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Seite:Die Gartenlaube (1868) 156.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Nun, den Mond!“ erwiderte Wild, „denn er hat doch eigentlich die Britannia-Röhren zwischen die Pfeiler getragen.“[1] „Sehr richtig,“ rief Stephenson lachend, „daran habe ich wirklich noch nicht gedacht.“

Wir lachten verstehend mit. Nur die Damen sahen sich etwas befremdet an.

„Mein Gott,“ sagte die kleine reizende Frau an meiner Seite mit gelangweiltem Lächeln, die schweren goldblonden Locken zurückschüttelnd, „nun werden die Herren auch noch mysteriös. Hatten wir denn uns bisher nicht schon genug bei diesem Diner an Tödtungen und Verletzungen auf Eisenbahnen, Blechrohren von Millionen und Millionen Pfunden und was dergleichen Zierlichkeiten mehr waren, zu erquicken?“

„Ja, liebe Amy,“ sagte Miß Stephenson, sich mit freundlicher Ironie in den gutmüthigen alten Zügen erhebend, „das ist so an meines Bruders Tafelrunde. Sehr ausgezeichnet, sehr respectabel, sehr nützlich, aber ich beneide dabei oft meine Angora dort auf dein Fauteuil.“

Die Damen ließen uns mit dieser verdienten derben Lection, einiger Beschämung und den Flaschen allein, die rüstig auf silbernen Wägelchen auf der Tafel herum zu rollen begannen.

Bald fiel das Gespräch auf das Wunder des Tages, die Yacht „Amerika“, auf der ihr Erbauer, der anwesende Amerikaner Stevenson, die zauberschnelle Reise von zehn Tagen über den atlantischen Ocean gemacht und die soeben, bei dem großen „Yacht Race“ zu Plymouth, alle die beflügelten Segler des englischen Jachtclubs glänzend geschlagen hatte.

Dieser Sieg der Amerikaner hatte in den höheren Kreisen Londons fast den Eindruck eines Nationalunfalls gemacht, und das außerordentliche, ganz unenglische Feuer, welches auch das Gespräch in unserem Kreise zu beleben begann, zeugte davon, wie innig das Leben des Meeres in das des großen Inselvolkes verwebt ist. Ein „schnelles Schiff“, ein „nobles Boot“, bei diesen Worten belebt sich das Auge des arbeitsmüdesten Dockträgers ebenso gut, wie das des blasirten jungen Nobleman, den der Ruf „eine schöne Frau“ nicht einmal mehr aufblicken läßt.

Man wird sich also denken können, daß der Erbauer oder Besitzer eines ganz ungewöhnlich schnellen Schiffs, mehrere Tage länger als der größte Künstler und Virtuos, der beneidete Held des Tages in den Londoner Kreisen der „oberen Zehntausend“ sein kann.

Aber wo das große Publicum zujauchzt und gafft, da besitzen und genießen diese Glücklichen, und so gehörte, besonders im Anfange der fünfziger Jahre, der Besitz einer schnellen Jacht unbedingt zum Lustre eines Noblemann comme il faut, und in einer jener queren Launen, an denen die englische Gesellschaft so reich ist, führt bei diesem freien, großen Volke den thatenreichen Leistenden, aber Empor gekommenen, nur sclavische Nachahmung der Sitten derer, die nichts thun und leisten, zur Geltung! Beim geschäftigsten Volke der Erde gilt „nichts zu thun zu haben“ noch als erstes Attribut des „wahren Gentleman“.

Auch unser edler Wirth besaß daher, wie schon oben erwähnt, eines jener elfenhaften Gebilde der Schiffsbaukunst, deren Tendenz es ist, durch immer größere Vervollkommnung der Linien der Schiffskörper, immer richtigeres Gleichgewicht der Besegelung, die höchstmögliche Geschwindigkeit der Fahrt, den höchsten Gehorsam des Steuerruders zu erreichen. Sie fliegen wie Seefalken aus von den an den Küsten liegenden Schlössern der Reichen, sie entzücken das Auge des Seemanns durch unübertreffliche Haltung ihres Windwerks, sie gleiten wie Goldfische mit glänzendem, schlankem Kupferbauche durch die spiegelglatten Gewässer, graziös vor der leichtesten Brise geneigt; sie wippen wie Sturmvögel sicher und leicht, als ob sie kaum die Kämme der Wogen berührten, über Berg und Thal des aufgewühlien Oceans! Ihre innere Einrichtung ist die Miniature der stolzen Schlösser ihrer Besitzer. Die schöne Lady vermißt auf ihrer Elfennußschale weder die Bibliothek, noch das Badezimmer, noch das Piano in Liliputergestalt, und wenn, bei hoher See, welche die kleinen Schiffe natürlich gewaltig umherwirft, die Balance verloren wird, so ist durch dreifache türkische Teppiche und maroquingepolsterte Wände der Cajüte dafür gesorgt, daß selbst ein jäher Fall die zarten Glieder nicht verletze.

Der Ort, wo sich diese Edelwesen unter den Schiffen am liebsten zu versammeln pflegen, ist auch der eleganteste Theil der englischen Küste, der, von deren Höhen aus die Königin gern dem spielenden und doch so heiße Leidenschaften erregenden Wettflug derselben zusieht, oder es zu Zeiten auch wohl erleben muß, daß, bei frischem Winde, wenn sie, in hohem Interesse am schönen Schauspiel, denselben am Bord ihrer schnellen Dampfyacht „Victoria and Albert“ begleitet, eine dieser „Beauties“ zwar ehrerbietig die bunte Flagge vor dem königlichen Schiffe senkend, doch ohne Erbarmen ihm leichtbeschwingt vorüber- und vorausfliegt.

Unter die „Schönsten der Schönen“ gehörte aber unseres edlen Wirthes Yacht, an der alle Theorie und Praxis der Schiffsbaukunst ihre geheimsten „Kniffe“ erschöpft zu haben meinte.

Wenige Tage vor unserem Abende war eines jener zauberischen Seestücke, ein Yachtwettsegeln, vor der Insel Wight in natura gemalt worden.

Die edlen Lords an Bord ihrer goldglänzenden, zierlichen Libellen, Wasserschwalben, Nixen, Sylphen, Möven etc. waren nicht wenig erstaunt gewesen, als sich, zwar seitab der Reihe der edeln zum Tjost aufmarschirenden Ritter, aber offenbar streitbereit, ein schlichter, unscheinbarer, „seegewaschener“ Kämpe, mit niederem, dunklem Bord, weit zurückliegendem, an die Betakelung der Schebecken der Berberei erinnerndem, starkem, hohem Spierenwerke und ungewöhnlich breiten Rahen, gestellt hatte. Als der Kanonenschuß zur Abfahrt der Wettsegler gefallen war, diese im Nu ihre weißen Schwingen entfaltet hatten und davongeflattert waren, hatte das unscheinbare Schiff eines seiner großen Segel nach dem andern gemächlich von den Raaen geschüttelt, sich stark auf die Seite geneigt und war schneller und schneller, zwischen den schönen Jachten dahin, durch das Wasser geglitten. Es hatte sich schon in der ersten Reihe befunden, ehe noch sein ganzes „Tuch“ entfaltet war, plötzlich aber hatte es auch „die letzte Faser“, wie die Seeleute sagen, ausgebreitet und war nach dem Umsegeln der Insel, den andern Jachten fast um eine Seemeile voraus, ihnen schon wieder entgegen gekommen. Dabei hatte es, zum unsäglichen Aerger der stolzen britischen Yachtritter, das amerikanische Sternenbanner entfaltet.

Der Aerger hatte sich bald in glühende Begierden verwandelt. Die Intelligenz brannte, hinter die Hexenkünste des Amerikaners zu kommen, der Reichthum, das Schiff zu besitzen.

So war es gekommen, daß auch Stephenson, seiner lieblichen „Wassernixe“ untreu werdend, sich unter den Bewerben um das eigenthümliche, interessante, technische Wesen befunden hatte.

Jetzt, als man daraus in unserem Kreise, in dem der herrlichste Port schon die Herzen erschlossen hatte, zu sprechen kam, äußerte er: „Ich würde das Schiff auseinander genommen und die Linien und Verhältnisse desselben studirt haben, wenn ich das Glück gehabt hätte, es zu erwerben.“

„Das wäre schade gewesen,“ erwiderte der Amerikaner darauf, den gerötheten Kopf in dem Rocking chair, den ihm Stephenson liebenswürdig hatte bringen lassen, zurücklegend und die Asche von seiner Cigarre blasend, „denn Sie würden nichts Neues gefunden haben. Kann ich’s doch kaum vor mir selbst verantworten, mir für das Schiff so hohe Preise bieten zu lassen, da das Geheimniß seiner Segelkraft so einfach ist.“ –

Er machte eine Pause – Niemand wagte um deren Mittheilung zu bitten; doch lauschte Alles in athemloser Spannung, die sich erst löste, als er behaglich fortfuhr:

„Der Körper Ihrer Jacht, mein edler Wirth, ist besser geformt, als der der meinen, und sie würde vorm Winde auch besser segeln, wenn er schräg genug nach hinten im Wasser läge; dann zerspaltet das viele, sehr elegante, sehr seemännische, aber – unnütze – Tauwerk, das Sie hinter den Segeln haben, den Wind, und nimmt ihm den derben Prall gegen die Leinwand.

Ihre Bords sind zu hoch, das giebt falschen Windfang! Es ist wahr, Sie haben fast immer ein trockenes Deck, und, Gott weiß, wie dagegen mein Boot am Winde immer halb unter Wasser liegt! Was sind wir gewaschen worden bei der Ueberfahrt von Amerika herüber, aber – gleichviel – wir segelten schnell

„Die Hauptsache aber, und das ist eigentlich mein Geheimniß, liegt im Stoff und im Schnitte der Segel. Leinwand, trockene Leinwand, weiße, schöne Leinwand für noble Jachtsegel ist ein reines Sieb, durch das der Wind halb hindurch pfeift. Und die runde Schwellung Eurer Tücher sieht schöner aus – als sie gut ist. Vierfacher, fester, gesteppter Cattun, straff gespannt wie ein Brett, mit scharf angeholten Schoten und Brassen, – das ist das wahre Segel, da thut die Luft ihre Schuldigkeit daran, da könnt Ihr am Winde Hinsegeln – auf Haaresbreite. –“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_156.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Nämlich die Springflut, die ihrerseits durch die Anziehungskraft des Mondes erregt wird.