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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

aufgegeben; er schlich rathlos umher, und man sah ihn mit den Belzigs geheimnißvoll tuscheln: was wohl zu thun wäre? Ob man Boten nach ihm wie nach einem im Walde Verirrten aussendete? „Er ist hoffentlich nicht verunglückt, gestürzt bei der Glätte und hat sich ein Glied zerbrochen!“ beschwichtigte Perkisch. Aber es war nicht das, was er besorgte. Es war das Glatteis eines unverantwortlichen, unbegreiflichen Leichtsinns, auf dem jener ausgeglitten sein mochte. Man hätte ihn keine Minute allein lassen sollen!

Wenn durch diese Rücksichtslosigkeit die Verlobung zurückginge! Es wäre empörend! Und Perkisch berechnete, welchen Verlust das für ihn bedeutete: nicht allein den Verlust an Provision, sondern auch die moralische Einbuße, die seine geheime Specialität bei allen ähnlich Geschäftslustigen erlitte. Viele, die ihn stier berechnenden Blickes umherschleichen sahen meinten, es wäre seine andere Specialität, die Poesie des zu haltenden Toastes, über der er also grübelte.

Aus der Küche kamen alarmirende Nachrichten. Der für den Abend engagirte Chef drängte wie ein großer Künstler, der nun lange genug gewartet und endlich aufzutreten wünschte.

Herrn Belzig stach eine für solchen Moment geradezu verbrecherische Schadenfreude, die Verlegenheit und die Qual seiner Gattin noch zu steigern.

„Da hast Du’s – da hast Du die Bescherung!“ raunte er ihr über die Schulter zu. „Du erinnerst Dich wohl des famosen Falls in Budapest vorgestern in der Zeitung?“

Es war eine Skandalgeschichte – ein Magnat, der kurz vor der Trauung, als man schon in der Kirche versammelt war, Braut und Priester und Alles im Stiche ließ.

Frau Belzig antwortete mit einem wüthenden verachtenden Blicke rückwärts über die Schulter hinweg und rauschte davon, um ein paar Nummern des Koncerts einzuschieben, das programmmäßig erst nach dem Souper einsetzen sollte.

Die hohen Wimmertöne einer renommirten Geige lenkten noch eine kurze Weile die Aufmerksamkeit von dem Bräutigam ab, welcher auf dem Glatteis verunglückt war, – die Parole, die Perkisch hatte verbreiten müssen. Man saß und horchte mit dem erheuchelten Ausdruck der Spannung, aber bald hatte man nur wieder Augen für die Belzigs und ihre skandalöse Verlegenheit. Lolo war dem Weinen nahe, aber mit großer Energie bewahrte sie ihre lächelnde Miene.

In einem der hinteren Salons unterhielt sich der General, unbekümmert um das Koncert, überlaut mit der berauschend schönen Sängerin, die mit breiten, flach aufgebügelten Haarsträhnen bedeckte Glatze tief herabgebogen auf deren Schultern zum Aerger der Lieutenants, die machtlos waren, ihn aus dieser Position zu verdrängen.

Da öffnete sich die Vorsaalthür weit – endlich! Und Alles athmete erleichtert mit Frau Belzig auf.

Ein paar Augenblicke der Spannung, dann stolperte ein semmelblonder Herr, mit einem überaus glänzenden Ding von einem Orden am Halse, herein. Die Meisten, die das Phänomen des gräflichen Bräutigams noch nicht von Angesicht gesehen, hielten den Ankömmling für den sehnlichst Erwarteten, allein schon des Ordens wegen. Allgemeine Erregung.

Frau Belzig war wüthend. Wer war es? Einfach ein Gymnasiallehrer, der einem japanischen Prinzen die Elemente der deutschen Sprache beigebracht und dafür diesen Orden erhalten hatte.

Der Aermste war sehr verlegen und stotterte unbekümmert um das Adagio der Musik seine Entschuldigung über sein spätes Eintreffen.

„Bitte, bitte!“ fuhr ihn Frau Belzig zornsprühend an. Es klang fast wie: „Scheeren Sie sich doch gefälligst wieder hinaus!“

Der Geiger stockte ganz kurz über diese Störung und schwor, weiter fortfahrend, bei solchen Leuten nie wieder zu spielen.

Es gab eine peinliche Stille, nur das ärgerliche Tremulo des beleidigten Instrumentes. Plötzlich platzte Tante Mala, den komplicirten guttapertschenen Hörapparat an die Stelle ihrer Haube haltend, unter der ihr Ohr saß, laut mit der komisch jammernden Frage heraus:

„Warum kommt er denn nicht?“

„Das Glatteis!“ flüsterte ihr Melitta ängstlich beschwichtigend zu.

Aber jene verstand nicht. „Wieso? Was – Wer?“

„Das Glatt … eis – Tante!“

Man hatte Mühe, das Kichern und Lachen zu unterdrücken.

(Fortsetzung folgt.)




Deutsche Kriegervereine.

Vereinigungen alter Soldaten, die auch im Rocke des Bürgers Geist und Traditionen ihrer militärischen Dienstzeit gemeinsam zu wahren sich bestrebten, hat es lange vor 1870 in Deutschland gegeben. So haben sich in Preußen namentlich seit den Zeiten des alten Fritz, derartige Kriegerverbindungen gebildet, von denen einige bis auf den heutigen Tag bestehen und blühen. Zum Beispiel feierte der Militärverein „Wangerin“ in Pommern im Jahre 1886 sein hundertjähriges Bestehen, und solches Beispiel steht nicht vereinzelt da. Aber in Menge emporgeblüht und zu Bedeutung gekommen sind diese Vereine erst, seitdem die glorreichen Sieger von Weißenburg und Wörth, von Vionville und Gravelotte, von Sedan und Paris, zu friedlicher Bürgerarbeit zurückgekehrt, in solchen Vereinigungen die alten Erinnerungen und die gemeinsamen Gefühle der kameradschaftlichen Zusammengehörigkeit und der Treue gegen Kaiser und Reich pflegen.

Ueber die nationale Bedeutung und die Organisation der Kriegervereine ist in der „Gartenlaube“ gelegentlich des ersten deutschen Kriegerfestes in Hamburg berichtet worden (vergl. Jahrgang 1883, S. 500); heute möchten wir auf einen andern Zug im Leben derselben, auf ihre humanitären Bestrebungen hinweisen, auf das edle Ziel, in Noth gerathenen Kameraden helfend beizuspringen.

Es giebt wohl kein Feld, auf welchem sich die werkthätige Nächstenliebe günstiger entfalten könnte, als diese Vereinigungen alter Krieger, denn auf dem Boden der „Kameradschaft“ gedeiht die brüderliche Gesinnung, ohne daß Kunst und Sorgfalt des Gärtners die Pflanze ängstlich zu hüten brauchte. „Was? Den Mann, der neben mir im Pulverdampfe, in der Stunde der Gefahr gestanden und mir damals brüderlich geholfen hat, wie ich ihm, den soll ich neben mir hungernd und darbend und verlassen sehen? Nimmermehr! Komm’ her, Kamerad, so viel ich kann, helf’ ich Dir. Wir wollen zusammenstehen!“ So denken, so sprechen, so handeln Tausende, und gerade die unteren Schichten unseres Volkes, die arbeitenden Klassen empfinden dieses Gefühl am lebhaftesten, weil sie die Noth des Lebens am besten kennen. Darum rekrutiren sich unsere Militärvereine zum allergrößten Theile aus Arbeitern, kleinen Handwerkern und Beamten. Das ist gut und schön, das ist die Kraft und die Zukunft unserer Vereine; denn in diesen Kreisen wecken sie Selbstgefühl und das Bewußtsein, nicht allein und als ein „Enterbter“, sondern im Kreise von Gleichstrebenden und Gleichdenkenden als vollberechtigtes Mitglied zu stehen. Damit geben sie dem Einzelnen moralischen Halt, ohne das Gefühl in ihm zu wecken, als gälte es Sonderinteressen zu vertheidigen, und damit die Brandfackel des Hasses in seine Seele zu werfen. Die Militärvereine heben auch äußerlich den Niedrigstehenden auf das gleiche Niveau mit seinen Vereinsgenossen, denn in denselben giebt es nicht oder sollte es doch nicht geben Titulaturen und Rangbezeichnungen, sondern: „Kamerad Schulze“ sitzt und steht neben „Kamerad Müller“, mag der Eine auch Nachtwächter, der Andere Hofrath sein. Das sollten sich die Militärvereine nun und nimmermehr nehmen lassen. In diesem „Kamerad hier – Kamerad dort“ steckt ein Stück wirklich praktischer Socialpolitik, das allein schon im Stande ist, Manches zu einen, „was die Mode streng getheilt“.

So sind denn die humanen Bestrebungen in diesem Kreise von einem ganz besonderen Geiste getragen.

Verfasser dieses Artikels ist Mitglied eines großen Berliner Militärvereins, der etwa 1000 Mitglieder zählt. Gut 800 davon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_292.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)