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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

durch ein Thor und gelangte so in eine breite Baumallee, die durch eine Art Park oder Gartenanlage – rechts und links zogen sich mehrere Baumgänge, nur schmaler als der mittlere, hin – auf ein kleines Schloßgebäude zuführte. Es war ein Bauwerk im Rococo-Stil, das selbst das vergrößernde Mondlicht nicht zu etwas Imposanterem als einem mäßigen Lust- oder Jagdschloß machte. Zwei Schildwachen schritten vor demselben auf und ab – Leute in einer eigenthümlichen Uniform; die Amaranthfarbe ließ die Nacht nicht erkennen, nur das viele Troddelwerk an Tschako- und Nestelschnüren war wahrzunehmen.

Der Reiter stieg ab und schritt, sein Pferd hinter sich, auf das offene Gitterthor zu, das in den kleinen Schloßhof führte. Eine der Schildwachen hielt ihn an. Er gab eine Auskunft. Der Mann ließ ihn weiter gehen. Auf den Schloßhof fiel heller Lichtschimmer der Portallaternen; der Reiter band sein Pferd an das Hofgitter, es der Hut der Schildwachen überlassend, und schritt auf das Portal zu, um den Ring im Löwenmaul des Klopfers zu heben und bescheiden wieder niederfallen zu lassen. Eine Weile mußte er harren; dann öffnete sich das Portal, ein Thürsteher, der sich einen eben eilig übergeworfenen Rock zuknöpfte, empfing ihn mit einem verdrießlich entgegengeworfenen Rufe, einer hastigen Frage in französischer Sprache.

Noch einmal gab der Fremde eine Auskunft; der Portier öffnete darauf das Portal vor ihm, ließ ihn in die Eingangshalle treten und führte ihn in ein links liegendes Parterrezimmer, in welchem eine Lampe brannte.

„Setzen Sie sich, Monsieur, und warten Sie einige Augenblicke; ich werde den Adjutanten Seiner Hoheit benachrichtigen,“ sagte der Pförtner.

Der Mann ging, nachdem er erst zwei Wachslichter auf dem Kaminsims vor einem hohen Spiegel entzündet. Der Fremde setzte sich auf den nächsten Stuhl und lehnte sich ermüdet aufathmend zurück.

Er mochte etwa zehn Minuten gehabt haben, sich so von seinem scharfen und weiten Nachtritt auszuruhen, als der Pförtner wieder erschien, die Thür vor einem kleinen schwarzen rasch auftretenden jungen Manne zu öffnen, der mit einer höflichen Verbeugung sich dem Fremden näherte und in französischer Sprache sagte:

„Was steht so spät zu Ihren Diensten, mein Herr? Sie sind der Graf Mora … Morrau …“

„Graf Maurach ist mein Name,“ versetzte der nächtliche Reiter sich erhebend und die Verbeugung erwidernd, „ich bin seit einigen Monaten Besitzer der Herrschaft Maurach im Departement der Ruhr und Seiner Hoheit Unterthan.“

Der Adjutant verbeugte sich abermals und indem er auf den Stuhl deutete, sagte er:

„Haben Sie die Güte, Platz zu nehmen und mir zu sagen, was Sie im Dienste Seiner Hoheit herführt. Sie haben ohne Zweifel eine wichtige Mittheilung im Dienste des Großherzogs zu machen …“

„In der That; und worum es sich handelt, ist dies: ich habe von meinem Vorsitzer auf der Herrschaft Maurach neben dem ganzen Gutsinventar ein Pferd von ausgezeichneter Schönheit und Tüchtigkeit geerbt. Es ist von englischem Blut, acht Jahre alt und von einer ganz seltenen Leistungsfähigkeit. Es ist namentlich ein Traber, wie es wenige giebt. Vor einigen Wochen hat eine das Land wegen der Remonteverhältnisse und zur Untersuchung des Pferdebestandes durchziehende Commission, bei welcher sich der Stallmeister Seiner Hoheit befand, das Thier gesehen; der Stallmeister hat es für den persönlichen Dienst des Großherzogs zu erwerben gewünscht und den Preis von hundertzwanzig Napoleond’or dafür geboten. Das edle Thier war mir nicht feil, aber …“

„Mein Herr,“ fiel ihm hier der Adjutant mit ziemlich verdrießlicher Miene in’s Wort, „für Roßkammgeschäfte – entschuldigen Sie den Ausdruck – wählen Sie eine ziemlich späte Stunde, und außerdem muß ich Ihnen bemerken, daß diese nicht in meine Dienstbranche gehören, sondern in die des Stallmeisters Seiner Hoheit.“

„Ich weiß, ich weiß,“ entgegnete rasch Graf Ulrich, „doch bitte ich Sie, mich bis zu Ende anzuhören. Es handelt sich nicht um ‚Roßkammgeschäfte‘; ich sagte Ihnen, daß mein Pferd mir nicht um Geld feil ist; in der That ist es für Jemand, der ein Pferd zu schätzen weiß, der ein Reiter ist, wie unser gnädigster Großherzog, mit Geld auch nicht zu bezahlen. Doch habe ich mir sagen müssen, daß Niemand in der Welt würdiger sei, es zu besitzen, als eben der beste Reiter in der Welt; und deshalb komme ich, es Seiner Hoheit als einen Ehrfurchtsbeweis seines getreuesten Unterthanen anzubieten. Das Pferd steht im Hofe, Sie hören seinen Hufschlag, mein Herr, und ich bitte Sie, es in den Marstall führen zu lassen.“

Der Adjutant, der diese Worte mit einer sich aufhellenden Miene angehört hatte, wollte einfallen, als Graf Ulrich fortfuhr:

„Nur Eines möchte ich mir dagegen ausbitten; ich besitze eine kleine Waffensammlung, und ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich für dieselbe, zugleich als ein Andenken an meinen gnädigen Souverain und einen Huldbeweis Seiner Hoheit, den Säbel zum Gegengeschenk erhalten könnte, den der Großherzog heut im Dienst getragen hat.“

„Ah, ohne Zweifel, ohne Zweifel,“ fiel lächelnd der Adjutant ein, „wird Seine Hoheit Ihnen diesen Huldbeweis gern gewähren … ich würde Ihnen nur den Vorschlag machen, Herr Graf, morgen sich zur Audienz melden zu lassen; die Stunde ist zwischen Zwölf und Eins … der Großherzog wird erfreut sein, Sie zu sehen, Ihnen seinen Dank auszusprechen und Ihnen persönlich das Andenken zu überreichen, welches Sie als Gegengabe für Ihr so kostbares Geschenk wünschen …“

„Ich sehe ein, Monsieur,“ erwiderte Graf Ulrich, „daß dies das ordnungsmäßige Verfahren wäre. Doch gebieten mir ganz ungewöhnliche Umstände, Interessen der schwerwiegendsten Art, welche morgen meine Anwesenheit daheim fordern, noch in dieser Stunde um die Gewährung meines Wunsches zu bitten. Wäre das nicht der Fall, so wäre ich sicherlich nicht in dieser Stunde der Nacht gekommen! Es ist sehr möglich, daß ich schon morgen gezwungen bin, meine Herrschaft, mein Haus zu verlassen; ich durfte darum nicht zögern, meinen Entschluß auszuführen, wenn ich das treue Thier, an dem mein Herz hängt, in den Händen sehen wollte, in denen es mir eine Befriedigung des Herzens ist, es zu sehen, und das Andenken zu erringen, an dem mir so viel gelegen …“

Der Adjutant sah einen Augenblick schwankend und unschlüssig den seltsamen Mann an, der mit einer solchen Bestimmtheit sprach und so dringend die Willfahrung in einen für ihn so nachtheiligen Handel verlangte.

„Darf ich das Pferd sehen?“ sagte er zögernd und setzte mit einem forschenden Blick in des Grafen Ulrich Züge hinzu: „Sie werden Bekannte hier am Hofe haben … Sie kennen …“

„Ah, Sie sind mißtrauisch,“ unterbrach ihn lächelnd Graf Ulrich; „ich verdenke es Ihnen nicht, da es in der That eine etwas ungewöhnliche Stunde ist, in welcher ich in dies Fürstenschloß einbreche; ich bin Graf Ulrich Maurach, wie ich Ihnen zeigen kann, ohne daß wir die Bekannten in ihrem Schlummer zu stören brauchten welche ich etwa hier am Hofe haben könnte.“

Graf Ulrich zog seine Brieftasche hervor und nahm mehrere mit seiner Adresse versehene Briefe heraus; der Adjutant lehnte ab, einen Blick darauf zu werfen, mit einer Verbeugung sagte er:

„O nein, o nein, ich müßte sehr kurzsichtig sein, wenn ich einem Herrn von so viel Distinction gegenüber an seinen Worten oder gar an seiner Identität zweifelte! – Sie wollten mich das Pferd sehen lassen!“

Graf Ulrich ging voraus zum Zimmer hinaus; draußen kam der Portier, der sich jetzt wieder sorglich in seine Livree geknöpft hatte, ihnen das Portal zu öffnen; beide schritten auf den Hof; obwohl das Mondlicht im Schwinden begriffen war, gaben die Portallaternen Helligkeit genug, die Schönheit des Thieres zu erkennen, welches ungeduldig mit den Nüstern schnob, als es seinen Herrn wahrnahm, und mit heftigem Kopfaufwerfen an den Zügeln, die es festhielten zerrte.

„Bitte,“ sagte der Adjutant, „treten Sie auf einen Augenblick wieder ein; ich will mit dem Kammerdiener Seiner Hoheit sprechen, auf daß dieser ihn von Ihrem Anliegen unterrichte; der Großherzog hat sich in seine Gemächer zurückgezogen, aber er wird noch nicht im Schlafe liegen … also gedulden Sie sich einen Augenblick, Herr Graf.“

Der Adjutant hatte Graf Ulrich an die Thür des Empfangzimmers zurückgeführt; dann, während der letztere hier wieder eintrat, wandte er sich einer teppichbelegten Treppe im Hintergrund zu und verschwand lautlosen Schrittes darauf. Ulrich hörte für eine Weile in seinem Wartezimmer nur noch den Hufschlag und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_514.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)