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Seite:Die Gartenlaube (1873) 540.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

von der Aufgabe ablenken; hinsichtlich der letzteren aber muß bemerkt werden, daß die Sorge um Eier und Brut keineswegs immer einzig und allein der Mutter zufällt, vielmehr sehr regelmäßig auch den Vater in Mitleidenschaft zieht, ausnahmsweise sogar nur von ihm übernommen wird. Der strengen Geschlossenheit und Innigkeit der Vogelehe entspricht die Thätigkeit des Vaters bei Erbrütung und Erziehung der Jungen. Es gilt als Ausnahme, wenn er weder am Nestbau noch an der Bebrütung der Eier, weder an der Atzung noch an der Führung und Leitung seiner Sprößlinge theilnimmt; in der Regel hilft er brüten und atzen, oder aber füttert er die Gattin, während sie über den Eiern sitzt, und macht er sich später als Ernährer der Jungen ebenso wie die Mutter verdient. Wer das Brutgeschäft unserer gewöhnlichsten Hausvögel der Beachtung werth gefunden hat, ist mit Regel und Ausnahme bekannt geworden. Der Tauber hilft, so wenig auch seine Gatten- und Vatertreue gerühmt werden kann, brüten und die Jungen atzen; die Henne erbrütet, führt, leitet und erzieht die Küchlein ohne jegliche Hülfe des Hahnes; die Ente brütet allein und erfreut sich erst, nachdem die Jungen ziemlich erwachsen sind, wiederum der Gesellschaft des Gatten; die Gans endlich hat in Letzterem den treuesten Wächter, Führer und Beschützer. Erwähne ich nach Diesem noch, daß einzelne Vogelarten, wie beispielsweise die Kukuke, ihre Eier fremder Pflege, andere diese einfach der Wärme verfaulender Pflanzenstoffe anvertrauen, so habe ich im Großen und Ganzen die hauptsächlichsten Regeln und Abweichungen der Brutpflege der Vögel wenigstens angedeutet.

Je nach Beschaffenheit des Nestes darf man von einer Kinderwiege oder auch wohl einem Kinderzimmer der Vögel sprechen; denn das leichte, an einem schwankenden Zweige befestigte Nest läßt sich mit einer schaukelnden Wiege, die von so vielen Arten benutzte Höhlung mit einem Zimmer vergleichen. Eine Wochenstube aber, wie ich sie im Nachstehenden zu schildern versuchen werde, gehört zu den absonderlichsten Ausnahmen. Selbst diejenigen Vögel, welche in tiefen Höhlungen verschiedenster Art ihr Nest anlegen und brüten, können Höhlung und Nest nach Belieben verlassen und dahin zurückkehren, ohne durch ihr Brutgeschäft behindert zu sein, thun dies auch regelmäßig, sei es um Nahrung zu sich zu nehmen oder um sich zu entleeren und zu reinigen. Ein und das andere Männchen treibt das Weibchen zum Neste und ruft es, wenn die Vaterpflicht von ihm erfüllt werden muß, ungeduldig, weil nach Freiheit verlangend, herbei; kein einziges aber verfährt, soweit bis jetzt bekannt, wie der männliche Nashornvogel, welcher seine Gattin, selbstverständlich unter deren Zustimmung und Mithülfe, zwingen soll, die Wochen in des Wortes vollster Bedeutung in einem geschlossenen Raume zu verbringen. Als die ersten Berichte über das Brutgeschäft der Nashornvögel zu uns gelangten, war der eine oder andere Naturforscher geneigt, sie für eine urtheilslose Wiedergabe von Märchen der Eingeborenen zu halten; heutzutage zweifelt nur Derjenige an der Thatsächlichkeit dieser Vogelwochenstuben, welcher das einschlägliche Schriftthum nicht kennt. Alle Mittheilungen glaubwürdiger Beobachter über das Brutgeschäft der Nashornvögel stimmen im Wesentlichen überein, gleichviel ob sie aus Süd-Asien oder Mittel-Afrika stammen, ob sie auf diese oder jene Art der Vögel sich beziehen.

Die Nashornvögel, eine über Süd-Asien oder Indien und die Nachbarländer, die Sunda-Inseln, Philippinen, Neu-Guinea und verschiedene Nachbareilande, sowie über Mittel-Afrika verbreitete Gruppe, bilden eine besondere Familie und kennzeichnen sich vornehmlich durch den außerordentlich großen, bei einigen Arten durch sonderbare Auswüchse verzierten Schnabel, die niedrigen Füße, gerundeten Flügel, den zehnfederigen Schwanz und andere mehr untergeordnete Merkmale. Der von Mützel’s Meisterhand nach dem Leben gezeichnete Homrai (Buceros bicornis), welcher Indien, die malaiische Halbinsel und Sumatra bewohnt, darf als Urbild der reichhaltigen Familie angesehen werden, weil er mit der größeren Anzahl seiner Verwandten im Wesentlichen übereinstimmt, überhebt mich also auch einer eingehenden Beschreibung von Aeußerlichkeiten, um welche es hier überhaupt nicht sich handelt. Hinsichtlich ihrer Lebensweise mag bemerkt sein, daß die Nashornvögel Waldungen bewohnen und theils von Baumfrüchten und Samen, theils von verschiedenem Kleingethier sich nähren, meist paarweise oder höchstens in kleinen Trupps zusammen gefunden werden, nur ausnahmsweise zum Boden herabkommen, im Gezweige dagegen mit mächtigen und sicheren Sprüngen geschickt sich bewegen, auch trotz der verhältnißmäßig kurzen Fittige vortrefflich, obschon in tiefen Wellenlinien, manchmal unter sausendem Geräusch ihres Weges dahinfliegen. Die Aufmerksamkeit des achtsamen Reisenden oder Forschers wissen sie unter allen Umständen auf sich zu lenken. Ihr Auftreten ist stets ein eigenthümliches, ihr Gebahren auch außer der Brutzeit ein auffallendes. Kein Wunder daher, daß die Einbildungskraft der Eingeborenen vielfach mit ihnen sich beschäftigt, daß man sie hier und da heilig spricht und Geschichten über sie in Umlauf setzt, welche theilweise noch keine Bestätigung gefunden haben.

Im Urwalde spielen sie eine hervorragende Rolle, und zwar nicht allein wegen ihrer in das Auge fallenden Größe, der ungewöhnlichen Stellungen, welche sie im Sitzen annehmen, oder des von dem anderer Vögel merklich abweichenden Flugbildes, sondern auch wegen eigenthümlicher Stimmlaute, welche zumal vor und während der Paarungszeit vernehmbar werden und durch absonderliche Geberden eine ausdrucksvolle Begleitung erhalten. So setzt sich das liebeglühende Männchen des Tok, eines von mir vielfach beobachteten afrikanischen Nashornvogels, auf die Spitze eines Hochbaumes, ruft seinen Namen schallend durch den Wald und begleitet den Laut mit dem Neigen seines verhältnißmäßig kleinen, des gewichtigen Schnabels halber jedoch groß erscheinenden Kopfes. Der Ruf wird anfangs langsam, später immer schneller und zuletzt so schnell wiederholt, daß der jedesmal nickende Kopf schließlich kaum folgen kann. Andere Arten brüllen wie zornige Schweine; andere wiederum unterhalten sich viertelstundenlang durch ein dumpfes „Bu“; andere endlich kreischen und krächzen abscheulich. Diesen auf Beobachtungen gegründeten Mittheilungen gegenüber, erscheint eine Angabe Layard’s, daß eine Art einen klangreichen Gesang zum Besten gäbe, vollkommen unglaublich: aus solchem Schnabel kommen sicherlich nicht melodische Töne.

In der Gefangenschaft sind die Nashornvögel weit weniger anziehend als in der Freiheit. Der größte Käfig erscheint zu klein für sie. Von ihren Fittigen können sie keinen Gebrauch machen, und ihre weiten Sprünge von einer Sitzstange zur andern werden schließlich langweilig. Um andere Vögel bekümmern sie sich nicht, mindestens nicht im guten Sinne. Wahrscheinlich darf man keinem einzigen von ihnen trauen; denn selbst diejenigen Arten, welche vorwiegend Pflanzenfresser sind, bekunden zuweilen Mordgelüste, und einzelne größere Arten sind Raubmörder, vor denen kein kleiner Vogel sicher ist. Zur Fortpflanzung hat sich bis jetzt noch keine einzige Art von denen, welche man gefangen hielt, bequemen wollen, und somit fehlt es uns bis jetzt noch immer an umfassender Kenntniß des Brutgeschäftes. Doch wissen wir einstweilen genug, um die oben gegebene Behauptung aussprechen, das heißt sagen zu können, daß sie hierin von allen übrigen Classenverwandten sich unterscheiden.

Jene Töne oder Laute sind der Paarungsruf unserer Vögel, vergleichbar dem wonnigen Schlage der Nachtigall oder der Balze des Huhns. Durch sie drückt der Gatte alle Gefühle der Zärtlichkeit aus, welche in seinem Herzen wach werden, und sie klingen der Gattin unzweifelhaft ebenso beglückend in die Seele, wie dem Weibchen des Singvogels die köstlichen Lieder des Männchens. Ob sonst noch Spiele der Liebe, wie sie bei so vielen Vögeln beobachtet werden, das ohnehin nicht spröde Herz der geliebten Hälfte bestürmen und rühren, wissen wir nicht; denn die Beobachtung der meist scheuen und vorsichtigen Geschöpfe ist nicht immer leicht und einfach. Unruhiger als sonst geberden sie sich vor der Paarung jedenfalls. Zunächst haben sie dafür zu sorgen, eine passende Baumhöhlung, welche zur Wochenstube dienen soll, im Walde aufzufinden. Jedes Paar bewohnt ein verhältnißmäßig sehr ausgedehntes Gebiet; aber auch in einem solchen giebt es nicht viele Bäume, welche Höhlungen von einem Fuß Durchmesser und darüber aufzuweisen haben. In den meisten Fällen muß nachgearbeitet werden. So ungefüge der mächtige Schnabel aussieht und so gebrechlich er zu sein scheint, zum Abspleißen beträchtlicher Spähne vermag er zu dienen. Ein gefangener Nashornvogel, welchen Bernstein auf Java pflegte, hackte selbst in seinen aus gespaltenem Bambus verfertigten Behälter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_540.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)