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Seite:Die Gartenlaube (1871) 617.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Grundstück erwerben, das Haus hier bauen und den Garten schaffen konnte, deretwegen mich wohl schon mancher Wanderer, der dort die Straße in’s Hochgebirge hinaufgezogen ist, im Stillen als einen Liebling der Götter gepriesen haben mag. Dem Himmel sei Dank! das Schwerste liegt jetzt hinter mir, die geschäftslosen Zeiten von 1866 und des letzten Sommers sind glücklich überwunden, die Aufträge gehen nun zahlreicher ein, als ich selbst es hoffen konnte, – eine Noth aber bereitet mir noch immer viele Mühe und Sorge: ich kann nicht Arbeiter genug erlangen, denn die Bevölkerung unserer Gebirgsdörfer ist nur sehr schwer zur Fabrikbeschäftigung zu vermögen.“

„Wie!“ versetzte ich erstaunt, „und doch sehen die Leute, denen man hier herum begegnet, Groß und Klein, so ärmlich aus? Auch ihre Holzhütten zeugen nicht eben von absonderlichem Wohlstand.“

„Glauben Sie ja nicht, daß die Menschen in unseren Bergen äußerlich übel daran sind,“ belehrte Herr Herzig mich und meinen Gefährten. „Im Gegentheil, es ergeht ihnen im Allgemeinen weit besser, als den Landleuten draußen in der Ebene; wirkliche Arme, welche auf die öffentliche Mildthätigkeit angewiesen sind, haben wir so gut wie gar nicht. Unser Wald ist ein unschätzbarer Nährvater, der keinen seiner Anwohner verkümmern läßt. Jedermann lebt bei uns mehr oder weniger vom Holze und – vom Holzdiebstahle, und in fast allen den Häusern, an denen Sie vorübergekommen sind, blüht eine größere oder kleinere Holzindustrie. Die Leute verschnitzeln und verdrechseln das dergestalt billig erworbene Material auf eigene Faust und hausiren mit den Producten ihrer Kunst für eigene Rechnung im Lande umher. Warum sollen sie sich mithin in fremde Dienstbarkeit begeben? Unsere Wälder halten für ihre Industrie noch lange genug vor und verbürgen auch den nächsten Geschlechtern noch des Leibes Nahrung und Nothdurft. Für mich wird dieser Zustand der Dinge jedoch zum bösen Stein des Anstoßes. Einmal mindert er mir die Arbeitskräfte, und sodann schafft er mir beinahe in jedem Hause einen Concurrenten, welcher, begreiflicher Weise, mein größeres Etablissement mit scheelen Augen ansieht, meine feineren und besseren Waaren ungeschickt und plump nachahmt und damit den Artikel selbst discreditirt. Aber betrachten Sie sich jetzt zunächst, was ich fabricire, ehe ich Sie in die einzelnen Werkstätten geleite, wo dies geschieht,“ setzte er hinzu, indem er die Thür öffnete, die aus dem Comptoir in das Musterlager führte. „Erst nachdem Sie einen Einblick gethan haben in das Durcheinander meiner schier zahllosen Waarengattungen, werden Sie an den Herstellungsweisen derselben, welche übrigens durchgängig sehr einfacher Natur sind, genügendes Interesse nehmen. Wie Sie bemerken, sind es lediglich Kleinigkeiten, in denen ich mich bewege; allein schließlich setzen diese Kleinigkeiten doch ein ziemlich großes Ganze zusammen. Dabei berücksichtigen Sie wohl, daß ich fortwährend darauf bedacht sein muß, Neues in die Welt zu bringen, sowohl ganz neue Gegenstände und Gruppen, als namentlich neue Formen und Figuren schon bekannter und beliebter Artikel, und selbstverständlich ist dies beständige Spintisiren und Erfinden nicht die leichteste Seite meiner Geschäftsthätigkeit.“

Fürwahr, ein Durcheinander war es, was das uns aufgethane Zimmer beherbergte, wenn bei der scrupulösen Ordnung, mit welcher die hunderterlei Sachen und Sächelchen auf Tischen und Regalen ausgebreitet und aufgeschichtet lagen und von den Wänden herabhingen, jene Bezeichnung am Platze ist. Fangen wir aber bei ihrer Aufzählung, wie sich gebührt, mit dem Nützlichen an, so fällt uns sofort die Menge von Küchengeräthen, Wirthschaftsapparaten, Haushaltungsbehältern, viele davon uns noch völlig fremde Erscheinungen, in’s Auge! Von dem simplen Bratenstabe und der beweglichen oder unbeweglichen Bratenleiter bis zu dem feinpolirten eleganten Gewürzspinde, welche unendliche Mannigfaltigkeit von Utensilien und Gestalten! Dort die nette Vorrichtung, welche auf den ersten Blick einer Kaffeemühle ähnelt, ist Herzig’s eigene, neue Erfindung. Das aus festem weißen Holze überaus sauber gearbeitete kleine Instrument, das mittels einer Schraubenzwinge an jeder Tischplatte befestigt werden kann, hat eine gar appetitliche Bestimmung. Es umschließt in seinem hohlen Cylinder ein ebenfalls cylinderförmiges Reibeisen, mit dem die durch einen Seitencanal eingeschütteten und durch einen schließenden Stempel festgedrückten Mandelkerne pulverisirt werden, um dann in einem unten angebrachten Kasten als süßer oder bitterer Staub hinabzufallen. Welche kuchenbackende oder puddingbereitende Hausfrau möchte sich nicht ein solches schmuckes Geräth in ihre Küche wünschen!

Wie allerliebst nehmen sich ferner die aus leuchtendem Ahorn gefertigten Brodhobel aus, die uns die dünnsten aller dünnen sächsischen Butterbemmchen mit Blitzesschnelle auf den Teller zaubern! Wie lockend die mannigfaltigen Butterfomen als Lämmlein oder Hühnchen, als Fische oder Blumensträuße! Was für erfreuliche Perspectiven auf fröhliche Punschabende und Weihnachtsbowlen erwecken die vielerlei Citronenpressen von Buchen-, von Ahorn-, von Lindenholz, welche daneben von der Wand herabhängen! Wie heimeln uns die allerhand verschließ- und unverquellbaren Faßhähne an, für Achtel- wie für ganze Stückfässer edelsten Rheinweines construirt, die dort auf der Tafel ruhen, ihrem wonnesamen Gebrauch entgegenharrend! Wie verheißungsvoll und beefsteaklich präsentiren sich hier die reinlichen Fleischklopfer, runde, spitze, dreizackige, mit Eisenspitzen versehene, mit Porcellanhammer und so fort! Wie pikant und aromatisch dringt der Anblick der niedlichen Gewürzbüchsen und Gewürzkännchen auf uns ein mit den sorgsam aufgeschriebenen Namen der kostbaren Ingredienzen, die sie zu bergen berufen sind! Wie schmuck und niedlich erscheinen die vielerlei Serviettenringe mit ihren bunten Kränzen und wohlgemeinten Devisen! Und wo ist die deutsche Hausfrau, der nicht die neuen amerikanischen Patentwäschklammern mit Mechanik und Plattenverbindung die innigste Theilnahme abnöthigten! –

Von der Küche zur Apotheke ist leider oft nur ein einziger Schritt. Unmittelbar neben jener finden wir deshalb in unserm Magazine auch diese auf das Reichhaltigste bedacht; hat sich ihre Versorgung mit allen möglichen Gefäßen und Werkzeugen doch von jeher die Herzig’sche Fabrik zur speciellen Aufgabe gestellt. Da können wir nun wählen zwischen feingedrehten Medicamentenbüchsen mit und ohne lateinische Inschriften, polirten und unpolirten; zierlichen Zahnpulverdosen in braunem und rothem Holze, schwarz- oder weißlackirten, flachen und hohen, mit Staniol ausgeklebten etc.; zwischen hermetisch einpassenden Salbenkrukendeckeln, Reibekeulen und Rührscheiten, Alles aus bestem Buchen-, oder Ahornholze, oder winzigen Schachteln aus einfachem Holzspahne, von denen das ganze Schock fix und fertig nur anderthalben Silbergroschen kostet! Dieser so unscheinbare Artikel aber, der schier keinen Werth repräsentirt, bildet gerade einen der interessantesten Zweige des Etablissements, wie wir uns noch überzeugen werden.

Und nun die unerschöpfliche Fülle von kleinen Luxusgegenständen jedweder Gattung! Selbst eine bloße Aufzählung derselben fällt für unsere Skizze in das Bereich der Unmöglichkeit. Das Auge kann sich ja nicht satt schauen an dem dargebotenen Reichthum der Hunderte von Nützlich- und Unnützlichkeiten! Vor Allem aber müssen wir hier der hübschen Niedlichkeiten gedenken, auf welche die Riesengebirgsindustrie ihr ausschließliches Eigenthumsrecht geltend machen darf, der allbekannten gelbpolirten oder weißlackirten Kästchen, Becher, Körbchen, Garnwinden, Zwirnwickel, Leuchter, Lineale, Ellen, Zollstäbe, Nadelbüchsen, Handspiegel, Tabaksdosen, Zündholzschachteln und selbst Stiefelknechte neben einer endlosen Menge anderer Dinge, die uns in lithographischen Abbildungen Ansichten der verschiedenen schlesischen Heilquellen und der besuchtesten Punkte in den Sudeten darbieten, Gegenstände, wie man sie sich gern als Reiseandenken und Reisegeschenke mit in die Heimath nimmt. Man würde indessen gewaltig irren, wenn man glaubte, Schlesien und seine Gebirge seien es allein, welche die Motive zu dieser Vedutenlithographie lieferten. Auch die böhmischen und rheinischen Bäder, ja sogar England und Amerika leihen Vorwürfe dazu her – und alle diese ausländischen Bilder werden in Agnetendorf und im Riesengebirge überhaupt auf die daselbst fabricirten Sächelchen übertragen.

„In Karlsbad, in Baden-Baden, in Teplitz, in Ems, in London und New-York habe ich meine ständigen Kunden,“ erläuterte Herr Herzig auf meine desfällige Anfrage. „Nach allen diesen Orten und Ländern gehen meine Fabrikate und werden dort als inländische Producte verkauft. Wie mancher Curgast bringt den Seinigen aus Wiesbaden oder Marienbad ein bildergeschmücktes Döschen oder Körbchen mit nach Hause als Erinnerung an den Quell, der ihm Heilung gespendet, ohne zu ahnen, daß die erworbenen Souvenirs hier bei uns am Fuße der Schneekoppe gezimmert und geschnitzelt, gefirnißt und bebildert worden sind! Und sehen Sie sich die Gegenstände in dem Repositorium da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_617.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)