Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1868) 595.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Und werden sie auch in diesem Jahre kommen?“

„Das weiß ich selber net – ich denk’ wohl, aber ich hab’ noch keine Nachricht …“

„Dann erkennet eine gütige Fügung deö Himmels darin, der mich zu Euch führt, da es noch Zeit ist, Euer Haus vor einem großen Unglück zu bewahren! Wisset, daß ich deswegen zu Euch gekommen – ich will Euch warnen, will Euch beschwören, jene Menschen nicht mehr aufzunehmen in Euer reines, altchristliches Haus …“

„Sie erschrecken mich, Hochwürden! Sie werden doch nichts Unrechtes wissen von denen Leuten? Ich hab’ sie für ordentlich und rechtschaffen gehalten …“

„Das zu untersuchen, würde zu weit führen und ist auch unnöthig! … Wißt Ihr nicht, daß sie Protestanten sind … das ist genug, ein solcher Umgang kann und wird Euch niemals Segen bringen …“

Die Bäuerin hatte die Hände im Schooße gefaltet und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. „Das weiß ich wohl,“ sagte sie dann, „und es mag wohl ein arges Volk sein um die Luttrischen … aber mit denen, die bei mir logiren, muß es doch net gar so weit gefehlt sein! Das sind recht stille, ordentliche Leut’, – ein Jedes davon … ich hab’ wohl drauf Acht gegeben … hat sein Gebetbuch, und ich hab’s auch gesehen und gehört, wie sie Alle Morgens und Abends das Vaterunser gebet’ haben, gerad’ wie wir auch, und recht andächtig, Hochwürden, Sie können mir’s glauben!“

„Und dünkt Ihr Euch so klug,“ rief der Priester in strengem Tone, „daß Ihr das zu beurtheilen im Stande seid? Wie es nur Eine Sonne am Himmel giebt, kann es auch nur Einen wahren Glauben geben, nur Eine rechte Art, zu beten! Ich sehe leider, daß das Gift solcher Umgebung Euch schon ergriffen und verblendet hat! Das ist eben die entsetzliche Gefahr, daß ein solcher Verkehr den eigenen Glaubenseifer abstumpft, daß er jene sträfliche Lauigkeit hervorbringt, welche die Welt so gern mit schönen Worten aufputzen möchte und die doch nichts ist, als Gleichgültigkeit, von der nur noch ein Schritt ist zu dem entsetzlichsten Unheil, zum Unglauben! Ich will doch nimmermehr glauben, daß es der schnöde Geldgewinn ist, der eine so reiche Frau bewogen hat …“

„Mit Verlaub, Hochwürden,“ unterbrach ihn die Bäuerin, „das sind harte Reden, die Sie mir da geben … ich sehe wohl, ich muß Ihnen schon erzählen, wie’s zugegangen ist, daß die Preußischen auf den Funkenhauserhof ’kommen sind! … Es werden so um Jacobi herum gerad’ volle drei Jahr’ sein, da ist die Frau von Schulze zum ersten Mal mit ihrem Sohn und ihrer Tochter zu mir herauf gekommen, sie haben einen Spaziergang gemacht und haben dabei über Macht gethan, denn die Tochter, die krank ist und an der Schwindsucht leidet, die war so müd’ und matt, daß sie vor Elend nicht mehr weiter gekonnt hat und da, wo wir jetzt sitzen, in einer völligen Ohnmacht auf der Bank gelegen ist. Wie sie nachher wieder zu sich ’kommen ist, da hat sie die Mutter zu sich hingewinkt und hat ihr zugewispert: ‚O Mutter, wie ist es hier oben so schön – welch’ balsamische Luft! Wie thut sie meiner kranken Brust so wohl … O, hier möchte ich bleiben! Hier würde ich gewiß bald gesund werden.‘ – ,Nun, hat die Mutter darauf gesagt, ‚das kann ja vielleicht geschehen, wir ziehen aus dem Dorfe und aus dem Gasthause herauf und die Bäuerin hier wird uns gegen gute Vergütung wohl behalten.‘ Ich hab’ es wohl gemerkt und verstanden, wie sie so untereinander gered’t haben und um die Sach’ herumgegangen sind, aber ich hab’s net hören und verstehen wollen, denn ich hab’ mir’s wohl gedenkt, wie’s mit der Religion bei denen Fremden stehen mag, und ich hab’s net für möglich gehalten, daß ich einmal Ja sagen sollt’ und sollt’ Luttrische in meinen Hof lassen. Wie sie dann mit der Sprach’ herausgerückt sind, hab’ ich Nein gesagt und hab’ zuerst allerlei Ausreden ’braucht, daß ich keinen Platz hätt’ in meinem Haus, daß da oben in der Einöd’ nichts zu haben sei, daß meine Leut’ auf die Bedienung von solchen Herrschaften net eingeschossen sind … wie’s aber Alles net hat helfen wollen, da hab’ ich auch net mehr hinter’m Berg gehalten und hab’s der Frau gerad’ heraus gesagt, ich könnt’ mir wohl einbilden, daß sie luttrische Leut’ wären – ich aber und mein Haus, wir wären gut und alt katholisch, und das könnt’ sich net gut vertragen miteinander und ich könnt’s vor mein’ Gewissen net verantworten, wenn ich ihnen ihren Willen thät’ … Ich hab’ mir eingebild’t, sie würden mir noch viel vormachen und mir’s auszureden suchen oder mich wohl gar auslachen – aber das haben s’ Alles net gethan … ‚Wenn das ist,‘ hat die Frau gesagt, ‚so reden wir nicht mehr davon, um unsertwillen soll Euer Gewissen nicht beunruhigt werden.‘ Die kranke Fräul’n aber hat gar nichts gesagt und hat mich nur mit ihren großmächtigen Augen aus dem blassen eingefallenen Gesicht angeschaut, ich kann gar net sagen, wie … Sie sind nachher fortgegangen; der Bruder und die Mutter haben die Kranke fortgeführt, bis da vorne zu dem Wegkreuz, da sind sie nochmal stehen geblieben und haben zurück geschaut – ich aber bin in’s Haus hinein, damit ich sie nimmer gesehen hab’ … Und wie ich in die Stuben hineintret’, da bin ich vor dem geschnitzten Bild gestanden, das auf dem Hausaltarl’ steht … es ist unser Herr in der Rast mit der Dornenkron’ auf dem Kopf und mit dem rothen Königsmantel… Da ist’s mir gewesen, als wenn er mich anschauen thät mit sein’ schmerzhaften traurigen Blick und als wenn er mit denen gebundenen Händen hindeuten thät auf die Schrift unten am Postament und als wenn er sagen wollt’ … ‚Kommt her zu mir Alle, die Ihr mühselig und beladen seid und ich will Euch erquicken‘ … da hab’ ich mich vor mir selber geschamt bis in’s tieffste Herz hinein, und die bittern Zäher sind mir ’runtergelaufen und ich bin denen Fremden nach und hab’ ihnen schon von Weitem zugerufen, sie sollten bleiben, ich wollt’ sie aufnehmen – und wenn das eine Sünd’ gewesen ist, dann wird’s unser lieber Herrgott mit mir gnädig machen, denn ich hab’ net anders gekonnt … Und so – so ist es halt zugegangen, so sind die Luttrischen Leut’ auf den Funkenhauserhof gekommen …“

Der Geistliche hatte zugehört, ohne sie mit einer Miene oder einem Laute zu unterbrechen. „Ihr habt Euch von einem menschlichen Gefühle leiten lassen,“ sagte er dann, „das an sich ganz lobenswerth ist, zu weit getrieben aber zum großen Unrecht, zu sträflicher Schwäche wird. Ihr habt Eurem weichen Frauenherzen Genüge gethan, mögen die Fremden nun einen andern Platz zu Vergnügen oder Heilung suchen – an Euch ist es jetzt, den Umgang abzubrechen und das Aergerniß wieder gut zu machen, das Ihr gegeben habt!“

Die Bäuerin wendete sich rasch und blickte den Geistlichen scharf an, indeß es ihr roth bis unter die grauen Scheitelhaare aufstieg. „Ein Aergerniß auf dem Funkenhauserhof?“ rief sie. „Das wär’ das erste Mal, seitdem ich und mein sel’ger Mann da heroben hausen! Und Ihr Wort in Ehren, Hochwürden, aber das kann ich auch nicht glauben! Ich bin selbiges Mal am andern Tag in aller Früh hinunter zum Herrn Pfarrer und hab’ ihn um Rath gefragt, und der hat mir die Hand gegeben und hat gesagt, ich hätt’ recht gethan … und das ist für meinen Bauernkopf zu rund, wie das, was dazumal nicht unrecht gewesen ist, jetzt auf einmal eine Sünd’ sein soll!“

„Darüber, meine gute Frau,“ sagte der Caplan mit Nachdruck, „möget Ihr das Urtheil am besten Andern überlassen, deren Beruf und Amt es ist – gläubiger Gehorsam ist Euer Verdienst und Eure Aufgabe … Ueberleget daher wohl, wozu Ihr Euch entschließet; nützet die Augenblicke, die Euch noch gegeben sind, denn sie sind wie gezählte Tropfen in der Hand des Herrn und ein jeglicher bringt Euch dem des Todes näher, da die Seele von dem Körper geschieden wird, um Rechenschaft abzugeben …“

Er hatte sich während dieser Worte erhoben, die Bäuerin that das Gleiche; sie rückte ungeduldig an der schwarzgestrickten Hausmütze, die ihren grauen Kopf bedeckte, und schien zu kämpfen, ob sie ihren Gedanken und Empfindungen Worte geben solle … „Ich bin keine solche Unchristin, Hochwürden,“ unterbrach sie ihn jetzt losplatzend, „daß ich net an meine Sterbstund’ denken sollt’, ich thu’s alle Tag’, und ich denk’, wie ich grau geworden bin in Ehren, will ich mein graues Haar auch in Ehren in die Grube bringen … Aber weil wir doch so schön bei einander sind und weil wir doch so jung nimmer zusammen kommen, so muß ich Ihnen schon sagen … Es kann Alles recht schön sein, was Sie mir gesagt haben, aber ich gehöre noch zu der alten Welt und halt’s noch mit der alten Frömmigkeit! Ich hab’ es schon gehört, daß sie jetzt eine neue Frömmigkeit aufbringen wollen, und Sie werden Wohl auch Einer von denen sein! Ich hab’ mir sagen lassen, Sie wollen den jungen Leuten das Tanzen verbieten und selber das Singen, es soll Alles still sein und unterthänig,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_595.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)