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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Indianeragenten der Regierung im Großen und Ganzen weit eher dazu beigetragen, die Indianer mit den Weißen zu verfeinden und in ihnen das Gefühl erlittenen Unrechts zu erhalten und zu stärken, als sie dem Leben der Weißen näher zu bringen.

Es ist ja drüben bekannt, daß diese Indianeragenten vielfach ihre Stellung nur dazu benutzen, um ihren persönlichen Vortheil auf mannigfache Weise zu fördern, wie das ja in officiellen Kreisen der transatlantischen Republik wenigstens neuerdings mehr oder weniger üblich geworden ist. Wenn man, wie ich, in der kurzen Zeit von dreiundeinhalb Monaten das unermeßliche Gebiet der großen Republik von den Gestaden des atlantischen Oceans bis zu der Felsenküste des stillen Meeres auf flüchtiger Eisenbahnfahrt durchreist, hat man natürlich nur selten Gelegenheit, einen kurzen Blick in jene untergehende indianische Welt zu thun. Längst schon haben sich die noch vorhandenen Reste der Indianerstämme in die abgelegensten, durch Schienenstraßen dem Verkehre noch nicht erschlossenen Theile der westlichen Territorien zurückgezogen, und dahin zu dringen erfordert, abgesehen von allen sonstigen damit verbundenen Mühen und Strapazen, Zeit, viel Zeit. Dennoch wollte es der Zufall, daß ich Indianer auf verschiedenen Stufen ihrer socialen Umgestaltung, beziehentlich ihres Verfalls, kennen lernte.

An der Shinnecockbai, einer Bucht der langgestreckten Insel Longisland, sah ich die Shinnecock-Indianer; freilich entsprachen sie keineswegs der Vorstellung des eben erst aus Europa Gekommenen. Dieser Rest der einstigen Indianerbevölkerung der Insel hat sich allerdings ausnahmsweise, wie man das so nennt, civilisirt, das heißt er raubt und mordet nicht mehr, sitzt fest an einer Stelle und betreibt ein ehrliches Gewerbe. Sie helfen den Markt New-Yorks mit Muscheln und Fischen versorgen. Statt in Wigwams wohnen sie wie ihre weißen Nachbarn in Holzhäusern, deren innere Einrichtung sich in keiner Weise von der üblichen unterscheidet, ja es fehlt sogar der unentbehrliche Teppich, welchen drüben auch der Aermste nicht gern vermißt, nicht, wenn er auch in etwas mangelhaftem Zustande ist.

Der Mann, welcher uns im Boote auf die Bai hinausfuhr, zeichnete sich nur durch etwas dunklere Hautfärbung noch vor einem weißen Manne aus; er sprach sein Englisch so gut wie jeder Yankee und erzählte uns, daß er von seiner Jugend her nur noch ein paar indianische Worte, z. B. „Guten Tag“, im Gedächtniß habe. Der Mann sprach sehr verständig und berichtete uns unter Anderm, daß er lange Jahre auf einem amerikanischen Südseewalfänger gedient, und so ein gutes Stück Welt gesehen habe. In dem Häuschen sahen wir noch ein altes Weib, das im straffen, schwarzen Haar und in den Gesichtszügen einiges indianisches Gepräge verrieth.

Ein zweites Mal traf ich Indianer an der Pacific-Eisenbahn, in Elks, einer kleinen Station der Central-Pacific-Eisenbahn jenseits Ogden, doch hatte ich bei dem flüchtigen Aufenthalte, welchen der Zug hier nur nahm, kaum Zeit, den Mann mit dem rothbemalten Gesichte und dem glänzend schwarzen, steif herabstehenden Haar, der im Uebrigen gewöhnliche Kleidung hatte und, wie man mir sagte, den Holzhandel betrieb, mir näher anzusehen, ebensowenig eine Squaw, welche sich zur Mitfahrt meldete, und die einen Platz im Packwagen erhielt. Anders schon auf der Station Carlin, Nevada, wo das Frühstück einen Aufenthalt von zwanzig Minuten veranlaßte. Hier meldeten sich bei den Passagieren des Zugs ein Paar indianische Weiber und bettelten. Zwischen ihnen und einem Grizzly-Bär, welcher hier in einem Käfig gleichsam als Dessert den Gästen des Wirths zur Schau gestellt wurde, theilte sich die Aufmerksamkeit meiner Mitreisenden. Für diejenigen, welche öfter diese Route nehmen, hatte jenes prächtige, wohl ausgewachsene Exemplar des californischen grauen Bären mehr Interesse. Ich sah mir die Weiber an. Sie waren in der That bettlerhaft gekleidet. Ein alter zerlumpter Rock, mit einer ebenso herabgekommenen Jacke, beides zusammengehalten mit einem schmutzigen Gürtel, bildeten die Hauptbestandtheile der Gewandung der Alten wie der Jungen. Zwei etwas jüngere Weiber hatten ihre Säuglinge in der Weise auf den Rücken gebunden, daß der arme Wurm, der aus seinem kleinen braunen Gesicht mit prächtigen großen Augen in die Welt hinausschaute, mittelst einer Art kleinen Plättbrets und einem Band festgehalten wurde.

Eine alte Squaw war von abschreckender Häßlichkeit. Die kleinen Geldstücke, welche ihnen die Passagiere halb spöttisch, halb mitleidig zuwarfen, nahmen sie begierig auf. Die ganze Scene machte einen widerwärtigen trüben Eindruck.

Die charakteristischste Begegnung mit Indianern war mir jedoch für St. Louis vorbehalten. Dort lernte ich einen deutschen Arzt, Herrn Doctor K. kennen, welcher die Güte hatte, mich bei zwei der berühmtesten oder berüchtigtsten – wie man will – Kiowa-Häuptlinge, den Herren Satanta und Big-tree, einzuführen. Freilich konnten sie mich nicht in ihrem Wigwam empfangen und mir die Friedenspfeife anbieten, denn – sie saßen einfach als Räuber und Mörder im Gefängniß. Herr Dr. K. hatte als Arzt dort freien Zutritt. Aus der hohen glasbedeckten Halle dieses palastartig erbauten Gefängnisses traten wir in eine der Zellen, welche im Halbkreis um die Halle gelegen sind. Der kleine Raum war nur schwach durch ein schmales, stark vergittertes Fenster erhellt. Doch vermochten wir, da die Thür geöffnet blieb, die beiden Insassen deutlich zu erkennen. Satanta (weißer Bär), der große Häuptling der Kiowas, lag auf der Pritsche ausgestreckt und erhob sich bei unserem Eintritte, während Big-tree (starker Baum) melancholisch auf einem Schemel zur Seite saß. Letzterer war von untersetzter Statur und in seinen groben Gesichtszügen konnte ich nichts Bösartiges finden; sie zeigten stumpfe Gleichgültigkeit.

Die beiden Kerle machten in der That den Eindruck, welchen gefangene Raubvögel in einem zoologischen Garten auf den Besucher üben. Satanta war ein Hüne von Gestalt, mit großen Gesichtszügen, die nichts weniger als Vertrauen erweckten. Von Wildheit und Kraft sprachen sie noch immer, obgleich der Mann schon dem Greisenalter sich zu nähern schien. Er hatte sich an den Gittern des Fensters eine Kopfwunde geholt und schien niedergedrückt. Die Kerle, welche Dr. K. mit etwas Tabak hoch erfreute, waren bereits zum Tode verurtheilt gewesen und zwar, wie wir hören werden, mit vollem Recht; sie erwarteten indessen volle Begnadigung von ihrem „weißen Vater“. Die Ursache, weshalb die Burschen hier hinter Schloß und Riegel saßen, war folgende:

Eines schönen Tages war dem Stamme der Kiowas durch Kundschafter die Nachricht geworden, daß einer der großen Wagenzüge, welche von Zeit zu Zeit den am weitesten westlich in Texas und gegen die mexicanischen Grenzen vorgeschobenen Ansiedelungen ihre Bedürfnisse zuführten, unterwegs sei. Er war bereits eine große Strecke über Fort Griffin hinaus, und es trug sich nun eine jener grauenhaften Scenen zu, welche sich, wenn auch nicht in gleichem Umfange, in diesem Jahre leider wiederholt haben. Der Zug wurde von einer Schaar Kiowas, die unter der Führung von Big-tree und Satanta standen, überfallen. Sämmtliche Weiße des Wagenzugs wurden niedergemacht und scalpirt und alle Vorräthe des Zugs geraubt. Es gelang, die beiden Häuptlinge später gefangen zu nehmen, und von einem texanischen Schwurgericht wurden sie sodann zum Tode durch den Strang verurtheilt. Später kamen sie nach St. Louis, da die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängniß verwandelt wurde.

Ein Jahr nach meinem Aufenthalt in St. Louis – im October 1873 – wurden sie wieder freigelassen, unter dem von ihnen geforderten und gegebenen Versprechen, fernere Raubzüge im texanischen Gebiete seitens ihres Stammes zu verhindern. Die Vorfälle bei den westlichen Ansiedelungen in diesem Sommer und Herbst zeigen, wie wenig dieses Versprechen gehalten worden ist. Raub, Plünderung und Todtschlag sind vielfach wieder seitens der Indianer vorgekommen, und im October ist es dem General Hill mit seiner Cavallerie gelungen, die beiden Burschen Satanta und Big-tree, sammt einer großen Schaar von Comanches und Kiowas, wieder gefangen zu nehmen. Der Berichterstatter des „New-York Herald“ fügt dieser seiner Meldung mit vollem Recht die Bemerkung hinzu: „Hoffentlich läßt man die beiden Burschen diesmal nicht wieder aus falscher, weichlicher Friedenspolitik laufen, sondern bestraft sie ernstlich.“

In Denver, einer am Fuße der imposanten Felsengebirgskette gelegenen Stadt, welche ihr Emporblühen dem Minenbetriebe des Gebirges und dem Productenhandel des triftenreichen Territoriums Colorado verdankt, sah ich dann noch einen Häuptling vom Stamme der Ute beim Gouverneur. Es war ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_756.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)