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Seite:Die Gartenlaube (1867) 696.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

erwählen, denn eine vorzeitige Traubenlese bringt ebenso bedeutenden Schaden, wie eine zu spät anberaumte. Bei nasser Witterung wird das Geschäft unendlich erschwert und die Trauben fangen an auszulaufen. Man unterbricht dann häufig, bei Nebel und Regen, die Lese. Ehedem nahm man es nicht so genau mit Beginn der Lese, aber die letzten Jahrzehnte haben festgestellt, daß die Weine durch die „Edelfäule“ unendlich an Güte und Feuer gewinnen.

Durch einen Rechtsstreit um den Zehnten in der Gemarkung Johannisberg, nach Andern schon früher durch die Kriegswirren der französischen Invasion, verspätete man im Jahre 1811 die Lese hier und dort, und da durch Frost und Fäule die Trauben schon gänzlich unansehnlich geworden, so wollte man auf deren Lese ganz verzichten. Es wurde dennoch gelesen, und siehe da – der Winzer war um eine wichtige Erfahrung reicher. Der Frost sondert die wässrigen Theile der Beeren naturgemäß aus, Zuckerstoff und mit ihm Alcohol bleiben zurück, und was der Winzer an Quantität verliert, gewinnt er doppelt und dreifach an Qualität. Im Jahre 1811 kaufte das Wein-Großhandlungshaus Mumm in Frankfurt a. M. von dem Marschall Kellermann (Herzog von Valmy), dem Napoleon der Erste 1807 die schöne Besitzung Johannisberg schenkte, die bereits verloren gegebene Weinernte der Johannisberger Wingerte. Die edelfaulen Trauben dieses anscheinend verlorenen Jahrgangs legten den Grund zu dem großen Vermögen und blühenden Geschäfte des Hauses Mumm. Eine schöne Villa neben dem Johannisberger Schloß erinnert jetzt an das brillante Geschäft mit dem Eilfer.

Der große Producent, der die Mittel besitzt, eine Speculation auf die Spätlese zu wagen, läßt seine Wingerte geschlossen, so lange es eben thunlich, und beginnt häufig erst im November die Lese. Der kleinere Weinbauer vermag dies nicht. Regengüsse, anhaltender Frost können ihn in wenigen Stunden um die ganze Crescenz betrügen.

In den Domanial-Weinbergen (Steinberg, Marcobrunn, Gräfenberg, Rüdesheim, Hattenheim, Hochheim) des vormaligen Herzogthums Nassau werden nur Spätlesen vorgenommen. Und hier, sowie auf dem Johannisberg, in Rauenthal u. s. w. tritt noch in der Regel eine zweite und dritte Auslese hinzu, um dem Wein die höchste Vollkommenheit zu ermöglichen. In diesen Weinbergen ersten Ranges werden die Trauben mit einer Gabel ausgestochen, abgeleert, ausgepflückt; der Zuckerstoff ist hier so vorwiegend, daß die Beeren leimartig an den Fingern kleben, ein Umstand, der die Arbeit sehr erschwert. Die Trauben selbst erinnern nicht im Entferntesten mehr an die schönen üppigen Tafeltrauben prunkender Gastmahle, sie sind entstellt, unansehnlich, „verhutzelt“ und wenig zum Genuß einladend. – Die Winzerinnen und Winzer erhalten im Rheingau vierundzwanzig Kreuzer und „zwei Weck“ (Semmel) täglich, in der Gegend von Lorch und rheinab sieben Silbergroschen und „einen Weck“ per Tag, während die sogenannten Legelträger, von denen wir noch sprechen werden, welche auch das „Mosten“ besorgen, fünfzehn Silbergroschen und volle Naturalverpflegung erhalten. Dabei ist sämmtlichen Winzern der Genuß von Trauben edler Lagen untersagt; häufig erhalten sie für diese erzwungene Enthaltsamkeit eine besondere Vergütung. In weniger guten Lagen ist das Geschäft der Lese allerdings bequemer und die eigentliche „Auslas“ im Sinne des Rheingauers fällt hier hinweg. Mit Hülfe des Rebmessers, oder der starken, kurzen und scharfen Traubenscheere werden die Trauben „mit Dreck und Speck“ vorsichtig vom Stocke getrennt. Die Traube selbst hält der Winzer in der hohlen Hand, damit keine Beeren herabfallen; geschieht dies dennoch, so fängt eine hölzerne Schüssel, Kübel, Bütte oder ein Korb die entfallenden Beeren auf. Viele Winzer pressen bei der Kelterung die Trauben doppelt, indem sie den ersten Vorlauf, der die Beerenhülsen und Stiele nicht berührt, gesondert halten, ehe sie die Kelter auf die ganze Masse wirken lassen.

Ueber die Gährung und fernere Bereitung des Weines giebt uns vielleicht ein späterer Artikel Gelegenheit, allgemeine Mittheilungen zu machen.

Unantastbar ist der Ruf des Rheinweines, unvergleichlich sind seine wunderbaren Eigenschaften, einzig sein Aroma, seine Blume, sein Bouquet! So nennt der Rheinländer ein flüchtiges Gährungsproduct, welches nur dem Rheinwein eigen ist und das sämmtliche Weine südlicher Gegenden vermissen. Nach Amerika, Ungarn etc. ausgeführte rheinische Rebsetzlinge kommen dort in gleicher Weise nicht auf. Der ächte rheinische Weinkenner unterscheidet in Wahrheit mit der Zunge an dem verschiedenartigen Bouquet die Hauptlagen des Rheins und die betreffenden Jahrgänge. Der ächte Rheinwein darf weder Kopfweh noch Hitze, weder Uebelbefinden noch Magenkatarrh erregen – Verstimmung nach dem Genusse rheinischen Gewächses ist der beste Beweis von schlechtem oder zurechtgemachtem Rheinweine. Drei Orte sind es, die den besten Marken des Rheines jetzt den Namen geben: Steinberg, Johannisberg und Rauenthal. Ersterer gedeiht auf einem bisher Nassauischen Domanialgut, der zweite wächst auf fürstlich Metternich’schen Besitzthum und der dritte gesellt sich seit einigen Jahren als siegreicher Kämpe zu den genannten Weinen. Auf der Londoner Industrie-Ausstellung erhielt der Steinberg, auf der Kölner (1865) der Steinberg (ein Steinberger Cabinets-Ausbruch von 1862) und die Rauenthaler Weine aus dem Keller des Procurator A. Wilhelmy in Wiesbaden die ersten Preise. Auf dem Fürstencongreß in Frankfurt (1863) credenzte man Rauenthaler, die Flasche (¾ Litre) zu achtzehn Gulden! Er „durchduftete“ bei Oeffnung der Flaschen den Römersaal. In Paris (1867) errang sich Wilhelmy mit seinen Rauenthaler Collectionen (Jahrgang 1859 und 1861) wieder den ersten Preis und die goldene Medaille mit einer besonderen Belobung. Nächstdem wurde der Johannisberg mit der goldenen Medaille prämiirt. Steinberg hatte nicht ausgestellt.

Das Rheingau (Gesammtertrag pro Jahr 8000 bis 10,000 Stück, 1 Stück = 8 Ohm = 16 Eimer), nach Simrock „die Hochschule des deutschen Weinbaues“, bevorzugt größtentheils die edle Rieslingtraube, die indeß großer Pflege und äußerst günstiger Witterung bedarf. Aßmannshausen zieht den besten rheinischen Rothen, einzelne Orte rheinab wie Lorch (Bodenthaler), Engehöll, Steeg und Manubach bei Bacharach ziehen ebenfalls noch Riesling, von da ab beginnt schon häufig der Anbau des sogenannten „Kleinberger“, weiter hinab bevorzugt man den den Bodenverhältnissen mehr entsprechenden Bleichert (von bleichroth, hellroth). Das Ahrthal zieht Burgundertrauben und kräftigen, feurigen Wein; Oberingelheim Frühburgunder; die Mosel zeichnet sich durch ihre leichten, aber duftigen Sorten (Moselblümchen) aus und am Niederrhein wächst schon viel – „Wendewein“.

Die Orte Bacharach, Manubach, Oberdiebach und Steeg erzielen beispielsweise auf einem Flächenraum von 1230 Morgen etwa 870 Fuder à 878 Quart, zu einem Durchschnittspreis von 200 bis 260 Thaler pro Fuder (1865), während z. B. die auf der rechten Rheinseite liegenden Berge von Caub, 739 Morgen, ungefähr 700 Stück ergeben, die bis zu 500 Gulden pro Stück (1200 Litre) bezahlt werden. Steinberger Eintausendachthundertsiebenundfünfziger wurde zu 5500 Gulden pro Stück bezahlt und im Jahre 1853 wurde ein halbes Stück Steinberger für 5820 Gulden verkauft.

Von diesen flüchtigen Skizzen über den Weinbau am Mittelrhein kehren wir auf unsern Weinberg selbst zurück.

Die freudige Stimmung während des Geschäfts der Lese herrscht auch in den umgebenden Wingerten vor. Aus der Nachbarschaft kommen Weinbergsbesitzer, kosten und prüfen Trauben und Most. An den fahrbaren Wegen stehen große Bottiche, in welche der Inhalt der sogenannten Legel entleert wird. Legel nennt der Winzer eine unten spitz zulaufende, oben breitere, elliptisch geformte Holzbütte, welche an zwei festen Lederriemen auf dem Rücken getragen wird. In diese Legel entleeren die Winzerinnen ihre kleineren Bütten und Gefäße. Der Legel faßt etwa 90 bis 100 Pfund Trauben. Je nach der Oertlichkeit werden diese schweren Lasten auch häufig bis hinunter in’s Kelterhaus geschleppt. Vorher bearbeitet der Legelträger, der ob seiner schweren Arbeit, wie wir oben andeuteten, besser bezahlt ist, mit zwei Mostkolben (drei Fuß lange Knüppel von weichem Holze) im Legel selbst die ganze Traubenmasse. Eine kreuzweise schnelle Bewegung dieser beiden „Mostertkolben“ erzeugt in dem Legel den ersten Uebergangszustand zur flüssigen Masse. Eine braungelbe oder dunkelrothe, nichts weniger als klare Brühe bildet sich hier und wird dann in die Bottiche geschüttet. An einzelnen Orten werden die Trauben, statt in den Legeln, in einem großen Bottich von Winzern mit hüfthohen Stiefeln getreten und geknetet. Da die Mostbrühe sofort vollständig bearbeitet sein will, geschieht das Geschäft des eigentlichen Kelterns häufig des Nachts, wofür die Legelträger zehn Silbergroschen Extravergütung erhalten. Die Mostbrühe darf, soll der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_696.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)