch eine altgewohnte Hausplauderei und am Ende spielte sie als die Hausbesitzerin doch die erste Rolle.

Bertl mit ihren Hoffnungen und Kämpfen, mit ihrer blühenden, von Tag zu Tag sich edler entwickelnden Schönheit war jetzt eine fremdartige Erscheinung in dieser Umgebung, von welcher sie absichtlich sich möglichst fern hielt, um nicht wieder in ihren Bann gezogen zu werden.

Theodor schmeichelten die opferfreudigen Bestrebungen Bertls, die nur ihm galten und von der Heftigkeit und Wahrheit ihrer Leidenschaft zeugten, und es war mehr als ein flüchtiges Verlangen nach dieser herrlichen Mädchenblüthe, was ihn immer wieder zu ihr trieb. Schon erregte die neue strahlende Erscheinung Bertls Aufsehen, da und dort wurde sie mit Theodor gesehen, er wurde bestürmt mit Fragen. Und indem dieser den Bescheid gab, sie sei ein wohlhabendes Bürgermädchen, die Tochter eines Hausbesitzers in der Vorstadt, ein hochanständiges, vortreffliches Mädchen, verschaffte er ihr ein für allemal eine Stellung, die ihm gestattete, unbehindert mit ihr zu verkehren.

Nur die Besuche im Hinterhaus waren für ihn peinlich. Vorn wohnte ein höherer Offizier seines Regimentes, dessen Gattin, Mutter zweier heirathsfähiger Töchter, jeden derselben in ihrem schwarzen Buche verzeichnete. Der alte Margold machte trotz seiner stillen Zukunftspläne immer ein argwöhnisches bitteres

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_144.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)