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Seite:Die Gartenlaube (1869) 441.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

eines pensionirten preußischen Geheimrathes, ist auch in Wirklichkeit der geheime Rath für alle pecuniäre Nöthen, in denen Staaten und Fürsten liegen, es ist: Anselm Baron von Rothschild.

Wie ein Schatten folgt ihm Herr C. Leitner, sein Geheimsecretär und Reisemarschall, ein feingebildeter junger Mann, im musikalischen Dingen Autorität, selbst Virtuos ersten Ranges. – Hier eine junge, viel umschwärmte Dame, nach allen Seiten hin heiter lächelnd; wer sähe es der lebensfrohen Frau an, daß ihr, vor kaum Jahresfrist, der Mann von ihrem eigenen Bruder im Duell erschossen wurde? – Hier kauert schmerzhaft auf einer Bank gekrümmt, das große dunkle Auge halb in Pein geschlossen, ein armer polnischer Jude in einen schäbigen Talar gehüllt. Zwei Krücken neben ihm künden sein Leiden beredter an, als alle Worte.

„Kommt um neun Uhr zu mir,“ flüstert ihm ein Herr zu, mit behäbig gemüthlichem rundem Gesicht, in dem ein paar kluge, listige Aeuglein blinzeln. Es ist der Ritter von Königswarter, der bekannte Börsenkönig, von dessen schlagfertigem Humor die Wiener Börse gar viel zu erzählen weiß. „Der Lump glaubt, er sei ein reicher Mann, weil er eine Million verdient hat.“ Dies geflügelte Wort soll er über einen Parvenu ausgesprochen haben, der es auch richtig in Jahresfrist fertig gebracht, diese Million wieder „klein zu kriegen“, und eines schönen Morgens auf der Geld- und auf der Lebensbörse vermißt wurde.

Folgende nette Geschichte wurde mir von Königswarter von einer der hier in zahlreichen Exemplaren vertretenen Species der Geldleute erzählt. Er traf nach vielen, vielen Jahren hier in Karlsbad mit einem ehemaligen Schulcameraden und Geschäftsgenossen zusammen, der inzwischen als Banquier in einer Provinzstadt sein Glück gesucht und gefunden hatte. In sehr ostensibler Weise bewillkommt der Landsmann den reichen Wiener Großhändler und spricht seine Freude aus, ihn in so glänzenden Verhältnissen wieder zu sehen. „Gottlob,“ sagt er, „lieber K., wir können uns Beide sehen lassen, wir haben es Beide zu Etwas gebracht in der Welt. Wie viel Vermögen hast Du?“

„Wie viel besitzest Du, lieber R.?“ antwortete dieser ausweichend.

Stolz und imponirend versicherte dieser, er Habe ein Vermögen von viermalhunderttausend Gulden. „Und Du?“

„Viermalhunderttausend Gulden,“ sagt K. nachdenkend, „das ist ein schönes Vermögen! Weißt Du was, wenn Du, was Gott verhüten wolle, Dein Vermögen verlieren solltest, so schreibe an mich, lieber Landsmann, ich werde Dir’s ersetzen!“ –

Eine groteske Figur kreuzt unsern Weg. Unter einer auffallenden hellen Mütze, die mit schottischem Stoff verbrämt ist, welcher Stoff von dem gleichen kurzen Röcklein übrig geblieben scheint, das der Besitzer trägt, wird ein scharf gezeichneter, von tausend Linien durchfurchter Kopf sichtbar, welcher mit einem fuchsrothen, in zwei Spitzen auslaufenden langen Bart endet. Den oben erwähnten gelben, mit breiten schottischen Streifen besetzten Rock zieren große kugelförmige silberne Knöpfe, die Beine stecken in preußischen Soldatenhosen, über welche die Stiefel gezogen sind. Bei rauher Witterung hat er einen Ueberzieher aus Seehundsfell – nach seiner Behauptung die Haut eines „ungeborenen Tigers“ – dessen rauhe Seite nach außen gekehrt, um Regen noch durch einen darüber gehängten Gummimantel geschützt ist. Alle Welt hat sich den Kopf zerbrochen, wer der abenteuerlich, stets einsam wandelnde Mensch sein möge, bis mich ein Zufall hinter das Geheimniß gebracht. Der Mann ist Besitzer eines wohldressirten Pferdchens, eines „Doppelponum“, wie er sagt, welches „jedes geschnaubte und ungeschnaubte Taschentuch beliebig apportirt.“ Hier ist er Curgast, und giebt – stolz lieb’ ich meinen Spanier – keine Vorstellungen mit seinem kunstreichen Thiere, wohl aber spannt er es manchmal vor ein kleines Wägelchen, welches mit Kreide über und über mit frommen und weisen Sprüchen beschrieben ist, die sich freilich nicht durch den Reiz der Neuheit auszeichnen, z. B. „Anfang, bedenke das Ende“, „Des Herrn Auge macht die Pferde fett“ etc. Das Merkwürdigste an dieser mysteriösen Persönlichkeit ist, daß seine Hausleute behaupten, „er esse nie“, wenigstens habe ihn nie irgend eine menschliche Seele in Karlsbad der profanen Beschäftigung des Essens sich hingeben sehen. Ich habe den Mann im Verdacht der Semmelcur.

Ein liebliches Wesen, mit langen schwarzen Locken und brennenden ditto Augen, in tiefe Trauer gekleidet, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Niemand würde glauben, daß dies reizende Persönchen unter polizeilicher Aufsicht steht. Es ist der vor mehreren Jahren viel genannte Adjutant und weibliche Freund eines bekannten polnischen Insurgenten. Jetzt geht sie an der Seite eines alten Herrn, der nichts weniger als heldenhaft aussieht, wenn ihm auch die Eroberung des schönen „Adjutanten“ gelungen zu sein scheint.

Dieser nobel aussehende Herr, welcher ein Leiden mit Lord Byron theilt, ist Baron Bethmann aus Frankfurt am Main, der seinen Ruf wenigstens zur Hälfte dem Besitze von Dannecker’s schönem Meisterstück „Ariadne“, und nur zur kleinern Hälfte seinem Reichthum dankt. Sein wunderschönes Töchterchen ist eine Meisterin auf dem Piano.

Ein feuriges Gespann vor einer höchst eleganten Equipage, von einer Dame gelenkt mit sicherer Hand, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Der Besitzerin dieses prächtigen Gefährtes ist es nicht an der Wiege prophezeit worden, daß ihr Wappen einst eine Herzogskrone zieren und daß sie Verwandte auf europäischen Thronen begrüßen würde.

Heinrich Laube, obgleich selten im Trubel sichtbar, gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Habitué’s von Karlsbad. So lange Laube nicht hier ist, sagte mir ein hiesiger Bürger, hat die Saison noch nicht begonnen! Man ist stolz darauf, daß Laube seit vierunddreißig Jahren jeden Sommer die Heilquellen besucht, man nennt seinen Namen mit Ostentation und hoher Achtung. Mit Laube ist, diese Saison zum ersten Mal, Robert Heller eingezogen, der als schüchterner Curanfänger an den Quellen nippt. Er scheint sich mit mehr Resignation in sein Geschick zu finden, als in die hiesige frühe Speisestunde, die er hartnäckig aus der hier landesüblichen Zeit von ein Uhr um zwei Stunden hinausschiebt. Auch der talentreiche Lustspieldichter G. von Moser muß hier Buße thun für die reichen Mahle auf seinem prächtigen Rittersitz in Schlesien und auf den Schlössern der gastfreundlichen Nachbarn. Dieser stattliche Cavalier mit der schönen Frau und ebenso schönen Tochter am Arm ist der General-Intendant von Hülsen, der Chef sämmtlicher Hofbühnen Preußens, ein vielbekannter und genannter Mann. Wir wollen hiermit, indiscreter Weise, das Geheimniß verrathen, daß die geistreiche Frau von Hülsen demnächst, leider unter fremdem Autornamen, die Lesewelt mit einem Bändchen vortrefflicher Novellen beschenken wird.

Hier ein Ehepaar, einfach, schlicht und bieder aussehend, dem Anschein nach ein braver Major, der sich, nach redlichen Mühen im Dienste des Staates, zur wohlverdienten Ruhe gesetzt hat.

Wie trügerisch der Schein hier waltet! es ist der „verflossene“ Kurfürst von Hessen-Cassel mit Frau Gemahlin. Der bildhübsche, nur etwas zu geschniegelt gezierte junge Mann an beider Seite ist Se. Hoheit der Prinz von Hanau, des gewesenen Kurfürsten Sohn und Erbe.

Dieser Herr, gelb gefärbt, als ob er die tropische Sonne über seinem Scheitel brennen gefühlt hätte, der in cholerischer Laune die Brunnenmädchen in allen Sprachen der Erde auszankt, ist der berühmte Escamoteur Hermann, dem das seltene Kunststück gelungen, dem Publicum zweier Welttheile das Geld aus den Taschen und sich zum reichen Mann zu zaubern.

Immer ohne Hut und Haare, begegnet uns Freund Hugo Wigand, der meilenfressende, stets auf weiten Ausflügen begriffene bekannte Leipziger Verlagsbuchhändler. Sitzen oder stille stehen sah ihn noch kein Sterblicher!

In stattlicher Equipage fährt hier ein in besten Jahren stehender Mann von gewinnendem Aeußern: es ist der Geheime Commercienrath von Schäffer-Voit aus Berlin, der Gründer des „Bazars“, der ihn zum Millionär gemacht. Nur das dringendste Gebot der Aerzte hat ihn hierher getrieben nach Karlsbad, wo ihn vor drei Jahren der herbste Schmerz ereilte, der ein Menschenherz zermalmend treffen kann. Hier traf die Nachricht ein, daß sein Sohn, der Stolz und die Freude der Eltern, ein blühend schöner junger Mann und wackerer Soldat, in Folge seiner Tüchtigkeit auf dem Schlachtfeld zum Officier ernannt worden sei. Mitten in dem Jubel der beglückten Eltern schmetterte eine telegraphische Depesche alle Hoffnungssaaten nieder, indem sie die Kunde brachte, daß der junge, hochbegabte Mann ein Opfer der Cholera geworden sei. Nie habe ich menschlichen Jammer, trostlose Verzweiflung sich in erschütternderer Weise aussprechen sehen, als hier bei den armen Eltern des Heimgegangenen. Die muntere, lebensfrohe Frau wurde vor meinen Augen eine Greisin, und bis zur Stunde haben die armen reichen Leute diesen qualvollen Schlag

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_441.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)