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Seite:Die Gartenlaube (1883) 115.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gegen seine Nachbarn im Norden, die dem Fürsten Lukengo gehorchenden Bakuba, bewegen. Er verweigerte daher die Erlaubniß zum Passiren seines Flusses, des Lubilasch. Zugleich ließ er im Lager der Reisenden die entsetzlichsten Menschenfressergeschichten verbreiten, sodaß nicht nur der Rest der Träger, sondern auch die Tussilange muthlos wurden. Bis auf fünf Getreue verweigerten alle Träger die Weiterreise; die Tussilange verlangten ebenfalls zurück, und selbst Mukenge wurde schwankend. Bei so schlimmer Lage der Dinge gingen die Reisenden gegen die eigenen Begleiter mit der größten Strenge vor: den Trägern wurden die Waffen abgenommen und alle Existenzmittel für die Rückreise verweigert; Mukenge wurde bedroht, daß, falls er seinem Versprechen zuwider jetzt schmachvoll umkehren wolle, die Reisenden sich unter den Schutz seines gefürchteten Rivalen, des jungen Königs Kingenge stellen würden, von dem er ja wisse, wie sehr derselbe für sich die Ehre gewünscht habe, die deutschen Reisenden zu geleiten. Als auch dies noch nicht zu wirken schien, wurde ihm bestimmt erklärt, daß, falls er auf der Rückkehr bestehe, die Deutschen ihn allein ziehen lassen würden; Wißmann werde dann versuchen, allein die Reise fortzusetzen, Pogge aber werde mit allen Waaren beim Katschitsch[WS 1] verbleiben.

Diese Drohung schlug durch. Noch schwieriger aber war die Behandlung des alten Katschitsch. Durch einen Gewaltstreich sich seinem Machtbereich zu entziehen, war ganz unmöglich. Alle Leute, die Träger sowohl wie die Tussilange, würden dann sofort entflohen sein, da der Alte im Rufe eines großen Zauberers stand. So verfielen die Reisenden auf den Gedanken, dem Fürsten ihre Gegenwart möglichst unheimlich zu machen, und erreichten wirklich durch häufiges nächtliches Schießen, Abbrennen von Feuerwerk und dergleichen, daß der Alte in dem Wunsche, so gefährliche Nachbarn los zu werden, endlich in ihre Abreise willigte.

So durften sie am 20. Januar den Lubilasch überschreiten, der, hier 150 Meter breit, ruhig strömend seine hellgelben Gewässer zwischen senkrechten Sandsteinwänden oder, wo sich das Thal erweitert, zwischen undurchdringlichen Urwäldern nach Norden zum Congo wälzt. Hier erst erfuhren sie, daß sie damit zugleich den bisher nur dem Namen nach bekannten Sankuru überschritten hatten, denn dies ist der nur im Osten übliche Name des im Westen Lubilasch genannten großen Nebenflusses des Congo.

Den ganzen Februar hindurch ging es nun weiter durch reich bewässerte Prairien, dicht bewohnt von verschiedenen, zum Theil kriegerischen Stämmen, unter Anderen den durch die Länge ihrer Dörfer (bis zu 17 Kilometer!) merkwürdigen Benecki. Bei dem nächsten Volke, den Kalebue, war leider schon wieder die Berührung mit Culturvölkern wahrnehmbar, noch dazu in ihrer allertraurigsten Form; denn bis hierher dehnen die am Lualaba angesiedelten arabischen Händler ihre grausamen und schmachvollen Raubzüge und Menschenjagden aus. So war es denn nicht zu verwundern, daß die armen Leute beim Eintreffen der friedlichen deutschen Reisenden in ihren Dörfern, gleiches von ihnen befürchtend wie von den arabischen Sclavenhändlern, meist sofort die Flucht ergriffen. Hierdurch und durch die vielen internen Feindseligkeiten der Dörfer unter einander, durch den Mangel an zuverlässigen Führern, wurde dieser Theil der Reise äußerst beschwerlich.

Höchst bemerkenswerth ist die Entdeckung eines Volksstammes, dessen eigenartige Existenz offenbar zur Entstehung der zahlreichen Märchen von Zwergvölkern Innerafrikas das meiste beigetragen hat: Vom Lubi bis zum Tanganika fanden sich überall, eingesprengt in die herrschende Bevölkerung, Ueberreste des Volkes der Batua, muthmaßlich der Urbewohner dieser reichen Landschaften. Klein und häßlich gewachsen, mager und schmutzig und von wildem Aussehen, wohnen diese auf niedrigster Culturstufe stehenden Leute in einzelnen Gehöften oder Dörfern in kleinen liederlichen Strohhütten, zerstreut und verachtet, eine eigene Sprache sprechend, unter den überlegenen Lubavölkern. Ackerbau betreiben sie gar nicht; an Hausthieren haben sie außer Hühnern nur eine gute Rasse windhundähnlicher Jagdhunde, keine Ziegen, keine Schweine; so leben sie nur von dem Ertrage der Jagd und wildwachsenden Früchten. Ihre Waffen und Werkzeuge stehen auf niedrigster Stufe; nur eiserne Pfeilspitzen sieht man hier und da.

Am 8. März wurde der durch Cameron bekannte Lomamifluß erreicht und unter 5° 42’ südlicher Breite überschritten, Es war die höchste Zeit, daß man eine arabische Niederlassung erreichte; denn die Tauschartikel waren völlig zu Ende. War, was ja nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit lag, die arabische Station in Njangwe nicht mehr vorhanden, so konnten die Reisenden hier, gerade im Centrum Südafrikas, abgeschnitten von aller Verbindung mit der civilisirten Welt, in die bitterste Verlegenheit gerathen. So wurde denn die directe Richtung auf Njangwe eingeschlagen. Doch gerade dieser letzte Abschnitt der eigentlichen Entdeckungsreise war noch eine schwere Geduldsprobe, da fürchterliche Regengüsse die ganze Gegend überschwemmt und versumpft hatten. Der Grasbestand (man muß an die von Stanley in Manjema beschriebenen 8’ hohen und zolldicken Grasstengel denken!) war in Folge dessen so verfilzt, daß oft Schritt für Schritt der Weg erst passirbar gemacht werden mußte. Noch führte der am 2. April erreichte, weithin ausgetretene Lufubufluß einen längeren Aufenthalt herbei, da die Expedition sich erst selbst zwei Canoes bauen mußte, mit denen endlich am 11. April die Karawane übergesetzt werden konnte. Endlich, am 16. April, hatten die Reisenden die Genugthuung, den mächtigen Lualaba, als die ersten vom Westen kommenden Europäer zu begrüßen, und am folgenden Tage trafen sie in Njangwe ein, wo sie bei dem alten arabischen Scheich Abed-bin-Salim, der auch Stanley beherbergt hatte, gastfreundliche Aufnahme, manchen langentbehrten Genuß, vor Allem aber den zur Fortsetzung der Reise erforderlichen Credit fanden.

Die eigentliche Entdeckungsreise war mit dem Eintreffen in Njangwe beendet, und nach dem schon beim Mukenge festgestellten Plan sollten sich hier die Gefährten trennen. Nach dreiwöchentlichem gemeinsamem Aufenthalte auf dieser Insel arabischer Halbcivilisation inmitten der Wildniß schieden denn am 5. Mai die treuen Reisegenossen von einander, beide in bester Gesundheit. Pogge mit Mukenge, seinen Tussilange und dem Gros der treugebliebenen Träger tauchte wieder unter in die Nacht der centralafrikanischen Barbarei, um zunächst zu den Tussilange zurückzukehren und ihr Land, das als Ausgangspunkt weiterer Forschung in der Südhälfte des Congobeckens wichtig ist, durch längeren Aufenthalt genauer kennen zu lernen, namentlich auch im Hinblicke auf eine dort etwa zu begründende deutsche Station.

Hoffen wir, daß dem hochverdienten Reisenden, dem die deutsche Afrikaforschung der letzten Jahre ihre glänzendsten Erfolge verdankt, vergönnt sein möge, gesund und wohlbehalten in’s Vaterland zurückzukehren und den wohlverdienten Dank für seine vorzüglichen Leistungen entgegenzunehmen, die um so größeres Lob verdienen, als sie stets auf friedlichem Wege erreicht wurden.

Wißmann blieb mit nur vier Leuten von der Westküste und mit im Ganzen fünf Gewehren bei den Arabern unter recht schwierigen Verhältnissen zurück, da er sich weder mit diesen selbst noch mit den Eingeborenen der Gegend verständigen konnte. Nachdem er den ganzen Mai hindurch vergeblich auf den Abgang einer Karawane nach der Ostküste gewartet hatte, der er sich hätte anschließen können, riß ihm die Geduld, und er wagte es, am 1. Juni mit seiner Handvoll Leute und zwanzig Sclaven die weite Reise anzutreten. Seine Bewaffnung bestand aus zehn Gewehren, die ihm sein Gastfreund Abed-bin-Salim geliehen hatte. Obgleich er schon in den ersten Tagen an seiner zügellosen, überall plündernden neuen Gefolgschaft die übelsten Erfahrungen machen mußte und ihn erfahrene Araber auf der nächsten Station, Kasongo, dringend warnten, nicht mit so geringer und unzuverlässiger Mannschaft die Reise fortzusetzen, konnte er sich doch nicht zu längerem Warten entschließen. Nachdem ihn Abed-bin-Salim nachträglich autorisirt hatte, jeden Ungehorsamen unter seinen Sclaven sofort niederzuschießen, gelang es Wißmann durch spartanische Strenge, einige Ordnung und Disciplin herzustellen. Er wich auf dem Wege zum Tanganika verschiedentlich beträchtlich von den Wegen seiner drei Vorgänger ab, hatte kurz vor dem Erreichen des Sees noch eine ernsthafte Differenz mit räuberischen Eingeborenen, die ihm ein Gewehr entwendet hatten, und wurde, am See angelangt, in der englischen Missionsstation Ruanda von dem dort stationirten Reverend Griffith auf das liebenswürdigste aufgenommen und vierzehn Tage hindurch verpflegt.

Nachdem Wißmann an Stelle der nach Njangwe zurückgeschickten Sclaven Abed’s in Udjidji zwanzig Waniamnesi-Träger engagirt hatte, trat er die Weiterreise zur Ostküste an. Diese Reise ist in den letzten fünfundzwanzig Jahren so oft gemacht und beschrieben worden, daß wir uns ein näheres Eingehen auf dieselbe ersparen können. Bei der geringen Macht, über die Wißmann verfügte,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kitschitsch
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_115.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)