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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Man hatte beschlossen, den Namenstag der regierenden Herzogin Louise im Stern durch ein heiter geschmücktes Fest zu feiern, das an die älteren italienischen Wald- und Buschfabeln geistreich erinnern sollte. Schon war manche Vorbereitung im Stillen getroffen, als Gewitter und Wasserfluth, Wiesen und Stern überschwemmend, alles vereitelten. Man mußte auf etwas anderes denken, und Goethe war es, der den Gedanken faßte und ausführte, die Festlichkeit auf eine vom Wasser nicht erreichte Höhe zu verlegen; dieselbe befand sich nahe dem Grottenwerke und unweit eines damals noch dort vorhandenen unbenutzten Pulverthürmchens unter der alten Schießmauer, wo eine Gruppe alter Eschen sich erhob, die, ein Oval bildend, in ihrer Größe und Schönheit Bewunderung erregten. Dort unter den alten Eschen ließ er heimlich einen Platz ebenen und gleich davor eine Einsiedelei bauen, ein Zimmerchen von mäßiger Größe, welches eilig mit Stroh überdeckt und mit Moos bekleidet wurde. In drei Tagen und Nächten kam es zu Stande, ohne daß man bei Hofe oder in der Stadt etwas davon vermuthete. Eine Gesellschaft geistreicher Freunde, unter ihnen auch Goethe als Pater Decorator, kleidete sich in weiße Kutten, Kappen und Ueberwürfe und lud den Hof ein. Am 9. Juli kamen die Herrschaften den Weg vom Fürstenhause her. Am erweiterten Felsenraume wurden sie von den Mönchen empfangen, indem dort ein vom Kammerherrn Siegmund von Seckendorf gedichtetes humoristisches Dramolet gesprochen wurde. Pater Orator begann:

Memento mori! Die Damen und Herr’n
Gedachten wohl nicht uns zu finden am Stern,
Es sei denn, sie hätten im Voraus vernommen,
Daß, eben am Tag wie das Wasser gekommen.
Auch wir mit dem Kloster hierher sind geschwommen.
Zwar ist die Capelle, der schöne Altar,
Die heiligen Bilder, die Orgel sogar,
Erbärmlich beschädigt, fast alles zerschlagen,
Die Stücke, Gott weiß! wo hinabwärts getragen;
Doch Keller und Küche, zwar wenig verschlemmt.
Hat auch sich, Gottlob, mit uns feste gestemmt.
Als wir, durch brausende Fluthen getrieben.
Hier dicht an der Mauer sind stehen geblieben.

Ein Gespräch folgte zwischen dem Pater Provisor, dem P. Guardian, dem P. Küchenmeister, welcher bedauerte, daß das Kloster „nur etwas kärglich und enge logirt sei“, dem P. Decorator und P. Florian, welcher den P. Decorator (Goethen) mit den Worten vorstellte:

Und dieser hier, Pater Decorator,
Der all unsern Gärten und Bauwerk steht vor,
Der hat nun beinahe drei Nacht nicht geschlafen.
Um uns hier im Thal ein Paradies zu verschaffen.
Denn wenn der was angreift, so hat er nicht Ruh,
Stopft Tag und Nacht die Löcher mit Heckenwerk zu,
Macht Wiesen zu Felsen und Felsen zu Gänge,
Bald gradaus, bald zickzack, die Breit’ und die Länge.
Sogar auch den Ort, den sonst Niemand ornirt,
Hat er mit Lavendel und Rosen verziert.

Die Patres Provisor und Küchenmeister meldeten dem P. Guardian, daß die Glocke schon zwei geschlagen und die Speisen aufgetragen seien, und der hochwürdige P. Guardian bemerkte:

Will Jemand in’s Refectorium kommen.
So ist er mir und dem Kloster willkommen.

Auf seine einladenden Verbeugungen folgte der Hof durch die vordere Thür in das kleine Zimmer, wo, auf einer mit reinlichem, aber grobem Tischtuche gedeckten Tafel, um eine Bierkaltschale, eine Anzahl irdener tiefer Teller und Blechlöffel zu sehen war. Bei der Enge des Raumes und den kümmerlichen Anstalten wußte man nicht, was das werden sollte, und die Frau Oberhofmeisterin, Gräfin Gianini, rümpfte darob die Nase. Da begann wieder der Pater Guardian:

Herr Decorator, der Platz ist sehr enge,
Und unsre Clausur ist eben nicht strenge;
Ich dächte wir führten die Damen in’s Grüne.

       Pater Decorator:
Ja wenn die Sonne so warm nur nicht schiene.

       Pater Guardian:
Es wird ja wohl Schatten zu finden sein.

       Pater Küchenmeister:
Ich meines Orts esse viel lieber im Frei’n!

       Pater Guardian (zum Pater Decorator):
Es fehlt ihm ja sonst nicht an guten Ideen.

       Pater Decorator:
Nun, wenn Sie’s befehlen, so wollen wir sehen.

Während er abging, rühmte ihn

      Pater Guardian:
Es ist ein gar fürtrefflicher Mann.

Der P. Decorator aber kam wieder und meldete:
      Ew. Hochwürden, der Platz ist ersehen;
      Wenn’s Ihnen gefällig ist, wollen wir gehen.

Da öffnete sich die hintere Thür und bot den Ausblick auf eine gegen den engen Vordergrund abstechende, prächtig-heitere Scene. Hoch überwölbt und beschattet von den Aesten des Eschenrundes stand eine lange, wohlgeschmückte fürstliche Tafel, und vollständige symphonische Musik erklang. Es nahmen die Kloster-Gäste Platz, und auch die Mönche, deren angebotene Aufwartung dankend abgelehnt wurde, erhielten die sonst gewohnten Plätze bei Tafel. Das volle, reiche Grün ringsum und ein malerisch angelegter, über Felsen herabstürzender Wasserfall, der durch einen kräftigen Zubringer unablässig unterhalten wurde, gaben dem Bilde einen frischen, romantischen Charakter; das Ganze war künstlerisch abgeschlossen; man fühlte sich so nah und fern vom Hause, daß es fast einem Märchen glich.

Mit diesem Louisenfest am 9. Juli 1778 begann (wie Goethe selbst in seiner Beschreibung des Festes, doch mit Angabe unrichtigen Datums, bemerkt) die Epoche der Parkanlagen, indem die sämmtlichen Wege am Abhange nach Oberweimar zu von hier aus ihren Fortgang gewannen.

Die verwittwete Herzogin Amalie hatte an dem Louisenfest nicht theilnehmen können, da sie mit von Einsiedel und Fräulein von Göchhausen nach Frankfurt und an den Rhein gereist war. Als sie nach Weimar zurückgekehrt, lud Goethe sie in seinen Garten ein, um sie mit allen den Poemen, die er in ihrer Abwesenheit an den Ufern der Ilm zu Stande gebracht, zu regaliren. So speisten am Abend des 22. August 1778 Amalie, Wieland, von Einsiedel, Frau von Stein und Fräulein von Göchhausen mit Goethe in der „gar holden kleinen Einsiedelei“; sie gedachten des Freundes Merck und Goethe’s Mutter, der soeben erst in Frankfurt besuchten lieben Frau Aja. Und als sie nun aufgestanden waren und die Thür öffneten, siehe, da stellte sich ihnen (wie Wieland an Merck berichtet) durch geheime Anstalt des Archi-Magus ein Anblick dar, der mehr einer realisirten dichterischen Vision als einer Naturscene glich: das ganze Ufer der Ilm in Rembrandt’s Geschmack beleuchtet, – ein wunderbares Zaubergemisch von Hell und Dunkel, das im Ganzen einen Effect machte, der über allen Ausdruck ging. Alle waren entzückt. Als sie die kleine Treppe der Einsiedelei hinabstiegen und zwischen den Felsen und dem Gebüsch längs der Ilm gegen die Brücke hingingen, zerfiel die ganze Vision nach und nach in eine Menge kleiner Rembrandt’scher Nachtstücke, die man ewig hätte vor sich sehen mögen und die nun durch die dazwischen herumwandelnden Personen Leben bekamen. Wieland hätte, wie er sagt, Goethen „vor Liebe fressen mögen“.

Bald darauf schrieb Wieland an Merck: „Goethe will haben, daß Du erst kommen sollst, wenn die Nachtigallen wieder singen, und das muß auch sein, wenn Du an allen Poesieen Freude haben sollst, die er dies- und jenseits der Ilm geschaffen hat, und die der hochlöblichen Kammer zwar ein tüchtiges Geld kosten, dafür aber auch diese Seite von Weimar zu einem Tempel und Elysium machen.“

Vor allem aber hatte das einfache, kleine Kloster in seiner romantischen Lage zwischen Felsen und dunklem Grün, nahe dem rauschenden Flusse, den Beifall des jungen Herzogs gefunden. Unter seiner und Goethe’s Fürsorge wurde es wohnlich eingerichtet. Dieses mit Baumrinde bekleidete Häuschen oder Borkenhüttchen war fortan der Lieblingsaufenthalt Karl August’s; er wählte es zur Sommerwohnung. Hierher ließ er in frühester Morgenstunde den vortragenden Rath kommen. Hier speiste er allein oder mit seinem Freunde Goethe, dessen Gartenhaus jenseit der Ilm er vom Fenster aus sehen konnte. Nachts stieg der junge Fürst nicht selten zum Bad in den nahen Fluß und schlief dann in der kleinen, schlichten Hütte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_451.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)