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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wunderhübscher Junge – fast so hübsch wie Du – und wird Majoratsherr. Da hätte ich doch wissen sollen, daß ich von allem Anfang an keine Chance hatte. Was ist Dir?“

„Gar nichts. Ich wundre mich nur. Ich dachte sicher, Herr Axel von Blewitz sei der Auserwählte.“

„Weil er immer um sie herum ist und sie seine Dummheiten lachend anhört? Das beweist gar nichts. Er könnte noch dümmer sein, wenn er ihr nur brav den Hof macht. Das braucht sie so nothwendig wie das liebe Brot. Aber ernsthaft ist die Sache nicht. Ich vermuthe sogar stark, sie will den Axel nur gegen Astolf ausspielen.“

„Was heißt das? Du weißt, ich bin in diesen Sachen erschrecklich dumm.“

„Scheint wirklich so – bitte um Verzeihung. Wollte sagen: Du kannst ja auch nicht wissen, was das heißt. Nämlich dies: Ich bin überzeugt, sie liebt Astolf, und gerade darum behandelt sie ihn schlecht. Glaube, alle Koketten machen das so. Und zu der schlechten Behandlung wird gehören, daß sie sich vor seinen Augen von Blewitz die Kour auf Tod und Leben schneiden läßt. Uebrigens ein gefährliches Spiel, denn Astolf ist stolz und verwöhnt wie ein Prinz von Geblüt und könnte abschnappen, anstatt, wie sie hofft, mit der Sprache herausrücken. Verstehst Du nun?“

„So ziemlich; und darf man fragen, wie Deine Eltern darüber denken?“

„Ich sagte Dir ja: Astolf ist Mamas Liebling. Was Astolf will, will Mama; und was Mama will, will Papa.“

„Und Dein Onkel?“

„Offen gestanden, ich weiß es nicht. Jedenfalls hat er die Sache immer ruhig mit angesehen.“

„Aber Ellinor ist doch erst fünfzehn Jahre,“ rief ich in einer Verzweiflung, die Schlagododro glücklicherweise nur ein schallendes Gelächter entlockte.

„Nun wird’s gut,“ rief er; „jetzt muß er auch noch für die liebe Unschuld eine Lanze brechen! Beruhige Dich! Bis zum Heirathen hat es noch gute Weile, aber in unsern Familien legt man sich so wichtige Dinge schon von langer Hand zurecht. Uebrigens ist sie fünfzehn ein halb, und Astolf wird noch im Herbst zwanzig. Das paßt ja denn so weit ganz schön. Onkel Egbert hätte ihn gern noch hier gesprochen; er will sich nicht länger halten lassen; ist überhaupt in letzter Zeit recht wunderlich. Findest Du nicht auch? Nun muß ich aber auch fort. Ich soll Papa nach Brandshagen begleiten. Er hat da eine Konferenz mit J. J.“

„Mit wem?“

„Mit Deinem J. J. Der arme Papa läßt den Manichäer nicht gern hierher ins Haus kommen, sondern empfängt ihn immer drüben. Diesmal ist, glaube ich, noch ein besonderer Grund. Du weißt, wir haben auf Brandshagen die große Brennerei, die ich Dir ja schon immer einmal zeigen wollte; aber über Euren verflixten Theaterkram kommt man ja zu nichts. Nun, und ich glaube, Papa will die Brennerei an J. J. verpachten, oder muß sie verpachten, was in der Ursache sehr verschieden, aber im Effekt dasselbe ist. Nationalökonomie – mein Fach, weißt Du. Es ist hübsch von Papa, daß er mich bei Zeiten praktisch in mein Fach einführt. Also, adieu bis heute Abend! Du wirst wohl unterdessen den gewohnten Ausflug nach Belriguardo oder wie das italienische Nest heißt, machen.“

Er schüttelte mir lachend die Hand und schlenkerte aus dem Garten. Ich blickte ihm nach, bis ich sicher war, daß er nicht wieder umkehren würde, und stürzte mich dann in den Park, instinktiv die einsamsten Pfade suchend, während ich nur immer so vor mich hin lief, Wuth und Verzweiflung im Herzen. Ellinor verlobt, so gut wie verlobt, und mit ihm, den ich schon zu hassen geglaubt hatte, bis ich dies wußte, und jetzt – o, es gab kein Wort, welches das ausdrückte! Es gab nur Zähneknirschen und ohnmächtig geballte Fäuste und Thränen, die mir schier die Augen versengten. Jetzt mußte ich fort, jetzt wollte ich fort, mochten sie von mir denken, was ihnen beliebte! Ich haßte sie alle, Einen wie den Anderen, auch Schlagododro, der so kaltblütig eine Ellinor seinem Bruder ausliefern konnte; den Major, der sein einziges Kind nicht besser zu hüten wußte; sie selbst, die herzlose Kokette, die sich von einem Axel Blewitz den Hof machen ließ, um einen Astolf Vogtriz zu erobern. Sie waren eines des Andern werth!

So raste ich in meinem Wahnsinn weiter, als plötzlich ein helles Kleid durch die Büsche schimmerte. Wenn es Ellinor war! Ein Zittern überfiel mich, daß mir die Kniee wankten, und ich wünschte, der Erdboden möchte mich verschlingen: und im nächsten Augenblick das wüthende Verlangen, sie nur einmal an mein Herz, meine Lippen auf ihre Lippen zu pressen, und möchten sie mich dann mit glühenden Zangen zerreißen.

Mein Herz hatte umsonst zum Zerspringen geklopft – eine Wendung des Pfades, und ich stand Maria gegenüber.

Auch sie hatte die Einsamkeit gesucht, freilich mit anderen Empfindungen als ich! Wie blind mußte mich die Leideuschaft gemacht haben, daß mir diese Miene als die einer Glücklichen erschien!

Sie hatte mit klarerem Auge die Verstörtheit meiner Züge sofort erkannt.

„Mein Gott, was ist Ihnen? Sie haben eine Unnannehmlichkeit gehabt!“ rief sie mir entgegen, noch bevor wir einander völlig erreicht hatten.

„Tausend für eine!“ rief ich mit Hohnlachen zurück und fuhr dann, als wir zusammen weiter schritten, mich zu einiger Ruhe zwingend, fort: „Oder wäre denn dieses Leben hier nicht eine einzige fortgesetzte Unnannehmlichkeit – für mich, selbstverständlich; ich sehe ja, daß Andere anders darüber denken.“

„Sie haben gehört, daß man den älteren Bruder erwartet,“ sagte sie schnell.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Weil ich weiß, wie verhaßt er Ihnen ist, und ich mir so Ihre üble Laune erklären kann.“

„Und ich versichere Sie nochmals, daß es auf eine Unannehmlichkeit mehr oder weniger gar nicht ankommt. Ich habe das Leben hier eben satt, wenn man satt bekommen kann, wogegen man von vorn herein einen instinktiven Widerwillen hatte. Ich denke, Sie können mir das bestätigen; ohne Ihr Zureden wäre ich schwerlich hier. Sie freilich brauchen nicht zu bereuen, daß Sie gekommen sind.“

Es war eine Grausamkeit, ihr das zu sagen; aber ich fühlte es doch nur dumpf; in meinem Herzen tobte es zu sehr; das brennende Roth, das plötzlich in ihren bleichen Wangen aufflammte, um ebem so schnell wieder zu verschwinden, galt mir nur als Zeichen und Beweis, daß sie sich getroffen fühlte. Ich ließ sie nicht zu Worte kommen.

„Freilich, räthselhaft genug ist mir das; vielmehr unbegreiflich. Ich begreife nicht, wie Sie es mit Ihren Ueberzeugungen in Einklang bringen, vom Morgen bis zum Abend Dinge zu hören, die mir das Blut in den Adern sieden machen. Oder könnte es doch nur begreifen, wenn ich annehme, daß Sie Ihre Ueberzeugungen gewechselt haben. Es bleibt mir nichts Anderes übrig.“

„Vielleicht,“ erwiderte sie ruhig, „daß ich mit meinen Ueberzeugungen zurückhalte, wo ich, wie hier, sicher bin, durch das Aussprechen derselben nichts zu bewirken. Aber warum halten denn Sie mit den Ihrigen zurück?“

„Das ist es ja eben,“ rief ich zornig, „was ich mir nicht vergeben kann. Und übrigens ist doch in dieser Hinsicht ein Unterschied zwischen mir und Ihnen. Ich bin ein junger unbedeutender Mensch, das weiß ich wohl. Aber für mich ist, sagen, was ich denke, und mit der Gesellschaft ein für allemal brechen, ein und dasselbe. Sie können reden, was Sie wollen –“

„Und niemand achtet darauf – eine beschämende Rolle, wahrlich, zu der Sie mich da verurtheilen. Und dann, frage ich wieder, wenn Ihnen die Gesellschaft hier so widerwärtig ist und Sie es so leicht haben, mit ihr zu Ende zu kommen, warum thun Sie es denn nicht? um so mehr, als Sie das doch für eine männliche Pflicht zu halten scheinen?“

Ich schlang, vor ihrer sicheren Logik verstummend, meine Wuth still in mich. So gingen wir eine Zeit lang schweigend neben einander, jedes im Innern den Kampf um das Geheimniß, das ihm der Andere entreißen wollte, weiter kämpfend; in bitterer Feindschaft jetzt, wie ich meinte, wir, die wir vorher in so herzlicher Freundschaft verbunden gewesen waren. Sie begann zuerst wieder:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_218.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2024)