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Seite:Die Gartenlaube (1879) 606.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Eben taucht nach einem Gepolter in der „gangbarsten“ (besuchtesten) Röhre die weiße Blässe eines Dachses aus dem Bau hervor, um sogleich wieder zu verschwinden. Einen Augenblick später erscheint der ganze weiß- und schwarzbindige Kopf Grimmbarts über dem Ausgang, um zu „sichern“. Jetzt steigt es schattenhaft an der stark „ausgeführten“ (ausgeraumten) Röhre heraus: sie ist es, die behutsame „Dächsin“ oder „Fähe“, im Begriff, ihr „Geheck“ (Nachkommenschaft) zur Weide auszuführen. Wohl zeigt das tief ausgetretene Pfädchen den „Steig“ an, welchen allabendlich die Alte mit den Jungen zur nahen Waldwiese geht. Auch jetzt hält sie den „Paß“ vertraut, nachdem durch wiederholtes Sichern die Umgegend geprüft ist. Auf einen murksenden Ton der Dächsin kommt ein weißes Bläßchen nach dem andern in den Röhren des Baues zum Vorschein: in Abständen von etwa hundert Schritten folgt ein halbwüchsiges Dächschen auf das andere der Mutter zur Weide.

Still beobachtend ist das Auge des fern vom Baue unter Wind anstehenden Waidmannes dem Ausgehen der Dächse gefolgt. Er hat neben dem alten „gearbeiteten“ (gebrauchten) Sucher „Hellauf“ den jungen Zögling „Schnurr“ an der Leine, der heute seine erste praktische Probe auf der Suche nach Dächsen ablegen soll. Nach einer Weile führt der Jäger die Hunde auf den Bau. Unter dem Zuspruch: „Hu, das Dächschen, Hellauf! Such’ das Dächschen, Schnurr!“ hat er die Hunde „gelöst“. Der hoffnungsvolle Lehrling folgt dem alten Meisterhunde eifrig auf dem Steig, mit Leichtigkeit die warmen Spuren des Gehecks „fortbringend“ (verfolgend). Ohne Säumen folgt der Führer den Hunden, die nicht lange darauf in der Richtung der Waldwiese „laut ausgeben“. Der hinzueilende Jäger trifft die beiden Hunde vor einem der jungen Dächse laut. Bei seiner Annäherung mit dem Zuspruches „Hu, faß das Dächschen!“ packt Hellauf den verbellten Dachs, ein Beispiel für Schnurr, ebenfalls zuzufahren. Ein Stich mit der Dachsgabel – einem langen Stock mit eiserner Gabel – in’s Genick des Gepackten giebt diesen dem Eifer der Hunde noch eine Weile preis.

Auf diese Weise opfert man schon im Sommer ein und das andere Stück der Dachsgehecke für das Einhetzen des jungen Hundes, und derselbe ist für die Nachthatze im Herbste gearbeitet.

Es war eine schöne Octobernacht, in der ich einst, meine zwei „fermen“ Dachssucher zur Linken an der Leine, mit einem Jagdgefährten, der einen leichten Hatzhund führte, sacht und schweigsam nach einem heimischen Feldgehölze in der Wetterau zog. Der Wald trug sein herbstlich verklärtes Laub, welches, beschwert vom Thau, von Zeit zu Zeit raschelnd zur Erde fiel. Dicht stand der Nebel in der Tiefe der Wiesenthäler, aber klar und rein erfüllte der Vollmond die stille Herbstnacht. Von dem nahen Kirchthurme trug der Nachtzug die Schläge der Mitternachsstunde über’s Feld herüber. Wir lenkten bald unsere Schritte in die „Hainbach“, einen heimlichen Winkel des Gehölzes. Dort war ein Hauptbau Meister Grimmbarts tags vorher „gezeichnet“, das heißt: es waren schwache Reiser oder derbe Grasstengel vor die „befahrensten“ (betretensten) Ausgänge kreuzweis gestellt worden. Mein Gefährte trug die „Dachssäcke“ oder „Hauben“, und Beide hatten wir die Dachsgabeln zur Hand. Die Dachshauben waren von meinem Begleiter, einem geriebenen Dachsfänger der Wetterau und des nahen Vogelbergs, gefertigt, Netze von einem Meter Länge und einem halben Meter Breite mit starkem Bindfaden weitmaschig und nach dem Ende zu verjüngt gestrickt, welch letzteres in einem sieben bis acht Centimeter breiten eisernen Ring auslief. Rings um den breiten Eingang ist eine drei bis vier Meter lange Leine als Struppe durchgezogen, und in den Endmaschen des Eingangs sind fingerlange Holznägel, die „Heftel“, in kleinen Abständen eingeknebelt.

Geräuschlos nahten wir jetzt dem Bau. Ein Blick auf die gezeichnet gewesenen Röhren thut kund, daß mindestens zwei Dächse den Bau bereits verlassen haben, da vor zwei Ausgängen die Zeichen nach außen geschoben liegen. In kurzer Zeit sind mit den schon vorbereiteten und in die Nähe des Baues geschafften Reiserwellen, den „Bolzen“, alle Röhren mit Ausnahme der beiden gangbarsten „verreisert“ oder fest verstopft. Gleich darauf werden die Dachshauben in die zwei offen gelassenen Ausgänge eingelegt, nachdem die „Heftel“ am Eingang der Säcke stramm um den Rand der Röhren „eingeheftelt“, die Hauben alsdann mit etwas Erde und Land bedeckt und die Struppleinen derselben an zwei nahen Reideln befestigt worden sind.

Nachdem alles so geräuschlos vorbereitet worden, löse ich erwartungsvoll die Sucher. Diese umkreisen den Bau und fallen bald einen der Steige an. Mein Begleiter bleibt mit dem Hatzhund Sultan in gutem Winde in der Nähe des Baues, während ich schnell den Hunden folge, die über einen kleinen Waldkopf hinab zu Thal suchen. Von der Höhe aus kann ich gerade noch die Richtung der Suche verfolgen, wie sie über eine Schlucht der Trift zugeht, welche am Waldsaume herzieht. Dort auf dem Außenfeld sind Baumstücke, unter welchen Meister Grimmbart neben der nächtlichen Erdmast an Kerfen, Schnecken und Würmern sich den Zehnten holen wird. Die Ahnung trügt mich nicht, denn kaum bin ich glücklich einen breiten versumpften Bach in der dunklen Tannenschlucht gewatet, so geben die Hunde draußen auf der Trift laut aus. Dort erreiche ich sie an einem dichtbedornten Raine vor einem Dachse. Ich schaffe mich behutsam und unversehens hinter den Verbellten, dessen Gebiß unter beständig ergrimmtem Brummen laut an einander schlägt wie Händeklatschen. Ich steche den Grimmen von hinten mit der Gabel ab. Der stumm verendende Dachs zeigt einen „Rüden“ oder ein Männchen an, der, „geheest“, im Nu an einem Obstbaume der Trift hängt.

Weiter geht die Suche. Die Hunde verschwinden nach längerem Kreisen, wie zwei schwarze Streifen, im Nebel der nahen Wiesen in’s Feld hinein, einem Dorfe zu. Ich halte mich auf einer Anhöhe zwischen Flur und Wald, gespannt in die Ferne horchend. Plötzlich bringt mir ein Wehen der Nacht den Laut der Hunde zu. Aber es bedünkt mich, als ob die Jagd unstät hin und her gehe. So ist’s: denn jetzt verkündet der helle Laut der Hunde, daß sie hinter einem flüchtig gewordenen Dachse jagen. Die Hatze geht unverkennbar nach dem Walde. Ich kehre einen kürzeren Weg durch die Hainbach nach dem Bau zurück, welchem sich jetzt, wie deutlich vernehmbar, die Hatze nähert. Dort steht ja der Gehülfe, obendrein mit dem scharfen „Sultan“, der, zuverlässig im Packen, jedem „Grimmbarte“ gewachsen ist. Bald endet auch die Hatze in dem Waldwinkel, wo der Bau liegt, und Alles ist grabesstill.

Erwartungsvoll komme ich dort an. Da finde ich meinen Gefährten mit „Sultan“ und den Suchern verblüfft vor einer dichtverwachsenen Röhre, an welcher die Hunde scharren und „pfeifen“. Meine Blicke begegnen denen meines Begleiters: Jeder hält den Vorwurf für den Andern zurück, weil er uns Beiden zu gleichen Theilen gebührt. Aus der verdutzten Miene des stummen Gehülfen, sowie dem Gebahren der Hunde lese ich nun den ganzen Hergang einer verfehlten Hatze. Die Röhre war von uns Beiden beim Verreisern übersehen und offen gelassen worden und der schlaue „Grimmbart“ hatte sich durch rasches „Einfahren“ in dieselbe glücklich salvirt.

Adolf Müller.




Aus dem Vatican.
Eine Plauderei von A. St.
Monterotondo bei Rom, am 19. August 1879.

Heine sagt in seinen „Geständnissen“, er wäre gewiß ein zierlicher Abbate, ein Monsignore geworden, ja er hätte am Ende vielleicht gar jenen erhabensten Ehrenposten erklommen, den er, trotz seiner „natürlichen Bescheidenheit“, nicht ausgeschlagen haben würde – er hätte sich zum Papste krönen lassen, sich ruhig niedergesetzt auf den Stuhl Petri, allen frommen Christen das Bein hinstreckend zum Fußkuß, wenn die Wahl des Conclaves auf ihn gefallen und aus ihm etwas Besseres geworden wäre, als ein – Dichter.

„Es sei ’ein Pfäfflein noch so klein,
Es möchte gern ein Päpstlein sein.“

Das Sprüchlein kommt mir unwillkürlich in den Sinn, wenn ich mir die neuesten vertraulichen Mittheilungen aus dem Vatican vergegenwärtige. Der Papst Leo der Dreizehnte treibt es wahrhaftig bunt; er scheert sich um keine Tradition, um keine Gepflogenheit: er operirt über die Köpfe des „heiligen Collegiums“ hinweg, kehrt das Unterste zu oberst und entwickelt eine solche drakonische Willkür, daß auch die Frömmsten seiner Umgebung rathlos in die Kniee sinken und beten: O lieber Herrgott, werde hart!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_606.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)