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Seite:Die Gartenlaube (1881) 742.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Na, es ging. Was die Hühner waren, die haben gut gehalten. Der Pannewitz hat ausverschämtes Glück gehabt, zwei Doubletten. Nun denk’ Dir aber, den Pannewitz! Wie ich vorhin von Branitz wegfahren will, legt er sich auf meine Matratze und läßt sich von Jochen Pagel um den Kuhring fahren, und dabei hat er mir den ganzen Matratzensack aufgeschnitten, daß mir unterwegs der Häcksel unter’m Leibe weggelaufen ist. So’n verdammter Kerl ist das. Na, ich nehm’ ihm das nicht übel; ich habe in meinem Leben wohl tollere Sachen gemacht. – Was mir da einfällt: wie ich in Rostock bei der Bützow’n gewesen bin, was Deiner Mutter ihre leibliche Schwester war, da nahm die mal eine Schneiderin zu sich. Das gab einen Spaß. Die Rostocker Schneider brauchten das nämlich nicht zu leiden und ließen sagen, wenn die Schneiderin – es war ein sehr propres und ordentliches Mädchen – nächsten Tags wieder ins Haus käme, dann schickten sie eine Deputation und ließen ihr das Nähzeug wegnehmen. – ‚Laßt sie nur kommen!’ sag’ ich. – Der Bützow’n ihr Hans, der jetzt Adjutant in Schwerin ist, hatte einen alten schwarzen Bock, und wie die Schneiderin den andern Tag wieder da ist, hole ich das Biest herauf und gehe damit zu ihr in die Stube und laure. Nun siehst Du: kommen denn auch die alten Bügeleisen anmarschirt; es war ein sehr feierlicher Aufzug auf der Straße, indem daß sie ihre ‚Gerechtsame wahren‘ wollten, wie sie’s nennen. Ich halte den alten Racker bei der Thür parat, und wie sie klopfen, rufe ich ‚Herein!‘, und kaum daß die Thür aufgeht, gebe ich ihm von hinten einen Stoß, und er geht mit den Hörnern vorweg zwischen die Deputation. Na, nun kannst Du Dir denken, was das gab: die alten Knaster machten Kehrt – und mein Bock hinterher, bis aus die Straße; wir haben ihn kaum wieder einfangen können – so war er aus Rand und Band. Er lief die halbe Blutstraße entlang, bis nach dem Hopfenmarkte.“

Anne-Marie lachte hell auf, und der Baron, der sich neben sie an den Kamin gelehnt hatte, war glückselig darüber.

„Siehst Du. – siehst Du, nun lachst Du wieder, mein liebes Anne-Marieken. Nun wird Dein Fuß schon wieder gut werden – aber,“ fuhr er, plötzlich ernster werdend, fort, „ich werde nun wohl vielen Aerger haben; denn ich hab’ auch gehört, daß der Teterower hier ist, der nun hier commandiren will. Er hat Dich ja wohl im Wagen hergefahren? Laß Dich nicht mit dem ein, mein liebes Kind! Das sind falsche Canaillen, die Teterower; die können’s nicht abwarten, bis ich todt bin. Meinetwegen, aber das weiß ich: was hier in Pelchow ist, davon bleibe ich Herr, und was mir die verdammten Demminer Juden gegeben haben, das kann ich ihnen auch selber wieder bezahlen – dazu brauche ich keinen Administrator aus Teterow. Ich muß ja auch für Dich sparen, mein liebes Anne-Marieken – sonst hast Du gar nichts, wenn ich mal todt bin.“

„Ich werde mir schon durch die Welt helfen, Onkel,“ sagte Anne-Marie verlegen; „Du bist so gut, daß Du an mich denkst. Du wirst aber hoffentlich noch lange leben.“

Der Baron sah eine Weile nachdenklich vor sich hin und sein Gesicht wurde immer trüber.

„Gute Nacht, Döchting,“ sagte er gedrückt und hielt ihr wieder die Hand hin. „Ich bin ein alter Esel; daß ich nicht schon für Dich gesorgt habe; ich will nichts mehr davon reden; denn es ist mir sehr schwer. Aber ich will das nun nachholen.“

„Aber mein guter Onkel –“

„Das verstehst Du nicht, mein liebes Kind. Gute Nacht auch, und laß nun Deinen lütten Fuß in Ruh’ und geh’ auch zu Bett!“

Er schritt langsam und sichtlich zerknirscht in seine Stube hinüber, und Anne-Marie blickte ihm liebevoll nach, bis die verwitterte Gestalt in den hohen Stulpen, die Jockeymütze noch immer auf dem Kopfe, in der Thür verschwand. Sie legte sich in den Stuhl zurück und schaukelte müde ein paar Mal hin und her. In ihren Gedanken stellte sich der neue Administrator neben den Onkel, den jener verlacht, einen bankerotten Verschwender genannt hatte, welchen man wie ein Kind behandeln müsse. Wieviel Sorgfalt und Zartheit, wieviel Liebe hatte dieser „verrückte“ alte Mann für sie – und jener impertinente Mensch, der so rücksichtslos aufgetreten war, der sicherlich kein Herz hatte – nein, nur Selbstsucht und kalte Gesetzlichkeit hatten aus seinem Reden gesprochen; er konnte kein guter Mensch sein; sonst hätte seine scheinbare Theilnahme für sie nicht erlöschen können, da sie gegen die Form protestirte, in der sie ihr aufgedrängt wurde; sonst hätte er sich nicht so absprechend gegen den Onkel geäußert, den er persönlich gar nicht kannte. Er war einfach ein Unverschämter, dieser Vetter Curt von Boddin –

Sie horchte auf. Die Schritte des Barons, der seither in seinem Zimmer langsam auf und nieder gegangen war, näherten sich plötzlich lebhaft der Thür.

„Kann ich noch mal zu Dir kommen, Anne-Marieken?“

„Ja, lieber Onkel!“

Aus dem Gesicht des Barons war die Bekümmerniß verschwunden, und die kleinen verschwommenen grauen Augen, die sonst etwas Unstätes hatten, blickten das junge Mädchen wie im Licht eines guten Gedankens blitzend an.

„Döchting!“ sagte er feierlich, vor sie hintretend, „ich bin ja gar nicht darauf gekommen, daß ich schon was da habe, was ich für Dich sparen kann. Ich habe ja dem Pannewitz zweihundert Thaler abgewonnen: Das ist mir jetzt ’ne wahre Herzensfreude. Hier sitzen die Musikanten, und ich will sie Dir nur gleich geben, daß Du sie aufheben kannst. Das ist mir doch zu lieb!“

Und er griff mit beiden Händen in die Tasche seiner hirschledernen Beinkleider und zog Gold, Banknoten und harte Thaler heraus, die er ihr trotz ihres Abwehrens in den Schooß legte.

„Die mußt Du nehmen, Anne-Marieken, Das thue ich nicht anders; Du wirst ja doch wohl Deinen alten Onkel nicht ärgern wollen.“

„Ich danke Dir vielmal, Onkel,“ sagte Anne-Macke erschüttert, nahm die runzeligen Hände des Barons und drückte ihre weichen Mädchenlippen darauf; „aber nicht wahr, Herzensonkel Du nimmst das alles zu Dir und verschließest mir’s? Ich bin noch nie mit Geld umgegangen.“

„Ja, mein gutes Anne-Marieken, das will ich Dir wohl besorgen. Und Du sollst nun mal sehen: wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu. Du wirst noch mal ein ganz reiches Mädchen werden.“

Er nickte ihr zu, nahm wieder, was sie ihm reichte, und ging in sein Zimmer zurück. Während er den Schreibsecretär öffnete und das Geld in eine Schublade verschloß, hörte er, wie das junge Mädchen leise die Thür zuklinkte und den Schlüssel umdrehte.




3.

Früh gegen sieben Uhr rasselte das Schiebfenster an der Nesselseite auf, und der alte Baron stieg heraus. Zuerst kam ein kurzer Stulpstiefel mit enganschließendem Lederbeinkleid zum Vorschein, welch letzteres von Gelb in Grau überschillerte, dann das Schmerbäuchlein in der grauen, rothgeblümten Plüschweste, endlich das Uebrige. Der Baron hatte einen etwas verschabten dunkelgrünen Rock mit langen Schößen und Messingknöpfen angezogen und trug eine breitschirmige Mütze von schwarzer Seide, deren Kopf sich hoch aufbauschte. Er schnüffelte hörbar in alle Himmelsrichtungen, wobei die Flügel seiner breiten formlosen, an der Spitze stark gerötheten Nase eigentümlich zitterten, und schien von dem thauig frischen sonnigen Herbstmorgen befriedigt. In dem Hollunder balgten sich die Spatzen, und aus dem Hofe gurrte und krähte es munter. Er bog, die Hände in den Hosentaschen vergraben, langsam um das Haus. Bei einer Scheue waren Leute beschäftigt, ein Fuder Heu abzuladen.

„Ist Drewes auf dem Hofe?“ rief er zwischen den beiden Händen durch, die er zum Sprachrohr formte.

„Nein Herr! Er ist auf der Wiese am Knickbruche,“ scholl es mehrstimmig zurück. Drewes war „Statthalter“ oder Aufseher.

„Sagt mal Jochen, daß er mir in einer Viertelstunde das Pferd satteln soll.“

„Jochen ist mit ausgefahren, Herr Baron.“

„So mag das ein Anderer thun.“

Der Alte machte Kehrt und näherte sich der Hausthür, über welcher sich ein verwittertes hölzernes Schutzdach erhob; eine Glocke hing darunter, deren Strang sich leise im Luftzug bewegte. Der Hausgang machte in der Mitte des Gebäudes ein Knie, worauf er noch den linken Flügel ein Stück durchschritt; dieser Theil war lichtlos. Indeß ging der Alte mit sicherem Schritt bis zum Ende, öffnete die Thür geradeaus und betrat das Eßzimmer welches an

eine ländliche Wirthsstube gemahnte. Einen Augenblick stand er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_742.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)