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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Karl Friedrich Lessing.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.


Ein besonderes Lieblingsgespräch des alten Herrn war Schlesiens Antheil an der deutschen Poesie, über welche er bis in’s kleinste Detail unterrichtet war. Mit staunenswerthem Gedächtniß konnte er von Opitz und Gryphius an alle größeren Werke schlesischer Dichter zergliedern und recitiren. – Im „Shakespeare“, den er ja oft von der Tribüne interpretirt, so vielfach und so mustergültig für die Bühne inscenirt, war er ganz besonders heimisch und liebte es, größere Monologe seiner Unterhaltung einzufügen. Und wie schön der alte Herr noch sprechen konnte! Wer einmal solch einer Plauderstunde bei dem „Alten vom Berge“ beigewohnt, wird die Erinnerung daran nie verlieren können.

Mit dem Theater stand Holtei, seitdem er diese letzte Periode seines Lebens angetreten, in keinerlei directem Verkehr. Er besuchte es auch nur sehr selten, zuletzt 1869 – wenn ich nicht irre – bei einem Gastspiel der Viardot-Garcia. Aber er verfolgte mit lebhaftestem Interesse die Entwickelung des modernen Bühnenrepertoires und blieb gern im Verkehr mit jüngeren hoffnungsvollen Talenten. Als das Theater zum ersten Male abgebrannt und dann durch die Freigebigkeit der Stadt schöner und glänzender aus der Asche emporgestiegen war, setzte Holtei alle seine Bekanntschaften – und deren weittragende Kraft bis in die höchsten Gesellschaftskreise hinein war und ist eine gewaltige – in Bewegung, um einem Manne das Directionsscepter in die Hand zu legen, welcher dazumal sich den Breslauern nur durch jeweilige Gastspiele als ein ganz excellenter Komiker empfohlen hatte. Theodor Lobe, jetzt einer der gewaltigsten Tragöden der deutschen Bühne, war jener Schützling Holtei’s; sein gegenwärtiger Ruhm beweist, wie sehr er jener Fürsprache würdig war und wie richtig der „alte Herr“ über ihn an eben dieser Stelle vor Jahr und Tag geurtheilt. Im Erkennen junger Bühnentalente zeigte Holtei überhaupt stets einen ausnehmend scharfen Blick; bei Lobe war die Sache um so schwieriger, da dieser damals schon im Zenith seines Könnens und Leistens zu stehen schien.

Von Holtei’s geselligen Beziehungen, seitdem er in Breslau sein dauerndes Asyl genommen, dürften von allgemeinem Interesse wohl folgende sein. Zunächst und vor Allem seine intimen Beziehungen zu dem Breslauer Fürstbischof Dr. Heinrich Förster, der seit den Maigesetzen bekanntlich seinen Palast geräumt hat, um den österreichischen Theil seiner Diöcese von Johannisberg aus zu verwalten. Förster und Holtei mußten sich anziehen; die Seelen Beider hatten Magnete in sich, welche sich finden mußten. Förster galt als Schlesiens größter Kanzelredner, und es gab Zeiten, in welchen er hinsichtlich seiner Popularität in Breslau seinem Freunde, den der Lorbeer der Bühne und der Tribüne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_117.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)