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Seite:Die Gartenlaube (1871) 328.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Dem Arzt war sie bei der raschen Bewegung seines Freundes entgangen. Er war ein jüngerer College Stephan’s, Privatdocent an der Universität in B., und durch den Krieg gleichfalls aus seiner Stellung gerissen. Er und Fernow hatten sich so obenhin gekannt, hatten, wie man zu sagen pflegt, auf dem Grüßfuße gestanden und hin und wieder ein paar flüchtige Worte gewechselt. Dabei war es geblieben, drei Jahre lang, das Kriegsleben hatte sie in wenig Stunden zu genauen Bekannten und in wenig Wochen zu Freunden gemacht.

Der immer froh gelaunte junge Doctor lachte laut auf über seine eigene komische Idee. „Ich wäre auch wirklich neugierig auf das ‚wie, wo und wann‘! Seit wir im Felde sind, bin ich Dir nicht von der Seite gewichen, und in B. hast Du ja kein weibliches Wesen auch nur angeschaut, weshalb Dich die schönere Hälfte der Stadt mit Fug und Recht in Acht und Bann erklärte!“

Fernow gab keine Antwort, er machte sich noch immer am Griff seines Degens zu thun.

„Uebrigens hat Doctor Stephan doch Recht behalten mit seiner Diagnose,“ fuhr Jener nach einer augenblicklichen Pause fort, „obgleich ich es ihm damals nicht glauben wollte, als er eigens noch einmal nach H. herüberkam, Dich mir auf Leib und Leben anzuempfehlen, da er hörte, ich sei Deiner Compagnie zuertheilt worden. Ich konnte mit gutem Gewissen versprechen, mein Bestes zu thun, denn ich war überzeugt, Du würdest mir als erster Patient in die Hände fallen. In den ersten acht Tagen hätte ich keinen Heller für Dein Leben gegeben, als aber nun die Märsche und Strapazen ihren Anfang nahmen, als unsere Leute in der heißen Augustsonne umfielen, wie die Fliegen, und Du immer noch Stand hieltest, als Du unter all den Anstrengungen und Entbehrungen, denen die Stärksten zeitweise erlagen, nur immer gesünder und kräftiger wurdest, da habe ich denn doch den Hut abgenommen vor dem Scharfblick meines alten Collegen. Walther, Du hast bei alledem eine der besten Naturen, eine wahre Prachtnatur, die nur erst einmal heraus mußte aus dem Stubensitzen und hervor hinter dem Schreibtisch, um sich entwickeln zu können, und für Deine Nerven haben wir jetzt auch das richtige, wenn auch etwas ungewöhnliche Mittel gefunden. Der Kanonendonner hat sie gründlich curirt! Das wird eine Verwunderung geben, wenn Du so nach B. zurückkommst.“

Wenn ich zurückkomme!“

Der Arzt machte eine ungeduldige Bewegung. „Immer und ewig diese Todesahnungen! Du hängst mit einer förmlichen Leidenschaft daran.“

„Weil ich’s fühle!“

„Unsinn! Ist einer kugelfest, so bist Du es! Nimm es mir nicht übel, Walther, aber wie Du in all’ den Schlachten vorgingst, das grenzte nahezu an Wahnsinn. Der Muth darf denn doch nicht zur Tollkühnheit werden, aber Du siehst und hörst nichts mehr, wenn die Aufregung Dich einmal fortreißt, darüber ist nur eine Stimme unter Deinen Cameraden.“

Um Fernow’s Lippen schwebte eine leise Bitterkeit. „Und doch ist nicht Einer unter ihnen, der mir früher auch nur den allergewöhnlichsten Muth zugetraut hätte.“

„Nein!“ sagte der Arzt ehrlich. „Aber aufrichtig gestanden, Du hattest anfangs auch wenig genug vom Helden an Dir. Du warst so ganz und gar nur der Mann der Feder, der, eben erst hinter seinen Büchern hervorgekommen, sich in die Welt draußen noch gar nicht finden konnte. Nun, das hat sich schnell genug verloren, ebenso wie der Irrthum Deiner Cameraden – nach der ersten Schlacht haben sie ’s Dir allesammt abgebeten.“

Fernow lächelte flüchtig und traurig. Die Augen allein waren sich gleich geblieben, es lag noch immer die alte Träumerei und die alte Melancholie darin.

Am Eingange des Parkes ließ sich ein Geräusch vernehmen, es stampfte etwas mit schwerem Tritt den Boden und eine hünenhafte Gestalt tauche hinter dem Gitterthore auf. Die Riesenfigur Friedrich’s nahm sich in der Uniform äußerst vortheilhaft aus, und er schien eine Ahnung davon zu haben, denn es lag ein unverkennbares Selbstbewußtsein in der stramm militärischen Haltung, mit der er auf die beiden Herren zukam.

„Herr Lieutenant, eben wird gemeldet, daß unten im Dorfe ein Wagen mit Engländern angekommen ist, die durch unsere Posten durch in’s Gebirge wollen.“

Fernow wandte sich rasch um, Träumerei und Schwermuth waren auf einmal verschwunden, er war jetzt völlig „im Dienst“. „Das ist unmöglich! Es darf Niemand passiren. Der Posten hat sie doch zurückgewiesen?“

„Ja, aber der Engländer lamentirt, und will sich nicht zufrieden geben. Er hätte Papiere, sagt er, und will durchaus den Herrn Major oder den Herrn Lieutenant vom Dienst sprechen.“

Fernow blickte auf die Uhr. „Gut, ich komme, ich muß ohnedies jetzt in’s Dorf. Das wird eine unangenehme Sache werden,“ wendete er sich zu dem Arzte. „Ich muß wahrscheinlich harmlose Reisende zurückweisen, denen sehr am Weiterkommen gelegen ist, aber der Befehl ist streng, es läßt sich nichts daran ändern.“

„Unangenehm nennst Du das?“ lachte der Doctor. „Mir gewährt es im Gegentheil immer eine große Genugthuung, wenn wir diesen edeln Söhnen Albions, die mit ihrer Unverschämtheit und Blasirtheit unsern ganzen Rhein überwuchern, endlich einmal zeigen können, wer hier Herr und Meister ist. Im eigenen Lande haben wir das leider bisher niemals gewagt.“

„Gehst Du mit mir in’s Dorf?“

„Nein, ich gehe nach dem Schlosse zurück. Sieh zu, wie Du allein mit Deinen Engländern und Deinem Triumphe fertig wirst, denn der naseweise Freiwillige, der E., hat im Dorfe aller Wahrscheinlichkeit nach auch schon dafür gesorgt. Er riß mir Dein Gedicht ohne Weiteres fort, um es seinen Cameraden vorzulesen. Und höre, Walther, wenn Du mit Deiner Runde fertig bist, so komm wenigstens noch auf eine einzige Viertelstunde zu unserer Bowle, Du sinkst sonst rettungslos in der Achtung des Hauptmanns, der sich allein noch weigert, Dich als künftige Größe anzuerkennen – Du trinkst ihm nicht genug.“

Mit einem lachenden Gruß wendete sich der Arzt dem Schlosse zu, während Fernow den Weg nach dem Dorfe einschlug. Friedrich stampfte hinter ihm her, er ließ das Auge nicht eine Minute von seinem Herrn, aber der Ausdruck darin war jetzt ein anderer geworden. Früher hatte er den Professor immer nur mit jener Aengstlichkeit angeschaut, mit der man ein krankes hülfloses Kind behütet, das leicht zu Schaden kommen kann, jetzt lag eine stumme Ehrfurcht und eine grenzenlose Bewunderungen in dem Blick, welcher der kleinsten Bewegung „seines Lieutenants“ folgte. Die Anhänglichkeit des treuen Burschen hatte mehr als eine Feuerprobe überstanden, sie war in der Compagnie sprüchwörtlich geworden.

Am Eingange des Dorfes, vor dem dort befindlichen Wirthshause, hielten zwei Wagen, die kurz nacheinander angelangt waren. Der erste, der eine Viertelstunde früher kam, war auch zuerst von dem Posten zurückgewiesen worden, aber sein Insasse wollte sich durchaus nicht in die ihm auferlegte Nothwendigkeit finden; leider verstand er kein Deutsch, die betreffenden Soldaten kein Englisch, man mußte also seine Zuflucht zu einem beiderseitig sehr mangelhaften Französisch nehmen, das die Unterhandlungen endlos erschwerte und verlängerte. Indessen hatte es der Fremde, der sich auf seine Papiere berief, doch endlich durchgesetzt, daß man versprach, die Sache dem betreffenden Officier zu melden, und er trat eben, noch erhitzt von dem Gespräch, mit finsterer Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen aus der Thür des Wirthshauses, als der zweite Wagen vorfuhr, aus dem gleichfalls ein Herr stieg, der sich dem Hause näherte. Die Augen der Beiden begegneten sich und ein Ausruf der Ueberraschung brach gleichzeitig von Beider Lippen.

„Mr. Atkins!“

„Henry!“

„Wie kommen Sie hierher?“ fragte Alison, der sich zuerst von seinem Erstaunen erholte.

„Von N. Und Sie?“

„Direct von Paris! Ich wagte nicht länger dort zu bleiben, es scheint Ernst zu werden mit der Belagerung. Aber ich werde hier aufgehalten, man verweigert mir die Fortsetzung der Reise.“

„Auch uns läßt man nicht passiren.“

„Uns?“ wiederholte Alison langsam. „Sie sind nicht allein?“ Und von einer plötzlichen Idee durchblitzt fügte er hastig hinzu: „Ich will doch nicht hoffen, daß Miß Forest sich in Ihrer Begleitung befindet?“

„Allerdings ist dies der Fall.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_328.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)