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Seite:Die Gartenlaube (1886) 168.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

den Wunsch des Fürsten einmal die Titelrolle des Stückes übernommen und nach der Aussage des Kammerherrn ganz wunderbar gespielt hatte, während Weißfisch nicht dieser Ansicht war. Die Dame habe nicht die Iphigenie, sondern sich selbst gespielt, was keine große Kunst und überhaupt keine Kunst sei, zumal bei der Schönheit der Dame und der großen Gunst, in welcher sie bei Hofe und beim Publikum gestanden. Wie könne man Goethe’sche Verse sprechen, wenn man „englisch lisple“? Damit könne man eine leidliche Sängerin sein, wie die Dame es ja in der That gewesen, aber leidliche Sängerin und unleidliche Schauspielerin – das sei doch, wie der Kammerherr wisse, eine landläufige Erfahrung.

„Das Ende vom Liede ist, daß Sie Miß Howard mit Ihrem Hasse beehrten und, wie ich merke, noch beehren, wozu Sie ja auch Ihre gegründete Ursache haben,“ sagte der Kammerherr.

„Der Herr Kammerherr sind sicher, daß dabei keine Personenverwechselung stattfindet?“ gab Weißfisch zurück.

„Sie werden schon wieder impertinent,“ sagte der Kammerherr.

Ich mußte darin dem Kammerherrn Recht geben, wenn er mir auch in dem Streite selbst den Kürzeren gezogen zu haben schien. Ich hatte mit großer Aufmerksamkeit zugehört und mich im Stillen über das sonderbare Verhältniß zwischen Herrn und Diener höchlichst verwundert. Schon daß ein Diener über dergleichen Dinge so reden konnte, war mir erstaunlich, auch dann noch, als Schlagododro einen Augenblick wahrgenommen hatte, um mir zuzuflüstern, daß der Mann viele Jahre Theaterfriseur und zuletzt die rechte Hand des Intendanten gewesen sei. Wie kam der Friseur zu dem, was mir wenigstens als das feinste Kunstverständniß erschien? Wie aber kam er vor Allem dazu, in diesem Tone mit seinem Herrn sprechen zu dürfen, nachdem ich vorhin gehört, mit weicher Strenge der gutmüthige Schlagododro einen Mangel an Respekt, oder was er dafür zu halten beliebte, an seinem Diener zurückgewiesen? Und des Kammerherrn Gutmüthigkeit traute ich nicht allzu weit. Hatten Herr und Diener zu viel zusammen durchgemacht, was den Standesunterschied zwischen Beiden verwischt hatte? Machte es dem Kammerherrn einfach Spaß, seinen Witz an dem Manne zu üben, auf die Gefahr hin, daß die Sache, wie eben, die umgekehrte Wendung nahm, so daß Herr Weißfisch außer seiner Kammerdienerrolle auch noch die des Haus- und Hofnarren bei dem gnädigen Herrn spielte?

Dieser Erklärung gab ich zuletzt den Vorzug, und noch derselbe Abend sollte mir den Beweis liefern, daß der Mann zum Haus- und Hofnarren im Sinne der guten alten Zeiten, von denen der Narr im „Lear“ ein Wörtchen zu sagen weiß, mindestens ein ausgiebiges Talent besaß, um welches ihn meiner Meinung nach der größte Bühnenkünstler beneiden mußte.

Das Talent nämlich, jeden beliebigen bedeutenden Schauspieler – und er schien sie alle gesehen zu haben – in Haltung, Miene, Stimme, Vortragsweise nachzuahmen bis zur positiven Täuschung, wie der Herr Kammerherr und Herr von Vogtriz, der häufig nach Berlin kam und ebenfalls ein großer Theaterfreund war, versicherten.

Er hatte aber seine Künste nach der Abendtafel zu produciren, während die Gesellschaft, wie bei einem wirklichen Schauspiel, auf rangirten Stühlen das Parkett bildete. Trotzdem die Vorstellung über eine halbe Stunde währte, schien das Programm des Mannes auch nicht annähernd erschöpft zu sein; und dabei sei er, wie der Kammerherr, nachdem er endlich wieder abgetreten, behauptete, auf der Bühne völlig unbrauchbar, wie durch wiederholte Versuche auf dem fürstlichen Theater, für die sich Se. Hoheit selbst aufs Lebhafteste interessirt, unumstößlich festgestellt sei. Auch nicht die kleinste, unbedeutendste Rolle sei er auf der Bühne durchzuführen im Stande, nicht einmal im Fach der Intrigue, in welchem er doch im wirklichen Leben excellire.

Die Leistung des Herrn Weißfisch war die letzte Nummer im Programm dieses Abends gewesen. Gleich darauf löste sich die Gesellschaft auf; der Oberförster und Herr von Blewitz verabschiedeten sich; die Hausgenossen zogen sich in die Schlafgemächer zurück. Schlagododro war todtmüde und schlief sofort ein; ich lag noch lange wach im Bett. Die fremde Umgebung, das viele Sonderbare, das ich im Laufe des Abends beobachtet hatte, die neuen Gesichter – das Alles wirrte in buntem Durcheinander vor meinem inneren Auge. Zwar wollte ein Gesicht sich immer vor die anderen drängen und wollte eine Stimme aus den übrigen hervorklingen; aber ich duldete es nicht. Ich war um Maria’s willen gekommen, und Maria sollte den ersten Platz in meinem Herzen behalten. Mochten sie Alle, wie sie es ja augenscheinlich thaten, vor der schönen Ellinor anbeten – ich würde mich schämen, nichts Besseres zu sein, als einer jener Romanhelden, deren unentrinnbares Schicksal es ist, Demokraten und Freiheitsschwärmer, wie sie sind, sich in die erste schöne Aristokratentochter, die ihnen über den Weg läuft, zu verlieben. Nimmermehr! Und sollte ich wirklich das Unglück haben, mich in das wunderbare Mädchen zu verlieben – wer kann für Unglück stehen, und gerade diese Sorte pflegte ja bei mir besonders schnell zu schreiten! – nun wohl, so mochte mein gequältes Herz brechen, aber meine stolzen Kniee würden sich niemals beugen – niemals, niemals!

Und mit diesem tugendhaften Vorsatze schlief ich ein.


3.

Am nächsten Morgen in der Frühe – eine schwache Helle dämmerte erst durch die heruntergelassenen Vorhänge – wurde ich aus einem wunderlichem Traum, in welchem ich vergeblich nach Ellinor suchte, die bald hier, bald da aus dichtem Gebüsch: hier bin ich! rief und, wie eifrig ich durch das Gezweig drang, nur immer ein verflatterndes helles Gewand blieb, auf eine schauerliche Weise geweckt. Stöhnende, wimmernde Klagelaute, die ich bereits im Traum vernommen – da war es aber mein eigenes Weinen um die Unerreichbare gewesen – kamen jetzt deutlich an mein waches Ohr, schwiegen dann eine kurze Zeit, um sich von neuem herzzerreißender als zuvor vernehmen zu lassen. Ich weckte Schlagododro.

„Was giebt’s?“ fragte er, sein Löwenhaupt vom Kissen aufrichtend.

„Hör doch! es muß jemand schwer krank sein – ganz in der Nähe!“

Schlagododro horchte mit schlaftrunkenen rollenden Augen.

„Es ist der Kammerherr,“ sagten er gleichmüthig: „er logirt unter uns; er wird gleich anfangen zu singen.“

Das Löwenhaupt sank in die Kissen zurück, und ruhig tiefe Athemzüge sagten mir, daß der liebe Kerl bereits wieder schlief.

Ich aber konnte nicht sobald wieder einschlafen, sondern saß, den Ellbogen aufgestemmt, im Bett, den grausigen Tönen lauschend, die noch immer, jetzt aber seltner und leiser, von unten heraufdrangen, voll Mitleid mit dem Manne, dem die Lebenslust aus den dunklen Augen sprühte, der gestern Abend die ganze Tischgesellschaft mit seiner muntern Laune und seinen drolligen Geschichten in Athem und Lachen erhalten hatte, und nun, ein Raub gewiß gräßlicher Schmerzen, so hilflos dalag. Sollte ich aufstehen und versuchen, zu ihm zu gelangen – was ja doch am Ende nicht schwer halten konnte – und ihm meine Hilfe anbieten? Aber sein Faktotum Weißfisch war ja sicher in seiner Nähe, und es konnte kein außergewöhnlicher Zustand sein, sonst hätte Schlagododro doch nicht so ruhig davon sprechen können. Was mochte er mit dem Singen gemeint haben?

Ich hatte es kaum gedacht, als jetzt wirklich unter mir eine gebrochene Stimme zu singen anhob. Das war aber noch unheimlicher als das Stöhnen und Aechzen. Ich hatte nie Musik getrieben, aber ich hatte, wohl als Erbtheil meiner Mutter, ein leises, feines Ohr, und die Stimme, die da unten sang, meinte ich, mußte einst sehr schön gewesen sein, und, wie sie jetzt auch zitterten und wie sie zweifellos aus einer von Klagelauten erschöpften Brust kamen – die Töne waren immer rein und vornehm, wie die Trümmer eines gebrochenen griechischen Tempels noch immer von Marmor sind. Und wenn das Schauerliche dieses Singens in der Morgenfrühe nach einer Nacht voll Qualen noch vermehrt werden konnte, so war es durch die Lieder selbst: „Treibt der Champagner“ – und: „Ueberm Garten durch die Lüfte“ –

Großer Gott! gestern Abend hatte ich gesehen, wie er den perlenden Wein, von dem ihm Herr von Vogtriz ein Glas aufnöthigen wollte: nur ein Glas, lieber Freund! – standhaft zurückwies, um bei seinem Selterwasser zu bleiben. Und da draußen in dem Park, durch dessen majestätische Wipfel die hellen balsamischen Morgenlüfte strichen, waren jetzt die Vögel wach geworden und begrüßten zwitschernd die aufgehende Sonne, und – „Mir ist, als sollt’ ich weinen!“ – ich konnte es nicht länger ertragen,

vergrub meinen Kopf in die Kissen und weinte still und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_168.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2024)