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Seite:Die Gartenlaube (1870) 735.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

auch Gefahr. Piff – paff – knallten die Schüsse aller Orten und Enden, und als ich aufsah, ragten von jedem erhöhten Punkt aus die Zündnadelflinten mit aufgesteckten Bajonneten oder die Wallbüchsen heraus, Tod und Verderben Jedem bringend, der sich da drüben über den Wällen zeigte.

Es war ein malerischer Anblick. Ueberall an den neun und oft zehn Fuß hohen Erdwällen hingen die Schützen, Fußhalt suchend, wo sie ihn eben finden konnten. Der obere Rand solcher Stellen war dann mit Sandsäcken gedeckt, das heißt kleine Sandsäcke, etwa zwei Fuß lang und im Verhältniß dick, waren dort so zusammengelegt, daß sie oben auf dem aufgeworfenen Damme eine Art von Schießscharte bildeten, um den dahinter lagernden Posten soviel als möglich gegen die Kugeln der Chassepots zu schützen. Durch die gelassene Oeffnung aber hatten unsere deutschen Soldaten ihre Gewehre gesteckt und lagen dort im Anschlag, bis sie den Kopf eines Feindes über den Schanzen dort drüben erkennen konnten. Sie dachten gar nicht daran, einen Schuß ohne Ziel abzugeben, während die Franzosen dagegen förmliche Bleiminen in endlosen Salven herüberschickten. Es ist wahr, dann und wann trafen sie allerdings einen der Unseren, aber doch nie eher, als bis sie sein Gewicht in Eisen oder Blei herübergesandt.

Besonders gefährlich in diesem kleinen Vorpostenkriege waren übrigens die Wallbüchsen, nach einer ganz eigenen Construction. Es sind Büchsen mit einem Laufe wie unsere sogenannten Standbüchsen, die eine Kugel wie ein in die Länge gezogenes Ei von über vier Loth schossen, statt des Kolbens aber eine wie ausgebogene Feder hatten, die, elastisch, gegen die Schulter gelehnt wurde, und dadurch den Rückschlag bedeutend mildern mußte.

Gerade vor uns lag einer der Schützen im Anschlag, und sein blitzendes Auge, der scharfspähende Blick verrieth, daß er da drüben einen Feind erspäht und auf dem Korn habe. Jetzt eine rasche, aber leise Bewegung – die ganze Gestalt blieb einen Moment wie aus Stein gehauen – ein Blitz plötzlich – ein Schlag und ein triumphirendes Lächeln glitt über die sonnengebrannten Züge des Mannes.

„Trefft Ihr denn auch manchmal?“ frug den Einen mein freundlicher Führer, der Oberstlieutenant von der Osten-Sacken.

„Ei gewiß,“ lachte der Mann, „vorhin zeigte sich so eine Rothhose ganz keck oben auf dem Wall, der habe ich aber gleich eins hinübergeschickt, daß sie vornüber herunterkugelte.“

Wenn der Feind die fast fünflöthige Kugel bekommen hatte, war’s kein Wunder.

Wir waren durch ein bombenfestes Mauerwerk, die frühere Lünette der Straßburger Befestigungswerke, geschritten und erreichten den Wall, als ein Soldat auf den Oberstlieutenant zugestürzt kam und ihm meldete, es hätten sich da drüben auf dem Walle französische Soldaten gezeigt. und gewinkt, als ob sie herüber zu uns kommen wollten. Ein Unterofficier mit zwei Mann sei dann hinübergesprungen, um sie in einem Nachen zu holen. Da hätten sie Feuer vom Feinde bekommen, zwei von ihnen wären nicht mehr zu sehen und lägen wohl da drüben todt oder verwundet, Einer aber sei da hinüber in den sogenannten „todten Winkel“ geflohen und halte sich jetzt verdeckt. Was jetzt thun? sie holen oder bis Dunkelwerden liegen lassen?

Der Oberstlieutenant war unschlüssig. Er konnte keine Leute dazu commandiren, ihr eigenes Leben auf’s Spiel zu setzen, um zwei vielleicht schon tödtlich verwundete Cameraden hereinzuschaffen.

„Wir werden bis Abend warten müssen,“ sagte er, und es fehlte allerdings kaum noch eine Stunde daran; „denn wenn die Canaillen da draußen wieder Feuer geben, büßen wir noch mehr Leute ein und erreichen unsern Zweck dann gar nicht.“

Wir Alle waren an der Verschanzung hinausgesprungen und entdeckten jetzt in dem einen und gegen die Kugeln des Feindes vor der Hand allerdings geschützten Winkel die Gestalt des einen Soldaten, der sich aber auch zurückzog und hinter einem Erdaufwurfe verschwand. Sicher war er aber dort auch nicht, denn um die Laufgräben und deren Schutz zu erreichen, mußte er erst wieder über den hohen Wall, wo er den Kugeln völlig preisgegeben blieb.

Peinliche Minuten vergingen. Von den Verwundeten ließ sich nichts erkennen. Sie waren entweder in den Graben gerollt oder hatten dessen momentane Deckung selber gesucht. Der Vorschlag wurde gemacht, unter dem Schutze der weißen Flagge mit dem rothen Kreuze die Gefallenen hereinzuholen, aber würden die Feinde diese respectiren? – gingen doch Gerüchte genug, daß sie sogar auf Ambulancen und Verwundete geschossen, und war es glaublich, daß sie sich hier würden eine Gelegenheit entgehen lassen, ihre Kugeln auf die abzufeuern, die ihnen noch vor Minuten kaum mit der gefährlichen Zündnadel gegenüber gestanden? Der Oberstlieutenant mochte die Verantwortung nicht übernehmen, als plötzlich der Eine von den Dreien, der Unterofficier, der sich mit einem kecken Entschlusse über den Wall geschwungen, in den Trancheen erschien und jetzt bestimmt erklärte, er wolle wieder hinausgehen und die Cameraden holen, denn er denke gar nicht daran, sie im Stiche zu lassen. Einer der anderen Soldaten, ein Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, der sich schon oft durch kühne Streiche ausgezeichnet haben soll, erbot sich augenblicklich, ihn zu begleiten, und eine weiße Flagge wurde rasch herbeigeschafft, um der kühnen That den einzigen Schutz zu geben, den man ihr für den Augenblick geben konnte.

Aber „Feuer einstellen auf der ganzen Linie“ lief jetzt der rasch gegebene Befehl entlang. Den Nächststehenden konnte er auch mitgetheilt werden, doch in diesem Gewirr von Schanzen war es nicht möglich, die ganze im Zickzack liegende Linie mit dem bekannt zu machen, was im Werke war. Einzelne Schüsse fielen noch von da und dort; der wackere Unterofficier und sein Begleiter, deren Namen aber von dem Commandirenden notirt wurden, ließen sich selbst dadurch nicht aufhalten Die weiße Flagge mit dem rothen Kreuze hoch in der Hand sprangen sie hinaus – der nächste Augenblick konnte eine tödtliche Salve auf sie lenken, und nicht einmal ihre Gewehre hatten sie mitgenommen aber sie zögerten auch keinen Moment und eilten unerschrocken der Stelle zu, wo sie die Verwundeten wußten.

Es waren peinliche Minuten. Von dem Walle aus konnten wir jetzt wohl noch die auswehende Fahne, aber Nichts von den Leuten selber bemerken die sich unbeschützt dem Feinde gegenüber befanden doch von drüben kam kein Schuß – die Fahne mit dem rothen Kreuze wurde vom Feinde geachtet, und etwa zehn Minuten später erreichten die unerschrockenen wackeren Männer mit den Geretteten wieder den Schutz der Brustwehren Dadurch schien aber eine Art von Waffenstillstand zwischen diesen beiden feindlichen Posten eingetreten zu sein. Es war als ob die Unserigen sich scheuten, wieder auf Leute zu schießen, die eben noch erst ihre Cameraden geschont hatten, und auch von drüben fiel, so lange ich mich dort befand, kein Schuß – das menschliche Gefühl hatte für den Augenblick die Oberhand gewonnen.

Die Nachbarschanze übrigens, die von der kleinen Zwischenscene Nichts gesehen, ließ sich in ihrem Feuern nicht stören

Bei uns war es still geworden – auf einer Bahre trugen die Pioniere die Verwundeten vorüber, und einen scheuen Blick warf die Besatzung auf die Getroffenen, wie sich der kleine Zug langsam durch die Schanzgräben wand. Konnte ja doch auch schon in der nächsten Stunde, ja im nächsten Augenblick, ihr Loos das nämliche sein.

Diese Tragbahren sind überhaupt ein sehr fatales memento mori in den Schanzen denn sie lehnen überall, da man nie wissen kann, wann oder wo sie gebraucht werden. Hier draußen kann der Tod jeden Einzelnen im Nu abrufen. Keiner ist sicher, denn wenn man sich auch nothdürftig gegen Chassepotkugeln schützen kann, eine Granate oder ein Bombensplitter schleudert ihre eisernen Bruchtheile überall hin und in jeden Winkel.

Arme Teufel, wie blaß und still sie aussahen, als sie da vorübergetragen wurden und nun das aufregende Leben in den Schanzen, mit dem Schmerzenslager im Lazareth vertauschen mußten – und doch verdankten sie es jetzt gerade dem Feinde, daß sie nicht gezwungen waren, noch Stunden lang da draußen zu liegen, und rasch an einen Ort geschafft werden konnten, an dem sie wenigstens jede nöthige Pflege fanden.

Es ist viel darüber geschrieben, daß die Franzosen die Sanitätsflagge nicht respectirten und oft sogar auf Ambulancen und Verbandplätze gefeuert hätten, aber ich kann mir nicht denken, daß es absichtlich geschehen sein soll. Thatsache ist allerdings, daß viele französische Soldaten die Bedeutung der Flagge mit dem rothen Kreuz gar nicht kannten, und hier tragen die Führer der französischen Armeen die Schuld, aber daß eine Verletzung der Genfer Convention absichtlich und mit bösem Willen begangen wäre, ist doch wohl noch nirgends constatirt worden, und wird es auch hoffentlich nicht.

Wir wandten uns der nächsten Schanze zu, von wo man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_735.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)