Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1879) 198.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der Postsendungen auf directem Wege mit Benutzung der angemessensten Routen, endlich Festsetzung eines einheitlichen Weltportosatzes,“ das waren Stephan’s denkwürdige Forderungen an die nach Ueberwindung zahlloser Schwierigkeiten am 15. September 1874 zu Bern, in dem ehrwürdigen, durch so viele geschichtliche Erinnerungen geweihten Ständehause der Eidgenossenschaft zusammengetretene Versammlung der Vertreter von zweiundzwanzig europäischen und amerikanischen Postverwaltungen. Welch ein großes Ziel, in der idealen Auffassung des Berufs der Post wurzelnd, und dabei doch so klar und auf den Boden der Wirklichkeit gestellt! Ein Streben nach dem Gleichmaß der wirkenden Kräfte, nach Befreiung eines wichtigen Culturelements von verrottetem Urväterhausrath!

Die magnetische Kraft dieses Gedankens war eine so unwiderstehliche, daß nicht minder die zahlreichen Eifersüchteleien politischer Natur unter den verschiedenen Verwaltungen, wie die fiscalischen Wünsche einiger Staaten zum Schweigen gebracht wurden, und daß, mit einziger Ausnahme Frankreichs, das aus finanziellen Gründen mit dem Beitritt vorerst zögerte, alle Staaten Europas, ferner in Asien Rußland und die Türkei, in Afrika Aegypten mit Nubien und dem Sudân, sowie Tunis und Marokko, endlich in Amerika die Vereinigten Staaten dem deutschen Plane der Begründung eines „Allgemeinen Postreviers“ zustimmten. Am 9. October 1874 wurde der Vertrag, welcher für den Postverkehr eines Gebiets von 716,000 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 350 Millionen gleiche Brieftaxe und gleiche Formen des Briefpostverkehrs festsetzte, zu Bern unterzeichnet; am 1. Juli 1875 trat er in volle Wirksamkeit. Damit war eine dauernde Einrichtung von höchster Bedeutung für den Weltverkehr geschaffen, wie sie bisher die Culturgeschichte der Menschheit nicht kannte. Die Landesgrenzen waren für den Postverkehr beseitigt, die verschiedenartigen Tarife und Taxen aufgehoben; die volle Freiheit des Postaustausches war gewährleistet: ein Postgesetz, ein Tarif regelten den vielverzweigte Verkehr der wichtigste Staaten des Erdballs, sowie die zahlreichen materiellen und geistigen Beziehungen, welche die Post vermittelt. Und was das Herrlichste an diesem Siege war: es hatte keines Schlachtenlärms bedurft; er war auf friedlichem Wege erreicht, er verband die Nationen enger, als alle Friedensbündnisse es vermochten, durch die Gemeinsamkeit der Interessen wenigstens auf diesem Cultur-Gebiete.

Neben diesen großen Erfolgen waren für die Verwaltungen selbst zahlreiche Erleichterungen erzielt; es fielen die umständlichen Abrechnungen fort, welche früher erforderlich waren, um jedem Staate den Porto-Antheil zu sichern. Bei einem Briefe z. B. von Hamburg nach Lissabon war früher das Porto unter fünf Postverwaltungen zu vertheilen; es entwickelte sich daraus eine Masse öden Schreibwerks, dessen Erledigung von der Erfüllung größerer Aufgaben abhielt. Nach dem neuen Vertrage behält einfach jeder Staat denjenigen Portobetrag, den er selbst vom Publicum erhält, dadurch wird jede Abrechnung entbehrlich. Von hohem Werthe erwies sich auch die Rückwirkung der Vereinsbestimmungen auf die innere Postgesetzgebung der einzelnen Länder dadurch, daß diese sich mehr und mehr den in dem Vereinsgebiete herrschenden Grundsätzen anpaßte.

Frankreich hatte sehr bald seine Vereinzelung in Bern bereut und schloß sich nachträglich dem Vereine an; sodann traten innerhalb der nächsten drei Jahre Britisch-Indien, die französischen, britischen, niederländischen, portugiesischen und spanischen Colonien, das aufstrebende Japan , ferner Brasilien, Grönland und die dänischen Colonien, sowie Persien und einige Hafenstädte in China (Hongkong, Shanghai), endlich Canada hinzu. Diese Ausbreitung des Vereins machte im Jahre 1878 den Zusammentritt des zweiten Weltpost-Congresses nothwendig, der sich am 2. Mai 1878 in Paris versammelte und, im Sinne des Berner Grundgedankens, den Allgemeinen Postverein zu einem Weltpostvereine erweiterte, welcher jetzt fast die Gesammtheit der civilisirten Länder des Erdkreises umfaßt. Der Vertrag wurde am 1. Juni 1878 im Palais Bourbon unterzeichnet und wird am 1. April 1879 in’s Leben treten. Seine Wirksamkeit erstreckt sich auf ein Gebiet von 1,300,000 Quadratmeilen mit mehr als 750 Millionen Menschen. Außerhalb des Vereins bleiben nur einige Republiken Mittel- und Südamerikas, deren Beitritt übrigens nur eine Frage der Zeit ist, ferner Australien und China, in dessen Gebiet indessen bereits ein dem Weltpostvereine angehöriger Postcurs von Kiächta nach Peking Bresche legt. Neben der vollen Freiheit des Postaustausches verwirklicht der Pariser Vertrag insbesondere den idealen Gedanken des Weltportos: der einheitliche Satz von fünfundzwanzig Centimes, gleich zwanzig Pfennig, bildet in der ganzen Welt jetzt das Normalporto für den einfachen Brief; er ist an die Stelle der 1200 Portosätze getreten, die vor Begründung des Vereins für den internationalen Postverkehr in Geltung waren.

Für Postkarten ist der einheitliche Satz von zehn Pfennig eingeführt. Auch die Einschreibegebühr, welche sonst in vielen Abstufungen erhoben wurde, hat man allgemein auf den Satz von fünfundzwanzig Centimes, gleich zwanzig Pfennig, festgesetzt. Für Waarenproben und Drucksachen endlich sind erhebliche Erleichterungen eingeführt. Der Ausbau des großen Werkes ist damit in der Hauptsache vollendet.

Nach vielen Millionen zählen diejenigen, welche die Vortheile des Weltpostvereins täglich genießen; er schlingt ein festes Band der Einheit um die große Culturarbeit auf vielen Gebieten menschlicher Thätigkeit; er befreit von lästigen Fesseln und eint die Menschen zu einer großen Familie. Auch wird er darauf hinwirken, daß zum Segen der Menschheit ähnliche umfassende Gemeinschaften aus anderen Gebieten der Cultur entstehen. Dem Begründer der Weltpost, Generalpostmeister Heinrich Stephan, aber gebührt mit vollem Rechte in der Culturgeschichte ein Platz unter denjenigen Männern, welche zu den Wohlthätern der Menschheit gerechnet werden.

G. T.




Das Jachenthal im baierischen Hochgebirge.


Seitdem die sommerliche Reise in’s Gebirge Modesache geworden ist, gehen die echten Natur- und Alpenfreunde auf Forschungen aus, um Plätze zu finden, die von dem allgemeinen Wanderzuge noch nicht überfluthet sind. So ein unberührtes Fleckchen Natur ist das Jachenauer Thalgebiet, das in Bezug auf Anmuth und landschaftlichen Reiz mit vielen übervoll besetzten Hochgebirgsthälern wetteifern kann.

Vom nördlichen Ende des Walchensees, vom sogenannten Jäger am See in Urfelden weg, zweigt sich ein schattiger Pfad von der Hauptstraße nach Osten ab, der lange Zeit am Gestade des Bergsees fortläuft. Nachdem man das Seeufer verlassen hat, geht man etwa anderthalb Stunden im Gehölze dahin und gelangt hernach plötzlich auf einen freien Platz, der den Ueberblick über ein herrliches Thal gestattet, das links und rechts von dicht bewaldeten Hügeln umrahmt ist, während im Halbkreise mächtige Bergriesen trotzigen Blickes hereinschauen. Dicht unterhalb dieses Standpunktes liegt das Dorf Jachenau mit einer Anzahl großer, stattlicher Häuser, die auf eine besondere Wohlhabenheit der Bewohner schließen lassen. Wie bei allen Gemeinden der Gebirgsländer, liegen auch hier die anderen zur Ortschaft gehörigen Anwesen in weiter Entfernung von einander, theilweise sogar in beträchtlicher Höhe auf den angrenzenden Hügelreihen vertheilt, wie dies beispielsweise bei den Bergbauerngütern der Fall ist.

Die Bevölkerung erfreut sich eines Wohlstandes , wie er in keinem anderen Theile des Alpengebietes existirt, und doch bemerkt man weder wogende Felder, noch jene üppigen, weit ausgedehnten Bergwiesen, wie sie das gleichfalls wohlhabende Allgäu aufzuweisen hat; ringsum sieht man nur die düsteren Contouren ungeheurer Wälder, und in ihnen haben wir die Quelle des Reichthums der Jachenauer Bauern vor uns.

Der riesenhafte Complex des Jachenauer Waldgebietes, ungefähr 28,000 Tagwerk umfassend, ist Eigenthum des Staates, aber die angesessenen Jachenauer haben die Berechtigung zum Holzbezug aus diesen Waldungen. Diese Berechtigung erstreckt sich jedoch nicht allein auf die vollkommen unentgeltliche Deckung des Holzbedarfes für den Hausgebrauch, also auf die Versorgung des Anwesens mit Brenn- und Bauholz, sondern schließt auch das weitere Recht in sich, das aus einem gewissen Gebiete auffallende

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_198.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)