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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

eine Schule an, in welcher zunächst zwölf Knaben in den Wissenschaften und „der edlen Musika“ unterrichtet werden sollten, eine Zahl, welche sich im Laufe ungefähr eines halben Jahrhunderts verdoppelte. Im Hörsaal dieser Schule hielten die Professoren der Universität Leipzig ihre Vorlesungen und ihre Magisterpromotionen, als 1519 die Pest in Leipzig so zahlreiche Opfer forderte, daß für diese Zeit die Universität nach Meißen verlegt worden war.

Als 1539 die Reformation ihren Geistessieg in Sachsen feierte, wurde durch die beiden von Herzog Heinrich zur Einrichtung des evangelischen Gottesdienstes nach Meißen gesandten Visitatoren Dr. Justus Jonas und Georg Spalatin die Klosterschule aufgehoben, aber nur vier Jahre darnach rief der hochfürstliche Beschluß, die geistlichen Lehen zur Stiftung von drei allgemeinen Landesschulen zu Pforta, Meißen und Merseburg zu verwenden, die Schule von Sanct Afra wieder in’s Leben. Schon zu Ostern 1543 setzte Herzog Moritz eine Commission ein, welche den Auftrag erhielt: „die Gebäude des Sanct Afra-Klosters zu verändern, Stuben, Lectoria, Schlafhäuser und Kammern sammt anderen nöthigen Sachen und Gebäuden einzurichten.“ Und so rasch schritt man zur That, daß am 3. Juli desselben Jahres die Schule eröffnet werden konnte.

Die Stiftungsurkunde datirt von Dresden, 23. Januar 1544 „Mittwoch nach Fabian“. Ein Exemplar derselben ward dem Rath von Leipzig übergeben, das andere im Afra-Schul-Archiv selbst verwahrt. Dort hielt ich in diesen Tagen das ehrwürdige, umfangreiche Schriftstück selbst in meiner Hand. Wie das Papier, so ist auch die große Siegelkapsel sammt Inhalt noch unversehrt. Herzog Moritz hat nur unterschrieben „M. H. zu Sachsen“, mit vollem Namen aber unterzeichnet daneben: „August, Herzog zu Sachsen“; ihren Unterschriften folgen noch zehn, darunter die der Bürgermeister von Leipzig und Dresden.

Noch bis auf den heutigen Tag ist ein Theil jener alten Klosterräume erhalten, die für die ersten neunzig Afra-Schüler und vier Lehrer eingerichtet worden, nur waren sie schon längst nicht mehr zu Schullocalen benutzt, sondern bildeten den sogenannten „Oekonomiehof“, einen abgeschlossenen bergansteigenden Gebäudecomplex, in welchem sich seither die Expeditionslocale des Landesschul- und Procuratur-Rentamtes, die Wohnungen des Rectors und einiger Professoren und die für die Speisewirthschaft der Schule nöthigen Gelasse befanden. Ein großer Kreuzgang ist noch sehr wohl erhalten; ringsumher stößt man auf ein seltsames Gemisch von engen Gängen, gewölbten Zimmern, Bogenfenstern, Erkern, Treppenfluchten, Pförtchen und Thoren.

Die noch unverheiratheten Lehrer wohnten mit den Schülern zusammen und wurden gleich ihnen beköstigt; im Ganzen waren dies damals 110 Personen. Alle Lehrer und Schüler erhielten Schreibmaterialien, Bücher und Schuhwerk umsonst geliefert, die ärmeren auch noch Kleider.

Unser Chronist meldet: „es wäre im Anfang allerlei davon geredet worden, als würden diese Schulen keinen Bestand haben, daß auch Herzog Moritz selbst dieser Meinung fast gewesen.“ Das „Gerede“ würde wohl auch kein müßiges geblieben sein, wenn die Landstände sich nicht der Sache angenommen und Zulagen aus der kurfürstlichen Kammer die Schule unterstützt hätten. Der Schmalkaldische Krieg mit der Einnahme Meißens am 5. April 1547 durch Kurfürst Johann Friedrich und dessen bald darauf erfolgtem Rückzug bei Annäherung des kaiserlichen Heeres trug ohne Zweifel zu den mißlichen Verhältnissen bei, noch mehr aber die Pest, die vom Sommer 1552 an bis Weihnacht in und um Meißen gegen 2000 Menschen hinwegraffte. Unter diesen befand sich auch Mag. Rivius, der Verfasser der Schulordnung und Beisitzer (wir würden jetzt sagen Rath) am Consistorium in Meißen, nebst Frau, Sohn und Enkelin. Die Schüler wurden darum im Juni entlassen und kehrten erst im Mai 1553 zurück. Aehnliches, doch nicht ganz so viel Unheil verursachte die Pest 1576, und dann wieder eine ähnliche Epidemie 1611. Dazwischen lagen die calvinistischen Wirren innerhalb der Schule, und der Dreißigjährige Krieg that das Uebrige, Noth und Sorge über Sanct Afra zu bringen. Und zwar nicht nur durch die steigenden Preise aller Lebensmittel, das Ausbleiben von Zinsen und die überall ausbrechenden Concurse – die wüsten kaiserlichen Völker erschienen im August 1632 selbst vor der Stadt und rückten im October ein. Sie plünderten und verdarben alle Vorräthe der Schule, und ein kaiserlicher Fähnrich tödtete den alten Rector Bachmann. Die Schüler waren geflüchtet und wurden erst im August 1633 wieder zurückberufen. Noch schlimmer verfuhren die Schweden 1637; sie äscherten die halbe Stadt ein und raubten die Schule aus; 1639 kehrten sie nochmals verwüstend wieder. Während dieser Zeit waren nur etwa acht Schüler (Meißner Kinder) anwesend geblieben; im Mai 1640 kehrten mehrere zurück, aber erst nach Schluß des Westfälischen Friedens ward die Schaar wieder vollzählig.

Schon vorher hatte man die Naturalverpflegung der Lehrer, den sogenannten „Magistertisch“, aufgehoben und in ein Kostgeld verwandelt, „dergestalt, daß dem Pfarrer, Präceptoribus und Schulschreiber für ihren Tisch jedem wöchentlich zween Gulden, nebst der Vergünstigung, des Jahres ein Bier steuerfrei zu brauen, dem Organisten aber 28 Groschen und des Rectors Famulo so viel als eine Koststelle austrüge, gegeben werden sollten“. Jetzt wurden aber die Lieferungen an Büchern und Schreibmaterialien Schuhen, Tuch, Betten für die „Gnadenknaben“ ganz aufgehoben und selbst den Lehrern ihre Besoldungen nur unregelmäßig gezahlt. Kurfürst Johann Georg ließ es sich angelegen sein, der Schule wieder aufzuhelfen, was auch zu gelingen schien, aber da kam 1681 abermals die Pest, und die Schüler wurden bis 1682 entlassen Man wollte den Kurfürsten überreden, die Schule eingehen zu lassen, und schlug sogar vor, die Gebäude zur Einrichtung einer Stuterei zu verwenden. Aber der Kurfürst antwortete, daß ein Bet- und Lehrhaus nie profanen Zwecken dienen solle, und bot Alles auf, Sanct Afra zu erhalten.

Das zuerst benutzte Gebäude war schon 1555 bis 1556 durch ein besonderes, an die Kloster-Gebäude angrenzendes Haus ergänzt worden, welches außer einer Lehrerwohnung eine Classe und den größeren Theil der Wohn- und Schlafkammern der Schule, Zellen zu je drei Insassen, enthielt. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges waren sämmtliche Gebäude verfallen. Jetzt wurde nun auf dem von einer Domherrencurie eingenommenen Raume – demselben Platz, welcher auch jetzt die Schulgebäude trägt – ein Neubau aufgeführt: 1674 bis 1675 der Westflügel mit der sogenannten „Krankenburg“, 1688 bis 1689 die Südseite mit dem Festsaal und dem Schlafsaal und 1716 bis 1727 die Ostseite mit Classen und Schülerwohnungen. König August der Zweite war es, welcher nicht nur diesen letztgenannten größeren Bau aufführen ließ, sondern auch eine neue Schulordnung veranlaßte und bestätigte. Ein Lehrer der Mathematik, ein Sprach- und Tanzmeister wurden angestellt, die Lehrer-Gehalte und die Zahl der Schüler erhöht.

Damit beginnt eine neue Aera für Sanct Afra.

Jetzt erst ist das Losungswort gefunden, daß es nicht nur gelte die männliche Jugend in das classische Alterthum einzuführen, sondern daß der rechte Segen der Reformation der sei, auch neue Bildungs- und Wissenselemente in alle Kreise zu tragen.

Dies war die Schule, aus welcher Männer hervorgegangen sind wie K. Chr. Gärtner, 1728, der Herausgeber der „Bremer Beiträge“, G. W. Rabener, 1729, Chr. F. Gellert, 1715, J. H. Schlegel, 1731, Lessing und von Carlowitz, 1741, Samuel Hahnemann, 1770, und viele Andere, die sich Ruf und Ruhm erworben oder im kleineren Kreise zu den verdienten Männern zählen, während aus früheren Zeiten als hervorragende Afra-Schüler etwa Ulrich Grosse aus Leipzig, der sich gleicher Weise als Chirurg und Advocat auzeichnete, und Paul Fleming[WS 1], der geistliche Liederdichter, zu nennen wären.

Schrieb Lessing auch später einmal an seinen Vater: „Ich habe es in Meißen schon geglaubt, daß man Vieles daselbst lernen muß, was man in der Welt gar nicht brauchen kann, und jetzo sehe ich es noch viel deutlicher ein“, so lobte er andererseits wieder, wie die in Meißen verbrachten Jahre zu den glücklichsten und lernfreudigsten seines Lebens gehört hätten, auch mit dadurch, daß ihm in einsamer Zelle so viel Zeit zum Selbststudium, zu seinen geistigen Arbeiten geblieben.

Indessen brachte auch diese neue Aera der Sanct Afra-Schule schwere Jahre; denn die Schrecken des Schlesischen Krieges brachen über Meißen herein. Im Winter 1745 bis 1746 verwüsteten und plünderten preußische Truppen das zu Afra gehörige Klostergut und benutzten Sanct Afra selbst als Lazareth. Lessing berichtete darüber: „Es sieht in der ganzen Stadt kein Ort erbärmlicher aus als unsere Schule. Sonst lebte Alles in ihr; jetzo erscheint

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Paul Flemming
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_434.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)