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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Augen der Thür zu. Auf der Schwelle trat ihr Richard Fügen entgegen.

„Es ist Zeit, liebe Jana,“ sagte er benommen.

„Ich weiß.“

Sie ging mit stillem Neigen des Kopfes an den Männern und Frauen vorüber, die den Flur anfüllten, und stieg die Treppe hinauf. Fügen folgte ihr schweigend. Es wollte ihm fast das Herz brechen, sie so gelassen und doch den unaussprechlichen Gram in ihren Augen zu sehen. Als sie oben ihr Tuch umwarf, und sich zum schwersten Gange zu rüsten, nahm er sie mit einem Male in die Arme, wie ein Vater sein Kind. Ihre Stirn ruhte an seiner Brust, und die Fluth bisher versagter Thränen brach unaufhaltsam hervor.

„Jana, liebe Jana,“ stammelte der heftig ergriffene Mann. „Ich weiß ja nun Alles; Frau von Riedegg hat mir’s vertraut – Du hast Dein Liebstes verloren, Dein Kind, Leid und Freud’ Deiner armen Jugend.“

Jana richtete sich auf und sah ihn an.

„Verloren,“ sagte sie man. „Aber ich gönn’ ihr die Ruhe. Sie ist wohl aufgehoben. Ich gönn’ es, gönn’ es ihr.“

Drunten ertönten Hammerschläge. Die Hand, welche Fügen noch in der seinen hielt, wurde eiskalt. Genoveva erschien an der Thür und gab schweigend ein Zeichen

Eine Stunde später bewegte sich aus der noch im grünen Festschmuck der Primiz-Feier prangenden Lahnegger Kirche ein Trauerzug nach der Südseite des Friedhofes. Sechs junge Mädchen, dieselben Kränze im Haar, mit denen sie sich zu jenem Feste geschmückt, trugen den auf schwarzverhangener Bahre ruhenden Sarg, und ein bekränztes Kind, dessen beide Händchen mühsam einen farbigen Riesenstrauß umschlossen, ging an der Spitze des Zuges. Ihm folgten zwei Mädchen, den Jungfrauenkranz zwischen sich auf rothem Kissen; ein Schleier, wie ihn Bräute tragen, knüpfte sich um das Myrthengeflecht und bauschte sich im Winde. Alle, die sich jüngst dem priesterlichen Festzuge angereiht, gaben Maxi heute die letzte Ehre; denn das schöne Kind, welches plötzlich hinweggeweht worden, wie ein Halm auf dem Felde, war weit und breit bekannt und Alle hatten es lieb gehabt. Viele Blicke richteten sich auf die vornehme Frau, unter deren Obhut das Mädchen aufgewachsen, die heute als Leidtragende, Jana zur Seite, in Trauergewändern dem Sarge folgte.

Es war ein sonnenheller Tag. Frische Astern schmückten alle Gräber, und über den nahen tannendunklen Hügeln ragten die Gipfel der Alpen leuchtend und frei. Der Klang des Glockengeläutes schaute weit hinaus in die blaue Luft, während der neu geweihte Priester seines Amtes am offenen Grabe wartete. Kein Zug in Lois’ Gesicht verrieth, was in ihm vorging, als er die Ruhestätte der Todten einweihte, deren Leben um ihn gebrochen war. Als die Schollen niederrollten, begegneten seine Augen den Augen Jana’s. Da überlief ihn ein Zittern. Der Blick seiner Schwester verrieth ihm, daß sie wußte, was diesem jungen Herzen den Todesstoß gegeben.




25.

Die Geschichte verzeichnete inzwischen das inhaltschwere Kriegsjahr 1866. Tiefe Verstimmung der Armee, tiefe Trauer in allen Provinzen des österreichischen Vaterlandes blieben als Bodensatz der Ereignisse jenes verhängnißvollen Sommers zurück. Die Truppentheile bezogen, aus Italien oder von den böhmischen Schlachtfeldern heimgekehrt, nach und nach ihre alten Garnisonsorte oder wurden neuen zugetheilt, und schließlich begann Jeder sich im Alltagsleben wieder einzurichten.

Oberst Friesack’s Regiment war seit September nach S. zurückbeordert, aber die Batterie, welcher Siegmund zugehörte, erwartete noch Ablösung von ihrem Standorte in Südtirol, wo sie zu den Truppenteilen zählte, welche zur Besetzung des von den Italienern geräumten Gebietes commandirt worden. Es war Siegmund nicht unlieb, daß ihm auf diese Weise Zeit gelassen wurde, sich zu einem inneren Gleichmaße zu stimmen, das ihm in jüngster Zeit abhanden gekommen war. Abgesehen von dem Ernst, welcher ihm aus den Eindrücken seiner kurzen Kriegsfahrt zurückgeblieben, verstimmte ihn ganz Persönliches: Die letzten Briefe, welche er mit seiner Mutter getauscht, hatten ihm nicht wohl gethan; zum ersten Male vermochte er sich weder in ihre Aeußerungen noch in ihre Beschlüsse zu finden; denn sein lebhaftes Bedürfniß, sie so bald wie möglich wiederzusehen seine Bitte, ihn hier aufzusuchen, um die Frist einer Trennung abzukürzen welche diesmal länger als ein Jahr gewährt hatte, traf auf bestimmte Ablehnung, und dieses kränkte und befremdete ihn um so mehr, als Genoveva ihren Besuch nicht nur versagte, sondern sogar das seit Jahren feststehende Zusammentreffen auf der Moosburg auch für diesen Herbst aufhob, wie sie das schon im vorigen gethan. Was sollte das bedeuten? Und weshalb gab sie nicht wenigstens bestimmte Gründe für dieses Versagen an, unter dem sie doch nicht weniger leiden mußte als er? Das war schwer zu begreifen, schwer zu überwinden.

Der junge Officier fühlte sich unter solchen Verhältnissen zu geselligem Verkehre gar nicht aufgelegt, begrub sich während seiner dienstfreien Stunden in allerlei Fachstudien, führte ein Tagebuch, das er während des Feldzuges begonnen, nun weiter aus und hätte nichts dagegen gehabt, das isolirte Leben, welches er jetzt führte, noch ein paar Monate länger fortzusetzen. Doch war die Zeit seines Commandos dem Abschlusse nahe. Um diese Zeit erhielt er einen Brief von Max Friesack aus S.

„Also Friede!“ schrieb Max, „schade darum, wenn ich auch nicht leugnen will, daß mir die Fleischtöpfe meiner Mama wohl behagen. In der That, es lebt sich gar nicht übel hier im alten Neste, und mir fehlt nur Einer –: Du fehlst mir. Aber dem Uebel wird bald abgeholfen werden; denn der Vater sagte mir gestern, Dein Batteriechef solle nächstens hierher zurückcommandirt werden. Dann fangen wir das alte gute Leben wieder an – oder nein, nicht das alte – wir sind inzwischen ein Paar ganz andere Kerls geworden. Gestern Abend besuchte ich Fügen’s; sie behielten mich zum Nachtessen, und ich muß sagen, Eure Jana, wie Ihr sie nennt (spaßiger Taufname!), gefällt mir ausnehmend gut. Die Frau ist doch gar nicht jung, aber man meint ein Fräulein vor sich zu haben, statt einer ehrsamen Hausfrau. Sie faßt Alles so eigen an, so sanft, Sachen wie Menschen – ihr zerbricht sicherlich nie etwas unter der Hand. Und Dein Herr Vormund ist als Hausvater förmlich jugendlich geworden – einen Humor hat er Dir, sage ich, daß man seine Freude daran haben muß. Es war ein herziger Abend, und sie freuen sich auf Dich, wie auf einen – Sack von Geld. Nimm mir den Vergleich nicht übel! Ich mache Dir damit das größte Compliment; denn Geld – Du weißt ja, ich habe immer keins und bin trotz seiner Treulosigkeit doch sein guter Freund. Wer sich aber nächst den Fügen’s und meiner Wenigkeit gleichfalls sehr auf Dich freut, oder wenigstens sehr neugierig auf Dich ist, würdest Du schwerlich errathen und wirst Dich wundern, wenn ich Dir melde, daß es keine geringere Person ist, als Frau Generalin von Seeon, Excellenz, die stolzere Hälfte unseres neuen Commandanten. Wie das zugeht? Erinnerst Du Dich noch unseres Spazierganges am Concert- und Absolvententage und wie uns da ein lustiges kleines Mädchen fast in die Arme lief – bergab? Da hobst sie auf, als sie am Boden lag, und die gestrenge Mama sah Dich nachher an, als wollte sie Dein Signalement aufnehmen. Die sind’s. Ich kannte alle Zweie gleich wieder, als ich ihnen vorgestellt wurde. Die kleine Margareta ist freilich in diesen drei Jahren gewaltig in die Höhe geschossen aber die Augen, weißt Du, mit der besonderen Farbe und dem hübschen Lachen im Blick, die sind noch die nämlichen. Ein herziges Kind so von sechszehn, siebenzehn Jahren, mit der es sich prächtig plaudert; denn sie hat einfache, natürliche Manieren – trotz der vornehmen Frau Mama. Als ich sie an damals erinnerte (nur um mein gutes Gedächtniß für ihre schönen Augen in richtiges Licht zu setzen), wurde sie freilich roth, lachte aber und gestand ihre Identität wie ihr Ungeschick zu. Obgleich die Frau Generalin gerade mit meinem Vater sprach, muß sie ihre Ohren doch auch bei uns gehabt haben – sehr überflüssiger Weise; denn sie wendete sich um und fragte zu meinem Erstaunen nach Dir, das heißt nach dem andern jungen Mann, der damals bei mir gewesen wäre’, und sah mich dabei ebenso scharf und gespannt an, wie sie Dich damals in Person angeschaut. Natürlich nannte ich gehorsamst Deinen Namen und Charakter, und mein Vater fiel mir in’s Wort und lobte Dich über den Schellenkönig hinaus. Während ich nun mit der Kleinen weiter plauderte, hörte ich meinerseits den Andern zu und wunderte mich, wie genau die hohe Dame meinen Vater nach Dir ausfragte. Als sie Alles heraus hatte, was es irgend über

Dich zu berichten giebt, sagte sie in sehr gnädigem Ton, daß sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_640.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)