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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Gegen diese halbe Ausweisungsordre ließ sich nicht opponiren; ich gab die Versicherung, daß ich am andern Morgen nach Antivari abreisen würde.

Durch Vermittelung des jungen Papanico war ausgemacht worden, daß der kaiserliche Postillon, der die Post zwischen Scutari und Antivari reitet, mir ein gutes Pferd besorgen und mich mitnehmen solle. Pünktlich um fünf Uhr früh war der junge, wirklich schöne Mann vor meiner Thür. Auf der einen Seite seines kräftigen Packpferdes hingen die Poststücke; auf der anderen befestigte er meinen Koffer, dann schwang er sich selbst hinauf. Ich bestieg einen schönen breitbrüstigen Schimmel mit bequemem türkischem Sattel und verließ Scutari, froh der summarischen Paschajustiz entgehen zu können. Von Scutari nach Antivari bestand früher einmal ein gepflasterter Reitweg. Um denselben in irgend einem Kriege unwegsam zu machen, hat man das Pflaster in Unterbrechungen von etwa je einer Büchsenschußweite aufgerissen. Da du ersten vier Wegestunden meistens in der Ebene fortlaufen, und zwar über Moorboden, der durch die häufigen Gewitterregen tief aufgeweicht war, so hatten sich in den pflasterlosen Stellen wirkliche Sümpfe gebildet, deren festere Durchgänge man genau kennen mußte, um nicht mit dem Gaul stecken zu bleiben. Ich ritt deshalb dicht hinter dem Postillon und folgte dessen Fährte auf das Genaueste. Wie anstrengend aber ein Ritt von vier Stunden ist, auf dem man seine Aufmerksamkeit nie vom Pferde und vom Wege abwenden darf, weiß nur der, welcher schon einmal solche Höllenwege gemacht hat. Endlich bekamen wir festes Land unter die Hufe, und dann ging es aufwärts über den Gebirgsrücken, der sich zwischen Scutari und Antivari bis an’s Meer hinzieht. Das waren wieder montenegrinische Reminiscenzen, aber es war immerhin besser als der scheußliche Sumpfritt. Um elf Uhr machten wir Mittag bei einem einzelnen Hause hoch oben im Gebirge, wo sich gutes Wasser vorfand. In meinen Satteltaschen war Wein und Fleisch aus der Küche Papanico’s genug vorhanden, aber mein Postillon, mit dem ich übrigens kein Wort reden konnte, aß rasch und trank wenig. Als ich eben, lang hingestreckt, eine Cigarre rauchen wollte, führte er schon wieder die knappgefütterten Pferde vor. Da half keine Widerrede in Zeichen und Geberden; er zog die Uhr heraus und schüttelte ernst den Kopf. Also vorwärts!

Ich glaube nicht, daß ich während meiner Touren durch die Czernagora und Türkei irgendwo einer persönlichen Gefahr durch Menschen ausgesetzt gewesen, wäre es auch wohl ohne Reisebegleitung nicht, dort aber, scheint mir, ziemlich oben auf dem Gebirgskamme Albaniens, hätte sich doch der Fall ereignen können.

Der Postillon war ungefähr hundert Schritte voraus, als er auf einmal sein Pferd anhielt. Als ich mich ihm näherte, sah ich acht oder neun wild aussehende Burschen in zerfetzter Landestracht, alle mit langen türkischen Flinten, Pistolen und Messern bewaffnet, auf dem Boden lagern und uns, leise sprechend, aufmerksam betrachten. Nachdem ich beim Postillon angelangt, der mich ruhig erwartete, ritt dieser ohne irgend ein Wort oder Zeichen im Schritt weiter, und ich folgte ihm, an der Gruppe vorbei, die uns lautlos anstarrte. Er würdigte sie keines Grußes und keines Blickes. Endlich ging es bergunter, und das ewige Meer blitzte mir grüßend entgegen. Mir war zu Muthe, als wäre ich einem Gefängniß entflohen. Vor mir breitete sich wieder das Leben aus mit den Freuden und Genüssen der Civilisation.

Da der Abstieg steil und schwierig, so waren wir abgestiegen und folgten den Pferden, die mühsam und vorsichtig zwischen den Felsen hinunter kletterten. Nie hat mir bei dieser heißen Arbeit ein Wasser so gut geschmeckt, wie der kalte Quell aus dem schönen gewölbten Laufbrunnen auf der Hälfte des Weges. Der Cultus des Wassers ist das Schönste, was ich in der Türkei entdeckt; auch Scutari besitzt vorzügliches Trinkwasser.

Am Fuße des Berges angekommen, stiegen wir in den Sattel und ritten meistens in kurzem Trab durch die etwa stundenweite Ebene, die Antivari vom Meere trennt. Die Stadt und Festung liegt auf einem niedrigen Vorberge der gewaltigen Gebirgskette. Sie blieb uns zur rechten Hand, denn wir eilten direct auf die Riva zu. Ein eigentlicher Weg war es nicht, dem wir folgten. Wir ritten zwischen Hecken, auf Fußpfaden, über Oedland, über kleinere Bäche, stets durch eine blühende Wildniß von Tamarisken, Granatbäumen, Berberitzen, Waldreben, Bryonien und verstrickenden Brombeerstauden, bis wir gegen vier Uhr Nachmittags, also nach elfstündigem Ritt, an dem Hafen Antivaris ankamen. Vier Häuser sind an dem Strande gebaut: das Zollhaus, ein Wirthshaus, ein Gebäude mit der Agentur des österreichischen Lloyd und ein Contumazgebäude.

Mein Postillon brachte mich nach abermaliger Koffervisitation in’s Wirthshaus. Ich verlangte ein Zimmer, das mir auch bereitwilligst zugesagt wurde, ließ meine Effecten hineintragen und folgte, um mich umzukleiden, da ich vor Hitze keinen trockenen Faden am Leibe hatte. Der erste Stock hatte geräumige Zimmer, stand aber ganz leer; im zweiten wurde mein Zimmer aufgeschlossen, dessen ganzes Meublement in einer Strohmatte am Boden mit darübergelegter zerrissener Matratze und einem hölzernen Stuhl bestand. Ich war zwar nicht verwöhnt, verlangte aber wenigstens einen Tisch, und vor Allem Waschwasser. Ersterer hatte nur drei Beine, wurde aber so fest an die Wand gestellt, daß das vierte entbehrlich erschien; letzteres befand sich in einer Zinnschüssel, in welcher mir an demselben Abend auch der Salat servirt wurde. Von einem Fenster, mit der Aussicht auf das Meer, fehlte ein ganzer Flügel, dafür war aber der innere Fensterladen zugemacht und, damit ihn der Wind nicht aufreißen könne, mit einem schweren Steine zugedrückt worden. Der Wirth, ein Italiener, erzählte, daß dies ein dem Staate zugehöriges Haus sei, für das er jährlich fünfhundert Gulden Miethe bezahlen und dabei noch die Unkosten der Einrichtung (!!) tragen müsse.

Ich hatte mir das Abendessen, das der Wirth selbst gekocht und das aus gedünstetem Lammfleisch mit hinein geschnittenen und gekochten Gurken bestand, auf’s Zimmer bringen lassen. Ich erinnere mich nur dunkel, daß mir dieses fremdartige Gericht ziemlich gut schmeckte, dann breitete ich meine Reisedecke über die zerrissene Matratze, entkleidete mich nur nothdürftig und war bei offenem Fenster und dem Brausen der Wellen bald so fest eingeschlafen, wie es die Anstrengung eines elfstündigen Rittes zur nothwendigen Folge hatte. Mir war es wohl einmal, als wenn sich mehrere Mäuse oder Ratten um die Ueberbleibsel meines Mahles zankten und als wenn das hüpfende und schleichende Ungeziefer meinen Körper sehr martere, aber die Ermüdung behielt die Oberhand, und ich kam nicht zum vollen Bewußtsein.

Am andern Morgen ankerte ein türkisches Dampfschiff im Hafen. Es hatte ein Bataillon Soldaten an Bord, die nach der Festung Antivari bestimmt waren.

Der Hafen von Antivari ist ein Naturhafen, aber so seicht, daß tiefer gehende Schiffe in der Mitte desselben ankern und ihre Ladung mittelst flach gehender kleiner Boote an’s Ufer bringen müssen. So ging es auch mit den Soldaten. Mehr als acht bis zehn Mann faßten die Boote nicht, und man kann sich denken, wie viel Zeit die Ausschiffung von achthundert bis tausend Mann nebst Train in Anspruch nahm. Von meinem Fenster aus konnte ich das ganze kriegerische Schauspiel leicht und bequem übersehen.

Der Wirth selbst hatte mich gebeten, oben zu bleiben, da ich als Fremder bei den fanatisirten Truppen leicht Unannehmlichkeiten haben könne, außerdem ein Polizeibeamter unten sei, der telegraphisch von Scutari die Weisung erhalten habe, mich zwar nicht zu belästigen, aber sofort zu telegraphiren, ob ich mit dem nächsten Lloyddampfer abgereist sei oder nicht. Dieser Lloyddampfer sollte erst am folgenden Morgen kommen.

Gegen ein Uhr Mittags war die Ausschiffung beendet. Ueberall am Ufer wimmelte es von türkischen Truppen. Untersetzte Gestalten mit dunkelbraunen Gesichtern, gut gekleidet, mit Hinterladern bewaffnet und erträglich einexercirt. Die Einen wuschen ihre Leibwäsche in einem Bache, der hier in’s Meer fällt. Die Anderen aßen mit untergelegten Beinen oder weichten ihren steinharten Schiffszwieback in demselben Wasser auf; wieder Andere schliefen langausgestreckt im Schatten der wenigen dort befindlichen Maulbeerbäume. Ganze Gruppen waren rauchend um einen Erzähler gelagert; die Officiere hatten ein Zelt aufschlagen lassen, unter welchem sie sich erfrischten – allüberall an der Riva herrschte ein farbenreiches, kriegerisches Leben. Gegen drei Uhr ertönten die barbarischen, mir fremdartigen Klänge einer türkischen Musik, und von Antivari her kam ein Theil der Besatzung, um die Cameraden zu begrüßen und abzuholen. Der Abmarsch erfolgte endlich um vier Uhr, aber noch lange bemühte sich die frische Seeluft vergebens, den Geruch von Knoblauch und Zwiebeln zu verscheuchen, der Wirthshaus und Meeresufer verpestete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_641.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)