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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

zu einem stärkenden Trunke eingekehrt zu sein. An großen Porcellanerdbrüchen vorüber gelangen wir zu dem Orte, wo Gotthelf Greiner, ein ebenso origineller wie genialer Mann, der zweite Erfinder des Porcellans geworden ist. A. Fleischmann, der Sonneberger Commerzienrath und Geschichtschreiber der Industrie des Oberlandes, hat in seinen „Culturhistorischen Bildern“ (Hildburghausen, Kesselring) eine Selbstbiographie des alten Herrn abgedruckt, die zu dem Belehrendsten, aber auch Erquicklichsten gehört, das man in unserer Urgroßväter Schreibart lesen kann. Niemand versäumt es, vor das Denkmal zu treten, das in Limbach dem Vater der gesammten Thüringer Porcellanindustrie gesetzt worden ist. Die von ihm gegründete Fabrik besteht noch, des alten Rufs würdig; sie producirt hauptsächlich kleine freistehende, trefflich modellirte und gemalte Thiere, ein belehrendes und unterhaltendes Spielzeug für Kinder.

Limbach liegt auf einer so schroffen Wasserscheide, daß es hierin eine Merkwürdigkeit aufzuweisen hat: vom Gasthause sendet die vordere Dachrinne ihr Wasser dem Elbegebiet durch die hier entspringende Schwarza, die hintere Rinne aber durch die Grümpen, einen Quellbach der Itz, dem Rheingebiet zu. Im Kranz seiner Aussicht liegen Scheibe mit einer im Figurenfache ausgezeichneten Porcellanfabrik, ferner die beiden höchsten Berge Meiningens, der Kieferle und der Bleß, und endlich Steinheide, ein trauriges Denkmal des Dreißigjährigen Krieges, vorher eine florirende Bergstadt und seitdem ein armer Flecken, auf dessen einstigen Marktplatz jetzt Gras wächst.

Und nun schlagen wir den Weg nach Lauscha, oder, wie es im Volksmund heißt, nach „der Lausche“, ein. Auf demselben haben wir die schönste Gelegenheit zu der Betrachtung: wie übergroß schon der Tribut war, den die Menschen von den Waldungen forderten. Die Eisenwerke allein verbrannten jede Woche den Bestand einer sieben Morgen haltenden Waldung, und die Glashütten verbrauchten zusammen jährlich 1200 Klafter. Und während die Groß- und Kleinindustrie des Oberlandes fast ganz auf Holz beruhte, wurden auch noch „vom Fiscus“ große Holzmengen in das Ausland verflößt. Schon Martin Luther äußerte über diese Waldverwüstung: „Es werde noch vor dem jüngsten Tage wie an guten Freunden so an wildem Holze Mangel sein.“ Auf Kosten des Waldes vermehrten sich die Kartoffeläcker, während die Poesie der Köhlerhütte vor der Prosa der Steinkohlenhütte erblich, aber wenigstens zum Besten des Waldes.

Wir kommen auf unserm Bergweg nach etwa zweistündigem Waldgang bei der Göritzmühle in dem düster-romantischen Steinachgrunde an, und wandern wieder straßauf, um uns nach abermals einer halben Stunde des Anblicks der lustigen Lausche zu erfreuen; denn so und nicht anders verdient der seltsame Ort genannt zu werden.

Wohl wird das Thal, je höher hinauf, um so schluchtartiger; eng an einander drückt Haus an Haus sich die schmale Straße entlang, und wo eine Seitengasse unentbehrlich wird, da hängen die Häuschen wie Schwalbennester am Abhang – und doch ist keine Spur von Trübsinn und Mißmuth in den Augen zu lesen: im Gegentheil, die Heiterkeit lacht nirgends so gerade heraus, als ob Musikantenblut in allen Adern flösse, und der neckische Geist ist landläufig dort.

Aber kann es denn da anders sein, wo einst böhmisches und schwäbisches Blut sich vereinigten? Die Gründer der ersten Glashütte in Thüringen waren zwei aus ihrer Heimath ihres protestantischen Glaubens wegen im Jahre 1595 vertriebene Männer, Christoph Müller aus Böhmen und Hans Greiner aus Schwaben, kurzweg der „Schwabenhans“ genannt. Beide erhielten gemeinsam am 10. Januar 1557 in einem „Erbbrief“ vom Herzog Johann Kasimir in Coburg ein kostbares Privilegium zum Anbau an der Lauscha. Noch im selben Jahre begann die Arbeit, und hat also unweigerlich am selben Tage in vierzehn Jahren die Lausche ihr dreihundertjähriges Glasjubiläum zu begehen. Ihre ersten Arbeiter brachten sie mit sich, sämmtlich wie wilde Thiere aus den katholischen Landen fortgehetzte Leute. Sie begannen ihre Arbeit mit Gesang eines Chorals und Gebet und halfen durch ihre Hauptarbeit selbst der lutherischen Lehre im Volke zu immer weiterer Verbreitung, indem sie die damals beliebten bemalten Trinkgläser mit biblischen Sprüchen in Luther’s Sprache schmückten.

Die Einübung immer neuer Choräle führte von selbst auch zu gemeinsamer Uebung in musikalischen Instrumenten, und bald ward es Sitte, daß jeder „Gläser“ (so hießen die Glasbläser) wenigstens eines Instrumentes Herr sein mußte. Hatten die braven, fleißigen und frommen Leute in der Lausche schon an sich, da ihre Arbeit gesegnet war, alle Ursache zu einem gesunden Frohsinn, so setzte diese Pflege der Musik und die vom Coburger Herzog gestattete Anlegung einer eigenen Bierbrauerei der Lauschaer Heiterkeit die Krone auf.

Merkwürdiger Weise ist sogar der Dreißigjährige Krieg, der in Südthüringen und Nordfranken so furchtbar wüthete (vergleiche mein „Bild aus Deutschland im Elend“, Jahrgang 1865, Seite 825), an der Lausche spurlos vorübergegangen. In die Thalzwiesel der alten und der faulen Lauscha verirrte sich weder Pandur noch Kroat, während der Glasbedarf sogar zunahm und die Waaren durch Händler auf den Schleichwegen des Gebirges hinausgetragen wurden.

Unter so glücklichen Umständen gedieh auch die Volkspoesie der Glasmaler, die später nicht blos mit Bibel-, sondern auch mit selbsterfundenen Reimsprüchen ihre formen- und farbenreichen Trink- und sonstigen Gefäße verzierten. Ein Beispiel von 1684 lautet:

„Ich bin schön hell und klar aus Sand und Asch gemacht,
Durch Menschenkunst und Wind in solche Form gebracht.
Setzt man mich unsanft hin, so brech ich gleich entzwei:
Mich dünkt, ein Mensch und ich – das ist fast einerlei.“

Wenn drei Jahre darnach (1687) die erste Postkutsche, die zwischen Coburg und Gräfenthal über den Wald fuhr, die Lausche weit links liegen ließ, so winkt ihr dagegen in unseren Tagen die Gewißheit, daß die Locomotive durch den Steinachgrund dampfen und vor der Hand wenigstens Sonneberg und Lauscha mit einander verbinden wird.

In Lauscha steckt eine kerngesunde Triebkraft. Die Häusergruppe von neun Familien zu Ende des Dreißigjährigen Krieges war vor dreißig Jahren schon zu einem Dorfe von nahe an vierzehnhundert Seelen angewachsen, und jetzt zählt das Dorf Lauscha dreitausend Einwohner und könnte alle Tage eine Stadt werden.

Die erste Sehenswürdigkeit des Ortes ist die alte Glashütte, kurzweg „die Hütt“ genannt. Die beiden Gründer hatten sie zu zwölf Ständen eingerichtet, von welchen die sechs auf der Abendseite dem Greiner, die sechs auf der Morgenseite dem Müller gehörten. Diese Einrichtung besteht noch, auch die beiden Namen haben sich erhalten, ja es giebt fast nur Müller und Greiner in der Lausche (die durch Abstammungs- oder Scherz-Anhängsel an die Namen sich von einander unterscheiden); nur der Besitz dieses Dutzends ist insofern geändert, als jetzt je sechs Glasmeister einen ganzen, sechs je einen halben Stand und zwei zusammen drei Stände inne haben. An jedem Stand arbeiten zwei Gesellen.

Die Hauptbeschäftigung ist das Röhrenziehen. Aus dem Hafen in der Ofengluth heraus holt der eine Geselle mittelst der sogenannten eisernen Rohr- oder Hohlglaspfeife flüssiges Glas und dreht es, Luft durch das Rohr einblasend, auf einer Platte, bis es eine Walze von bestimmter Länge und Stärke bildet; dann heftet der andere Geselle die Glaswalze mit dem andern Ende an ein sogenanntes Bindeisen, und nun laufen Beide, der mit der Pfeife fortwährend Luft einblasend, aus einander und ziehen so das Glas zu Röhren von jeder beliebigen Stärke, die lang hingestreckt auf dem Boden liegen. In Stücke zerkleinert, gehen dieselben in die Hände der Lampenarbeiter über. Außerdem stellt man in er Hütte noch Glasdraht zum Spinnen der Glaswolle, Glaskugeln aller Art, dagegen Trink- und Arzneigläser nur noch selten her. In der Hütte herrscht, trotz der nicht leichten Arbeit, immer munteres Leben, erleichtert durch das allgemeine „Du“, das in den Kreisen der Arbeiter alle Vornehmigkeitsgelüste Einzelner unmöglich macht.

Die Lampenarbeiter vertreten die Hausindustrie. Früher war die Arbeitslampe auf dem Werktische erst mit Talg gespeist, dann mit Paraffin, abwechselnd mit Petroleum gefüllt, das Gesicht des Arbeiters kam möglichst nahe an die Flamme, weil er die nöthige Stichflamme selbst blasen mußte – für Augen und Lungen eine schwere Aufgabe. Dies dauerte bis 1867, wo der Segen einer Gasanstalt nach Lauscha kam. Seitdem laufen die Gasröhren durch den ganzen Ort, zu jedem der Schwalbennester an den Bergen hinan, und sogar zu den Nachbarorten Igelshieb, Ernstthal und Neuhaus a. R. hinauf, die alle bei Lauschaer Gas arbeiten. Wie es jetzt so reinlich am Werktische ist, sehen wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_280.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2023)