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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

die Entfernung zwischen je zwei im Geleis sich gegenüberliegenden Schienen ist überall gleich weit, sie beträgt vier Fuß achteinhalb Zoll englisch, so daß also die spanischen Wagen bis nach Ostpreußen, die schlesischen nach Calabrien und die französischen ungehindert bis nach Siebenbürgen laufen können.

Diese außerordentlich werthvolle kosmopolitische Eigenschaft der Eisenbahnen kann man leicht an jedem Güterzuge, besonders aber an den bunten Wagenparks bemerken, die sich ohne Aufhören auf den Nebengeleisen unserer großen Bahnhöfe anhäufen. Außer den sehr verschieden gebauten Wagen der achtundsiebenzig Bahnen des deutschen Eisenbahnverbandes, zu denen die sämmtlichen österreichischen, die meisten holländischen Linien und die Warschau-Wiener Bahn gehören und die fast alle Farben des Malkastens aufweisen, trifft man hier stets Franzosen, Belgier, Schweizer und auch wohl einen grau angestrichenen Italiener an.

Doch verwendet jede Eisenbahnverwaltung auf ihren Linien soviel wie möglich nur die eigenen Wagen zum Gütertransport, weil für Benutzung fremder Wagen Miethe gezahlt werden muß, eine durchaus nicht unbedeutende Ausgabe, die z. B. bei den deutschen Bahnen im vergangenen Jahre die Summe von ungefähr acht Millionen Thalern betragen hat.

Die gepriesene nothwendige Uebereinstimmung der Geleise beansprucht eine große, zum Theil kostspielige Ueberwachung und eine peinlich schwierige Controle, die aber den daraus entspringenden Vortheilen gegenüber nicht in Betracht kommen kann.

Die außerordentliche Schnelligkeit des Verkehrs, die wir zunächst immer nur auf Rechnung des Dampfes setzen, ist dabei auch noch von einem andern Etwas abhängig – von den Signalen, die wir gewöhnlich ganz übersehen.

Ohne eine gute Signalisirung würde sich die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge nicht über diejenige der gewöhnlichen Fuhrwerke erhoben haben, ihre Schnelligkeit würde dann kaum die gemüthlich dahinhumpelnde Postkutsche übertreffen.

Sowie aber im Leben des Menschen erst die Gedanken die That begründen, einleiten und ihr fördernd voraneilen, so eilen auch die Signale gedankenreich und gedankenschnell den Zügen voraus, ebnen den Weg, rufen alle Vorbereitungen wach, die der herannahende Zug zu seiner Sicherheit sowohl, wie zu seiner ungehinderten Weiterfahrt bedarf, und gestatten nur dadurch der Locomotive eine den Umständen entsprechende Entwickelung ihrer nachhaltigen Riesenkraft.

Die den Lesern wohlbekannten hohen Masten mit ihren oben angebrachten Armen oder Flügeln waren die ersten und sind jetzt noch die verbreitetsten Signalapparate[1]. Sie haben sich so eingelebt, daß sie auf allen Bahnen, wo sie in Gebrauch, eine liebgewordene Erscheinung sind. Obgleich sie bei Nebel den Dienst versagen, und die Bahnwärter dann zu Signalhörnern greifen müssen, um sich gegenseitig zu verständigen, und obgleich sie nicht immer mit der gewünschten Schnelligkeit zu arbeiten vermögen, so daß sie zuweilen der Schnellzug fast einholt, so sind sie doch bei einer leichten Handhabung sehr einfach, eine schwerwiegende Tugend, da das Einfache, nicht leicht zu Mißverständnissen Führende bei den Eisenbahnen mehr als anderswo vom höchsten Werthe ist.

Des Nachts geschieht das Signalisiren mit diesem sogenannten optischen Telegraphen bekanntlich durch daran emporgezogene bunte Lichter, die überall je nach ihrer Bedeutung die Farben weiß, roth oder grün haben. Später traten zu diesen sichtbaren Signalen die elektromagnetischen Telegraphen und dann auch noch die elektrischen Läutewerke oder Lärmsignale; jene kleinen längs der Strecke aufgestellten Häuschen, die mit Glocken und Schlagapparaten versehen und mit Drähten untereinander verbunden sind und auf elektrischem Wege die Glocken zum Tönen bringen, wobei die Zeichen durch die Anzahl und Gruppirung der Klänge gebildet werden.

Guteingerichtete Bahnen mit starkem Verkehr wenden alle drei angeführten Signale zugleich an, und dabei ist der alte optische Telegraph in veredelter Form als ein Tag und Nacht thätiger und verläßlicher „Semaphor“ in sehr geschätztem Gebrauch und unterscheidet sich von dem früheren Telegraphen dadurch, daß seine Arme mit sehr durchsichtigen rothen und grünen Glasscheiben in der Art verbunden sind, daß zum Beispiel bei dem Zeichen „Halt“, wenn der Semaphoren-Arm rechtwinkelig auf das Geleis zeigt, zugleich am hinteren Ende des Armes die rothe Scheibe sichtbar ist, die bei dem Zeichen „Langsamfahren“, wo der Arm schräg nach unten zeigt, durch die grüne Scheibe ersetzt wird, während bei dem Zeichen „Strecke frei“, wo der Arm schräg emporgerichtet steht, keine Scheibe zu sehen ist. Des Nachts wird dann eine Laterne am Semaphor befestigt und zwar so, daß die rothen und grünen Gläser bei dem Geben der beiden ersten Zeichen unmittelbar vor dieselbe zu stehen kommen und dadurch rothes und grünes Licht verursachen, also auch bei Nacht die Stellung des Armes bezeichnen, während bei dem Signal „Strecke frei“ nur das weiße Licht der Laterne zu sehen ist.

Bevor ein Zug auf einer dieser also ausgerüsteten Bahnen seine Fahrt beginnt, wird sein Kommen der nächsten Station zuerst durch den elektrischen Telegraphen angekündigt und alsdann als „Achtungssignal“ das elektrische Läutewerk auf der ganzen Strecke bis auf die nächste Station hin in Thätigkeit gesetzt und damit überall zu gleicher Zeit die vorgeschriebene Anzahl Glockenschläge gegeben, wodurch die Aufmerksamkeit der Bahnwärter auf der ganzen Linie sofort auf den damit angekündigten Zug gelenkt wird. Jeder Bahnwärter giebt hierauf, nachdem er sich vorher überzeugt, daß sein Revier in Ordnung, mit dem Semaphor, der, wenn kein Zug angezeigt ist, stets auf Halt zeigt, so lange das Zeichen „Strecke frei“, bis der angekündigte Zug vorüber ist, und ändert dann wieder das Zeichen in „Halt“ um; hat daher ein Bahnwärter geschlafen, das Glockensignal nicht gehört und also auch sein Signal nicht auf „Strecke frei“ gestellt, so hemmt er den Verkehr, was wohl schon ein oder der andere Leser zu seinem Verdruß erfahren haben mag.

Außer diesen Signalen auf den Strecken hat jeder Zug und jede Maschine, die von Hauptbahnen auf Nebenbahnen übergeht, am Tage sowohl wie in der Nacht bestimmte leicht erkennbare Zeichen an sich zu tragen und eine gewisse Anzahl Töne mit der Dampfpfeife zu geben, durch welche sie ihre Richtung anzeigt; außerdem muß bei Nacht jeder Zug vorn und hinten gut erleuchtet sein, und endlich darf kein Extrazug abgehen, ohne vorher durch einen vorausgegangenen Zug angezeigt worden zu sein, was durch am Ende des Zuges angebrachte aus Weidenruthen geflochtene roth angestrichene Scheiben geschieht, die des Nachts Laternen mit roth gefärbten Gläsern vertreten, wie denn auch jeder Extrazug wieder besondere Zeichen an sich hat, die ebenfalls am Tage in grünen Scheiben und des Nachts in grünen Lichtern bestehen, die auf dem letzten Wagen aufgesteckt sind, wodurch er den Bahnwärtern ankündigt, daß er noch denselben Tag, oder ist es Abend, daß er noch in derselben Nacht zurückkehren wird.

Eine wichtige Rolle spielen auch die der neuern Zeit angehörenden „elektrischen Distancesignale“, die an solchen Punkten aufgestellt werden, wo ein ganz besonders starker Verkehr oder wichtige Kreuzungspunkte ein vorsichtigeres Fahren nothwendig machen. Sie bestehen aus hohlen Holzsäulen, in deren Innerem sich ein elektrischer Apparat befindet, während von der Spitze der Säule ein zwei Fuß langer rother Arm herunterhängt, der in dieser Lage „Bahn frei“ bedeutet; sobald aber auf dem elektrischen Apparat das Zeichen „Linie besetzt“ gegeben wird, hebt sich der rothe Arm rechtwinkelig empor und macht diese Stellung bei Nacht durch ein daran hängendes rothes Licht erkennbar. Diese Apparate sind dabei unter sich durch Leitungsdrähte verbunden und so construirt, daß jeder damit betraute Wärter Signale geben, dieselben aber nicht selbst wieder beseitigen kann, sondern dabei ganz von seinem Nachbar abhängig ist. Hat zum Beispiel der erste Signalwärter, welchem der von Station A abgegangene Zug 2 begegnet, mit dem Distancesignalapparat das Zeichen „Vorsicht“ oder „Linie besetzt“ gegeben, und damit dem Zug 2 angezeigt, daß sich auf der Strecke von diesem bis zum nächsten Signalapparat noch der Zug 1 befindet, so kann nur der Posten am letzteren Apparat das bei dem ersten Posten gegebene Signal „Linie besetzt“ dadurch wieder beseitigen, daß er, nachdem der Zug 1 an ihm vorüber ist, nun ebenfalls zur Mahnung für den darauffolgenden Zug 2 das Signal „Linie besetzt“ giebt, denn in demselben Augenblicke, wo er dieses Signal mittels eines Drückers sichtbar werden läßt, bewirkt er zugleich auf elektrischem Wege das Verschwinden desselben Signals am vorhergehenden Posten.

Zu den Distancesignalen gehören auch die nützlichen elektrischen Signalapparate, welche auf starkbefahrenen Bahnen in Zwischenräumen

  1. Eingeführt, und zwar im Großen, wurden sie zuerst von Napoleon dem Ersten, als er vom Lager von Boulogne aus England bedrohte und Telegraphenlinien nach Paris und Toulon errichtete, um von letzterem Platze die Mittelmeerflotte schnell herbeirufen zu können.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_202.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)