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Seite:Die Gartenlaube (1868) 604.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Halbkreise unweit des Flügels Platz genommen, – es war wieder die Milder als Fidelio, Mademoiselle Müller als Marcelline, Weinmüller als Rocco, Caché als Pförtner Jaquino und Steinkopf als Minister. Nachdem ich dem Fürsten und der Fürstin vorgestellt worden war und Beethoven unsere ehrfurchtsvolle Begrüßung entgegengenommen hatte, legte er seine Partitur der Fürstin auf das Notenpult und – die Aufführung begann.

Die beiden ersten Acte, in denen ich nicht mitzuwirken hatte, wurden von der ersten bis zur letzten Note durchgenommen, man sah nach der Uhr und bestürmte Beethoven, einzelne zu lang ausgesponnene Partieen von untergeordneter Bedeutung wegfallen zu lassen; – der aber vertheidigte jeden Tact und dies zwar mit einer Hoheit und Künstlerwürde, daß ich ihm hätte zu Füßen sinken mögen. Als man aber auf die Hauptsache selbst kam, auf die bedeutenden Kürzungen in der Exposition und die dadurch ermöglichte Verschmelzung der beiden ersten Acte zu einem, gerieth er außer sich, schrie in einem fort: „Nicht eine Note!“ und wollte mit der Partitur Hinwegrennen. Die Fürstin aber legte ihre Hände, wie zum Gebet gefaltet, auf das ihr anvertraute Heiligthum, blickte mit unbeschreiblicher Milde zu dem erzürnten Genius empor, und siehe – sein Zorn schmolz an ihren Blicken, und resignirt nahm Beethoven seinen Platz wieder ein. Die hohe Frau befahl fortzufahren und präludirte zu meiner großen Arie: „In des Lebens Frühlingstagen.“ Ich erbat mir daher von Beethoven die Florestan-Stimme, allein mein unglücklicher Vorgänger hatte sie trotz mehrmaliger Aufforderung nicht herausgegeben, und so wurde ich angewiesen, von der Partitur, auf welcher die Fürstin begleitete, am Clavier abzusingen. Ich wußte, daß diese große Arie für sich Beethoven so viel galt, wie die ganze Oper, und so behandelte ich sie auch. Wieder und immer wieder wollte er sie hören; – fast überstieg die Anstrengung meine Kräfte, aber ich sang sie, denn ich fühlte mich zu glücklich, als ich merkte, daß mein Vortrag den großen Meister mit seinem verkannten Werke auszusöhnen vermochte.

Mitternacht war vorüber, als die Ausführung – durch vielfache Wiederholungen verlängert – endlich beendet war. „Und die Umarbeitung, die Kürzung?“ frug die Fürstin den Meister mit einem flehenden Blicke.

„Verlangen Sie das nicht,“ antwortete dieser düster; „nicht eine Note darf fehlen!“

„Beethoven!“ rief sie mit einem tiefen Seufzer, „so soll Ihr großes Werk verkannt und geschmäht bleiben?“

„Es ist belohnt genug durch Ihren Beifall, gnädigste Fürstin,“ sprach der Meister, und seine Hand glitt leise zitternd aus der ihrigen.

Plötzlich aber war es, als ob die zarte Frau ein stärkerer, mächtigerer Geist erfaßte; halb knieend und ihn mit ihren Armen umfangend, rief sie ihm begeistert zu: „Beethoven! nein – so darf Ihr größtes Werk, so dürfen Sie selbst nicht untergehen! Das will Gott nicht, der die Klänge reinster Schönheit in Ihre Seele gelegt, – das will der Geist Ihrer Mutter nicht, der in diesem Augenblicke durch mich mahnend zu Ihnen fleht – – Beethoven, es muß sein! Geben Sie nach! Thun Sie’s zum Gedächtniß an Ihre Mutter! Thun Sie’s für mich, für Ihre einzige, Ihre treueste Freundin!“

Der große Mann mit dem an olympische Erhabenheit mahnenden Haupte stand lange vor der engelsbleichen Verehrerin seiner Muse, dann strich er mit seiner Hand das lang herabwallende Lockenhaar aus dem Gesicht, als ob ein schöner Traum durch seine Seele zöge, und den Blick voll Rührung gen Himmel gerichtet, rief er schluchzend: „Ich will’s! – will Alles – Alles thun; – für Sie – für meine Mutter!“ Dabei zog er die Fürstin mit Ehrfurcht zu sich empor und reichte die Hand dem Fürsten, wie zum Gelöbniß. Wir aber umstanden die Gruppe mit ernster Rührung, denn wir Alle fühlten schon damals die Bedeutung des großen Augenblicks.

Es wurde von diesem Moment kein Wort mehr von der Oper gesprochen, – Alle waren erschöpft, und ich kann wohl sagen, daß ich mit Meyer einen durchaus nicht schwer verständlichen Erlösungsblick wechselte, als Bediente die weiten Flügelthüren des Speisesaales öffneten und die Gesellschaft sich endlich dort an reichbesetzten Tafeln niederließ, um das Souper einzunehmen. Wahrscheinlich nicht ganz zufällig mußte ich Beethoven gegenübersitzen, der, im Geiste wohl noch bei seiner Oper verweilend, auffällig wenig aß, während ich, vom ärgsten Hunger gequält, den ersten Gang mit einer an’s Komische grenzenden Hast verschlungen hatte. Lächelnd zeigte er auf meinen leeren Teller: „Sie haben ja die Speise verschlungen, wie ein Wolf – was haben Sie denn gegessen?“

„Ich hatte so viel Hunger,“ antwortete ich, „daß ich in der That nicht acht gab, was ich aß.“

„Darum haben Sie auch vorhin die Florestanpartie, den Mann im Hungerthurm, so meisterhaft und mit so vieler Naturtreue wiedergegeben; das Verdienst trifft also weder Ihre Stimme, noch Ihren Kopf, sondern lediglich Ihren Magen. Nun, so hungern Sie nur immer recht brav vor der Vorstellung, dann wird uns der Erfolg nicht fehlen.“

Alles an der Tafel lachte und freute sich wohl mehr darüber, daß Beethoven überhaupt wieder einen Scherz gemacht, als über den letzteren selbst.

Als wir das fürstliche Palais verließen, sprach Beethoven noch zu mir: „An Ihrer Partie habe ich am wenigsten zu ändern; kommen Sie daher in den nächsten Tagen in meine Wohnung, um dieselbe abzuholen, ich werde sie Ihnen selbst ausschreiben.“

Wenige Tage später meldete ich mich in seinem Vorzimmer; ein ältlicher Diener wußte nicht, was er mit mir machen sollte, da sein Herr sich gerade wusch. Ich hörte dies an dem Rieseln des Wassers, welches der edle Sonderling in förmlichen Bächen über sich hinweggoß, dabei stieß er ein gebrüllartiges Stöhnen aus, das bei ihm ein Ausbruch der Behaglichkeit zu sein schien. Auf des alten Dieners unfreundlicher Stirn glaubte ich die Worte: „Melden– oder fortschicken?“ in mürrischen, faltenreichen Buchstaben zu lesen; dann aber frug er plötzlich: „Wen habe ich die Ehre –“

Ich nannte meinen Namen: „Joseph Röckel.“

„Ja, schauen’s,“ meinte der gute Wiener, „da hab’ ich halt Befehl zu melden.“

Er ging und öffnete gleich darauf die Thür. Ich trat ein in die vom höchsten Genius geweihte Stätte. Sie sah fast dürftig einfach aus und es schien ihr jeglicher Ordnungssinn ewig fern geblieben zu sein. Dort, in der Ecke, ein geöffneter Flügel, mit Notenheften im wildesten Durcheinander belastet. Hier auf einem Stuhle ein Stück Eroica; die einzelnen Partieen aus der ihn beschäftigenden Oper theilweise auf anderen Stühlen, theilweise auch auf und unter dem Tische, welcher in der Mitte der Stube stand, und zwischen Kammermusikwerken, Claviertrios und Symphonieskizzen mitten drin der mächtige Waschapparat, an welchem der Meister beschäftigt war, seine starkgebaute Brust mit der kalten Fluth zu bespülen. Er empfing mich ohne die geringsten Umstände, und ich hatte Gelegenheit, seine mächtige Musculatur und seinen starken Gliederbau zu bewundern. Nach diesem durfte man dem Componisten das Alter eines Methusalem versprechen, und es mußte ein gewaltiger feindseliger Einfluß sein, der diese starke Säule so frühzeitig zu brechen vermochte.

Leutselig begrüßte mich Beethoven mit zufriedenem Lächeln und erzählte mir, während er sich dabei ankleidete, mit welcher Mühe er eigenhändig die Stimme aus der unleserlichen Partitur geschrieben, damit ich sie recht schnell und durchaus correct erhalten sollte.

Wenige Wochen später hatten auch schon die übrigen Opernmitglieder ihre Partieen der neuen Bearbeitung in Händen. Wir staunten Alle über die Arbeitskraft Beethoven’s, der in so kurzer Zeit die Umgestaltung seines genialen Werkes vollendet hatte, daß wir es bereits am 29. März 1806, also kaum vier Monate nach seiner ersten kurzen Bühnenexistenz, wiederum im Theater an der Wien, diesmal aber vor einem behaglicheren „wienerischen“ Publicum zur Aufführung brachten.

Dem Componisten war von der Direction Tantième, mir aber, weil ich die eigentlich außer meinem bisherigen Spielsache liegende große Partie so bereitwillig übernommen hatte, ein Extrahonorar zugesichert. Ersterer zankte vor Beginn der Oper heftig mit dem Director, weil man sein Werk, dem er abermals ausdrücklich den Namen „Fidelio“ gegeben, wieder aus Geschäftsrücksichten auf dem Theaterzettel unter dem alten von der Paer’schen Oper her bekannten Namen „Leonore“ ausgeführt hatte.

Wir gaben uns alle mögliche Mühe, dem Werke Erfolg zu verschaffen, und wenn dies nicht gleich beim ersten Male vollständig gelang, so war bei der zweiten und dritten Wiederholung das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_604.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)