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Seite:Die Gartenlaube (1877) 034.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

die sich selbst da nicht verleugnet, wo die Beziehungen mehr persönliche sind. Es spricht aus ihnen der schon angedeutete fest philosophisch geschulte Geist, der überall aus dem individuell Gegebenen das allgemeine Gesetz herauszufinden bestrebt ist. Wo Lottchen einfach empfindet, pflegt sie zu denken. Sie spricht sich z. B. so aus: „Oft ist mir’s, als wäre keine Entfernung und das wahre heilige Band der Freundschaft über den Gesetzen der Körperwelt, in anderen Momenten fühlt man aber doch wieder unser enggebundenes Dasein und daß Gegenwart, Leben und Sprache doch etwas anderes ist.“ Das drückt Lottchen so aus: „Ich suche mir viele Geschäfte und bin auch fleißig, aber Sie fehlen mir doch immer. Mir ist oft des Abends, als müßte ich hören, daß Sie gekommen wären.“ Dort redet eben der Geist, hier das Herz.

Während in Lottchens Briefen Alles subjectiv erscheint, strebt dort Alles nach Objectivität. Wo Lottchen nur zaghaft Meinungen giebt, ergreift sie oft schon die Directive und sucht bestimmend auf den Freund einzuwirken. So warnt sie ihn vor gewissen weiblichen Bekanntschaften: sie bekämpft seinen Unglauben an die Möglichkeit einer intimeren Annäherung an Goethe u. dergl. Schiller’s gerade damals stark entwickelter Neigung zur philosophischen Reflexion kommt sie dabei erwünscht entgegen, und er zahlt ihr mit doppelter Münze. Er versteigt sich in seinen antwortenden Briefen zu förmlichen philosophischen Auseinandersetzungen, wie er selbst lachend gesteht. Da wird frischweg docirt, daß der größte Staat ein Menschenwerk, der Mensch aber ein Werk der unerreichbaren Natur, der Staat ein Geschöpf des Zufalls, der Mensch, ein nothwendiges Wesen ist.

Als er einmal – wohl aus Verwechselung – in einem seiner Briefe vom December auch Lottchen gegenüber in den gleichen reflectirenden Ton verfiel, war diese darüber fast erschrocken „und empfand darüber ein Gefühl, das ihr nicht so recht wohl that“.

Es war natürlich, daß der lebhafte, wenn auch nur philosophische Discours mit Carolinen eine größere Annäherung zwischen ihr und Schiller anbahnte, die mit der Zeit auch eine wärmere Tönung annahm. Was er ihr im Laufe, des Sommers geworden war, geht aus einem der wenigen erhaltenen Briefe Carolinens – vom 18. November – hervor: „Ach, ich kenne,“ schreibt sie da, „keinen Ersatz für das, was Sie meinem Leben gegeben haben; so frei und lebendig existirt mein Geist vor Ihnen. So wie Sie hat es noch Niemand verstanden die Saiten meines innersten Wesens zu rühren. Bis zu Thränen hat es mich oft bewegt, mit welcher Zartheit Sie meine Seele in trüben Momenten gepflegt, getragen haben. Wie nöthig ist es mir in der Hoffnung zu leben; Erinnerung allein würde mein Herz zerreißen, aber so schöpfe ich aus ihr Ahnungen künftiger Glückseligkeit.“

Da scheint es fast, als habe sie ihrem Herzen einmal den Vortritt gelassen vor dem Geiste, aber nach einer solchen flüchtigen Schwäche zwang sie jenes dann nur um so tiefer wieder unter dessen Fittiche.

Aber auch die feurige Seele Schiller’s konnte sich gegen eine solche Empfindung einer gleichgestimmten Seele nicht gleichgültig verhalten, und so tauchen schon jetzt die ersten Spuren jener eigenthümlichen Doppelliebe auf, die später zur vollen Entwickelung kam und unser Interesse noch lebhaft in Anspruch nehmen wird. Das alte Vertheilungsprincip wurde nun allmählich zu einem Vereinigungsprincipe. Den Impuls dazu gab Schiller zunächst wohl die Beobachtung, daß beide Schwestern selbst in einer so innigen Vereinbarung lebten, daß sie beide zusammen, um einen Volksausdruck zu brauchen, ein Herz und eine Seele bildeten. „Ihre beiderseitige gute Harmonie,“ schrieb er deshalb, „ist ein schöner Genuß für mich, weil ich Sie in meinem Herzen vereinige, wie Sie sich selbst vereinigt haben.“

„Sie haben Recht,“ schreibt ihm hierzu ebenso neidlos wie unbefangen Charlotte, „daß ich und Caroline in einem schönen Verhältnisse sind. Es würde mir, wäre es nicht so, mein Leben nicht so angenehm machen.“ Und wie eingehend auf seine eigenen Gedanken fügt sie hinzu:

„Ich vermische gern meine Freundschaft für Sie mit der für meine Caroline und freue mich unserer Vereinigung, die, hoffe ich, nichts wird stören können.“ Ja, sie erkennt mit derselben neidlosen Herzensgröße die geistige Ueberlegenheit der Schwester an. „Ich könnte mein Herz ganz auf sie lehnen und sie giebt mir oft Trost in trüben Augenblicken. Ohne sie könnte ich hier nicht existiren, und sie würde mir an jedem anderen Orte auch fehlen.“ Ein Umstand, der später wesentlich dazu beitrug, in Schiller den Glauben an die Möglichkeit der Verwirklichung seines Problems zu wecken.

Besonders charakteristisch tritt das Verhältniß beider Schwestern zu Schiller und ihre Eigenart in der Auffassung eines bedeutungsvollen Ereignisses im Leben Schiller’s hervor, das jetzt kurz nach Weihnachten überraschend auftrat. Es war die Berufung Schiller’s zur Professur der Geschichte in Jena. Auf Schiller wirkte dieses Ereigniß zu allererst verstimmend. „Also die paar Jahre von Unabhängigkeit, die ich mir träumte, sind dahin; mein schöner künftiger Sommer in Rudolstadt ist auch fort, und dies Alles soll mir ein heilloser Katheder ersetzen!“ schrieb er in wahrhaft verzweifelnder Stimmung den Schwestern. Eine ganz andere Aufnahme erlebte die Neuigkeit in Rudolstadt. „Innigst freut mich,“ schreibt Caroline, „die Nachricht von Ihrem künftigen Aufenthalte in Jena, liebster Freund. Sie wissen, wie lieb dieser Plan mir immer war. Mir ist’s gewiß, daß Sie in der Länge Glück an dieser Existenz finden, und das macht mich gar glücklich. Ich finde diese Art von Wirksamkeit gar schön und sehr weit und tief eingreifend. Wie manche Geister werden eine höhere Richtung in dem Wehen des Ihren gewinnen! Und in der Folge werden Sie Ihrer Schöpfung in dieser Lebensart mehr leben können als in jeder anderen.“

Und Lottchen? „Es überraschte mich die Nachricht von Ihnen so angenehm, lieber Freund. Sie bleiben nun doch in unserer Nähe. Wie schön ist das!“ Sie hat schon gefürchtet, daß er nach Dresden zurückkehren oder seine Reise nach Hamburg ausführen werde. „Wer weiß, wann Sie dann wieder gekommen wären? Nun ist das nicht mehr zu fürchten.“

Für Carolinen ist also das Entscheidende die Professur, für Lottchen die Nähe des Aufenthaltes. Jene begeistert sich für die Idee, diese für die Person. Dieser ist es um deren Näherbesitz, jener um ihr geistiges Wachsen zu thun.

Schwanken und Entscheiden.

Durch den gegenseitigen Austausch der Ansichten über die gemeinschaftlich studirten fremden, sowie über Schiller’s eigne Werke erhält sich der Briefwechsel in der nächsten Zeit stets auf einer gewissen geistigen Höhe, ja gewinnt theilweise einen stark literarischen Anstrich.

Der gelehrte Ton, an den auch Lottchen zuletzt sich gewöhnt, hatte aber schließlich doch etwas überhand genommen, und es war Zeit, daß nach der Alleinherrschaft des Geistes auch das Herz wieder zu Worte kam. Das aber hatte all seine Hoffnung auf den Frühling gesetzt. Nun zögerte indeß der Winter diesmal ungewöhnlich lange. Auch das Geraniumstöckchen war seinem vernichtenden Hauche verfallen, und eine Myrthe hatte es vorbedeutungsvoll ersetzt.

Da, in der Mitte des Märzen, als das Wetter sich heiterte, eilte der neubestallte Herr Professor von Jena, wo er sich nach einer Wohnung umgethan hatte, nach Rudolstadt. Aber es waren nur kurze flüchtige Stunden, und ihr Werth wurde erst empfunden, als sie vorüber waren. Dennoch waren sie „weit mehr als viele Briefe“. „Es war mir,“ schreibt Lottchen, „in manchen Momenten Ihres Hierseins, als wären Sie gar nicht von uns gewesen. Der ganze lange traurige Winter war aus meinem Gedächtnisse verlöscht:“ „Ich fühle jetzt erst,“ erklärt Caroline, „ganz die wohlthätigen Einflüsse Ihres Hierseins. Der Gedanke an unser kurzes Zusammenbleiben hielt meine Seele gebunden, und ich empfand die Freude Ihres Umganges nicht ungemischt. Ich hoffe, das Schicksal will mir aus diesem Wiederfinden und Wiederscheiden eine freundliche Gewohnheit machen und ich soll das Erstere künftig mit freiem Sinne genießen.“ Dieselbe Klage tönt auch in der Seele Schiller’s weiter. „Warum trennt uns das Schicksal? Ich bin gewiß, wie ich es von wenigen Dingen bin, daß wir einander das Leben recht schön und heiter machen könnten, daß nichts von alle dem, was die gesellige Freude so oft stört, die unserige stören würde.“ Mit der vergegenwärtigenden Phantasie des Dichters malt er sich die Situation dieses gemeinsamen Zusammenlebens aus. Wie schön beschlösse sich der Tag, wenn er nach seiner Werklast zu ihnen flüchten und in ihrem Kreise den bessern Theil seines eigenen Wesens aufschließen und genießen könnte! „Alle neuen Ideen, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)