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Seite:Die Gartenlaube (1886) 918.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nun schleunigst, um einem Unheil vorzubeugen. Zu seinem größten Erstaunen fand er die Beiden ganz friedlich und freundschaftlich bei einander; der Professor hielt sogar die Hand des Freiherrn in der seinigen, und dieser schien den Händedruck zu erwidern.

„Ich bedaure sehr, zu stören,“ sagte Michael, der seinen Augen nicht traute. „Hertha läßt die Herren um ihre Gegenwart bitten, aber wenn wir Sie in einem ernsten Gespräch unterbrechen –“

„Nein, wir sind zu Ende,“ erklärte Wehlau, indem er den alten Baron, der sich mühsam erhob und nach seinem Stocke griff, kräftig unterstützte. So traten sie in das Empfangszimmer, wo ihnen Hertha entgegenkam; aber an ihrer Seite befand sich noch ein Anderer, bei dessen Anblick die elegische Stimmung Eberstein’s sofort in eine gereizte umschlug.

„Herr Hans Wehlau – ich denke, Sie sind in Tannberg!“ rief er ärgerlich.

„Ja, als ich abfuhr, war er noch dort,“ fiel der Professor ein. „Wo kommst Du her, Junge? Bist Du durch die Luft geflogen?“

„Nein, Papa, ich bin Dir nur schleunigst nachgefahren,“ erklärte Hans. „Ich mußte den Herrn von Eberstein nothwendig sprechen und ihn in einer dringenden Angelegenheit um Gehör ersuchen –“

„Ich will nichts hören!“ protestirte der alte Herr. „Ich weiß schon, worauf die Geschichte wieder hinausläuft; aber ich bin soeben mit Ihrem Vater übereingekommen, daß wir ernstliche Maßregeln gegen Ihre Heirathspläne ergreifen, höchst energische Maßregeln!“

„Ja wohl, höchst energische Maßregeln!“ bestätigte der Professor. „Das haben wir allerdings abgemacht, aber – warum wollen Sie eigentlich Ihre Tochter meinem Sohne nicht zur Frau geben?“

Eberstein schaute ihn ganz verblüfft an. Die Frage war doch höchst sonderbar, nachdem man soeben erst ein Bündniß gegen diese geplante Heirath geschlossen hatte; aber die Antwort wurde ihm erspart, denn in diesem Augenblicke nahm ihn Hertha in Beschlag, und Wehlau benutzte das, um seinen Sohn bei Seite zu ziehen.

„Ich habe mich geirrt,“ sagte er kurz und bündig. „Du hattest diesmal Recht. Der alte Freiherr ist ganz vernünftig bis auf einige abnorme Gehirnerscheinungen, und die muß man dem zehnten Jahrhundert zu Gute halten, solch ein Stammbaum ist ja überhaupt nicht normal! Gefährlich und erblich aber sind diese Marotten nicht, also – wenn es durchaus nicht anders geht, so heirathe Deine Gerlinde!“

„Gott sei Dank, daß Du zur Einsicht gekommen bist, Papa!“ sagte Hans mit einem Seufzer der Erleichterung. „Du hast mir Noth genug gemacht mit Deiner Sorge für die Generationen, die vorläufig noch gar nicht da sind.“

„Das war meine Pflicht. Aber wie gesagt, ich bin jetzt über das Schicksal Deiner Nachkommenschaft beruhigt. Nun sieh zu, wie Du mit dem Alten und seinem Stammbaume fertig wirst.“

„Ich nehme sie alle Beide im Sturme!“ rief der junge Künstler triumphirend. „Ich erobere mir trotz alledem mein Dornröschen!“

Hertha hatte inzwischen diesen Sturm vorbereitet; sie hatte das Gespräch auf ihre eigene Verlobung gebracht und dem Freiherrn zu Gemüthe geführt, daß sie ja auch der letzte Sproß eines alten Geschlechtes sei, wie Gerlinde, und daß auch ihr Name in einem anderen erlöschen werde, der kein Adelswappen trage; aber Eberstein widersprach mit Heftigkeit.

„Das ist etwas ganz Anderes. Ihr Verlobter ist immer der Enkel des Grafen, der Sohn einer Steinrück; er gehört wenigstens mütterlicherseits Ihrem Geschlechte an. Ueberdies,“ hier wandte er sich verbindlich zu Michael, dessen männlich kriegerische Erscheinung ganz nach seinem Geschmacke war, „überdies hat sich Hauptmann Rodenberg im Kriege ausgezeichnet. Schon zu Zeiten unserer glorreichen Vorfahren galten tapfere Kriegsthaten als ein Adelsbrief und errangen den Ritterschlag. Aber ein Schwiegersohn, dessen Waffe der Pinsel und dessen Schild die Palette ist – nimmermehr!“

„Nun, er kann mit Pinsel und Palette wenigstens den Kriegsruhm verewigen,“ sagte Michael lächelnd. „Sie wissen vielleicht noch nicht, daß mein Freund soeben in einer Preisbewerbung den Sieg davongetragen hat. Sein Name geht jetzt durch die ganze Presse und wird einstimmig –“

„Bleiben Sie mir mit der Presse vom Leibe!“ rief Eberstein erbost. „Das ist auch so eine Erfindung der Neuzeit, und das ist die schlimmste von allen! Diese voreilige, indiskrete, verleumderische Presse, die Alles in den Staub zieht, der nichts heilig ist, ist ein rechtes Satanswerk!“

„Sie haben ganz Recht, Herr Baron, die Presse ist sehr schlimm!“ bestätigte Hans, der soeben herantrat und die letzten Worte hörte. „Aber nun erlauben Sie mir wohl, mein Gesuch auszusprechen – bitte, halten Sie sich nicht die Ohren zu; es betrifft diesmal wirklich nicht Gerlinde und mich, sondern einzig die Preisbewerbung, von der Michael soeben sprach. Ich habe mich schon vor dem Kriege daran betheiligt und erhielt noch während des Feldzuges die Nachricht, daß meine Skizze mit dem Preise gekrönt und zur Ausführung bestimmt ist. Dazu bedarf ich aber Ihrer Erlaubniß.“

„Meiner Erlaubniß?“ fragte Eberstein befremdet. „Was habe ich denn mit Ihren Bildern zu thun?“

„Das wird Ihnen klar werden, sobald Sie sich herbeilassen, einen Blick darauf zu werfen. Es ist ein historisches Gemälde, für den Hauptsaal des neuen Rathhauses in B. bestimmt und an diesem hervorragenden Platze wird es natürlich viel gesehen werden. Eben deßhalb muß ich Ihre Erlaubniß erbitten; wird sie versagt, so muß ich eben den Entwurf ändern. Entscheiden Sie darüber – hier ist er.“

Er öffnete die Thür des Nebenzimmers. Der alte Freiherr, zeigte sich glücklicherweise nicht so hartnäckig wie Professor Wehlau, als es sich um die Verachtung Sankt Michael’s handelte; halb neugierig, halb mißtrauisch trat er ein, und die Anderen folgten ihm.

Dort an der Wand war in der That das besprochene Bild aufgestellt, vorläufig nur ein Karton, in Kreide ausgeführt, aber doch ein getreues Abbild des künftigen Gemäldes. Der junge Maler hatte es verstanden, den gegebenen historischen Stoff, eine Scene aus den Kämpfen des Mittelalters unter den Hohenstaufen, lebendig und wirkungsvoll zu gestalten. Zur Rechten des Bildes erblickte man den Kaiser, eine machtvolle, ernste Erscheinung, von Fürsten und Prälaten umgeben; zur Linken zeigte sich das herandrängende Volk, während die siegreich heimkehrenden Krieger, die ihrem Fürsten die eroberten Trophäen zu Füßen legten, die Mitte einnahmen. Es war eine charakteristische, reich bewegte Gruppe, aus der vor Allem eine Gestalt aufragte, offenbar der Held und Führer des ganzen Siegeszuges. Eine prächtige Erscheinung, mit dunklen Haaren und Augen und edlen, regelmäßigen Zügen, in voller Rüstung und voller Manneskraft. Hochaufgerichtet, mit der Rechten auf die Trophäen deutend, schien er dem Kaiser den Siegesbericht zu erstatten. Der einzelne Ritter war die Hauptgestalt des Gemäldes, auf die sich der ganze Vorgang und auch das Interesse des Beschauers koncentrirte; aber Helm und Rüstung trugen die Abzeichen derer von Eberstein, und der Schild trug das Wappen, das verwittert und halb zerfallen über dem Thore der Ebersburg stand – es feierte hier seine Auferstehung.

Der alte Freiherr war an das Gemälde herangetreten, um es genau zu betrachten; Plötzlich aber zuckte er zusammen, die trüben Augen gewannen Leben; die gebeugte Gestalt richtete sich auf und mit einer fast stürmischen Bewegung, wandte er sich zu dem jungen Künstler, der hinter ihm stand.

„Was haben Sie gethan? Das ist ja –“

„Die Wiedergabe eines Portraits, das ich bei meinem ersten Besuche in der Ebersburg entdeckte,“ ergänzte Hans. „Sie erinnern sich wohl noch unseres Gespräches darüber und begreifen nun, weßhalb ich Ihre Erlaubniß erbitte.“

Eberstein gab keine Antwort; er blickte starr und unverwandt auf das Bild, auf sein Bild, aus der Zeit, wo er noch jung und gesund und glücklich war, wo auch er noch die Waffen zu führen wußte, und ihm wurden die Augen feucht bei der Erinnerung.

„Was soll denn das eigentlich heißen?“ fragte der Professor, der zwar das Gemälde kannte, den man aber über die geheime Bedeutung desselben noch in Unkenntniß gelassen hatte. Der alte Freiherr wandte sich zu ihm und sagte in einem Tone, der halb wehmüthig, halb selbstbewußt klang:

„Das sind meine Züge. So hat einst Udo von Eberstein ausgesehen – vor mehr als dreißig Jahren!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 918. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_918.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2022)