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Seite:Die Gartenlaube (1883) 447.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

unaufhörlich betete und dem Heiligen das Blaue vom Himmel versprach, wenn er nur wieder halten wolle.

Unter dieser Beschäftigung war allmählich der Morgen herein gebrochen. Mit unsäglicher Geduld hatte es das Moidl glücklich so weit gebracht, daß der Heilige sammt seinem Kopfe wieder auf seinem alten Platze drinnen in der Capelle stand. Nach einem inbrünstigen, unendlich reumüthigen Gebete erhob sich das Moidl und trat den Heimweg an. Die Sonne stieg gerade aus dem Osten, als das Moidl aus der Lichtung der Bäume heraustrat, von wo der Weg abwärts zum Dorfe und ebenso hinaus zum Berge führte. Da stand’s nun, verweint, vom Sonnengolde umflossen, in der Hand den Lilienstengel des heiligen Josef, den das arme Kind in der Verwirrung und Verzweiflung vergessen hatte, dem Heiligen zurückzustellen. Den Weg vom Dorfe her aber kamen die Holzmacher und mit ihnen der Josef, der sie übergefahren hatte und sie ein Stück Weges heraufbegleitete, blos um vielleicht dem dummen Dirndl, dem Moidl zu begegnen, auf das er einen solchen Zorn hatte, daß er die ganze Nacht über kein Aug’ hatte zubringen können. Und die Männer bogen um die Ecke, gerade als das Moidl mit seinem Lilienstengel aus dem Gebüsche trat. Und sieh! der kleinste Bub, der vorauslief, riß blitzschnell die Mütze vom Kopfe und schrie, ganz von Ehrfurcht und heiliger Scheu durchdrungen:

„Jesus Maria, a heilig’s Dirnd’l!“

Das Moidl aber ließ seinen Lilienstengel in namenlosem Schrecke zur Erde fallen und floh, beide Hände vor das Antlitz schlagend, den Weg hinauf zur Hütte. Die Männer kamen näher, lachend dem fliehenden Mädchen nachschauend.

„Mein Seel,“ brummte Einer von ihnen und bückte sich zur Erde, „is dös nit dem heilig’n Josef sein Lilienstengerl?“

Sie trugen ihn in die Capelle; diese erzitterte natürlich unter den Tritten der Männer, und so geschah es, daß der Heilige von Neuem den Kopf verlor, der über den Fußboden hinkullerte, den Eintretenden entgegen.

„Herr, mei Gott – Jesus Maria – da schaut’s schön aus!“ schrieen sie unter einander und hoben den Kopf von der Erde auf, der schier nicht mehr zu erkennen war. „Jo, is denn dös Moidl rein verrückt – dös is jo a schieche G’schicht’, a schieche!“

Nur der Josef sprach nicht, sondern lehnte unter der Thür und schaute kopfschüttelnd seinen Namenspatron an.

„A saubers heilig’s Dirndl,“ dachte er, „thut, als könnt’s nit fünfe zähl’, und schlagt d’ Heilig’n z’samm’n!“

Die Männer waren allgemach zu einem Entschluß gekommen. Einer von ihnen nahm den Kopf an sich und winkte dann dem Josef.

„Ich will halt mit’m Herr Pfarrer red’n,“ meinte er, „der wird sich schon auswiss’n.“

Die Andern gingen zur Arbeit. Als Josef mit dem Manne unten am See ankam, saß das Moidl schon im Nachen; es war sonntäglich angezogen, kerzengerade, beinahe feierlich saß es da. Der Josef verfärbte sich ein wenig und nahm dann dem Mädchen gegenüber Platz. Nachdem er es eine Weile unablässig, halb mitleidig, halb zornig angeschaut hatte, sagte er endlich:

„No, Moidl, wo willst dann hin?“

„Zum Herr Pfarrer,“ gab’s ohne aufzublicken zur Antwort.

„Sag’, kann ich Dir dann nit helf’n?“ fragte der Bursche wieder.

„Mir kann kein Mensch nit helf’n,“ erwiderte das Moidl.

„Jo, was hast dann aber nur denkt, Moidl?“ schrie nun der Josef.

„Dös sag’ ich halt an Herr Pfarrer,“ lautete die Antwort. Darauf waren Beide still. Der Josef schaute grollend in die glitzernden Wogen; das Moidl vor sich nieder. Nach einer Stunde landeten sie drüben. Das Moidl ging rascher, als der alte Mann, der den Kopf des heiligen Josef behutsam im Taschentuche trug, und so trat’s denn auch eine gute Weile vor ihm im Pfarrhause ein. Hochwürden memorirten eben eine Predigt, aber sie nahmen’s nicht so genau damit und blickten demgemäß auch nicht eben unfreundlich auf, als die schmucke Dirne unter der Thür erschien.

„No, Moidl, was giebt’s Neu’s?“ fragte der alte Herr, der nicht zu den finstern, sondern zu den fröhlichen Dienern Gottes gehörte. „Na, na, grüß’ Gott,“ rief er, da das Moidl schüchtern unter der Thür stehen blieb, „nur näher, näher!“

„Mei Gott, dös darf ich nit,“ stammelte das Mädchen. „Oes wißt’s halt nit, Hochwürd’n –“ Und sie warf einen so demüthigen, zerknirschten Blick auf den Geistlichen, daß der Josef, der hinter den Reben, welche das Fenster umgarnten, auf einer Leiter hockte, schier gar das Gleichgewicht verlor vor Freuden.

„Dös san a paar Aug’n!“ murmelte er, und in Gedanken setzte er hinzu: „Und wenn’s alle Heilig’n vom Himmel z’samm’ng’schlag’n hätt’, dös Moidl laß ich nimmer aus.“

Drinnen in der Stube ging nun die Beichte an.

„Wie ich darzu komm’n bin, Hochwürd’n, so am heilig’n Josef z’ handeln,“ schluchzte das Moidl, „dös soll’s erfahr’n – so bös hab’ ich’s freili nit g’meint, wie’s ausg’falle is – g’wiß nit – aber recht hab’ ich nit g’than und dös woaß ich. Ich hätt’ halt gern g’habt, daß – daß der Josef – der Schiffer-Josef – mit mer g’sproch’n hätt’, nach der Kirch’n, und da hab’ ich zum heilig’n Josef bet’, und Blumen hab’ ich ihm ’bracht, von der höchsten Spitz’n, und er hat doch sonst immer auf mich g’hört, wenn ich für’s Vieh oder für d’ Mutter bet’ hab’ – halt ja, Hochwürd’n, wie d’ Kirch’n aus war, is der Josef nit komm’n, und da war ich so d’rzürnt, daß ich ihn halt genommen hab’ und außi g’stellt vor d’ Capell’n. In der Nacht aber hab’ ich kein’ Ruh’ kriegt nit und wie’s Wetter schlimmer word’n is, da bin ich aufg’stand’n – und wie ich hinkomm’ – da liegt er halt da – und hat den Kopf verlor’n. Dös is mei Sünd’, Hochwürd’n.“

Das Moidl weinte bitterlich. Hochwürden aber putzten angelegentlich die Brille, indem sie sich gegen das Fenster wandten, hinter welchem sich der Josef vor Glückseligkeit das Herz mit beiden Händen hielt.

„Jetzt drauß’n auf’m See,“ dachte er, „und a Jodler, daß d’ Berg z’samm’n fall’n!“

„Aber Moidl,“ sagte endlich der Geistliche und schaute so ernsthaft wie möglich drein, „so a fromm’s, brav’s Dirndl, als Du immer warst, und jetzt kömmst mir mit so ’ner Sach’n.“

„Straft’s mich.“ sagte das Moidl, „und da is mei Verspart’s –“ sie hielt dem Pfarrer ein paar Silberstücke hin, „’s Beten, hab’ ich schon g’merkt, bringt die Sach’ in kein’ Ordnung nit, er muß halt frisch ang’strich’n werd’n, und mit’m Kopf wird der Färber-Seppl g’wiß a B’scheid wiss’n.“

Der Pfarrer nahm das Geld.

„Und Dich soll ich halt laufen lassen,“ meinte er.

Das Moidl schüttelte den Kopf:

„Ich bin schon g’straft – ich woaß nur z’gut, wo’s Unglück herkommt – d’ Mutter hat recht, wann Oans an d’ Bub’n denkt, damit fangt’s Unheil an. Ich geh’ zu den heilig’n Schwestern, Hochwürd’n.“

In diesem Augenblick trat der alte Holzmacher in die Stube und brachte den Kopf des heiligen Josef. Er wollte die Geschichte erzählen, der Geistliche winkte ihm aber zu gehen:

„Laß nur, Peter,“ sagte er, „ich woaß schon.“

Und wie er nun den Kopf des Heiligen mit den in einander geflossenen Farben zu Gesicht bekam, da überfiel ihn mit Gewalt das Lachen, und er sagte nur noch schnell zu dem Mädchen:

„Geh’ nur – geh’ heim, Moidl, wir reden noch z’samm’n.“

Kaum sah er sich allein, warf er sich in seinen Stahl und lachte Thränen, den übel zugerichteten Kopf vor sich hin haltend. Aber er lachte nicht allein, draußen lachte noch Einer mit und so laut, so kräftig, daß Hochwürden entsetzt aufschnellten und nach dem Fenster starrten, wo das Gelächter herkam.

Da streckte der Josef das Gesicht durch die Reben und rief:

„Sein’s nit bös, Hochwürden, aber ich hab’ All’s g’hört – und nun muß ich dem Moidl nach!“

Und Hochwürden waren nicht bös, sie thaten nur einen ganz schalkig-mitleidigen Blick nach dem heiligen Josef hin und meinten:

„Hast’s g’seh’n, so spiel’n die Leut’ln uns mit.“

Der Josef hatte das Moidl eingeholt.

„Du, Moidl,“ sagte er und stieß sie mit dem Ellenbogen an, „ich hab’ All’s g’hört.“

„Jesus Maria!“ stammelte sie.

„Dumm’s Dirnd’l, dazu hast doch den hellig’n Josef nit z’ bitt’n brauch’n – komm, schau mich an.“

Aber das Moidl schüttelte energisch den Kopf:

„An einer Sünd’ is grad g’nug; laß mich aus.“

Da lachte der Josef laut auf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_447.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)