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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Kammer, mehr nicht. Ein Koch und ein Diener sorgten im ersten Winter für die deutschen Herren. Für die folgenden Winter mußte das Haus durch Anbau vergrößert werden, sodaß ein Zeichensaal, ein Schreibzimmer nicht mehr entbehrt wurden. Für die Männer der Wissenschaft, die als Gäste gelegentlich in diese Wildniß kamen, um die Ausgrabungen zu sehen, war in dem Hause kein Raum.

Hier aber streicht die Luft scharf und kalt, sodaß nur kümmerlicher Pflanzenwuchs auf der Höhe gedeiht. Unten im Thale liegen selbst im Winter die Dünste dick, schwer, schwül. Der stetige Wechsel zwischen beiden ist für die Gesundheit der leitenden Beamten sehr verderblich gewesen. Der Archäologe sowohl wie der Baumeister erkrankten bedenklich; der griechische Regierungscommissar wurde im zweiten Winter völlig gelähmt und mußte den Posten verlassen. Gesattelte Pferde stehen für den Dienst bereit, um den weiten ermüdenden Weg zu kürzen.

Im October begann man den großen Zeustempel, den Mittelpunkt des Ganzen, freizulegen. Dann wurden gleich Fühlfäden Gräben durch die Flur gezogen nach allen Seiten. Stieß man dabei auf Steine, Mauerwerk, Reste von Bildhauerarbeiten, so wurde vorsichtig weiter nachgespürt und untersucht, ob Reste eines alten Tempels oder nur herumgestreute Einzelstücke von den Spaten berührt waren. Erdarbeiter strömten aus den benachbarten Bergdörfern, ja selbst aus größerer Ferne zu. Mancher deutsche Abenteurer, der mit König Otto einst ausgezogen, hat hier in kargem Verdienst Ersatz für getäuschte Hoffnungen gesucht. Die Arbeiter wurde ihrer Begabung gemäß verwandt. Die besten am theuersten bezahlten mußten vorgehen, wo etwas vermuthet oder schon halb zu Tage gefördert worden war. Hatte aber Einer sich die Verletzung eines Steinkörpers zu Schulden kommen lassen, hatte Hacke oder Spaten statt des Erdreichs etwa die Nase einer Bildsäule, den Arm oder das Bein eines Gottes getroffen, so wurde der Schuldige sofort in jene Reihen zurückversetzt, die nur die obersten Schichten des Erdreichs abzuheben hatten. Die eigentliche Fundschicht begann oft erst zehn bis fünfzehn Fuß unter der Oberfläche. Von Ende September bis zum Mai etwa währt der Arbeitswinter. Dann verscheuchen Hitze und Fieberluft Arbeiter, Aufseher und Beamte aus dem öden Gebirgsthale. Die Former nur kommen noch für kurze Zeit hin, um Alles abzuformen damit Gypsabgüsse davon genommen werden können, und der Photograph bekommt zu thun, bis endlich die Schuppen mit den verstümmelten Bildsäulen und Gruppen, die griechische Wache, das Haus der Deutschen auf dem Druvaberge für den Sommer geschlossen werden.

So ist nun auf Kosten des deutschen Reichs bereits länger als drei Winter gearbeitet worden. Die Commissare haben mitunter gewechselt; das Werk selbst ist trotzdem stetig vorgeschritten. Blicken wir nun von der kalten Druvahöhe, aus dem Hause unserer kleinen Colonie hinab in das Thal des Alpheios, so sind es jetzt nicht mehr Corinthengärten und Gerstenfelder, welche die Flur zwischen den Bergen und dem Flusse einnehmen. Der stille, öde, unbewohnte Thalgrund zeigt an dieser Stelle das Treiben eines Ameisenhaufens. Lange Züge von Arbeitern karren ausgegrabene Sandmassen weg; mit Spaten, Schaufel und Hacke bewaffnet sieht man Andere in der Erde wühlen, buntgekleidete Menschen, meist mit der rothen Kappe auf dem Kopfe, dem faltigen weißen Baumwollkittel angethan, in der Tracht der jetzigen Griechen. Das Feld ist verschwunden. Geborstenes Gemäuer starrt überall aus dem Boden hervor; Säulenstücke, Gebälk und Stein, Trümmer von Tempeln liegen wild umher. Aber deutlich erkennt man schon von hier die Grundflächen aller einzelnen Gebäude. Neben diesen allerältesten Bauwerken sind ganz neue entstanden: Wachthäuser, Schuppen, in denen die Bildsäulen, die Kunstwerke von Marmor und Erz aufbewahrt werden, bis die griechische Regierung ihr Eigenthum einmal abholen wird; andere, in denen die Former Abdrücke nehmen.

Steigen wir nun hinab, lassen wir uns von den gelehrten Landsleuten, die hier in Winterkälte und Fieberschwüle unverdrossen gearbeitet haben, freundlich dargebotene Führerdienste leisten, so ersteht das alte Olympia bald vor unserem geistigen Auge. Die Reste der Ringmauer, die den heiligen Bezirk umschloß, sind völlig erkennbar. Man sieht die Oeffnungen, die mit stolzen Säulenpforten verschlossen und alle vier Jahre aufgethan wurden, sobald die Festzeit begann. Die Reste des Zeustempels liegen in der Mitte der Flur. Die Riesengestalt, welche einst drinnen auf dem Throne saß, überströmt von sonniger Helle, die aus den Oeffnungen des Daches sich über den Raum ergoß, ist freilich verschwunden. Vor dem Tempel war eine breite Rampe erbaut, auf ihr ein Altar. Allenthalben gewahren wir die hohen Steinsockel dicht bei einander, auf denen einst unter Oelbäumen, Platanen und Ulmen die Weihgeschenke, von Künstlerhand, standen. Der Raum des heiligen Gefildes muß vollständig gefüllt gewesen sein mit solchen Weihgeschenken, sodaß nur Gassen freiblieben, um zu den andern Heiligthümern zu gelangen. Wir sehen etwas näher den Bergen, nördlich von dem großen Zeustempel, den Tempel seiner göttliche Gemahlin, der Hera, finden dann noch weiter nordwärts, ganz nahe am Fuße des am weitesten in die Ebene vorgeschobenen Bergkegels, die Reste des Festsaales, in dem nach beendetem Kampfspiele die Sieger und die Richter mit den Aeltesten des Volkes bewirthet wurden. Wir erkennen die Schatzhäuser der verschiedenen Bundesgenossen, die Halle, in der die Kämpfenden vorher durch Leibesübungen, Bäder, strenge Schulung ihren Körper geschmeidig erhielten; wir sehen auch, deutlich erkennbar, diejenigen Prachtbauten vor uns, die in späteren Zeiten von den Römern errichtet worden sind. Da liegt ein gemauertes Halbrund, das ein Wasserbecken umschloß. Durch Löwenköpfe strömten hier die von den Bergen herabfließenden Quellen aus, sammelten sich und wurde dann über die ganze Feststätte verteilt. Kleine Tempel, Bildsäulen der Kaiser, Säulen und Marmorgebälk zierten diese Anlage. Weiter unterhalb, näher am Flusse, sind andere Gebäude aus dem Grabe erstanden. Manche hat man sofort erkannt als Stätten, auf denen die Ortsgottheiten verehrt wurden, als Altäre, an denen das Volk geopfert hat. Andere geben den Gelehrten schwere Räthsel auf, die oft erst durch spätere Funde vollständig gelöst werden. Aber so viel steht fest, das, was heute schon von der hohen Sandhülle befreit vor uns liegt, giebt uns ein vollständiges Bild des größten und wichtigsten Heiligthums im alten Griechenland. Vieles, von dem man gar nichts gewußt hatte, vieles, wovon den Gelehrte ungenau oder irrige Vorstellungen überliefert worden waren, liegt hier klar und deutlich vor unseren Augen, kenntlich noch in seinen Grundmauern, Trümmern und Resten.

Der Boden giebt aber noch weitere Kunde. Tief unter den Grundmauern der herrlichen Tempel findet man Opfergaben und Weihgeschenke, roh aus Thon oder Metall geformt. Diese stammen offenbar aus den allerältesten Zeiten menschlicher Ansiedelung. Sie beweisen, daß lange vor Erbauung der Tempel und Heiligthümer die Stätte des Thales schon der Gottesverehrung geweiht gewesen ist. Ueber den griechischen Prachtbauten aber, den späteren römischen Anlagen der Kaiser, finden wir wieder altchristliche Kirchen, Befestigungsmauern mit Thürmen und Thoren aus früher christlicher Zeit, dann elende Hütten aus zusammengeschleppten Steinen, lose an die alten Mauern geklebt, die ein späteres rohes Volk sich zur Ansiedelung errichtet hat. So sehen wir hier ein Zeitalter immer über das andere geschichtet.

Alle kleinen und großen, rohen und kunstvollen Weihgeschenke und Opfergaben, die Inschriften auf ehernen Tafeln mit Verträgen, Friedensschlüssen, Berichten über einzelne Persönlichkeiten, endlich die Bildsäulen und Gruppen aus Marmor, die Verzierungen der Tempel und heiligen Bauwerke, die Standbilder der römische Großen, welche gefunden worden, sind, wie bemerkt, geborgen in den Schuppen, Verschlägen und Häusern auf der Thalflur. Griechenland denkt noch nicht daran, diese ihm durch fremde Hand in den Schooß geworfenen Schätze in seiner Hauptstadt zweckmäßig zu ordnen und aufzustellen; Deutschland aber hat von seinem Rechte Gebrauch gemacht, die Funde abformen zu lassen; eine mühsame und langwierige Arbeit, denn das Abformen kostet Zeit, der Weg ist weit, die Zusammenstellung der Brocken und Trümmer erfordert Nachdenken, Prüfung, Mühe. Und jetzt sind wir so weit, daß das Hauptsächlichste und Werthvollste im Gypsabgusse seit den letzten Octobertagen in der unvollendeten Fürstengruft der Kaiserfamilie zu Berlin der Nation vor Augen gestellt ist.

Der Tempel des Zeus von Olympia war einer der herrlichsten Griechenlands. Die berühmtesten Bildhauer wurden von den Hauptstätten der Kunst, besonders von Athen entboten, um ihn zu schmücken. Gold, Erz, alle kostbaren Metalle sind natürlich geraubt, zerschmolzen, verbrannt. Der Marmor hat sich dauerhafter erwiesen. Der vordere östliche und der hintere westliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_814.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)