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Seite:Die Gartenlaube (1881) 548.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Große die Cultur des Westens nach Rußland verpflanzte, beklagen die bornirten Stockrussen, welche die Wiederherstellung des asiatischen Czarenthums und die Erneuerung der Residenz in Moskau ersehnen; daß Alexander Puschkin sich an fremde Vorbilder, an Lord Byron und Walter Scott, anlehnte, verdammen die Nihilisten, deren dreistester literarischer Wortführer, der halbverkommene Pisarew, den traurigen Muth besaß, den „kleinen lieben Puschkin“ einen „leichtsinnigen Versemacher“, einen „kolossal unentwickelten Menschen“ zu nennen.

In einem seiner Gedichte hat Puschkin, dichterischen Selbstbewußtseins voll, der Zukunft seinen Ruhm übermacht; er sang:

„Und lange wird mein Volk sich liebend mein erinnern,
Weil ich es oft erfreut durch meines Sanges Macht,
Für alles Gute Sinn erweckt in seinem Innern
Und den Gefall’nen Trost gebracht.“

Und im verflossenen Jahre haben sie ihm in Moskau in der That ein Denkmal gesetzt, aber es ist blos von Stein. In dem Herzen der heutigen russischen Jugend hat Puschkin keine Stelle; da wühlt der Nihilismus mit seinen Krallen und vernichtet alle Poesie, alle Empfindsamkeit, alle Pietät. Nur die Alten hegen noch Puschkin’s Andenken, und sie wissen auch noch, was er um die Freiheit gelitten. Er war kein Revolutionär, aber als echter Poet stand er auf der Seite des Volkes und verteidigte dessen gerechte Sache dem Czarenthum gegenüber. Dafür ward er verbannt, dafür von der aristokratischen Gesellschaft Petersburgs gepeinigt, bis er blutdürstend sich einem Gegner zum Zweikampfe stellte und jung an Jahren sein Leben verlor. Ihn mit dem Nihilismus in eine Beziehung zu bringen, könnte gewagt erscheinen; dennoch muß er als ein Vorläufer desselben gelten; denn in seiner Seele keimten bereits die Gedanken, welche allmählich zu dem ungeheuren Mißvergnügen anwuchsen, das heute Rußland untergräbt; in seinen Gedichten lebten bereits die Urbilder jener blasirten, todesverachtenden Generation, die, unselig fortschreitend, zur Armee des Nihilismus sich entwickelte. Der Dichter ist ein Seher.

Die seltsamsten Widersprüche waren in Puschkin’s Charakter vereinigt. Er jagte nicht nach der Gunst der Großen, aber auf seinen Adel war er fast in possenhafter Weise stolz; daß er mütterlicherseits von den spanischen Grafen Lerma abstamme, hätte ihm nur bestreiten dürfen, wer ihn beleidigen wollte. Daß ein Puschkin das Manifest, welches die Erhebung der Romanows auf den Czarenthron verkündete, mit einem Kreuze unterzeichnet hatte, erzählte er leuchtenden Auges, so oft sich nur in den Petersburger Salons Gelegenheit dazu bot. Sein Urahn Hannibal aber, ein Mohr, welchen Peter der Große ausbilden ließ und in der Folge zum General ernannte, war ihm allezeit ein Gegenstand kindischer Erinnerungsfreude; die Sehnsucht zog ihn immerdar nach Afrika, dem Mohrenlande, dessen Sonne das Blut seiner Vorfahren gekocht hatte.

Seine Natur beherbergte noch andere Räthsel. Er hatte auf dem Lyceum in Zarskoje-Selo wenig gelernt, so wenig, daß der berühmte polnische Dichter Adam Mickiewicz, der ihm in einer Petersburger Gesellschaft begegnete, über seine Unwissenheit nicht genug staunen konnte. Nachdem er aber zum Hofhistoriographen ernannt worden war, entwickelte er als Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber eine Thätigkeit, um die ihn ergraute Historiker offen beneideten. Er besaß nicht blos die Gewohnheiten, sondern auch die Bedürfnisse eines Cavaliers; er spielte hoch, ritt, focht und machte mit seinem Aeußeren Staat, obgleich er nicht gerade von imposanter Figur war. Als er bereits in ganz Rußland wie ein Heiliger verehrt wurde, vermochte er den Dämon des Spiels noch immer nicht von sich fernzuhalten. Fünf Rubel zahlte ihm sein Verleger für jede Zeile; wenn er am Spieltische alles Geld verloren hatte, warf er mit Bleistift Verse auf das Papier und machte mit ihnen seinen Einsatz. Aber dieser Cavalier hatte zugleich ein tiefes Verständniß für die Volksseele, und kein russischer Poet vor oder nach ihm hat mit gleich seinem Gehör dem Volksliede seinen Zauber abgelauscht. Er hat sich selbst ein Unrecht zugefügt, indem er, in der Gestalt des vornehmen Schriftstellers Tscharsky seine eigene Person dichterisch verkörpernd, von sich sagte, er wolle lieber als trivialer Weltmann denn als Literat erscheinen; er verliere sich in Kleinlichkeiten, an die bei einem begabten Manne kaum zu glauben sei; er stelle aus Eitelkeit den Spieler, Gastronomen und Sportsman vor, obgleich er sich nie der Trümpfe erinnere, insgeheim gebratene Kartoffeln allen Erfindungen der französischen Küche vorziehe und Gebirgsklepper gar nicht von arabischen Vollblutpferden zu unterscheiden vermöge. Das Gegentheil von alledem ist wahr, wie seine besten Zeitgenossen es bezeugen. Er hat sich wie ein Kind gefreut, als er während der Flitterwochen seiner verhängnißvollen Ehe so nahe bei Petersburg sich einnisten konnte, daß ihm der Gebrauch einer Equipage entbehrlich wurde, und was seine Vorliebe für die Franzosen betrifft, so ist es zwar gewiß und wiederholt von ihm bekannt worden, daß es ihm leichter war, Französisch als Russisch zu schreiben, aber es ist auch sicher, daß er starker nationaler Gefühle fähig war, wie jenes merkwürdige Gedicht „An Rußlands Verleumder“ beweist, in welchem er den Parteigängern Polens in Europa zurief:

„O schweigt! Für euch sind nicht geschrieben
Die blut’gen Tafeln der Geschichte;
Ihr seid dem Streite ferngeblieben
Und unbefähigt zum Gerichte.
Für euch sind Kremlin, Praga stumm;
Nach neuem Kampf seht ihr euch um -
Tollkühnes Wagen ist euch Lust;
Haß gegen uns füllt eure Brust.“

Hätten in seiner Seele nicht Widersprüche gewohnt, so wäre er auch kein Dichter gewesen. So paradox es klingen mag, es ist dennoch wahr, daß der Widerspruch in der Seele, die Dissonanz, welche zur harmonischen Auflösung drängt, das Geheimniß aller Poesie ist. Daß dieses Geheimniß in dem damaligen Rußland ein fürchterliches war, daß fast Alle, welche es besaßen, daran zu Grunde gingen, darin liegt eine Tragik von erschütternder Gewalt. Puschkin, der den Herbst liebte und vor dem jungen Frühlingsleben in der Natur sich scheu verhüllte, hat am 19. Februar 1837, im Alter von kaum achtunddreißig Jahre, mit seinem Blute bezahlt, was Rußland an seinen Dichtern sündigte; seine Freunde und Dichtergenossen, Lermontow, Kolzow, Gribojedow, starben wie er, fast bevor sie auf der Höhe des Mannesalters angelangt waren, in Noth, Verbannung, Zweikampf. Ihm schien ein besseres Loos beschieden zu sein; der Czar hielt seine wohlwollende Hand über ihm, und der Ruhm drängte sich zu ihm, wie ein Weib zu seinem Geliebten. Die ersten Gesänge seines Versromanes „Eugen Onägin“ wurden wie eine Offenbarung begrüßt; Hunderte von armen Teufeln fristeten ihr Leben damit, daß sie das Gedicht abschrieben, weil der Druck der ungeheuren Nachfrage nicht zu genügen vermochte. Aber das Elend faßte ihn an einer anderen, der verwundbarsten Stelle. Anonyme Briefe kamen ihm in’s Haus, deren niederträchtige Absender ihm zuraunten, daß sein Weib ihn betrüge. Die Eifersucht ging mit ihm straßauf und straßab; er vermochte vor peinigendem Argwohn nicht mehr zu essen, zu trinken, zu schlafen, und als er dem Zerstörer seines Glückes, dem französischen Gecken Dantes, auf die Spur gekommen zu sein glaubte, als er denselben vor die Mündung seiner Pistole citirte, war er es selbst, den der Tod von dannen rief. Rußland weinte bei dieser Kunde, und der Czar, ein eiserner Mann, war tief erschüttert. Der Familie des Dichters ward auf des Czars Befehl eine Jahrespension von elftausend Rubeln zugewiesen und zur Herstellung einer Gesammtausgabe der Werke Puschkin’s ein Betrag von dreißigtausend Rubeln bewilligt. Aber ausgelöscht ward dadurch die Schmach nicht, daß Rußland seinen besten Dichter nicht vor Elend und jähem Untergange hatte bewahren können, wie es fast alle seine Poeten vor- und seitdem selbst vernichtete, weil es sie allein und vereinsamt auf ihren Posten ließ, nicht zu ihrer Höhe empozuklimmen und in ihrem Glanze sich zu sonnen trachtete, sondern sie vielmehr herabzuzerren bemüht war in das dumpfe Elend, das der Staat über die Gesellschaft brachte und die Gesellschaft dem Staate mit stumpfer Apathie oder verzweifelter Auflehnung heimzahlte.

Und hier ist der Punkt, wo Puschkin’s Genie mit dem Nihilismus zusammenhängt, wen auch nur mit jenem resignirten Nihilismus, der zunächst nichts war als ein nagendes Bewußtsein der Ohnmacht, der Unfreiheit in Haus, Staat und Gesellschaft.

Als Puschkin noch auf dem Lyceum war, schrieb er mit Vorliebe französische Gedichte. In einem derselben entwarf er sein eigenes Portrait, und dabei entschlüpfte ihm folgendes Bekenntniß:

„Die bunten Feste liebe ich,
Schauspiele gleichfalls sehr;
Was noch ich lieb’, das schriebe ich,
Wenn ich nicht im Lyceum wär’.“

Wenn ich nicht im Lyceum wär’! … Vielleicht hätte es richtiger heißen sollen : wenn ich nicht in Rußland wäre! Denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_548.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)