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Seite:Die Gartenlaube (1870) 600.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Seit Donnerstag den 18. August ist das Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl in Doncourt, einem Dorfe, wie alle lothringischen Dörfer, halb Stadt, halb Düngerhaufen, der eben durch das offene einzige Fenster unserer Stube seine balsamischen Düfte entsendet. Eine gewisse Wohlhabenheit in den lothringischen Dörfern ist nicht zu verkennen, wenn dieselbe auch durch die Nöthen des Krieges sehr in’s Schwanken gekommen sein mag. Ob Reinlichkeit eine Nationaleigenschaft französisch-lothringischer Bevölkerung ist, wage ich nicht zu behaupten; der Krieg ist ein Ausnahmezustand, nach welchem keine Bevölkerung zu beurtheilen ist. Bisher habe ich wenig davon gemerkt, die Leute haben überall Marmorkamine mit vergoldeten Spiegeln, aber dabei schlechte


Recognoscierung des Prinzen Friedrich Karl bei Rohrbach.
Originalzeichnung von C. Rechlin.


Wäsche, und dann sind die Reinigungsapparate, diese charakteristischen Fühler für den Civilisationszustand einer Bevölkerung, im allerschlimmsten Zustande.

Mit großer Mühe habe ich mir einen alten kleinen wackeligen Tisch erobert, um darauf schreiben zu können, in einem kleinen einfensterigen Zimmer sind rings an den Wänden die Strohlager aufgeschüttet – das Lederkissen, welches mir beim Ausmarsche von Berlin meine hochverehrte Freundin Frau B… verehrt hat, thut als Kopfkissen die vortrefflichsten Dienste; auf dem Fensterbrette stehen eine alte Lampe mit ranzigem Oel und die schönen Reste eines café au lait, der nicht zu genießen war; um den Kaffee durchzuseihen, mußten wir uns eines Strumpfes bedienen – aber zur Beruhigung füge ich bei: er war neu. Das Brod ist drei Tage alt; Butter ist natürlich ein unerhörter Luxus. Nun glaube ich an Lagen und Verhältnisse, wo man selbst Talglichte als eine Borchardt’sche Delicatesse begrüßen kann – und nach meiner nun gewonnenen Ueberzeugung gäbe es für Ehefrauen, deren Männer in Bezug auf Essen und Trinken allzu sehr verwöhnt sind, nichts Wünschenswertheres, als einen Krieg.

Alles will ich gern tragen, nur Ruhe – ein ganz klein wenig zum Arbeiten, um die verehrten Leser der Gartenlaube mit Nachrichten nicht im Stiche zu lassen. „Ruhe ist nur im Escurial“, aber in Doncourt nicht: unter mir, in einem Gewürzladen, in dem weiter nichts mehr als Stiefelwichse sich befindet, verlangen die Soldaten das Unmöglichste – Cigarren, Rindertalg, Siegellack, Hosenträger, Nähnadeln, Kalender, grüne Seife; die Frau versichert: „Je ne comprends pas!“ sie ruft das in allen Stimmregistern, aber die Soldaten verlangen, daß die Franzosen jetzt Deutsch verstehen sollen; der Disput entwickelt sich zum Spectakel, und so bleibt mir nichts Anderes übrig, als die enge Treppe hinabzustürzen und um jeden Preis Frieden zu schaffen.

Es hieße Kugeln nach Metz bringen, wollte ich die großen Waffenerfolge, welche die zweite Armee in der letzten Woche über die Franzosen errungen hat, noch wiederholen. Deutschland und Europa kennt sie. Die Idee, Metz zu umgehen und die Franzosen im Rücken dieser gewaltigen Festung anzugreifen, ist gelungen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_600.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)