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Seite:Die Gartenlaube (1886) 278.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nach dem Eingang. Die Gruppen wichen aus einander, ein leises Rauschen kam heran: Frau Paloty und ihre Tochter traten in die Trinkhalle.

Es war plötzlich, als seien alle andern Anwesenden zusammengeschrumpft oder verblichen.

Frau von Blachrieth wurde von der hoch modernen Krinoline der Frau Paloty zusammengedrückt, Vergeblich winkte sie Heino, ihr zu folgen. Er schaute gespannt den heranschreitenden Damen entgegen. In ihrem Verdruß übersah sie, daß Ravensburgk den Hut vor ihr zog. Und als dieser Hedwig begrüßen wollte, verließ dieselbe gerade mit dem Herrn Aufdermauer tief aufathmend die heiße Brunnenhalle. Er drehte sich ärgerlich ab und wandte sich ebenfalls den neuen Ankömmlingen zu.

Mit gleichgültiger Ruhe behauptete Frau Paloty das Feld, als sei es ihre einzige Aufgabe, in ihrer kostbaren, aber mattfarbigen Toilette ihrer Tochter zur Folie zu dienen.

Leonore dagegen trat mit der Sicherheit einer Primadonna auf, welche beim Erscheinen sofort die ganze Bühne nimmt. Rasch vorschreitend, üherfluthete sie mit ihrem weißen rosa gefütterten Morgenkleid die Steinfliesen der Halle, und ihre blauen Augen blitzten durch den gleich einem leichten Nebelwölkchen sie umflatternden Schleier über die Anwesenden hin. Wie eine zauberische Atmosphäre umgab sie ein feiner Duft von Heliotrop, der mit ihr kam und schwand. Ein Diener folgte den Damen mit ihren kostbaren persischen Shawls und den Trinkbechern.

Um Beide bildeten sich sofort Gruppen. Frau Paloty wurde von älteren Herren und Damen begrüßt, die sie als Bekannte der vorjährigen Saison aufsuchten.

Um Leonore schloß sich ein Kreis, in welchem Ravensburgk Hofmarschallsdienste that, indem er immer neue Vorstellungen vollzog.

Mit der ihm eigenen klanglosen Stimme sprach er:

„Baron Blachrieth, neuestes Opfer der Lora-Nixe, die er durch einen Ritt auf dem Pegasus zu erlösen beschlossen hat.“

Einen Augenblick hielt er in seiner Präsentation inne. Warum wandte Leonore sich so überrascht nach ihm um, als hätte er eine welterschütternde Neuigkeit erzählt? Was bedeutete das Aufleuchten ihrer Augen, mit dem sie Blachrieth beglückte? Sie schien wirklich Fassung und Athem verloren zu haben, so gut wie Blachrieth, dessen Augen ganz hingerissen an ihr hingen.

Da er dann fortfuhr, Mister Montagu, den österreichischen Kürassier und noch eine lange Reihe von Herren zu nennen, erschien sie ihm immer noch geistesabwesend. Sie sammelte sich erst wieder, als ihr der Krystallkrug mit dem heißen Mineralwasser gereicht wurde.

„Die Heilguelle hat sich nicht verbessert,“ sagte sie. „Sie riecht wirklich nach Schwefel, als komme sie direkt aus der Hölle.“ Mit einer Bewegung des Widerwillens wandte sie den Kopf ab, wobei sie den Inhalt des Glases halb verschüttete.

„Wenn Sie hier eine neue Douche anzulegen beabsichtigen,“ sprach Ravensburgk, seine bespritzten Stiefeln schüttelnd wie eine Katze, die in die Nässe gerathen ist, „so bitte ich mir wenigstens vorher einen Wink aus, damit ich mich bei Zeiten der überflüssigen Kleidungsstücke entledigen und den Bademeister mit trockenem Leinenzeug bestelleu kann.“

Leonore lachte zu seiner Unverschämtheit. „Ihre Furcht vor Nässe ist begreiflich bei Ihrer starken Anlage zur Trockenheit.“

„Da außer Ihnen noch Niemand diese Eigenschaft an mir entdeckt hat,“ entgegnete Ravensburgk mit spöttischer Verbeugung, „so vermuthe ich, daß Ihre gluthathmende Gegenwart allein schuld an dieser Erscheinung ist. Gewöhnen Sie sich nur an den Gedanken, daß ich mich nächstens verkrümele.“

„Edler Stoff wird durch koncentrirte Hitze geläutert, unedler, erdig lehmiger zerfällt,“ neckte Leonore.

„Bah! Erd- und Lehmkegel sind wir Alle,“ erwiderte Ravensburgk.

Leonore warf mit einer graziösen Bewegung den Schleier zurück und strich das Haar aus der niedrigen griechischen Stirn. „Ist das Lehm?“ fragte sie übermüthig, und ihr Blick traf in Heino’s Augen.

Einen Athemzug lang schauten sich die beiden jungen schönen Menschen strahlend an.

„Nein, das ist die Morgenröthe,“ sagte Heino entzückt.

„Asche!“ tönte es im selben Augenblick wie ein Hauch in Leonoren’s Ohr.

Erschrocken sah sie sich nach dem Sprecher um.

Vor ihr stand ein hoch gewachsener schwarz gekleideter junger Mann. Ein ernster Blick, der aus unermessener Höhe zu kommen schien, fiel schwer auf sie herab. Dann wandte sich der Fremde und ging mit ruhigem Schritt durch das Menschengewühl davon.

„Wer ist dieser Herr?“ fragte sie hastig den Präsidenten.

„Der jetzige Prediger der Herrnhutergemeine Himmelgarten,“ erwiderte der alte Herr, mit ihr die Stufen der Brunnenhalle herabsteigend. „Er ist auch Gast der hiesigen Heilquelle, kommt jeden Morgen über den Hainberg herüber und geht am Abend zurück. Eine beschwerliche Badekur; aber als Missionar ist er das Wandern gewohnt worden.“

Sie waren in den Kolonnaden angelangt, die auf der einen Seite offen und von wildem Wein umrankt, auf der andern durch Verkaufsläden geschlossen waren. Der bunte Schwarm eleganter Herren und Damen, der Leonoren folgte, wie der Schweif dem Kometen, sammelte sich um den nächsten Verkaufstisch, wo in Glaskästen vieux saxe ausgestellt war, reizende Amoretten, welche Fische fingen und Wein kelterten.

„Echtes Rocoeo,“ lobte Baron Pölz mit Kennermiene. „Es kommt doch nichts der koketten Grazie jener Zeit gleich.“

„Es ist Alles schon dagewesen, Herr von Pölz,“ sagte Leonore, seinen überlegenen Ton nachahmend. „Als auf der Meißner Porzellanerde noch Drachen und Bären hausten, malte man schon in Pompeji Amoretten als Schustergesellen an die Wand.“

„Ich kenne den Schwindel mit dem Schutthaufen,“ antwortete Baron Pölz und winkte abwehrend mit der Hand. „Ich dankte Gott, als ich heraus war; ließ mir lieber am Strande von Neapel von den Fischern frische Austern auftischen und von ihren hübschen Töchtern Limonien darüber ausdrücken. Das war doch wirkliches Leben.“

„Ja, lebendig müssen uns die alten Kunstwerke werden,“ belehrte Leonore. „Und wenn unsere Einsicht nicht hinreicht, die Schöpfungen alter Meister zu verstehen, so müssen wir uns an diejenigen halten, welche von der Natur so begnadet sind, daß sie die Gedanken längst vergangener Menschengeschlechter aus ihren zerbröckelnden Werken heraus zu lesen vermögen. Hätten Sie das pompejanische Bilderbuch von Heino von Blachrieth einmal mit Aufmerksamkeit studirt,“ fügte sie mit neckendem Augenaufschlag gegen Heino hinzu, „so würden Sie die pompejanische Kunst aus den prächtigen Abbildungen und Versen kennen gelernt haben.“

„Hat Ihnen mein Bilderbuch gefallen?“ fragte Heino roth und verschämt wie ein junges Mädchen.

„Wem nicht?“ gegenfragte sie. „Wie habe ich die zarten Verse bewundert, die den Handel mit Amoretten so sinnig auslegen. Nur kann ich Ihnen darin nicht zustimmen, daß der kleine Liebesgott, der sich dreist hinter das Gewand der schönen Frau verbirgt, der erwählte sein soll. Sie beachtet ja den Zudringlichen gar nicht und hat auch für den zuversichtlich mit seinem Kränzchen auf sie zufliegenden nur einen ernsten Blick. Ihr gefällt gewiß allein der kleine Schelm, den die derbe Faust des Händlers an seinen Flügelchen aus dem Taubenkäfig zieht.“

„Sind das Allegorien?“ fragte Ravensburgk hinzutretend. „Ist vielleicht unter dem dreisten Liebesgott, der an Ihrem Gewand hängen soll, Baron Pölz zu verstehen, der eben auf Ihrer Schleppe herumtritt? Bin ich so glücklich, als der zuversichtliche Amor geschildert zu werden, den man mit einem ernsten Blick abspeist? Und wer ist der Unglückliche, der an den Haaren herbeigezogen wird?“

Als seine Bemerkung keiner Beachtung gewürdigt wurde, lachte er boshaft in sich hinein: „Der Dichterling hat richtig angebissen. Da führt sie ihn an ihrer Angelschnur fort.“

Dann spähte er nach der Allee hinüber. Dort ging neben Hedwig der Herr Aufdermauer, und sie plauderten und lachten zusammen. Mit einem unmuthigen Zucken der Augenbrauen ließ er das Monocle fallen.

„Ist es Wahrheit, daß Sie die Lora-Sage zum Gegenstand Ihrer neuesten Dichtung machen wollen?“ fragte Leonore, während sie mit Heino in die Gartenwege hinaus schritt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_278.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)