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Seite:Die Gartenlaube (1881) 774.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

hier in Häusern wohnen, welche Gutseigenthum sind; natürlich unter der Bedingung, daß sie für das Gut arbeiten. Weigern sie sich, weiter zu arbeiten, so entzieht man ihnen einfach die Wohnung.“

„Sonst passirt ihnen weiter nichts?“ fragte der Baron mit gespanntem Seitenblick.

„Ich denke, das wäre genug.“

„Nein, das reicht nicht,“ meinte der Alte trocken. „Dat is ’n Spaß, sägt Maaß.“ Und er lachte einen Augenblick kurz auf aber es war ein zorniges Lachen.

„Ich kann Ihnen nur rathen: ordnen Sie die Sache in Gutem, Boddin!“

„Na adschüs, Landrath! Nun ist’s mir leichter um das Herz.“

Die beiden Männer waren aufgestanden und schüttelten einander die Hände. Während der Landrath im Nebenzimmer noch ein paar freundliche Worte zu Anne-Marie sprach, ihr das tröstliche Resultat mittheilte und ihr zuredete, zu thun, was sie könne, um den Onkel von Plänen gegen Curt abzubringen, blieb der Baron zurück und begann sofort sein Schreibpult auszukramen. Die Abfahrt des Wagens störte ihn.

„Na, er will ja doch wohl nach Demmin, weil er Jochen in Bornitz gelassen hat,“ sagte er, überrascht zum Fenster hinausblickend, „da fährt er ja wieder mit dem Landrath ab.“

Er sah den Wagen im Thore verschwinden. Auf dem Steinpflaster vor dem Fenster lag sein der Bernhardiner, hatte den Kopf ein wenig erhoben und schaute gleichfalls hinterdrein.

„Faß, Dana!“ zischte der alte Herr unwillkürlich zwischen den Zähnen. Dann hörte er hinter sich die Thür gehen und Anne-Marie’s Kleid rascheln.

„Ich habe es nun doch gethan, mein liebes Anne-Marieken“ meinte er gedrückt. „Du kannst mir mal helfen, die Schreiberei für die Pogge auszusuchen; Du machst das fixer als ich.“ – – –

Curt war froh über die glückliche Lösung; selbst die Andeutungen des Landraths wegen drohender weiterer Schwierigkeiten vermochten nicht, ihm die Freude zu verkümmern. Aergern mochte ihn der Onkel soviel er wollte, wenigstens war ihm eine ersprießliche Thätigkeit, vor Allem die Erfüllung der übernommenen Pflicht seiner Meinung nach gesichert. Er hatte es so eilig, sich in die Arbeit zu stürzen, daß er es ausschlug, die Nacht auf Bornitz zu verweilen, und direct nach Demmin weiter fuhr, um im Verlaufe des nächsten Tages möglichst viel besorgen zu können.

Am liebsten wäre er den folgenden Abend schon wieder in Pelchow gewesen. Eine Unruhe, die er selbst nicht recht begriff, plagte ihn, und hinter der Unruhe stand das dürftige, ungastliche Gutshaus von Pelchow wie eine Heimath des Friedens. Und doch war jene Unruhe etwas Wohlthuendes, wie es der kühle, in sich abgeschlossene Mann noch nie empfunden:

Er hatte keine Ahnung, daß in seiner Abwesenheit zu Pelchow Minen gegen ihn gelegt wurden, indeß er selbst für den Ort wie für eine ferne Heimath zu fühlen begann.

Der Baron hatte mit Anne-Marie alles zusammengesucht und geordnet, was sich an Actenmaterial vorfand. Das junge Mädchen war mit großer Sorgfalt und Accuratesse verfahren; da lagen gesondert die Papiere, welche Gutsangelegenheiten betrafen dort alles, was mit der an die Gutsherrschaft geknüpften amtlichen Befugniß zusammenhing; jeder Stoß wieder mehrfach in sich geschieden und das Verwandte mit Band umschlungen und mit einem Zettel versehen, welcher den Inhalt angab. Anne-Marie schrieb die Notizen mit ihrer klaren, hübschen Handschrift. Der Baron saß zuletzt nur auf dem Kanapee oder er ging in der Stube auf und ab, Auskunft gebend und dazu in Pausen eine kurze Jagdpfeife rauchend. Bis in die Nacht hinein dauerte die Arbeit; denn wie Kraut und Rüben hatte alles durch einander gelegen; die ganze Schreiberei war dem alten Herrn ein Gräuel, und schon seit lange hatte Anne-Marie ihm helfen müssen. Manches Werk von ihrer Kinderhand fand sie jetzt wieder, das sie mit stillem Lächeln betrachtete.

In später Stunde näherte sich der Baron dem Fenster.

„Geh mal in Deine Stube, Döchting,“ sagte er. „Ich will hier was Luft herein lassen, daß Du nicht den Husten kriegst von dem Tabaksrauch. Du sollst mir nicht zu Schaden kommen. Nimm die Lampe mit ’rüber! Ich muß ’raussteigen; denn ich erinnere mich eben, daß ich was vergessen habe, was ich noch besorgen muß.“

Anne-Marie sah ihm befremdet zu, wie er das Fenster aufschob und hinausstieg.

„Setze doch Deine Mütze auf, Onkel! Es ist kalt draußen.“

„Laß nur, Döchting, ich gehe blos um das Haus zu den Knechten.“

Er stand draußen, zog wieder schnaufend die Luft ein, wie er gern that, und blickte in den klaren Sternenhimmel. Ein kühler Nachthauch wehte; es war so still; nur in irgend einer Hundehütte rasselte eine Kette und im Stalle brummte eine Kuh. Endlich seufzte er tief auf und begab sich zu der anderen Seite des Hauses, wo er hart an den Laden eines zur Knechtestube gehörigen Fensters klopfte.

„He, Leute! Kukt mal ’raus!“

Nach wiederholtem Pochen und Rufen klirrte endlich das Fenster, und hinter dem geöffneten Laden kam ein Gesicht zum Vorschein.

„Mein Sohn, bist Du auch munter, daß Du ordentlich hörst, was ich hier rede?“

„Ja wohl, Herr!“

„Na, dann sag mal morgen früh zu Drewes, wenn er kommt, daß ihr morgen nicht zu arbeiten braucht. Klock sieben soll alles, was auf dem Gute arbeitet, ausgenommen den Schulmeister und die aus dem Armenhause, sich vor meinem Fenster versammeln, indem daß ich eine Ansprache an sie halten will. Hast Du mich verstanden, mein Sohn?“

„Ja wohl, Herr!“

„Nun siehst Du, mein Sohn, nun leg Dich wieder hin!“

Der Laden schloß sich, und der Baron ging langsam zu seinem. Fenster zurück. Noch einmal blieb er stehen und sah zum Himmel auf. Der Orion blitzte in voller Pracht; da höher über das Gut hin, zog sich der weißliche flimmernde Streifen der Milchstraße. Es schwamm ihm vor den Augen.

„Herrgott,“ sagte er halblaut mit zitternder Stimme, „das hast Du mir nun anthun können, und ich habe Dir doch nichts zu Leide gethan.“

Damit stieg er in seine Stube und ließ das Fenster herunter. Anne-Marie kam mit der Lampe.

„Willst Du nicht zu Bette gehen, lieber Onkel?“ fragte sie weich. „Es ist schon spät.“

„Sieh erst mal zu, Anne-Marieken, ob Dürten noch auf ist! Sie soll das Zeug da Alles in die Eßstube schaffen; denn nun mag ich damit nichts mehr zu thun haben.“

Dürten flickte und stopfte noch. Nach ein paar Gängen war durch sie und das junge Mädchen die Umräumung bewirkt. Als Anne-Marie zuletzt zurückkehrte, brannte einsam die Lampe auf dem Tische und beschien den kraushaarig grauen Kopf des alten Herrn, den er in die aufgelegten Arme vergraben hatte. Anne-Marie erschrak; denn auf die Frage, ob ihm etwas fehle, rührte er sich nicht. Rasch trat sie näher und hörte einen tiefen zitternden Athemzug; da legte sie die weichen vollen Mädchenarme um den armen Baron und streichelte ihn mit der einen Hand so sanft über den Kopf und sagte:

„Mein guter armer Onkel!“

Langsam richtete sich der Alte auf. In dem fast burlesken Gesichte zuckte und bebte es, und das gewaltsame Vorschieben der Lippen und die gerunzelten Brauen bekundeten äußerste Anstrengung, die Herrschaft über sich zu behaupten.

„Siehst Du, liebes Anne-Marieken, nun ist Alles aus – nun bin ich ein armer Mann –“

Ein schmerzliches Stöhnen folgte, und dann ergab sich der Alte dem Uebermaße des Schmerzes; die Thränen quollen ihm reichlich aus den kleinen blinzelnden Augen und liefen die welken Wangen nieder und tropften in das dicke wollene Halstuch darunter.

„Meine Vorfahren haben auf Pelchow gesessen, und ich bin nun der Letzte, und sie haben mich nicht mal ruhig hier sterben lassen, sondern mir mein Erbtheil noch bei Lebzeiten aus den Händen genommen. Das thut mir sehr weh, mein liebes Anne-Marieken; ich glaube, das ist wohl das erste Mal seit meinen Kinderjahren, daß ich weinen muß; Du mußt mir das nicht übel nehmen“

Das junge Mädchen stand neben ihm, hielt seinen Kopf umfaßt und weinte mit, indem sie ihm zärtliche Namen gab wie einem Kinde.

„Du bist doch aber nicht der Letzte, mein guter Onkel; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_774.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)