Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1868) 772.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

2.

Als Schaumberg am Tage nach seiner Rückkehr in Berneck von seinen Nachmittagsgängen heimkehrte, erwartete ihn der Briefträger. „Schon dreimal bin ich hier gewesen, Herr Doctor,“ sagte der Mann, wichtig thuend, „ich habe einen Werthschein für Sie, er lautet auf tausend Gulden; den mußte ich Ihnen doch zu eigenen Händen übergeben.“ – Schaumberg’s Gesicht färbte sich lebhaft – Marbach hatte also weitere und erfolgreiche Schritte für ihn gethan! – kein Zweifel, denn der Ort der Absendung war Bamberg. Rasch unterschrieb und untersiegelte er den Schein und ging, ohne nur Elisabeth begrüßt zu haben, selbst zur Post, um die werthvolle Sendung abzuholen.

Beim ersten Blick auf die Begleitadresse des Päckchens, das ihm eingehändigt wurde, fuhr er zusammen – sie war nicht von Marbach’s Hand, sondern trug andere, ihm wohlbekannte, obgleich lange nicht erblickte Schriftzüge – die der anonymen Briefe von damals. In lebhafter Aufregung eilte er nach Hause, schloß sich ein und erbrach das Siegel. Er hatte sich nicht getäuscht, es war wirklich dieselbe Hand! Das Blatt enthielt folgende Zeilen: „Ein Zufall hat mich erfahren lassen, welche Sorgen meinen Freund bedrücken. Das Kreuz, welches ihn mir einst zuführen sollte, könnte doch noch zu einer Quelle des Glücks für mich werden, wenn er es verwerthen und sich damit von dem befreien möchte, was ihn bedrängt. Ich habe ihm einst gesagt, daß mein Herz ihm gehört – er wird die Gabe nicht zurückweisen, die ich stolz genug bin, als eine weit geringere zu betrachten.“

Mit bebender Hand öffnete Schaumberg das Paket. Es enthielt ein Etui, dessen Feder dem leisesten Druck nachgab; ein Malteserkreuz von alterthümlicher Filigranarbeit, mit großen, augenscheinlich höchst werthvollen Brillanten besetzt, strahlte ihm daraus entgegen; den Mittelpunkt desselben bildete der Buchstabe E.

Nach dem ersten Moment höchster Betroffenheit wallte es stürmisch in Otto auf – Rührung, Demüthigung, ja heftiger Unmuth gingen nach einander durch seine Seele – der letztere Eindruck jedoch blieb vorherrschend. Marbach war also indiscret gewesen! nur durch ihn hatte Helene seine Bedrängniß erfahren können, und sie, von der er sich mit dem Bewußtsein losgerissen, daß sie jede Stunde, die er ihr einst gewidmet, mit heißen Schmerzen bezahlen würde – sie drängte sich nun zum zweiten Mal in sein Leben. Er konnte, er wollte den Gedanken nicht ertragen, ihr in dieser Weise verpflichtet zu sein, von ihr, der er nichts zu bieten hatte, ewig zu empfangen, erst ihr Herz, dann ihre Schätze! – In höchster Aufregung setzte er sich an seinen Schreibtisch, füllte mit fliegender Feder die vier Seiten eines Briefblattes und legte die erhaltenen anonymen Briefe dazwischen; dann packte und siegelte er die Blätter zugleich mit dem Kreuze ein und schloß das Paket in sein Bureau, da erst morgen die nächste Post nach Bamberg abging.

Es dauerte lange, bis er hinreichende Fassung gewann, um sein Zimmer zu verlassen; sein ganzes Wesen war in stürmischer Wallung. Endlich trat er doch bei Elisabeth ein. Zum ersten Male war ihre Nähe ihm drückend; laut sprach es in ihm, daß er jener Forderung gegenseitigen Vertrauens, die er als eine der höchsten Pflichten der Ehe betrachtete, nun selbst nicht Wort hielt, und doch konnte er sich nicht entschließen, ihr mitzutheilen, was ihm begegnet war.

In eigenthümlich gezwungener Weise schlichen heute die sonst so schönen Abendstunden an Beiden vorüber. Die gewaltsam niedergekämpfte Erregung Otto’s konnte Elisabeth nicht entgehen, dennoch richtete sie keine Frage an ihn, nur ward sie immer blasser und stiller, je mehr der Abend vorrückte.

Am folgenden Morgen ging Schaumberg zur Post, um das inhaltsschwere Päckchen dort aufzugeben. Er war durch eine Berufspflicht aufgehalten worden; bereits stand der Postwagen angespannt auf der Straße. Ein rascher Gedanke durchfuhr ihn.

Nach kurzem Zögern steckte er das Päckchen wieder in die Brusttasche, trat in’s Bureau, löste ein Fahrbillet und riß ein Blatt aus seiner Brieftasche, worauf er mit Bleistift die Mittheilung an seine Frau notirte, daß er erst Abends zurückkehren würde. Er übergab das Blättchen einem vorübergehenden Knaben zur sofortigen Bestellung und nahm dann seinen Platz in der Postkutsche ein. Zwischen ihrer Ankunft in Bamberg und dem Abgang der dortigen Post nach Berneck lagen drei Stunden. Sie genügten für seinen Zweck – er wollte Helene selbst sprechen.


3.

Helene Dalen saß vor ihrem Schreibtisch und betrachtete sinnend einen Brief, dessen Adresse sie eben geschrieben hatte; es war die des Majors von Feldheim, und der Brief enthielt die Zusage ihrer Hand.

Die junge Frau ergriff das Petschaft, um ihren Brief zu siegeln; das Geschäft kam aber nicht zu Stande – sie warf ihn plötzlich von sich, drückte ihre Hand vor die Augen und brach in heiße Thränen aus. Es war ihr, als sei es unmöglich, das zu besiegeln, was sie geschrieben – vor die Gestalt des treuen, bewährten Freundes drängte sich in diesem Augenblick, wie schon so oft, ein anderes, ein unvergeßliches Bild!

Als vor einigen Tagen die warme, liebevolle Werbung Feldheim’s an sie gelangt war, hatte sein Brief auch in ihr Wärme und Liebe hervorgerufen. Sie hatte den Freund, dessen Umgang ihr seit Jahren ein Lebensbedürfniß gewesen, seit der Trennung von ihm täglich, ja stündlich vermißt, sein trefflicher Charakter, seine Anhänglichkeit an sie waren ihr, je länger sie ihn entbehrte, desto mehr zum Bewußtsein gekommen, und sie hatte sich mit dem Gedanken, seine Lebensgefährtin zu werden, völlig vertraut gemacht.

Seit zwei Tagen, waren aber alle Träume von Ruhe und Zufriedenheit wie Staub von ihr zerfallen. Sie hatte Otto Schaumberg während seines Aufenthaltes in Bamberg wiedergesehen, ohne von ihm bemerkt zu werden, und der Aufruhr, in den diese Begegnung ihr ganzes Wesen versetzte, fiel wie ein Blitzstrahl in ihre Seele. Nichts war verschmerzt, nichts vergessen, noch heute flog jede Fiber in ihr dieser einen Gestalt zu!

Heute war es ein Jahr, daß er von ihr geschieden, – er hatte sich für immer von ihr getrennt, er war mit einer Andern verbunden, kein Wunsch, keine noch so leise Hoffnung konnte sich mehr an sein Bild knüpfen, und doch stand es, seit sie ihn wiedergesehen, Tag und Nacht vor ihr; die Erinnerung jeder Stunde, die sie mit ihm verlebt, umgab sie wie die Luft, die sie athmete!

Konnte sie, durfte sie mit diesem Bewußtsein dem Freunde ihr Leben zugeloben, dem Manne, den sie hoch hielt, wie keinen Andern, der jede Liebe verdiente? Warum liebte sie nicht ihn? Warum – das fragst Du Dich, arme Helene!

Helenens Thränen flossen nicht lange. Es war nicht die erlösende Fluth, die das Herz befreit, es war ein augenblicklicher Krampf des beinahe physischen Schmerzes gewesen, der sie durchwühlte. Sie schob den Brief zurück, löschte die Kerze, stand auf und öffnete ihren Flügel. Ohne Zusammenhang irrte ihre Hand auf den Tasten, die Geister verklungener Melodien, der Klang einer verhallten Stimme füllten ihr Ohr, ihre Seele. Wieder tauchte die schon tausendmal durchforschte Frage in ihr auf – was sie damals um ihr Glück gebracht? Warum hatte Otto, der ernste, einsiedlerische Mann, sich ihr genähert, wenn ihn nicht Neigung zog? Warum hatte er sie aufgegeben, während doch im Augenblicke des Scheidend vollster Seelenschmerz aus seinem Blicke sprach?

Es war nicht anders möglich, etwas ihr Unbekanntes, etwas, das von außen kam, mußte sich zwischen sie und ihn gedrängt, sie um all’ ihre Lebenshoffnungen betrogen haben! Vielleicht dachte er ihrer eben so lebhaft, wie sie an ihn dachte – vielleicht hatte auch er nur darum eine Andere gewählt, weil jene geheimnißvolle Scheidewand ihn von ihr trennte. – Nur noch einmal ihn wiedersehen! noch einmal vor ihm stehen, in sein Auge blicken, sich gegen ihn aussprechen – nur einen einzigen Herzenston von ihm hören – und dann in Gottes Namen für immer scheiden! rief es laut und lauter in ihrer stürmisch bewegten Seele.

Ein rasches Klopfen an ihrer Thür unterbrach die wogenden Gedanken. Helene fuhr heftig zusammen – der Klang dieses Pochens gehörte in ihre Träume! Ihr Herein klang zitternd und, als erblickte sie einen Geist, so regungslos, so blaß starrte sie dem Eintretenden entgegen.

Otto begrüßte sie ernst, Beide standen sich wortlos gegenüber.

„Sie ahnen wohl, was mich heute zu Ihnen führt, gnädige Frau,“ sagte Schaumberg endlich in gehaltenem Ton. „Ich dachte erst, Ihnen schriftlich zu antworten, doch hielt ich es für meine Pflicht, einen so großen Beweis Ihres Vertrauens persönlich in Ihre Hände zurückzulegen und Ihnen den wärmsten Dank für

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_772.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)